Ruairí O'Briens Lichtkomposition für Potsdam: "Unterwegs im Licht 2020" (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist in einer gekürzten Version unter dem Titel „Erleuchtende Einblicke“ im Deutschen Architektenblatt 03.2020 erschienen.
Von Ruairí O’Brien
In diesem Monat sollte mit der Light + Building in Frankfurt am Main eine der wichtigsten internationalen Messen der Lichtindustrie stattfinden (wegen des Coronavirus wurde sie abgesagt). Auf 248.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche hätte die Lichtindustrie praktisch alles präsentiert, was sie zu bieten hat – von Ausstattungen für privates Wohnen bis zur Beleuchtung für die Städte der Zukunft. Die Ausstellungshallen sind im Grunde stets gigantische schwarze Kisten, ausgestattet mit umfangreichen Arsenalen künstlicher Lichtquellen. Die Veteranen unter den Messebesuchern kennen die leichte Überdrehtheit, die einen befallen kann, während man sich durch die langen Hallen von Stand zu Stand arbeitet.
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Licht auf der Light + Building
Das künstliche Leben und das künstliche Licht in den Messehallen, in denen die miteinander konkurrierenden Aussteller mit ihrer extravaganten oder auch eleganten Storytelling-Messearchitektur um die Blicke der Besucher und einige Minuten ihrer Zeit ringen, überwältigt und verführt. Es ist naheliegend, dass eine Lichtmesse das Medium Licht extensiv und auf mannigfaltige Weise nutzt, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Interessanterweise lässt sich dort gut beobachten, wie schwer das in einer Umgebung zu realisieren ist, in der jeder Stand sich müht, besser, schöner, heller oder hipper als der Nachbar zu leuchten. Dieses Las Vegas en miniature – eine Veranschaulichung von Venturis „Ducks and Decorated Sheds“ – ist an sich schon faszinierend. Unbeabsichtigt und überzeichnend spiegelt dieses Szenario zugleich die Probleme wider, vor denen unsere Gesellschaft in der Architektur, in der Stadtplanung und in der Baukultur steht. Wie man ein Raumempfinden erzeugt, wie man innen und außen definiert, wie man Menschen dafür empfänglich macht, stimuliert und begeistert, in einem Raum zu verweilen und zu kommunizieren, das sind Versuchsanordnungen in unseren Berufen, die wir hier im Rampenlicht aus erster Hand betrachten können.
Wir alle wissen, dass der (un)richtige und (un)kreative Umgang mit Kunst- oder Naturlicht ein Architekturprojekt verderben oder bereichern kann. Schlicht ausgedrückt: Wenn niemand in deiner Lobby oder deinem Wartezimmer sitzt, solltest du zuerst die Qualität des Lichts (Kunstlicht wie Tageslicht) in deinen Räumlichkeiten analysieren, bevor du neue Möbel kaufst! Um sichere, nachhaltige, bequeme und inspirierende Arbeits- und Aufenthaltsräume zu schaffen oder spannende und poetische Lichtstimmungen im öffentlichen Raum zu erzeugen, muss man verstehen, wie Zeit, Raum, Material, Dunkelheit und Licht zusammengebracht und gegen einander gesetzt werden können. Über solche elementaren Fragen guten Lichtdesigns hinaus sollten wir Planer Bescheid wissen, welches die besten Instrumentarien und Produkte sind, die es auf dem Markt gibt, und auf welche technologische Zukunft die Trends und Entwicklungen hinweisen. In den nächsten Abschnitten gebe ich dazu einen Überblick und ein paar Einblicke, woran die Industrie derzeit arbeitet, wohin sie sich nach meiner Einschätzung bewegt.
Trends in der Lichtindustrie
Wie alle Industriezweige, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert entstanden, durchlebt die Lichtindustrie disruptive Zeiten. Die digitale Revolution und die Erfindung beziehungsweise der Siegeszug der LED haben die traditionelle Lichtplanung in ihren Grundfesten erschüttert. In den letzten Jahren sind Traditionsbetriebe von der Bildfläche verschwunden oder sie wurden von Telekommunikationsriesen und Mediengiganten übernommen. Von diesem Trend, der auch andere Branchen wie beispielsweise die Film- oder die Autoindustrie verändert, liest man weltweit in digitalen Medien. Warum ist das für uns Planer wichtig und was bedeutet es für den Lichtbereich? Ganz einfach: Weil in der Architektur die Priorisierung der „Economies of Scale“ gegenüber der Komplexität unsere eigene Diversität gefährdet und Big size, Big name Planungsbüros immer mehr Projektangebote aufsaugen, benötigt die Lichtkultur, ebenso wie die Baukultur, S, M, L und XL-Formate, um relevant und zukunftsfähig zu bleiben. Die Planer – als Kunden und als Repräsentanten von Kundschaft und Gesellschaft – tragen die Verluste, wenn Beleuchtungsoptionen und Leuchtprodukte auf Modulfamilien reduziert werden und wir es mit standardisierten Lösungen zu tun bekommen.
