Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Die Unabhängige“ im Deutschen Architektenblatt 01.2020 erschienen.
Von Kerstin Kuhnekath
Wenn eine junge Architektin ein eigenes Planungsbüro hat, und zwar ohne Ehepartner oder namensgebenden Mann, ist das nicht nur außergewöhnlich. Mit Blick auf die Statistik möchte man meinen, es sei geradezu waghalsig, sich als Frau selbstständig zu machen oder in die Führungsebene zu gehen. Denn in Deutschland wird nur ein Prozent der größeren Planungsbüros (ab zehn Mitarbeitern) von Frauen geführt. Und nur bei 20 Prozent der kleinen Büros sind Frauen alleinige Inhaberinnen.
Erst die Mühe, dann der Verzicht
Die junge Architektin Kristin Engel gehört dieser Minderheit weiblicher Büroinhaberinnen an. Nicht nur deswegen ist sie eine geeignete Gesprächspartnerin zum Thema: Sie ist auch in die Rolle der Aufklärerin geschlüpft und rückt den Beruf aktiv in das Bewusstsein junger Frauen. Sie selbst hat sich nach nur drei Jahren Berufserfahrung als Angestellte in Architekturbüros selbstständig gemacht. Das ist sieben Jahre her. Sie sagt von sich etwas, das in Anbetracht der Statistik erstaunt: „Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet, ob ich mir das zutraue oder nicht, sondern einfach losgelegt.“ Schon mit 15 Jahren habe sie gewusst, dass sie später gestalterisch tätig sein will. Schule und Studium liefen dementsprechend geradlinig. Auch wenn sie anmerkt: „Im Studium fragte ich mich oft, ob ich so ticke, wie ich sollte. Wenn man das hinter sich gebracht hat, kann es nur besser werden.“
Frauen verschwinden nach dem Studium von der Bildfläche
Die Architekturausbildung ist bekanntermaßen kein Zuckerschlecken. Wenn man den Abschluss schafft, hat man nicht nur gelernt, zu entwerfen und zu konstruieren, sondern auch, sich vor anderen zu positionieren, eigene Entwürfe zu verteidigen, trotz Zweiflern am Ball zu bleiben, mit Konkurrenz umzugehen und in schwierigen Phasen wenig zu schlafen. Genau das macht stutzig. Wer dieses Studium erfolgreich durchzieht, hat sehr viel investiert und das eigene Können bewiesen. Umso rätselhafter ist es, dass Frauen als hochausgebildete Planerinnen von der beruflichen Bildfläche verschwinden. Das ist nicht nur ein Dilemma für die Baubranche, sondern für die gesamte Gesellschaft. Einerseits die Mühe, andererseits der Verzicht auf das Ausüben des Berufes – wie geht das zusammen?
Tabuthema Kinder
Kristin Engel hat eine erschreckende Erklärung: Als Angestellte hat sie beobachtet, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes von der Projektleitung abgezogen wurden und untergeordnete Aufgaben übernehmen mussten, wenn sie nicht gleich ganz ausgestiegen waren. Und sie kennt Architektinnen aus Netzwerken, die beunruhigt fragen, wie sie mit dem Thema Schwangerschaft vor ihrem Auftrag- oder Arbeitgeber umgehen sollen. Das zeigt: Schwanger zu sein und Kinder zu haben ist ein Tabuthema in unserer Arbeitswelt, mit dem das Individuum allein gelassen wird. Das macht die erwähnte Statistik nicht mehr so verwunderlich.
Frauen werden in ihrer Entwicklung gehemmt
Doch nicht nur werdende Mütter nehmen eher auf ewig auf den unteren Rängen der Bürohierarchie Platz. Engel fühlte sich als weibliche Angestellte schon weit vor ihrer Mutterschaft in ihrer beruflichen Entwicklung gehemmt und nicht ernst genommen. Sie hat sich deshalb aus den starren Strukturen gelöst, in denen alle die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllen müssen. Sie genießt seither ihre Freiheit in der Selbstständigkeit und die Verantwortung, die sie trägt. Durch zufriedene Bauherren erfährt sie mehr Wertschätzung als durch Vorgesetzte. Sie hat zwei Kinder in vier Jahren bekommen und zwar die Arbeit vorübergehend reduziert, aber ihr kleines Unternehmen stets am Laufen gehalten. Und die Kinder? Die kommen halt mit auf die Baustelle, wenn es nicht anders geht.
