Dieser Beitrag ist im Deutschen Architektenblatt 05.2020 unter dem Titel „Rentenversicherungs-News“ erschienen.
Von Martin W. Huff
Die Befreiung außerhalb von Architekturbüros angestellter Architekten von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zugunsten der berufsständischen Versorgungswerke sorgt immer noch für Auseinandersetzungen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV). Denn die Behörde setzt die neuen Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Befreiungsvorschrift des § 6 Sozialgesetzbuch (SGB) VI für Architekten bisher eher zögerlich um. In einem Beschluss vom 13. Dezember 2018 (Az.: B 5 RE 1/18 B) hatten die obersten deutschen Sozialrichter ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) aufgehoben, das den Befreiungsanspruch eines Architekten ablehnte. Das Verfahren war an das Gericht in Stuttgart zurückverwiesen worden (zum konkreten Fall einer angestellten Architektin, die in einem Unternehmen als „Sachbearbeiterin für den technischen Einkauf“ arbeitet, siehe DAB 04.2019, „Wichtiges Signal aus Kassel“).
Leitentscheidung des Bundessozialgerichts
Die Richter am Bundessozialgericht fanden dabei klare Worte in Bezug auf die Tätigkeit von Architekten: „(….) die Frage, ob eine befreiungsfähige Beschäftigung (.…) vorliegt, (entscheidet sich) ausschließlich in Anwendung der Normen des Kammer- und Versorgungsrechts (….). Insoweit wird das LSG zu bedenken haben, dass nach § 1 Abs. 1 ArchG BW Berufsaufgabe des Architekten ‚insbesondere‘ die gestaltende, technische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Planung von Bauvorhaben ist, und der Begriff ‚insbesondere‘ eine Öffnungsklausel für weitere Tätigkeitsfelder eines Architekten darstellt. Ferner wird zu berücksichtigen sein, dass der Landesgesetzgeber in Abs. 5 über die unmittelbare Planung und Bauausführung hinausgehende Aufgaben ergänzend in das Gesetz aufgenommen hat, um der Entwicklung Rechnung zu tragen, dass Bauherren zunehmend eine umfassende Betreuung ihrer Projekte erwarten, die teilweise weit vor der eigentlichen Planungstätigkeit ansetzt und mitunter auch noch nach Übergabe des Vorhabens fortbestehen kann. (….) Des Weiteren wird das LSG zu beachten haben, dass (….) auch eine Tätigkeit ‚in einem Randbereich‘ eines verkammerten Berufs eine die Zwangsmitgliedschaft in der Berufskammer begründende Berufsausübung ist. In diesem Zusammenhang hat das BVerwG hervorgehoben, dass der Zweck des Kammerrechts, die Gesamtbelange des Berufsstandes zu wahren, es rechtfertige, alle Tätigkeitsbereiche zu erfassen, also auch ‚Randgruppen‘, die in Grenzbereichen zu anderen Berufen tätig seien.“
Übersetzt bedeutet dies: Die maßgebliche Frage, ob ein Architekt bei einem Unternehmen, Verein oder Verband „berufsspezifisch“, wie es genannt wird, tätig ist, ist von allen Beteiligten nach dem Berufsrecht zu bewerten – mehr darf nicht verlangt werden. Neue Merkmale, so wie etwa eine Tätigkeit in einem „Kernbereich“, darf die DRV nicht „erfinden“. Und alle im Berufsrecht möglichen Tätigkeiten können zu einer Befreiung führen.
Nach dieser Entscheidung hatten unter anderem auch viele Architekten gehofft, dass ihre Auseinandersetzungen mit der DRV rasch zu einem „befreienden“ Ende kämen. Anhängig sind derzeit trotzdem noch viele Verfahren, in denen es um die Tätigkeit von Architekten etwa als Energieberater, insgesamt im beratenden Bereich oder im Bereich des komplexen Facility-Managements in Industrieunternehmen geht.
Erstes Landessozialgericht zieht nach: Befreiung für Energieberater
Ein Beispiel ist hier das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 3. Februar 2020 (Az.: L 3 R 278/17): Der klagende Architekt war seit langen Jahren bei einem großen Abrechnungsunternehmen für Wasser und Wärme beschäftigt. Er beriet – auch als verantwortlicher Sachverständiger nach der Energieeinsparverordnung (EnEV) – sowohl umfangreich im Energiebereich als auch im Brandschutz (Rauchmelder). Als er nach einer Betriebsprüfung bei seinem Arbeitgeber einen nachträglichen Befreiungsantrag stellte, lehnte die DRV die Befreiung ab. Er sei nur in einem Randbereich des Berufsbilds tätig, erfülle nicht die Leistungsphasen der HOAI, und die Energieberatung könnten auch Personen mit anderer Qualifikation wahrnehmen.