Die Entwicklung bringt es auch mit sich, dass viele Vertreter der Lichtindustrie zunehmend auf ergänzende Nutzungen fokussieren, die ein Beleuchtungskörper anbieten kann. Das wachsende Interesse an der Steigerung der Multifunktionalität (Konnektivität, Personalisierung u.a.m.) von Produkten birgt aber das Risiko, dass die Raison d’être, die eigentliche Lichtqualität – das Terrain, auf dem sich Traditionsfirmen in der Vergangenheit einen Namen gemacht haben – in den Hintergrund rückt. Oder anders gesagt: Viele der Produkte, die jetzt auf den Markt kommen, sind wie Decathlon-Athleten – sehr gut im Zehnkampf, aber keine Weltklasse in einer Einzeldisziplin. Wenn man exzellentes Licht haben will, muss man „One-size-fits-all“-Lösungen und preiswerte Produkte generell hinterfragen, besser noch: meiden. Qualitätslicht hat, wie gutes Essen auch, einen angemessenen Preis, und für Kenner steht Qualität immer vor Quantität. Dennoch gilt: Das Licht, das man erzeugen will, ist wichtiger als die Leuchte, mit der man das tut. Ein falsches Lichtkonzept, schlecht gewählte Baumaterialien oder Farben kann man durch eine Leuchte nicht korrigieren, egal wie gut und teuer sie ist. Daher sollte der Architekt frühzeitig mit dem Lichtdesigner ins Gespräch kommen.
Neuer Kundenanspruch an das Licht
Aktuell unterläuft die Industrie einen enormen Wandlungsprozess nicht zuletzt deshalb, weil die Gesellschaft dynamisch ist und kundenorientierte Entwicklungsprozesse gefordert werden. Klienten sind heute umfassender informiert denn je; sie wissen was möglich ist und was sie selbst davon haben wollen. Digitalisierung, soziale Netzwerke, Instagram und YouTube sind dafür die Treiber. So wie der Hausarzt in der Medizinbranche lernen muss mit Patienten umzugehen, die nach eingehender Internetlektüre mit ihrer Eigendiagnose in seiner Praxis erscheinen, müssen wir Planer an den durch Influencern generierten Herausforderungen für unseren Umgang mit Klienten wachsen.
Kunden äußern sich heutzutage sehr freimütig über Energiekosten, nachhaltiges Design, über instagramfähige Images und Lichtdesign. Jedes Kundengespräch kann plötzlich eine neue Dynamik entfalten, da der Klient auf seinem Smartphone jederzeit auf beispielhafte Projekte aus aller Welt zugreifen und vorführen kann, wie das gewünschte Resultat aussehen sollte. Es ist gut, dass unsere Kunden uns mit ihren erhörten Ansprüchen herausfordern; wenn wir es positiv betrachten, kann das Niveau insgesamt dadurch erhöht werden. Um dem gesamtgesellschaftlichen Trend gerecht zu werden, haben viele Firmen jetzt in ihren Portfolios wesentliche Aspekte von Selbstbestimmung und Wahlfreiheit – vielfältige Möglichkeiten, sich eigene Leuchten zusammenzustellen oder eigene Lichträume und -stimmungen zu erzeugen – für den Klienten im Angebot. Am stärksten ist dieser Trend im privaten Lebensbereich zu sehen und auch im Bürobereich, wo neue Vorstellungen davon, wie Arbeitswelten von heute und morgen aussehen sollten, auf dem Vormarsch sind, wo Arbeit, Wohnzimmer und Freizeitstimmung sich mischen und der Wettbewerb um gute Mitarbeiter die Bereitstellung nicht nur von gesunden und bequemen, aber auch stark personalisierten Arbeitsplätzen verlangt.
