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Samthandschuhe aus!

Historische Gemäuer, Burgen und Schlösser wirken wie Gesamtkunstwerke. Dabei wurde in ihrer Geschichte oft unbekümmert an- und weitergebaut, wie gerade Bedarf bestand. Von diesem Mut zur eigenen Zeitschicht sollten sich zeitgenössische Umbauten inspirieren lassen

31.01.20198 Min.Von Simone Kraft Kommentar schreiben
Burg Wertheim ist eine der größten Burganlagen Deutschlands.

Von Simone Kraft

Da stellen sich den Fans alter Gemäuer die Nackenhärchen auf. Eine alte Burg erweitern? Umbauen gar und etwas an der alten Substanz verändern? Das geht gar nicht! Aber: Warum eigentlich? Nicht jede Burg kann zum Freilichtmuseum werden. Alte Gemäuer sind vor allem auch einfach Gebäude, die genutzt werden wollen. Warum sie isolieren und auf einen Sockel stellen, warum nicht machen, wofür sie gebaut wurden – um gebraucht zu werden? Der Historie wird damit nicht zwangsläufig der Garaus gemacht, im Gegenteil.

Die staufische Burg Wertheim aus dem 12. Jahrhundert zum Beispiel ist eine der größten Burganlagen Deutschlands und muss sich mit ihrer Geschichte nicht verstecken. Seit dem Dreißigjährigen Krieg schon ist sie Ruine, eine der eindrucksvollsten Baden-Württembergs, die man nahezu komplett besichtigen kann. Wer sich heute hinaufbemüht, wird mit einer Aussicht belohnt – und einer spannenden Begegnung von alter und neuer Architektur.

Das Burgrestaurant, das schon seit einigen Jahrzehnten hier betrieben wird, wurde 2016 mit einer neuen Küche, Nebenräumen sowie einem neuen Gast- und Veranstaltungsraum erweitert. Das Konzept dafür haben punkt4 architekten aus Kassel entwickelt, die keine zurückhaltende Lösung gefunden haben, sondern den stattlichen Sandsteinmauern eigenständige Formen hinzufügen, die auch im Sinne des Denkmalschutzes gelungen sind. Die Herausforderung war nicht nur inhaltlicher Art – wie geht man mit einem alten Bauwerk um, das einen so ausgeprägten Charakter hat? –, sondern auch eine logistische: Die Burg liegt, naturgemäß, auf schwer zugänglichem Terrain.

Gelöst haben die Architekten dies durch zwei Baukörper aus leichten, vorgefertigten Baumaterialien. Für den Küchentrakt wurde in Holzrahmenbauweise an die vorhandenen Mauern angebaut – bewusst mit Bezug auf die Tradition von untergeordneten Anbauten im Burgenbau. Die Erweiterung des Gastraums hingegen wurde materiell selbstbewusster in die nach oben offene Ruine eines weiteren Burgteils eingestellt, ohne in die Substanz einzugreifen. „Mit Stahlbeton wird hier der massiven Sandsteinruine ein ebenbürtiges Material entgegengesetzt, ohne sich anzubiedern“, erläutert Architekt Christian Bernard. „Der Einbau steht wie ein Betontisch in der Ruine und lässt einen neuen Gastraum sowie eine Terrasse samt Zugang entstehen.“

Der Kontrast der Materialien mag manchen zu ausgeprägt erscheinen, er zeugt jedoch von einer Haltung im Umgang mit dem historischen Bestand: Das Alte darf bleiben, was es ist, das Neue ebenso. Die alten Formen werden nicht nachgeahmt, sondern mit respektvoller Distanz ergänzt. Und dank der intensiven Einbindung von Bauherren und Nutzern der Burg von Beginn an war diese Haltung stets nachvollziehbar und stieß auf hohe Akzeptanz. Der neue Gastraum hat das Zeug, dem alten Rittersaal den Rang abzulaufen in Sachen Gemütlichkeit; wohl gut 95 Prozent der Gäste zeigen sich begeistert, weiß der Wirt zu berichten.