Als er gegen die negative Entscheidung der DRV klagte, gab ihm 2017 das Sozialgericht Köln recht. Doch die DRV legte Berufung ein – allerdings noch vor der Entscheidung des BSG. Hatte der Architekt gehofft, dass die DRV spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ein Einsehen haben würde und die Berufung aufgrund der klaren Rechtslage zurücknehmen würde, so wurde er enttäuscht. Die DRV bestand auf einem Urteil. Und dieses haben die Richter nun gesprochen. Sie wiesen erwartungsgemäß die Berufung der DRV zurück und erklärten die Ablehnung der Befreiung für rechtswidrig. Denn zur Architektentätigkeit gehöre auch die „technische und umweltgerechte Planung von Bauwerken“. Dort sei der Kläger tätig.
Der Bereich der Energieberatung und auch die Tätigkeit in Bezug auf die Rauchmelder stellen somit typische Architektentätigkeiten dar. Da diese Tätigkeiten auch den Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers ausmachten (er hatte angegeben, dass er zu über 70 Prozent in diesen Bereichen tätig sei), sei der klagende Architekt als angestellter Energieberater eindeutig berufsspezifisch tätig.
Wesentliche Befreiungsgrundsätze
In ihren Urteilsgründen schrieben die Richter einige Grundsätze auf, die insgesamt für Architekten wesentlich sind:
- Es ist für eine berufsspezifische Tätigkeit als Architekt nicht erforderlich, dass die Tätigkeit von der HOAI erfasst ist. Denn diese ist kein Kammerrecht.
- Ebenso wenig muss es sich um eine „berufsexklusive“ Tätigkeit handeln, also eine Tätigkeit, die nur von einem Architekten ausgeübt werden darf. Dieses Erfordernis, das die DRV „erfunden“ hatte, hatte das BSG schon für Ärzte und Apotheker in Bezug auf die Approbation abgelehnt.
- Für Architekten ist das Berufsrecht des Landes ausschlaggebend, in dem sie Mitglied der Architektenkammer sind, also das jeweilige Architekten- beziehungsweise Baukammergesetz.
- Das Wort „insbesondere“ im Berufsrecht stellt eine „Öffnungsklausel“ dar, die das Berufsbild des Architekten erweitert, also ist von einem breit gefächerten Berufsbild auszugehen.
Entscheidend ist auch, dass die zuständige Architektenkammer, die immer angehört werden sollte, zur konkreten Tätigkeit Stellung nimmt, denn dies ist für viele Sozialrichter entscheidend, um einschätzen zu können, was zum Berufsbild dazugehört. Die Beteiligung ihrer Kammer können und sollten Architekten nötigenfalls anregen und deren Beratung suchen.
Folgen der Entscheidung
Es bleibt zu hoffen, dass die DRV diese Entscheidung akzeptiert, umsetzt und in weiteren Verfahren vor Sozialgerichten, in denen ebenfalls Architekten geklagt haben, bereit ist, die Verfahren durch Anerkenntnisse zu beenden. Architekten brauchen stellenweise weiter einen langen Atem, sollten sich aber nicht entmutigen lassen. Denn die Chancen, befreit zu werden, stehen doch sehr gut.
Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Köln, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und befasst sich seit Jahren mit dem Recht der Freiberufler. Er hat den Architekten in diesem Verfahren vertreten
Wann kann ich befreit werden und wer berät mich?
Kammermitglieder sind Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerkes. Angestellte Architekten müssen zusätzlich noch Rentenversicherungsbeiträge an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) abführen. Sie können sich aber auf Antrag von der DRV befreien lassen. Die Befreiung setzt zweierlei voraus:
- Pflichtmitgliedschaft in einer Architektenkammer (besteht überall außer in Schleswig-Holstein) und Plicht zur Teilnahme am Versorgungswerk
- Ausübung einer berufsspezifischen Tätigkeit
Das Merkmal der berufsspezifischen Tätigkeit wurde in den Befreiungsverfahren von der DRV häufig sehr eng ausgelegt und war immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Hierzu beraten die Architektenkammer ihre Mitglieder.
Hier lesen Sie mehr zum Urteil des Bundessozialgerichts und was Sie bei einem Stellenwechsel beachten sollten.
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