Eine weitere Herausforderung liegt darin, zu vermeiden, dass die durch Globalisierung geprägten Kenntnisse und Erwartungen der Klienten und das zugleich wachsende Bewusstsein für die Notwendigkeit, regionale Identität und regionalen Geschmack einzubeziehen, zu einer eklektischen, hybriden Designwelt führen, die sich dann auch in der Innenarchitektur und dem Lichtdesign spiegelt. Bei Projekten für Öffentliches Licht – beispielsweise der Beleuchtung von Einkaufsstraßen – sind partizipative Workshops mit Nutzern inzwischen Teil des Planungsprozesses. So habe ich kürzlich in Berlin-Lichtenrade mehrere öffentliche Begegnungsformate zwischen Auftraggeber, kommunalen Behörden, Bewohnern, Geschäftsinhabern, Nutzern, Verkehrsteilnehmern und Politikern durchgeführt, um das Modernisierungskonzept für die Hauptgeschäftsstraße zu erläutern und gemeinsam zu diskutieren. Viele Auftraggeber haben inzwischen den Klimawandel und die Lichtverschmutzung vor Augen – weitere Aspekte, die einschneidend für die Entwicklung der Lichtindustrie sind. In all diesen Punkten müssen wir als Planer auf dem neusten Stand sein, um uns selbst und unsere Klienten vor „Fake News“, vor unseriösen Produkten und Entwicklungen zu schützen und die Ambitionen unserer Auftraggeber zu unterstützen, das Richtige für sich und für die Gesellschaft zu tun.
Lichtqualitäten schaffen
Die folgenden Zeichnungen von Ruairí O’Brien zur Erläuterung qualitätsvoller urbaner Beleuchtung, entstanden für das Lichtkonzept der Bahnhofstraße Berlin-Lichtenrade.
1. Lichtverschmutzung reduzieren
Dem Licht Fokus und Hierarchie geben. Ziel: grelles, diffuses Licht reduzieren, um den Sternenhimmel sehen zu können.
2. Räume definieren
Mikroräume schaffen durch Licht. Ziel: die Nutzbarkeit des öffentlichen Raumes und das Sicherheitsgefühl auch bei Dunkelheit gewährleisten.
3. Lichtquantität regulieren
Licht maßvoll und architektonisch bewusst einsetzen. Ziel: Blendung reduzieren, Werbeschilder passend zur Architektur gestalten.
Natürliches Licht und Architektur
Natürliches Licht hat alle Spektralfarben und es ist dynamisch; seine Intensität und seine Farbtemperatur verändern sich mit dem Tag-Nacht-Kreislauf. Natürliches Licht ist der ideale Partner für die statische Materialität von Architektur. Es verändert und regt unsere Wahrnehmung von Raum und Material an. Wir können es fühlen, wenn es uns berührt. Wir können zusehen, wie es „sich bewegt“ oder „Räume erschafft“ durch Schatten und Tiefe, durch die sich wandelnde Intensität von Helligkeit und Temperatur. Das Licht holt uns aus dem Schlaf, indem es unsere Drüsen anregt, es führt uns durch den Tag, zu unseren natürlichen Leistungshöhepunkten; das milde Abendlicht bereitet uns auf die nächste Schlafphase vor. Das ist schwer zu überbieten.
Man könnte sagen, dass alle Formen künstlichen Lichts – Glühbirnen, Kompaktleuchtstofflampen (CFL) und Leuchtdioden (LED) – ihre Wurzel in dem Bedürfnis des Menschen haben, den Tag über das Einbrechen der Dunkelheit hinaus zu verlängern. Gute Architektur wird immer um ein Tageslichtkonzept herum entwickelt und mit einem unterstützenden Kunstlichtkonzept ergänzt. Ein nachhaltiges Lichtdesign sollte, ohne den ästhetischen Genuss oder die Funktionalität eines Raumes zu gefährden, maximale Energieersparnis gewährleisten. Deswegen gilt in der Regel: Je weniger künstliche Beleuchtung wir benötigen, desto besser ist das Konzept. Am Beginn der Arbeit steht für den Lichtdesigner daher die Untersuchung der Gebäudeausrichtung, der Fassade, der Größe und Position aller Öffnungen, der Dachfenster, Oberlichter, Gewölbe, Atrien, Innenhöfe, des Sonnenschutzes, des ausgewählten Materials und des Farbkonzepts, über die das Bauwerk verfügt.
Lichtdesign und Beleuchtungstechnologie sollten nicht dazu benutzt werden, schlechte Gebäudeplanung – beispielsweise Raumstrukturen, die zu wenig natürliches Licht hereinlassen – nachträglich aufzubessern. In der Regel möchten Menschen den dynamischen Himmel sehen, sie wollen den Verlauf der Zeit und den Ausklang des Tages wahrnehmen können. Gutes Lichtdesign, ebenso wie gute Architektur, sollte das leisten.
