Alles, nur nicht verschlafen: Der Schlafsaal der in Eigenbau errichteten Remise. (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Zwischen Schloss und Schafstall“ im Deutschen Architektenblatt 02.2020 erschienen.
Von Rainer Müller
Anika Gründer bringt es auf den Punkt: „Das Leben hier besteht aus ständigen Entscheidungen, was man weglässt.“ Den Wohnungsneubau, den sie dringend brauchen, oder die ebenfalls dringende Sanierung des Altbaus nebenan? Die Instandsetzung des immer noch provisorisch hergerichteten Treppenhauses im Schloss oder die des Speisesaals, der als kleines Museum genutzt wird? Alles kostet Zeit, Geld, Nerven. „Und manchmal entscheiden auch Förderlogiken, was zuerst drankommt“, ergänzt Florian Kirfel. Das Architektenpaar lebt und arbeitet im Schloss Bedheim bei Hildburghausen, im Grenzland von Thüringen und Bayern.
Das Barockschloss und der dazugehörige Gutshof gehören der Familie von Florian Kirfel schon seit rund 200 Jahren. Auch zu DDR-Zeiten wurden sie als eine der wenigen Schlossbesitzer nicht enteignet. Die Möglichkeiten, das Areal denkmalgerecht zu erhalten, waren aber begrenzt. Nach der Wende machte sich die Familie dann mit viel Enthusiasmus und Herzblut, aber ohne Fachwissen, daran, Teile des Ensembles und die landwirtschaftlichen Flächen wieder nutzbar zu machen. Auch Florian Kirfel, der damals in Weimar Architektur studierte, half mit.
Sprung in die Provinz
Nach dem Studium und mit erster Berufserfahrung in München, Zürich und Japan wagten er und Anika Gründer zusammen mit zwei Studienfreunden den Sprung in die Provinz. Im schon fränkisch geprägten Süden Thüringens, fernab von Großstädten und Autobahnen, arbeiten sie seit 2013 als Architekten und sanieren und entwickeln gewissermaßen nebenher den Gutshof schrittweise zu einem modernen Wohn- und Arbeitsort. Sechs teilweise vermietete Wohnungen haben sie mittlerweile im Schloss, vier weitere in Nebengebäuden, in denen auch ein kleiner Betrieb betreuungsbedürftige Menschen in solidarischer Landwirtschaft beschäftigt. Dazu kommt ein hübsches Café im renovierten Gartenhaus.
Wie die eigenen Wohnungen der Architekten befindet sich auch das Büro im Barockschloss. Sieben Architektinnen und Architekten arbeiten heute bei „Studio Gründer Kirfel“, das vor allem „praktische Denkmalpflege, zeitgenössische Architektur und gebaute Kunst“ macht, wie Anika Gründer das Spektrum zusammenfasst. Neben dem Schloss, dessen Sicherung und Sanierung sich zu einer Lebensaufgabe heranwächst, arbeiten sie gerade am Umbau und an der Erweiterung einer ehemaligen Gaststätte im oberfränkischen Teuschnitz und an einem neuen Bürgerhaus in Coburg – beide überwiegend in Holzbauweise.
Zeitgenössisch regional
„Die beste Umsetzung eines Entwurfs ist uns aber hier in Bedheim geglückt“, ist Florian Kirfel überzeugt. Damit meint er den Neubau einer Remise, die 2018 fertiggestellt wurde. Sie orientiert sich mustergültig an der örtlichen Bautradition, fügt sich in das Ensemble des Wirtschaftshofs mit seinen Scheunen und Nebengebäuden ein und wurde im Selbstbau aus Holz errichtet. Weil sie auf den Grundmauern eines alten Schafstalls gebaut wurde und über einen großen Schlafsaal verfügt, wird die Remise auch „Sch(l)afstall“ genannt. Das Matratzenlager unter dem Dach, die Küche und den Sanitärbereich im Erdgeschoss nutzen regelmäßig Studierenden- und Jugendgruppen, die zu Baupraktika oder Sommercamps nach Bedheim kommen.
