Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Energie-Speicher-Potenziale“ im Deutschen Architektenblatt 06.2020 erschienen.
Von Dirk Bayer und Matthias Pahn
Auf dem Campus der Technischen Universität Kaiserslautern entsteht seit 2014 das Smallhouse Village, eine kleine „Siedlung“ von begehbaren Musterbauten zur Demonstration innovativer Bauweisen. Diese Großdemonstratoren haben jeweils eine Grundfläche von 35 bis 50 Quadratmetern. In Smallhouse I bis III wird unter anderem zu den Themen Infraleichtbeton, Recyclingbeton und Verbindungsmittel geforscht. Als jüngster Forschungsbau in dieser Reihe wurde 2016 bis 2019 das Smallhouse IV gebaut und mit der erforderlichen Mess- und Regelungstechnik ausgestattet. Hier sollen neue Erkenntnisse über eine multifunktionale Nutzung der Gebäudehülle zur aktiven Wärmebereitstellung gewonnen werden. Das Konzept des Hauses ist gekennzeichnet durch die Interaktion von Gebäudekonstruktion und Technik sowie durch die Kombination von tragenden und energetischen Funktionen einzelner Bauteile.
Beim Wärmeverbrauch von Gebäuden existiert ein großes Einsparpotenzial. Etwa 27 Prozent des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs entfallen auf die Raumwärme. Um die Ziele der Energiewende in diesem Bereich umzusetzen, bestehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten: das Verringern der Wärmeverluste oder das Steigern des Anteils erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung. Ersteres findet beispielsweise im Passivhaus-Konzept seine Anwendung. Der U-Wert und die Dichtheit der Gebäudehülle werden dabei massiv gesteigert, um die Transmissions- und Lüftungswärmeverluste auf ein Minimum zu reduzieren. Bei der zweiten Möglichkeit, der Nutzung erneuerbarer Energien, existiert ein zentrales Problem: die Wärmespeicherung.
Effektiver Energiespeicher für die Erneuerbaren
Weil erneuerbare Energien lediglich fluktuierend und nicht regelbar zur Verfügung stehen, werden Speicher benötigt, die einen Ausgleich zwischen Bereitstellung und Bedarf schaffen. Die üblichen Wasserspeicher sind für eine effektive Speicherung von Heizwärme jedoch zu klein. Um bei einem gesteigerten Anteil erneuerbarer Energien, zum Beispiel aus Solarthermie, das erforderliche Pufferspeichervolumen nicht in unrealistische Dimensionen wachsen zu lassen und dennoch ein großes Wärmespeichervermögen zu erhalten, bietet sich die Gebäudestruktur der Massivbauweise als Wärmespeicher an. Die Bauteile verfügen über eine hohe Masse, eine hohe Wärmeleitfähigkeit sowie eine hohe spezifische Wärmespeicherkapazität und sind somit ein geeignetes Speichermedium.
Schon seit Langem werden diese Eigenschaften bei der Betonkerntemperierung genutzt. Gegenüber anderen thermisch aktiven Bauteilen, wie beispielsweise Fußbodenheizungen, unterscheidet sie sich durch ihre hohe thermische Trägheit. Dadurch ist es möglich, Wärme in den massiven Baustoffen zu speichern. Das große Volumen der Gebäudestruktur kann so zur niederexergetischen Wärmespeicherung von erneuerbaren Energien herangezogen werden. Niederexergetisch bedeutet, dass die Wärme bei möglichst geringen Temperaturen und mit einem Minimum an elektrischem Strom gespeichert wird. Somit können die Verluste während der Speicherung, aber auch ihre Kosten sehr niedrig gehalten werden. Zudem sind thermisch aktivierte Bauteile in der Lage, den Innenraum zu temperieren (Heizen und Kühlen) und/oder über die Fassade Wärme bereitzustellen (Massivabsorber). Durch diese Multifunktionalität kann eine nachhaltige Gebäudestruktur entstehen, die zu einer deutlich gesteigerten und effizienten Nutzung von solarer Wärme beiträgt.
