Nicht nur der oft kritisierte Richtermangel hat direkte Auswirkungen auf Verfahrenslaufzeiten, auch bis zu 15 Prozent weniger tätige öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige bereits in den nächsten vier bis fünf Jahren drohen, die Verfahren vor allem in Zivil- und Strafprozessen zu verlängern. Das ist das Ergebnis einer 2018 durchgeführten Studie des Instituts für Sachverständigenwesen e. V. (IfS) in Köln.
Bedeutung des Sachverständigenbeweises in Gerichtsverfahren
In Gerichtsverfahren mit Sachverständigen beträgt der zeitliche Anteil des Sachverständigenbeweises an der Verfahrenslaufzeit ca. 40 Prozent (Studie „Langdauernde Zivilverfahren – Eine Untersuchung des Oberlandesgerichts Hamm, des Oberlandesgerichts Nürnberg, des Kammergerichts sowie des Oberlandesgerichts Jena“, S. 136 ff). Darin enthalten ist ebenfalls die Suche nach geeigneten Sachverständigen. Steigt die Auslastung bei gleichzeitig weniger tätigen Sachverständigen in den kommenden Jahren, ist mit sinkender Verfahrenseffizienz und damit längeren Verfahrenslaufzeiten zu rechnen.
Altersstruktur 2018
Aktuell sind deutsche öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige durchschnittlich 59 Jahre alt (siehe Abbildung). 2018 befanden sich 59 Prozent – und damit mehr als jeder zweite Sachverständige – innerhalb des Altersintervalls von 51 bis 65 Jahren. 24 Prozent der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen sind über 65 Jahre alt. Die Ergebnisse werden von Einzelauswertungen der Handwerkskammern und der Marktanalyse zum Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 30. Januar 2019 (Marktanalyse der INTERVAL GmbH) bestätigt. Dabei bestehen im Vergleich der Bundesländer keine signifikanten Unterschiede.
Wie entwickelt sich die Zahl der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in vier Jahren? – Vier Szenarien geben Antworten
Die Studie hat nicht nur das aktuelle Altersbild der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen allgemein untersucht. In vier Szenarien versucht die Studie, verlässliche Angaben zur Entwicklung der Anzahl der öffentlich bestellten Sachverständigen in den nächsten vier Jahren in einzelnen Sachgebieten zu geben. Dazu wurden die Daten der Sachverständigen entsprechend den Sachgebieten der geplanten neuen Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 des JVEG für gerichtliche Sachverständige zugeordnet.
Das erste Szenario geht davon aus, dass auch in den kommenden Jahren gleich viele Sachverständige in den einzelnen Sachgebieten erstmals bestellt werden wie durchschnittlich in den Jahren von 2013 bis 2017. Das Szenario unterstellt weiterhin, dass die öffentlich bestellten Sachverständigen ihre Bestellung im Alter von 70 Jahren beenden. Szenario zwei legt im Unterschied zur Einschätzung eins eine rückläufige Anzahl an Neubestellungen von 20 Prozent zu Grunde. Im Szenario 3 wird wie im Szenario 1 vorausgesetzt, dass die Anzahl der Neubestellungen gleich bleibt, es wird jedoch simuliert, dass Sachverständige ihre Bestellung im Alter von 75 Jahren beenden. In Szenario vier wird das Ergebnis unter Beibehaltung der 75-Jahre-Grenze wie in Szenario zwei von einer sinkenden Anzahl der Neubestellungen von 20 Prozent prognostiziert.
Im Gesamtergebnis zeigt die Studie, dass bei Betrachtung aller Sachgebiete insgesamt bis zu 15 Prozent weniger Sachverständige innerhalb der nächsten fünf Jahre öffentlich bestellt und vereidigt sein könnten. Die Auswertung der einzelnen Szenarien zeigt, dass in einigen Sachgebieten je nach zu erwartender Entwicklung der Neubestellungen damit zu gerechnet werden kann, dass teilweise von 25 bis zu 50 Prozent (zum Beispiel Berufskunde, Briemarken, Münzen und Medaillen, Grafisches Gewerbe, Hausrat, Kältetechnik, Kunst und Antiquitäten, Medizintechnik und -produkte, Mieten und Pachten, Tiere, Vermessungswesen) weniger Sachverständige öffentlich bestellt sein werden. Selbst bei günstigem Szenario ist in diesen Sachgebieten ein Rückgang von knapp 20 Prozent der bestellten Sachverständigen zu erwarten.