„Holzbau wie er heute propagiert wird, verlangt nach sehr gleichmäßigem Holz und wird hart an der Kunststoffgrenze mit Leimen aufgewertet“, kritisiert Florian Kirfel. „Wir haben hier bewusst mit dem billigsten Schnittholz gearbeitet, das wir kriegen konnten – also Fichte in Standardabmessung aus dem Sägewerk.“ Die dunkle Fassade wurde mit Kiefernholz ausgeführt. Die mineralische Dämmung besteht aus geblähtem Ton und Lehm. Auch die Fenster hat das Architektenpaar selbst gebaut: Als elegante Lichtschlitze in den bis zum First hochgezogenen Gauben geben sie dem Schlafsaal überraschend viel Licht. Der Verzicht auf Industrieprodukte und Kunststoffe gehört zu den Markenzeichen der Architekten. Obwohl Thüringen so waldreich ist, wird heute kaum noch mit Holz gebaut. „Wir wollten mit der Remise zeigen, dass einfaches Bauen mit Holz möglich ist“, erklärt Florian Kirfel die Idee.
Einer der ersten IBA-Bauten
Der Neubau gehört zu den ersten fertiggestellten Projekten der Internationalen Bauausstellung Thüringen (siehe unten), die den Bau ebenso unterstützte wie das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, das den „Sch(l)afstall“ als Modellprojekt der Regionalentwicklung betrachtet. So wurde der 350.000 Euro teure Bau zu zwei Dritteln gefördert, und weil die Architekten auch noch einen Lehrauftrag an der Bauhaus-Universität Weimar haben, konnten ihre Studierenden in Bauwerkstätten an der Realisierung mitwirken.
Neben den Vorgaben von IBA und Land erfüllt das Projekt auch noch einen ganz anderen Kriterienkatalog – den der „Bedheimer Erklärung“. Unter diesem selbstbewussten Titel hatten die Architekten 2015 gemeinsam mit rund 20 Berufskolleginnen und -kollegen aus ländlichen Regionen einen Aufruf gestartet, in dem sie unter anderem fordern, dass Dörfer ihren Charakter bewahren sollen, und in dem es heißt: „Jedes Dorf braucht ein Vorreiterprojekt“ für gute Gestaltung. Für Bedheim selbst sollte der „Sch(l)afstall“ das Vorreiterprojekt sein. Sind ihm weitere Holzhäuser gefolgt? In der Region herrscht fast Vollbeschäftigung, den Menschen geht es gut und sie bauen viel. Gute Voraussetzungen also für Architekten vor Ort?
Fünf Jahre nach der Bedheimer Erklärung klingt Florian Kirfel weniger optimistisch: „Den privaten Bauherren reichen die Standardprodukte von Bauträgern. Leider sind die meisten Neubauten hier regelrecht ortsbildschädigend.“ Ihre Aufträge bekommen die Bedheimer Architekten häufiger aus Bayern als aus Thüringen und häufiger von Kommunen als von Privatleuten. Für gut gestaltete Holzhäuser in Thüringen müssen noch dicke Bretter gebohrt werden.
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IBA Thüringen
Rund 30 bauliche, soziale und ökologische Projekte bearbeitet die IBA Thüringen noch bis 2023 und widmet sich Zukunftsfragen im zumeist ländlichen Raum. Zum Programm gehören unter anderem experimentelle Neubauten. Baukultur soll als „Provinzmoderne“ zum Markenzeichen Thüringens werden. Dazu passt das IBA-Projekt in Bedheim. „Der Sch(l)afstall zeigt, wie Baukultur auf dem Land entsteht“, so IBA-Geschäftsführerin Marta Doehler-Behzadi: „Im Kontext des historischen Ensembles, raffiniert in der Bauweise, jenseits von Baumarktcharme. Die Architektur auf den zweiten Blick ist im besten Sinne zeitgenössisch und regional zugleich.“
Wir berichten außerdem über das Hauptquartier der IBA Thüringen im Eiermannbau in Apolda.
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