Weil Gebäude (häufig unnötigerweise) immer komplexer geworden sind, haben Architekten ihr Augenmerk weniger auf diese elementaren Einsichten und Verantwortlichkeiten gelegt. Der Beruf des Lichtdesigners hat gleichzeitig an Bedeutung gewonnen. Viele gute Lichtdesigner bieten ihre Expertise inzwischen auch im Bereich der Tageslichtplanung an. Obwohl gute Architekten darum bemüht sind und sein sollten, ganzheitliche Gebäude zu entwerfen und damit auch die Tageslichtplanung als Teil ihres Terrains zu bewahren, ist es für sie sinnvoll einen Lichtdesigner einzubeziehen, der sich auf die bestmögliche Verknüpfung von Tageslicht- und Kunstlichtplanung versteht.
Aufenthaltsqualität neu denken
Es gibt statistische Daten, die besagen, dass Menschen teilweise bis zu 90 Prozent ihrer Zeit in Innenräumen zubringen. Eine faszinierende Feststellung, zunächst schwer zu glauben, bei näherer Betrachtung aber doch eingängig. Angesichts der anhaltenden Klimakrise könnte diese Prozentzahl sich eher erhöhen als verringern. Ist das eine gute Nachricht für Architekten? Wir entwerfen und bauen, um Menschen vor den Gefahren der Außenwelt – Wetter, wilde Tiere, neugierige Nachbarn – zu schützen. Derzeit lehre ich Architektur und Lichtdesign in Kairo. Wegen der extremen Wetterbedingungen bewegen sich die Menschen dort in klimatisierten Taxis von einem klimatisierten Raum in den nächsten.
Die Shopping Mall ist dort der öffentliche Raum – das Schattenfinden ein Schlüssel zum Überleben. In Kairo bieten die Moscheen den erhabensten Schutz vor der Mittagssonne. Ihre schönen Höfe und die großzügigen Innenräume stehen allen offen, sind voll Leben und erlauben dennoch eine Pause von dem Lärm und der Hitze der Außenwelt.
Wo sind unsere öffentlichen Bauwerke, die Schutz und Rückzugsmöglichkeiten anbieten „from the Midday sun“, ohne dass der Nutzer dafür bezahlen soll? In Europa werden wir uns damit beschäftigen müssen, ähnliche öffentliche Bautypologien zu entwickeln, die aber keine Shopping Malls sind und zudem auch für eine nicht-religiöse Gesellschaft geeignet. Museen und Bibliotheken können diesen kommenden Bedarf an freien Räumen, an „Schattenparks“ und „Winterparks“ nicht abdecken.
Die Welt hat sich in „drinnen“ und „draußen“ aufgespalten. Die Vorstellung der Moderne, dass innen und außen überlappen, ineinander übergehen, dass die Schwelle sich auflöst, diese Idee ist wohl eine verlorene Sache. Wie wir für Jeden frei zugängliche öffentliche Räume und Flächen mit kommerziellen Interessen vereinbaren, wie Schutz vor Extremsituationen ohne übermäßige Sicherheitskontrolle, wie Naturnähe und künstliches Leben in Einklang gebracht werden können – mit diesen Fragestellungen werden wir uns bei der Ausübung unseres Berufes zunehmend auseinandersetzen müssen. Und Licht wird hierbei eine entscheidende Rolle spielen.
Neuer Markt mit Human Centric Light
Der Begriff Human Centric Light (HCL) tauchte vor etwa zwanzig Jahren in der Lichtindustrie auf. In den frühen 1990er-Jahren begannen Wissenschaftler, die Wirksamkeit von Lichttherapien bei der Behandlung von saisonal-affektiven Störungen (SAD) zu erforschen. Die Lichtindustrie geht davon aus, dass HCL in ihrem Kampf um Mittel und Anerkennung einen riesigen neuen Markt eröffnet. Gut informierte und ehrgeizige Klienten werden sich in diesen Markt einkaufen, sobald ihnen die Augen geöffnet wurden. Was also ist HCL? Designer und Architekten würden womöglich argumentieren, dass wir schon immer mit einem ganzheitlichen, am Menschen orientierten Anspruch entworfen haben. Aber erst nach umfangreichen Forschungen ist inzwischen vollkommen klar, dass gutes oder schlechtes Licht unser physisches und psychisches Wohlgefühl, unsere Gesundheit, unser Konzentrationsvermögen und unsere Stimmungen positiv wie negativ beeinflussen kann. Das eröffnet für die Lichtindustrie immense Möglichkeiten, Technologien, Produkte und Kontrollsysteme zu entwickeln, die unser 90-prozentiges Innenraumleben effektiver, gesünder und vergnüglicher machen sollen.