Weiterentwicklung in Wittenberg

Genau besehen, ist diese Haltung die historisch verbürgtere, wenn man so will: In früheren Zeiten hatte man weit weniger Scheu, sich historische Gemäuer anzueignen. Gab es Bedarf, so wurde dieser gedeckt. Es wurde erweitert, umgebaut und angebaut im Stil und Geschmack der eigenen Zeit. Gerade bei Burgen und Schlössern lässt sich die Entstehungsgeschichte bestens an ihren Baukörpern ablesen. Teils wurden ganz andere Nutzungsformen implementiert. So wurde etwa das über 800 Jahre alte Schloss Wittenberg Mitte des 19. Jahrhunderts zur Kaserne umfunktioniert, für den Bau die massivste und bis heute prägendste Überformung: Ein spektakulärer Renaissance-Dachstuhl wurde abgetragen, an seiner statt ein mit Erdreich überdecktes Tonnengewölbe eingefügt (siehe Foto rechts), das Brandbomben standhalten sollte.

Wie wenige andere Orte in Deutschland atmet Wittenberg den Geist einer besonderen Geschichte, es ist das „Rom“ der Reformation. Das Schloss selbst war Teil der Befestigungsanlage, die Martin Luther Schutz bot, an der Schlosskirche soll er seine 95 Thesen angeschlagen haben. Kein leichtes Erbe also, mit dem die Berliner Architekten von Bruno Fioretti Marquez umzugehen hatten: (Nicht nur) mit Blick auf das 500-jährige Jubiläum der Reformation 2017, für das die Lutherstadt Wittenberg ein auf Jahrzehnte angelegtes Projekt zur Sanierung, aber auch Weiterentwicklung ihrer Altstadt angestrengt hatte – als solches äußerst beispielhaft für die Verbindung von Alt und Neu –, war das Schloss zu sanieren. Ein neues Besucherzentrum sollte entstehen, ebenso Raum für die reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek mit Magazin und ein Predigerseminar.

Die Berliner Architekten reagierten sensibel auf die bauliche Geschichte des Schlosses und fanden doch selbstbewusste moderne Formen, wo nötig: „Das Wittenberger Schloss ist wie ein Palimpsest zu lesen. Das Gebäude definiert sich durch überlagernde architektonische und historische Essenzen – vom Schloss Friedrichs des Weisen zur Festung, zur Kaserne, zum Museum .… Unsere Interventionen verstehen sich dabei als weitere Schicht, die das Alte nicht überdeckt, sondern sich hinzugesellt“, erklärt José Gutiérrez Marquez. So werden etwa die massiven Umformungen der Kasernenzeit nicht rückgängig gemacht, nicht historisierend „korrigiert“ und der Renaissance-Dachstuhl nicht wiederhergestellt. Stattdessen wird das Kasernendach zum Ausgang eines weiteren Geschosses aus einem besonderen Leichtbeton – mit Dachgärten. Wo die Bausubstanz verändert werden muss – vor allem im Dienste der Barrierefreiheit wurde für Treppenhäuser und Aufzug massiv eingegriffen –, zeigen sichtbare „Schnittkanten“, wo Alt und Neu aufeinanderstoßen. Die Geschichte in ihren vielfältigen Abschnitten und Brüchen bleibt lesbar, ohne dass sich das Zeitgenössische verstecken würde: Das neue Haupttreppenhaus, das verschieden hohe Geschosse verbinden muss, „schwebt“ wie eine Betonskulptur in den alten Wänden (siehe Seite 19). Die Weiterentwicklung des Wittenberger Schlosses, hier ist sie so gelungen, dass man in der Stadt – mit Blick auf die gesamte Stadtentwicklung der vergangenen Jahrzehnte, die sich das behutsame Sanieren und Weiterdenken des historischen Bestands vorgenommen hat – gar von einem neu entstandenen Lebensgefühl spricht.