In den für langandauernde Gerichtsverfahren anfälligen Sachgebieten wie dem Baubereich (Schadensfeststellung, Ursachenermittlung, Bewertung) und der Rekonstruktion von Unfällen scheint eine Abnahme der Bestellungen von bis zu 15 Prozent der Sachverständigen durchaus möglich. Günstigere Entwicklungen lassen sich in diesen Sachgebieten nur erwarten, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Sachverständigen erst mit 75 Jahren ihre Öffentliche Bestellung beenden. Dazu gibt es jedoch auch nach Wegfall der Altersgrenze in den Sachverständigenordnungen der Bestellungskörperschaften keine Anzeichen. Hinzukommt, dass auch die Entwicklung bei den Erstbestellungen eine deutlich rückläufige Tendenz zeigt.
Fazit: Wenn sich nur ein Teil der vorgestellten Szenarien realisiert, wird es bereits kurzfristig weniger öffentlich bestellte Sachverständige geben. In einer Reihe von Sachgebieten wird das dazu führen, dass die Auslastung der Sachverständigen längere Bearbeitungszeiten bei der Begutachtung nach sich ziehen. Längere Verfahrenslaufzeiten könnten durchaus ein Ergebnis sein und damit auch Auswirkungen auf den Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland haben.
Der Text wurde verfasst vom Institut für Sachverständigenwesen e. V., Köln
Hintergrund zur Studie
Die vorliegende Auswertung zur Altersstruktur der deutschen Sachverständigen basiert auf anonymisierten Daten (erstes Quartal 2018) des Sachverständigenverzeichnisses der Architekten-, Ingenieur-, Industrie- und Handels- sowie Landwirtschaftskammern. Es wurden 8.362 Datensätze übermittelt, wobei 1.944 Datensätze wegen des fehlenden Geburtsdatums verworfen wurden und die Auswertung auf Grundlage der übrigen 6.418 anonymisierten Fälle erfolgte.
Im Anschluss wurden in einer tiefergehenden Analyse alle Fälle entsprechend ihres Sachgebietes oder ihrer Sachgebietskombinationen einem Sachgebiet nach dem JVEG zugeteilt. Da Sachverständige teilweise für mehrere Sachgebiete öffentlich und bestellt sind, basiert damit die Analyse der Altersverteilung für die einzelnen Sachgebietsgruppierungen auf 7.075 Datensätzen.
Weiterbildungen und Seminare
Die Architektenkammer Baden-Württemberg bietet folgende Lehrgänge an:
– Schäden an Gebäuden (SaG) aus dem Qualifizierungsprogramm Sachverständige/r im Bauwesen mit fakultativer Abschlussprüfung zum Erwerb des Hochschulzertifikats
– Schäden an Freianlagen (SaF) aus dem Qualifizierungsprogramm Sachverständige/r im Bauwesen mit fakultativer Abschlussprüfung zum Erwerb des Hochschulzertifikats
– Der Architekt als Honorarsachverständiger
Informationen „Sachverständiger werden“ der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
Auf der gemeinsamen Seite der Architektenkammern www.architekten-fortbildungen.de als Sachgebiet „Sachverständigenwesen“ wählen.
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Der Bedarf an obuv Sachverständigen würde sich schlagartig reduzieren, wenn man zu einem sinnvollen Umgang mit Baufehlern finden würde wie z. B. in Luxemburg. Alle (Planer, Bauherr, Handwerker) zahlen projektbezogen in eine Versicherung ein. Die Planung wird vor Ausführung durch die Versicherung freigegeben. Wenn dann doch etwas schiefgeht, regelt das die Versicherung. Fertig.
Man kann aber natürlich auch wie in Deutschland bisher üblich, sich jahrelang vor Gericht über die Schuldfrage streiten und sich dabei mit mehr oder minder guten Gerichtssachverständigen auseinandersetzen müssen.