Glücklichere und produktivere Mitarbeiter, hochkonzentrierte Schulkinder und Lehrer – das klingt gut, aber funktioniert es tatsächlich und wenn ja, zu welchem Preis? Das Grundmodell von HCL ist das natürliche Tageslicht. Wir erinnern uns: Tageslicht ist das beste Licht, weil es alle Spektralfarben enthält, dynamisch ist und, auf allen Ebenen des Daseins, reichhaltige, existentielle Bedeutung hat. Die Lichtindustrie hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Erfolgsmodell im Prinzip zu kopieren und in den Innenräumen zu implementieren. Um das zu erreichen, werden intelligente Lichtquellen im Innenraum während des gesamten Tages durch Sensoren mit den natürlichen Lichtverhältnissen des Außenraumes verbunden. HCL-Technologien übertragen die Dynamik der natürlichen Beleuchtung in die Innenräume und ergänzen das Tageslicht durch künstliches Licht in der jeweils passenden Helligkeit und Farbtemperatur. So vermitteln sie dem Arbeitenden im Innenraum das Empfinden, sich im Einklang mit der Außenwelt zu befinden und den eigenen 24-Stunden-Rhythmus synchronisiert mit dem dynamischen Verlauf der Zeit zu erleben.
Die Lichtsysteme können theoretisch auch so programmiert werden, dass sie das natürliche Ruhebedürfnis nach dem Mittagessen unterdrücken, indem sie den Blaulichtanteil und die Helligkeit der Lichtquellen erhöhen. Bemerkenswert ist, dass solche Ansätze, die noch vor einigen Jahren in der Lichtszene propagiert wurden, allmählich verschwinden. Möglicherweise hat die Lichtindustrie die heraufziehende Gefahr erkannt, zu viele ungerechtfertigte Versprechungen zu machen oder gar die Gesundheit von Menschen zu gefährden. Diese Achtsamkeit halte ich für eine gute Entwicklung und sie zeigt die Wichtigkeit des Gegenstandes. Heute lesen wir darüber, dass Angestellten ein Mittagsschläfchen erlaubt sein sollte, was sehr viel effektiver ist, und darüber hinaus eine spannende Herausforderung für Architekten und Lichtdesigner, Büroräume mit Schlafmöglichkeiten zu entwerfen.
In welchem Umfang und in welcher Intensität die biologische Wirksamkeit von Licht durch HCL genutzt werden kann ist eine Frage, deren Beantwortung weiterer Forschung bedarf. Bisher lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, dass HCL keine negativen Nebenwirkungen hat oder dass es sich finanziell lohnt. An erster Stelle sollte die Konzentration immer auf einer guten Tageslichtplanung liegen, um dunkle Bereiche in einem Bauwerk zu vermeiden, die man dann mit Kunstlicht ausgleichen muss. HCL-Technologie sollte nur eine unterstützende Rolle einnehmen.
Personalisierung gegen Standardisierung
Personalisierung ist eine logische Entwicklung, die das Bedürfnis unserer Gesellschaft spiegelt, individuell auswählen zu können und der standardisierten Umwelt eine persönliche Note entgegenzusetzen. Der Lichtindustrie kommt dieses ertragssteigernde Marketingvehikel entgegen. Sie gibt ihren Kunden Steuerungstechnologien und Leuchten, damit sie ihren Arbeitsplatz und ihren Wohnraum mit Lichtszenarien gestalten können, die zu ihren Stimmungen, Wünschen und Bedürfnissen passen. In Großraumbüros, die sich in den Jahren zuvor der Idee von offenen Arbeitslandschaften verschrieben hatten, ermächtigt das die Angestellten, sich ihren eigenen Mikroraum zu tunen, entsprechend ihres Geschmacks und ihrer Interessen, anstatt wie bisher Urlaubsfotos an den Monitorrahmen kleben zu müssen. Wenn man selbst es in seiner Umgebung lieber etwas wärmer und gemütlicher hat, der Nachbar aber kaltes blaues Licht bevorzugt, kann man sich sein eigenes Licht machen, ohne den Makroraum oder das Umgebungslicht zu stören. Das vermittelt Angestellten, selbst in größeren, anonymen Arbeitssystemen, das Gefühl von Unabhängigkeit geben. Der Trend zu Coworking Spaces wird den Personalisierungstrend weiter unterstützen. Durch ihn können Einzelne oder kleine Gruppen auch innerhalb „pragmatischer Bündnisse“ ihren eigenen Bereich im kollektiven Umfeld abstecken.