Doppelstrategie in Nürnberg

Nicht ganz so alt ist das Nürnberger „Wastl“, das ehemalige Sebastianspital. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Heinrich Wallraff errichtet, erscheint der Bau gewissermaßen als historisierendes Zitat einer Wohnburg – auf einer Anhöhe, trutzig mit verstärkten Ecken und angedeuteten Türmen (übrigens auch dies eine Art, mit historischen Formen umzugehen!). Entworfen wurde es als Pflegeheim und als solches auch über Jahrzehnte hinweg genutzt. Spannend ist der „Knick“ in seiner Geschichte: Geprägt von einem veränderten Anspruch an die Krankenpflege, die professionalisiert und von kommunaler Hand getragen werden sollte, war das ehemalige „Wastl“ zur Entstehungszeit eine hochmoderne Einrichtung. Dies kam auch in der baulichen Konstruktion zum Ausdruck: Mit weit gespannten Eisenbetondecken und einem passiven Lüftungs­system war es ein frühes Beispiel für den Einsatz damals neuester Baukonstruktionen und Technologien. Gut 50 Jahre später kippt dies, als sich die Anforderungen an die Pflege ändern. Das „Wastl“ scheint nun eine aus der Zeit gefallene „Verwahranstalt“ zu sein. Die vom Gefängnisbau beeinflusste Raumaufteilung – Stichwort Michel Foucault – lässt sich nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck nutzen. Teile des „Wastl“ werden abgerissen, andere umgestaltet, umgenutzt, bis der Haupttrakt, schwer sanierungsbedürftig, 2008 von der neuen Musikhochschule bezogen wird. Erst seit dem Frühjahr 2018 steht den jungen Musikern ein besonderes neues altes Gebäude zur Verfügung.

Die intensive Auseinandersetzung mit der facettenreichen Geschichte des Gebäudes war Grundlage der Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten von Robert Rechenauer Architekten aus München. Die Bauaufgabe ist komplex, neben die üblichen Sanierungsbedürfnisse des Bestands treten die akustischen Anforderungen der neuen Nutzer. „Vier Jahre lang haben wir gearbeitet – stets mit dem baukünstlerischen Anspruch, dem Bau einen neuen architektonischen Auftritt zu geben und gleichzeitig die Erinnerung an das ehemalige ‚Wastl‘ zu bewahren“, betont Robert Rechenauer. „In einer bewussten Doppelstrategie haben wir die Erhaltung und Erneuerung historischer Details auf der einen Seite mit teils radikalen Eingriffen auf der anderen Seite verbunden.“ So gelingt das Meisterstück, trotz umfangreicher Eingriffe in die denkmalgeschützten Mauern erstaunlich viel von der originalen Ausstrahlung zu erhalten. Nähert man sich dem am Hang liegenden Komplex von außen, sind kaum Veränderungen zu sehen. Der Haupteingang wurde um 90 Grad an eine andere Seite verlegt und öffnet nun das Gebäude zur tiefer liegenden Hofebene der benachbarten Bauten. Entstanden ist ein neues zweigeschossiges Foyer, für das mit dem Segen des Denkmalschutzes eine Decke entfernt wurde, während der alte, beengtere Zugang in seiner originalen Erscheinung erhalten bleiben konnte. Darüber hinaus wurde der Innenhof mit einem Konzertsaal „gefüllt“: Etwa zur Hälfte im Boden versenkt, schmiegt sich der neue Kubus in den Hof, als ob er immer schon dort gewesen wäre. Sein begehbares Dach, die ausgeklügelte Form, die multifunktionale Ausrichtung – der Orchestersaal, der zugleich auch Übungsraum und Musikerwerkstatt ist, lässt den Innenhof jünger denn je wirken. Die Hochschulleitung ist zufrieden, die Nutzer sind es ebenso und das Feedback aus der Stadt kann sich hören lassen. Hier ist das Zusammentreffen von Alt und Neu ein Sieg auf ganzer Linie.


Bestandskultur

Wie wichtig die aktive Auseinandersetzung mit historischem Bestand ist, fasst der jüngste Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur zusammen, der deutlich zum Ausdruck bringt, dass langfristig nachhaltige Stadt- und Bauentwicklung nur aus dem Bestand heraus erfolgen kann. Hier verbirgt sich ein, oft noch unterschätztes, Potenzial – nicht nur kulturell und historisch, sondern auch ökologisch, ökonomisch und raumpolitisch. Den vollständigen Bericht mit vielen guten Praxisbeispielen finden Sie unter

www.bundesstiftung-baukultur.de/baukulturbericht-201819

Mehr Beiträge zu unserem Schwerpunkt „Alt trifft neu“ finden Sie hier

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