Die Firma der Bauherren erzeugt Energie aus Speiseresten. (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Runde Sache“ im Deutschen Architektenblatt 02.2020 erschienen.
Von Nils Ballhausen
Auf dem Land scheint immer die Sonne: beim Eselzüchten, Marmeladekochen, Craft-Bier-Brauen, erst recht auf der Terrasse vom Landgasthof mit Bio-Küche. Dies ist das Land der Magazine und ihrer Anzeigenverkäufer: Provinz als Lifestyle. Regionale Verlagstitel setzen hübsche Eigenarten und anpackende Typen ins Bild, was die faktische Ungleichheit der Lebensverhältnisse einerseits medial ausbalanciert, andererseits – wer kann es wissen? – manche erst zu Stadtflucht und Eigenheim mit jahrzehntelanger Kreditlaufzeit ermuntern mag. Das Zerrbild lässt vieles aus: die Staus der Pendler, die Kinder im Schulbus, die tagsüber entleerten, abends im TV-Flimmer dösenden Dorfstraßen.
Das Magazin „Heimatliebe“ würdigt dreimal im Jahr die Region um die Kleinstädte Winterberg, Hallenberg und Medebach. Hochsauerland, uralte Kulturlandschaft, Mittelgebirge abseits großer Verkehrsströme, in manchen Großstädten als Freizeitlandschaft geschätzt. Damit hier Schlagzeilen entstehen, muss einiges zusammenkommen. In Oberschledorn, einem zu Medebach gehörigen Dorf, wurde 2007 die sogenannte „Sauerlandgruppe“ festgenommen, drei Islamisten, die in einem Ferienhaus eine Bombe bauen wollten – ein schwarzer Fleck in der Dorfchronik, auch wenn keiner der Täter aus der Region stammte, und eine verstörende Kollision von großer und kleiner Welt.
Bauern werden zu Erfindern
Der Architekt Christoph Hesse, Jahrgang 1977, ist im Dorf Referinghausen aufgewachsen, ebenfalls ein Ortsteil von Medebach. Er machte seine Abschlüsse in Zürich und Harvard, seine Vita nennt berufliche Stationen an Universitäten in Darmstadt, Kairo, Saigon und Kassel. Sein Büro gründete er 2008 jenseits der Landesgrenze, in der nordhessischen Stadt Korbach, wo er in den letzten Jahren mit Wohn- und Geschäftshäusern Aufmerksamkeit erregte, aber auch durch kleinere, eher skulpturale Bauten, die Potenziale des ländlichen Raums ausloten und die Synthese von Bodenständigkeit und individueller Gestaltung suchen.
Einer seiner ersten Aufträge kam noch aus der eigenen Vergangenheit, von einem Grundschulfreund aus Titmaringhausen, dem Nachbarort von Referinghausen. „Man kennt sich, verliert sich aus den Augen, trifft sich wieder“, sagt Christoph Hesse, und so lief es mit ihm und Joel Frese, der auf dem elterlichen Hof einen Entsorgungsbetrieb führte und zusammen mit Vater und Bruder an einer eigenen Biogasanlage arbeitete. Die Landwirtschaft spielt in der Familie Frese nur noch eine Nebenrolle, aus Bauern sind Entwickler und Erfinder geworden. Als sie ihren ersten runden Biomassebehälter (Fermenter) betoniert hatten, war Joel Frese von dem Raumerlebnis so begeistert, dass ihm die Idee für sein Haus kam, „eine Schnapsidee“, wie er sagt. Jahre später, die benachbarte Wiese war frei geworden, fragte er den Ortsvorsteher, ob man dort irgendwelche Gestaltungsvorgaben beachten müsse. Ohne die Vorgeschichte zu kennen, meinte der lapidar: „Kannst auch rund bauen.“ Damit lebte die Idee plötzlich wieder auf. Ob er ihm ein rundes Haus bauen könne, mit dieser Frage kam der Schulfreund in Christoph Hesses Büro.
Ein energieautarkes Dorf
Die Schnapsidee wurde 2015 Wirklichkeit. Baurechtlich ist die Villa F ein Gewerbebau mit Betriebsleiterwohnung der Frese Entsorgung GmbH und Ko. KG. Im Erdgeschoss befinden sich Büros und Besprechungsräume, im Obergeschoss liegen Wohn- und Schlafräume. Die monolithische Außenwand besteht aus einem Hochlochziegel-Mauerwerk (36,5 Zentimeter), eine Herausforderung für die lokalen Handwerker. Der äußere Zementputz soll noch hinter einem Mosaik aus Fundsteinen aus einem nahen Bach verschwinden, das der Bauherr nach und nach selbst anbringt.
Die Ausstattung und die Möblierung des Hauses hätten anfangs zwar etwas Kopfzerbrechen bereitet, schließlich sei aber alles zur vollen Zufriedenheit gelöst worden, so das Bauherrenpaar. Zur Organisation der kreisrunden Grundfläche lässt sich einwenden, dass die Vollkommenheit der Geometrie durch Wände und Einbauten, die für den Gebrauchswert des Hauses unentbehrlich sind, gestört wird. Das gute Verhältnis von Oberfläche zu Volumen ist hingegen ein rationales Argument für diese Form.
Mario Botta argumentierte einst, seine Casa Rotonda (1980) entziehe sich durch ihre zylindrische Form dem Vergleich mit der Nachbarschaft. Das ist auch in Titmaringhausen der Fall; aber erst die spezielle Architektur lenkt die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang mit den Biomassebehältern, der allerdings weit mehr ist als ein formaler. Hier wird „das Land“ zum Schauplatz einer beispielhaften Kreislaufwirtschaft, denn die Biogasanlage der Freses wird nicht mit aufwendig produzierten Energiepflanzen betrieben, sondern ausschließlich mit Speiseabfällen. Joel sammelt sie von Gastronomiebetrieben und Großküchen ein, sein Bruder bereitet sie in seiner Anlage so auf, dass daraus in erster Linie Methan entsteht, mit dem über Blockheizkraftwerke Strom produziert wird, der ins Netz eingespeist wird. Die dabei entstehende Abwärme, eigentlich ein Abfallprodukt, ist groß genug, um nicht nur die eigenen Gebäude, sondern das gesamte Dorf zu beheizen. Über ein eigenes, zum Teil in Eigenleistung gegrabenes Nahwärmenetz werden mittlerweile sämtliche Haushalte Titmaringhausens von der Frese Biogas GmbH versorgt und auch im benachbarten Referinghausen sind bereits die ersten zehn Häuser angeschlossen worden.
Das Resultat: keine rauchenden Schornsteine, halbierte Energiekosten für alle Bewohner, null CO2-Emission. Ein energieautarkes Dorf, so wie es jahrhundertelang war, bis es in den 1950er-Jahren von fossilen Rohstoffen abhängig wurde, sagt Christoph Hesse. Diese Phase sei nun Geschichte. Joel Frese sichert mit seinem Unternehmen den Biomasse-Nachschub über ein selbst entwickeltes, mit einem europäischen Patent geschützten Abfalldepot-System (Fresdepot). Seit 2014 hat er für seine Kunden etwa 60 Anlagen installiert, die es Küchenbetreibern ersparen, Mülltonnen in Kühlräumen aufzubewahren und vor Tieren zu schützen. Speiseabfälle, Fette und Fermenter mögen vielleicht keine appetitliche Landmagazin-Idylle ergeben, sind aber eine reelle Grundlage für die Zukunft – und das nicht nur auf dem Land.
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