Internet of Things, Konnektivität, Intelligentes Licht
IoT vernetzt und lässt intelligente Dinge mit einer IP-Adresse untereinander kommunizieren. Das ermöglicht uns eine bessere Kontrolle darüber, wie wir unserer Leben führen, es befreit uns von Langeweile und belohnt uns mit Freizeit – ein Topthema unter Lichtexperten. Wir können, um uns einer Vorstellung von IoT anzunähern, zurückdenken an die Geschichte des Smartphones. Weitgehend ersetzt es heute die Uhr, den Fotoapparat, den Laptop, das Tagebuch, den Kalender, das Radio, Musikabspielgeräte, die Lupe, die Taschenlampe, das Fernsehen. Zugleich ist es, ohne zusätzlichen Kostenaufwand, ein privates Mikromuseum, die Datenbank des eigenen Lebens und ein Trojanisches Pferd im Mikroformat (das lokalisieren und abhören kann). Die Akzeptanz dieser Entwicklung hat schnell und ohne großen Widerstand stattgefunden.
Was wir mit dem Smartphone gemacht haben, können wir auch mit Leuchten tun. Bequemlichkeit ist der Schlüssel, wir haben es gerne leicht, es lassen sich viele Vorteile darin finden, unsere Lichtquellen intelligent zu machen. Sie sind häufig unauffällig, werden in hoher Anzahl und in regelmäßigen Intervallen in den Gebäuden und Räumen verbaut und sind bereits mit einer größeren technischen Infrastruktur verbunden. Es ist relativ einfach Sensoren einzubauen, die Daten darüber sammeln, wie wir den Raum nutzen, die den Nutzungsumfang und die Tageslichtstufen messen, die Luftqualität überwachen, die Raumtemperatur regeln, die Sicherheitssysteme, Kameras und andere Anwendungen steuern, die ein einzelnes oder verbundene Systeme unterstützen und von den mit dem System verbundenen Geräten – beispielsweise Smartphones oder Smartspeakers – kontrolliert werden können.
Um aber die Kompatibilität und Interoperabilität zwischen den verschiedenen Elementen und Produkten eines solchen technischen Systems zu gewährleisten – wir haben alle unsere Erfahrungen mit apple Laptops und Beamerpräsentationen hinter uns – werden verschiedene Anbieter der Lichtindustrie sich auf einheitliche Formate und Wege verständigen müssen, um verwendbare Daten zwischen Leuchten und dem Internet zu erzeugen. Firmen sind selten dazu bereit, ihre internen SWAT-Analysen mit anderen zu teilen. Im Interesse von Angebotsvielfalt und fairem Wettbewerb bedarf es allerdings guter Kooperation, statt der „Last-man-standing“-Devise.
Gutes Licht braucht Vielfalt. Es gibt keine „One-size-fits-all“-Lösungen oder -Produkte. Man braucht verschiedene Leuchtkörper für unterschiedlichen Beleuchtungsbedarf – für Schulen, Operationssäle, Arbeitsräume, Wohnzimmer, Marktplätze, Parks oder Straßenbeleuchtung. Hochentwickelte Gesellschaften haben vielfältige Bedarfe, die berücksichtigt werden müssen.
Für die Lichtindustrie gilt IoT als der Heilige Gral. Wollen wir den Gral? Können wir ihn nicht wollen? Was werden wir damit gewinnen? Was werden wir einbüßen? Wir alle kennen die Idee des „Perfekten Sturms“. Es muss viel passieren, damit dieser „Perfekte Sturm“ entsteht, bei dem alles zusammenkommt, was zusammenkommen muss, damit es funktioniert. So scheint es derzeit um IoT zu stehen. Man hört viel Spekulatives, Enthusiasmus und Visionen, Dystopisches und Utopisches.Wahr dürfte sein, dass IoT uns alle überfordert. Es ist mächtiger als die Lichtindustrie, mächtiger als die Architekten. Gegenwärtig hat es niemand unter Kontrolle. Wer steuert IoT und wer wird es in Zukunft kontrollieren können?
IT-Experten sind die neuen Partner und die neuen Kunden der Architekten und Lichtplaner. In unseren Berufen werden ein fundiertes Wissen über den IT-Bereich und hervorragende Kommunikationsfähigkeit vonnöten sein, um den Kern unserer Arbeit priorisieren und schützen zu können. Vor dem Hintergrund globaler Finanzmärkte und weitreichender Unternehmenszusammenschlüsse werden unabhängige S, M und L Projekte von Architekten und Lichtplanern dringender denn je benötigt, um Städten, Gemeinden und Privatbauherren zu zeigen, was nachhaltiges, gutes Design ist. Wenn wir nicht mitten im Geschehen bleiben, werden andere für uns entscheiden.