Das Netzwerk „Frau liebt Bau“
Um gegen alte Rollenmodelle vorzugehen, hat Kristin Engel 2018 mit vier anderen selbstständigen Planerinnen die Initiative „Frau liebt Bau“ gegründet, ein Netzwerk aus Spezialistinnen, das als Anlaufstelle für Frauen in Ingenieurberufen und der Baubranche dient. Es wächst rasant. Innerhalb eines Jahres ist die Mastermind-Gruppe auf rund 60 Mitglieder gestiegen. Alle zwei Wochen findet ein professioneller Austausch statt, der ersetzt, was den Selbstständigen oft fehlt: ein starkes Büro im Hintergrund, das viele Kompetenzen abdeckt. Aber nicht nur das. „Frau liebt Bau“ wirkt auch aktiv nach außen. An Hochschulen werben die Netzwerkerinnen für die Baubranche. Die selbstständigen Frauen zeigen, dass sie hier erfolgreich sein können und nicht zwischen Kind und Karriere wählen müssen. Die Initiative besucht außerdem Schulen, um Mädchen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zu sensibilisieren und sie zu bestärken, auch in den männerdominierten Berufen selbstbewusst Fuß zu fassen. „Vielleicht erscheinen sie nicht attraktiv, weil man sich ein bisschen durchbeißen muss. Wir wollen deshalb auf die Schönheit unserer Branche hinweisen“, so Kristin Engel.
Die Planerinnen machen Mut und Lust auf den Beruf und wirken damit aktiv dem gefürchteten Fachkräfte-Mangel entgegen. Das wäre eigentlich Aufgabe der öffentlichen Hand. Die Regierungen, Schulämter, Hochschulen und Kammern stehen hier in der Pflicht. Der Bedarf ist da. Schulen fragen an, ob „Frau liebt Bau“ Aufklärungsarbeit bei ihnen leistet. Auch aus der freien Wirtschaft bekommt das Netzwerk Anfragen, oft von Frauen, die sich für Frauen in ihrem Unternehmen einsetzen. Das sei zwar löblich und mache stolz, meint Engel, „aber wir wollen den beruflichen Austausch mehr, als dass wir Botschafterinnen für Frauenrechte sein wollen“.
Familienfragen statt Fachfragen
Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kommt natürlich oft auf. Aber nicht etwa intern im Netzwerk, sondern von außen in Interviews mit den Mitgliedern von „Frau liebt Bau“. Auch hier zeigt sich, in welchen Rollen die Frauen verhaftet sind: Wenn sie sich als Profis vernetzen, werden ihnen nicht in erster Linie Fachfragen gestellt, sondern Familienfragen. Schwingt da etwa auch ein Vorwurf mit? Lautet der Subtext: „Wer kümmert sich eigentlich um die Kinder, während ihr euch selbst verwirklicht?“ Man stelle sich das nur einmal bei einem Männernetzwerk vor – und es wird klar, dass die Betrachtung der beiden Geschlechter und die Zuweisung der Kompetenzfelder doch noch sehr unterschiedlich sind.
Interessant ist dabei, dass das Thema Kinder intern gar keine Rolle spielt. Während die Außenwelt grübelt, wie man das Problem theoretisch lösen könnte, gehen die selbstständigen Praktikerinnen ihrer Sache nach und empfinden das Problem für sich gar nicht als solches. Jede Einzelne ist ein Vorbild für andere Frauen und ein lebender Beweis dafür, dass man Menschen nicht nach Lebensphase oder Rollen einordnen sollte, sondern aufgrund ihrer Stärken.
Was soll passieren?
„Wir heulen, dass Architektinnen fehlen, und da draußen sind Tausende gut ausgebildete Frauen, die an den Herd geschickt werden. Es ist doch eine Schande, dass man nicht in der Lage ist, Modelle zu finden, die die Frauen zurückholen in den Beruf, den sie mit Sicherheit auch lieben, sonst hätten sie das Studium ja nicht auf sich genommen“, echauffiert sich Kristin Engel und fordert, dass jede(r) sein Recht auf Sichtbarkeit ausleben kann und dass das Schubladendenken der Anerkennung von Vielseitigkeit weicht. Denn „man ist nun einmal nicht von 9 bis 17 Uhr Architektin und den Rest der Zeit Mutter, Ehefrau oder Freundin“. Man ist all das zugleich, und das sollte kein Nachteil sein.
Wenn sie sich heute noch einmal selbstständig machen würde, was würde sie anders machen? Sie sagt: „Sofort eine Gründerinnen-Zentrale aufsuchen und mit dem Netzwerken anfangen. Denn ohne Unterstützung geht es nicht, und durch Kooperation kann man viel erreichen.“ Frauen auf dem Weg in die Selbstständigkeit rät sie, die Energie nicht mit Kopfzerbrechen zu verschwenden, sondern einfach zu machen. Findet sie das nicht waghalsig? „Im schlimmsten Fall geht es eben schief. Was soll schon passieren?“
Das ausführliche Interview mit Kristin Engel können Sie auf www.audioarchitekten.de als Podcast hören.
Alle Beiträge zum Thema finden Sie auch in unserem Schwerpunkt Junge Architekten
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