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Wegwerfen und entsorgen statt erhalten und wiederverwenden? In wohl keinem Lebensbereich ist das heute noch zukunftsfähig, erst recht nicht im Bauwesen. Umbauen heißt, bestehende Strukturen anzupassen und zu reparieren. Umbauen heißt Wieder- und Weitergebrauchen. Die in der Substanz gespeicherte Energie und seine Potenziale werden dabei genutzt und in die Zukunft überführt. Es ist eine Frage der nachhaltigen Vernunft, den Vorsprung zu nutzen, den ein Bestand allein dadurch hat, dass es ihn schon gibt, und Bauten und Quartiere an die heute benötigten Nutzungen anzupassen, anstatt sie abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen.
Der Bestand muss gegenüber dem Neubau privilegiert werden. Jeder Abriss muss begründet werden. Für die Anpassung der Bausubstanz an heutige Erfordernisse muss das Planungs- und Baurecht mehr Flexibilität und Öffnungsklauseln schaffen; die auf den Neubau ausgerichteten Anforderungen kann der Umbau oft nur mit erhöhtem Aufwand erfüllen. Umbau ist zu oft unwirtschaftlich. Damit die Weiterverwendung bestehender Bausubstanz zum Normalfall wird, benötigen öffentliche und private Baufrauen und -herren belastbare Argumente und tragfähige Grundlagen bei ihrer Entscheidung, Umbau und Bauen im Bestand zu bevorzugen.
Eine Arbeitsgruppe der Bundesarchitektenkammer formuliert derzeit ein Positionspapier für mehr Bauen im Bestand, für eine neue Umbaukultur. Ziel ist es, die vielfältigen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte im Bereich der Innenentwicklung und des Bauens im Bestand zu vereinen und in eine Form zu gießen, die den Beitrag des Umbauens zur Baukultur und im Besonderen zum Klimaschutz wirksam vermitteln kann. Grundvoraussetzung ist die Absicht, die Energie und die Qualität, die in bestehenden Strukturen gebunden sind, zu erhalten und zu nutzen. Eine neue Umbaukultur, ein gemeinsames Verständnis und Handeln im gesamten Umbauprozess können die richtigen Rahmenbedingungen bündeln.
Räumliche, wirtschaftliche und energetische Potenziale des Bestands dürfen nicht geschwächt werden durch eingefahrene Strukturen und Gewohnheiten, die ihren Niederschlag zum Beispiel in Gesetzen und Verordnungen finden, die vor allem auf Neubau ausgerichtet sind. Ziel muss es vielmehr sein, eine zeitgemäße Umbaukultur zu fördern und geltende Mechanismen und Regelungen zu öffnen und zu entwickeln.
Wir müssen Objekte einerseits im Zuge ihres Lebenszyklus betrachten, andererseits in ihrem Umfeld bewerten und zum planerischen Gegenstand einer strategischen Standortdiskussion und -entwicklung machen. Die Aufgabe ist komplex; die Relevanz für den Klimaschutz ist unbestritten. Die Bewertung und Bearbeitung erfordert planerischen Sachverstand.
Mit dem Blick auf den Neubau soll das Thema der Weiternutzung von Neubauten eine größere Bedeutung bekommen. Heute errichtete Gebäude sind die Bestandsgebäude von morgen. Die möglichen späteren Umbauten und Umnutzungen sollten bereits in der Anlage der Neubauten mitgedacht werden. Das Potenzial eines Gebäudes im Hinblick auf Änderungen sollte schon heute Bestandteil jeder öffentlichen und privaten Bauentscheidung sein. Die Betrachtung der Lebenszykluskosten ist von entscheidender Bedeutung, denn nur so kann der Neubau mit dem Umbau realistisch verglichen werden.
Die Bundesarchitektenkammer wird in den kommenden Monaten einen Dialog mit Politik und Bauwirtschaft starten, um einen relevanten Beitrag des Bausektors zum Green Deal zu leisten. Sie sind herzlich dazu eingeladen, sich an dem Diskurs zu beteiligen, um dieses gesellschaftlich wichtige Thema in die Breite zu tragen.
Oliver Platz, Präsident der Architektenkammer der Freien Hansestadt Bremen
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Für den Klimaschutz hat der Bau im Bestand eine hohe Bedeutung und hier sind Innenarchitekt*innen die Experten: intelligente Umnutzungen und Revitalisierungen, Erweiterungen und Aufstockungen, nutzerspezifische Raumorganisationen und die Beziehung von Räumen untereinander. Gute Planung ist ein essentieller Beitrag zu nachhaltigem Bauen. Regionale Produktkreisläufe und die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Materialen zu beachten, gehört zur Kernkompetenz der Innenarchitekten.
https://bdia.de/wp-content/uploads/2017/11/bdia_Weimarer-Erklaerung_2019.pdf
Ja, wir müssen in Lebenszyklen qualifiziert planen. Gebaute Architektur muss auch Anforderungen kommender Generationen erfüllen, um den hohen Einsatz von Ressourcen in Form von Energie und Wertstoffen zu rechtfertigen. Bauen im Bestand ist ein Schlüssel, um Klimaziele zu erreichen und eine konkrete Maßnahme gegen die zunehmende Flächenversiegelung. Innenarchitektinnen und Innenarchitekten sind „architects for future“.
Danke für diesen Artikel! Seit mittlerweile Jahrzehnten ärgere ich mich über das „Wegwerfen und Entsorgen“ im Bereich des Bauwesens – für mich ein „Bauunwesen“. Es gab zwar immer Ausnahmen, aber ich hoffe sehr, dass es endlich zum Normalfall wird und Gebäude nicht nur auf eine Nutzungsdauer von gut 30 Jahren ausgerichtet werden. Zu viele gute, alte Bausubstanz habe ich in den letzten Jahrzehnten verschwinden sehen, um gesichtslosen Neubauten Platz zu machen.