Smart Cities und öffentlicher Raum
„Eine Stadt ist wie ein großes Haus und die Gebäude darin sind kleine Städte“. Angesichts von IoT, Konnektivität und universeller Bedienbarkeit ist dieses Diktum von Alberti inspirierender denn je. Das Mikro und das Makro sind eins, in den Smart Cities der Zukunft bedeutet der Maßstab nichts, alles ist zugleich groß und klein, alles ist verbunden, physisch und virtuell.
Smart Lights sind die Mikroelemente im Smart Home oder der Smart City von morgen. Aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer regelmäßigen Wiederholbarkeit in allen Gebäudekomplexen, auf Straßen und Märkten, sind Leuchten perfekte Daten- und Energieträger – und dazu leuchten sie auch noch. Die Beleuchtungskörper können Leistungsüberprüfungen und prädikative Fehlerdiagnosen durchführen, sie können als E-Tankstellen fungieren und in übergeordnete Mobilitäts- und Parkkonzepte integriert werden. Außerdem können sie alles im Auge behalten, was sich in ihrer Umgebung abspielt.
Die digitale Revolution auf dem Lichtsektor bietet wunderbare Möglichkeiten, die Beleuchtung unserer öffentlichen Räume zu überdenken. Die gebaute Umgebung angemessen mit künstlichem Licht zu beleuchten, beginnt mit einem ganzheitlichen Verständnis dessen, was man beleuchtet und warum man etwas beleuchtet. Zu viele Kultur- und Gedenkstätten, Gebäude, öffentliche Räume, Straßen und Freigelände werden unter dem Druck von Tourismus- und Konsumentenmärkten nachts kritiklos „verschönert“. Das ist weder nachhaltig noch wünschenswert. Die Entwicklung neuer Technologien und der gesellschaftliche Wandel erfordern ein innovatives Umdenken in diesem Bereich. Die unglückselige „BOTOX-Beleuchtung“ – statisch, unwirklich, wie eingefroren – wird weder der Materialität und dem Charakter von Objekten, Gebäuden und öffentlichen Räumen gerecht, noch hebt sie das Wesen der Nacht hervor. In diesem Sinne produzieren wir eine „Fake News“-Beleuchtung und ein Narrativ, das architektonische und räumliche Missverständnisse verbreitet und die Erinnerungen an den Raum oder das Objekt verfälscht.
Die einzigartige Identität aller historischen Räume und Gebäude, auch zeitgenössischer Bauwerke, erfordert ein dynamisches Beleuchtungskonzept, das touristische Anforderungen und die heutigen Erwartungen von Besuchern und Bürgern aufnimmt, ohne eine falsche und kitschige Erzählung der Vergangenheit oder eine umweltschädliche „Soße“ aus billig-greller Beleuchtung für die Zukunft zu erzeugen. Das wahre Narrativ der Vergangenheit war die Dunkelheit. Sie hat eine Kraft und eine Schönheit, die wiederentdeckt und auf der aufgebaut werden sollte. Künstliches Licht bei Nacht sollte sorgfältig und verantwortungsbewusst hinzugefügt werden. Hier liegt nach meiner Ansicht die Zukunft architektonischen Denkens – nah an der Natur zu bleiben und mit weniger mehr zu erreichen.
Unsensible künstliche Beleuchtung zerstört das besondere Dämmerungslicht zwischen Tag und Nacht, es nimmt keine Rücksicht auf die Bedeutsamkeit von Gebäudesilhouetten vor einem sich verändernden Himmel oder auf ihren Dialog mit der Dunkelheit und dem Funkeln von Mond und Sternen in der Nacht. Die Nacht-Szenografie ist somit das neue Territorium für den Lichtdesigner. Unsere Städte verdienen ein besseres Licht, Lichtkultur ist Baukultur. Um Albertis Satz auf gutes Lichtdesign zu beziehen sollten unsere Marktplätze nicht so beleuchten wie unsere Garagen.
Licht-Design der Zukunft
Laut Statistik müssen 97 Prozent der Gebäude in der EU renoviert werden. Viele Architekten, Politiker und Analysten im Bausektor argumentieren derzeit, dass das Bauen von neuen Gebäuden nicht mehr nachhaltig ist und dass in den kommenden Jahren der Schwerpunkt mehr auf der Nutzung des Vorhandenen liegen sollte. Folglich wird in den kommenden Jahren ein größerer Schwerpunkt auf Renovierung, Sanierung und Erneuerung gelegt werden und Lichtdesign wird bei der Aufwertung unserer gebauten Umwelt eine wichtige Rolle einnehmen. Die Menschen erwarten helle Räume, gutes Tageslicht und intelligente und unterstützende Beleuchtungssysteme, die individuell gestaltet werden können. Angesichts einer alternden europäischen Bevölkerung ist eine gute und anregende Lichtplanung von größter Bedeutung, um die Lebensqualität von Menschen in fortgeschrittenem Alter zu unterstützen und zu verbessern. Für junge und mobile Menschen wiederum müssen attraktive und nachhaltige Nachtszenarien entwickelt werden, um unsere öffentlichen Räume mit Licht in den Abendstunden und Beschattungssystemen für den Tag zu versorgen.
Gute Beleuchtung vermag einen Raum entstehen zu lassen, der vorher nicht wahrgenommen wurde, ihn zu beleben und Materialien und Menschen darin einen Charakter zu geben. „Retro“, eklektische, futuristische oder klassisch moderne Leuchten können bestehenden Räumen Identität und Reichtum verleihen. Gute Tageslicht- und Beschattungskonzepte, kombiniert mit intelligenten künstlichen Beleuchtungssystemen, machen aus alten Bauwerken schneller, einfacher und kostengünstiger neue und komfortablere Gebäude, als Abriss und Neubeginn das vermögen.
Neue Geschäftsfelder, wie die Anmietung ganzer Beleuchtungssysteme, ermöglichen jungen Unternehmen und Start-ups mehr Flexibilität und Innovationskraft in einer „To-Go“-Gesellschaft. Die Infrastruktur ist nicht endgültig, Mobilität mit allen Facetten wird das Normale. „Plug in City“ und „Plug in House“ war Archigrams Zukunftsvision. In bescheidenem Umfang ist diese Zukunft eingetreten.
Gutes Licht durch Climate Change Lighting Design
Mit neuen Technologien allein werden sich die drängenden gesellschaftlichen und klimatischen Fragen nicht lösen lassen. Re-Thinking ist gefragt. Wir müssen das Gesamtbild in allen Facetten neu überdenken. Natürlich belichtete Räume sollten die Kernidee des Designs sein, unterstützt durch eine intelligente künstliche Beleuchtung. Ob wir renovieren oder neu bauen, das sollte immer der Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. In einer Welt, die immer virtueller und selbstbezogener wird, müssen wir den Kontakt zur Außenwelt, zu den realen sozialen Räumen, aufrechterhalten. Dies gilt für alle Typologien, ob es sich nun um Wohnungen, Büros, Schulbauten, Krankenhäuser oder Altersheime handelt, die Shopping Mall sollte hier nicht das bestimmende Modell sein. Der Schlüssel zur physischen und psychischen Gesundheit ist gutes Licht, in erster Linie der natürliche Lichtkontakt mit dem Himmel, unterstützt durch hochwertiges, vielfältiges und dynamisches Kunstlicht. Die Kunden sind sich mehr und mehr bewusst, dass ein gutes Beleuchtungskonzept nicht nur Energie sparen kann, sondern vor allem, dass Licht die Kraft hat, uns zu emotionalisieren, dass wir uns in einen Raum verlieben. Und: Geliebte Räume sind nachhaltig.
Es wird Sie nicht überraschen, dass ich Ihnen rate, sich unabhängige Lichtplaner als Partner zu suchen, die Sie mit ihrem objektiven Fachwissen unterstützen. Mit einem einzigartigen Konzept, hochwertiger Technik und einer gezielten Auswahl können Sie mehr in der Lichtgestaltung erreichen. Lichtdesigner sollten über ein ausgewiesenes Verständnis von Architektur, historischen Gebäuden, Stadtplanung und öffentlichem Raum verfügen und die ethische Verantwortung für einen sinnvollen Umgang mit Ressourcen nicht ignorieren. Das Verständnis für ein „Recht auf Dunkelheit“, auch in der Stadt, kann wachsen. Mit mutigen neuen Lichtkonzepten und präziser Beleuchtung ist es möglich, sichere und schönere Nachtszenarios zu bekommen. Ich sehe Lichtkompositionen als „lautlose Musik“. Wir sollten uns darauf verständigen, Städten und ihren Gebäuden den Klang, den Ton und die Stimme zu geben, die sie verdienen. Lichtkultur ist Baukultur!
Prof. Ruairí O‘Brien ist Architekt und Lichtdesigner. Inhaber der Büros Architektur. Licht. Raumkunst. und Ruairí O‘Brien. Lichtdesign. in Dresden. Er lehrt Architektur und Lichtdesign an der German University in Cairo – GUC.
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