Architektonische Antwort auf energetische Anforderungen
Der Grundgedanke des Großdemonstrators Smallhouse IV ist es, eine Tragstruktur aus Betonfertigteilen für die Temperierung des Gebäudes zu nutzen. Als architektonische Antwort auf die besonderen konstruktiven und energetischen Anforderungen einerseits und die örtlichen Gegebenheiten andererseits entwickelt sich das modular aufgebaute Gebäude als eine Sequenz von drei Sheds, die in südlicher Richtung eine optimale Integration der Solarthermie ermöglichen und in nördlicher Richtung eine Blickbeziehung zu der rege genutzten Brücke herstellen. Über das rein Funktionale einer gleichmäßigen und blendfreien Belichtung des Hauptraums hinaus wird so das Interesse der Passanten auf der Brücke geweckt und ein Einblick in die Vorgänge im Inneren des Forschungsgebäudes gewährt. Dieser Idee entsprechen auch die bullaugenähnlichen Glasbausteine, die die äußere Erscheinung des Baukörpers gliedern und beleben und immer neue Lichtstimmungen im Innenraum erzeugen. In ihrer modularen Addition fügen sich die markanten seriellen Wandelemente zu einer Architektur, die in diesem speziellen Fall ein kleines Haus darstellt, aber auch eine Übersetzung in größere Strukturen vorstellbar macht.
In die Außenwände, den Boden und die Sheddachelemente sind wasserdurchflossene Rohrregister integriert. Die mit der notwendigen Präzision im Werk vorfabrizierten Betonfertigteile wurden als Sandwich-Elemente konstruiert (21 cm Tragschicht, 14 cm Wärmedämmung, 7 cm Außenschale) und erst auf der Baustelle miteinander verbunden. Zwei Wandelemente an der südlichen Stirnseite können ausgetauscht werden, um verschiedene Querschnitte mit unterschiedlichen Materialien und Technologien, beispielsweise Phasenwechselmaterialien (PCM) und regelbare Wärmedämmungen, unter realen Bedingungen zu untersuchen, und zwar im Hinblick auf das thermische Verhalten des Gesamtsystems und die Wechselwirkung mit der Anlagentechnik.
Den thermischen Energiespeicher nutzbar machen
Durch die versetzte Anordnung von Trag- und Deckschale werden die in der Fertigteilbauweise unumgänglichen Fugen zu akzentuierten Zwischenräumen, denen nicht nur in gestalterischer, sondern auch in konstruktiver und funktionaler Hinsicht eine Schlüsselfunktion zukommt. Während der Montage waren die zur Verbindung der Fertigteile erforderlichen Spannschlösser über diese Zwischenräume von außen zugänglich. Sämtliche Versorgungsleitungen – von den Vor- und Rückläufen der Bauteilaktivierung bis zur Elektroinstallation – konnten hier verzogen werden. Anschließend wurden die Zwischenräume ausgedämmt und mit leicht revisionierbaren metallischen Blenden versehen. Diese verbinden sich schließlich mit der Dachhaut und stellen so deren Entwässerung sicher.
Die Wärmeerzeugung erfolgt primär durch die Solarthermieanlage und wird durch eine Erdwärmepumpe zu jedem Zeitpunkt sichergestellt. Die erzeugte Wärme wird in einen kleinen 300-Liter-Pufferspeicher abgegeben. Von diesem Pufferspeicher, der sich im Gebäude befindet, wird die Wärme an die Bauteilaktivierung und die Fußbodenheizung verteilt. Direkt auf der Sohle der Baugrube unterhalb des Smallhouse IV wurde eine mit Rohrregistern ausgestattete Betonschicht hergestellt, über die ebenfalls Wärme eingespeist und entnommen werden kann. Die Grubenwände wurden mit Perimeterdämmung ausgekleidet, sodass der über der Betonschicht wiederverfüllte Aushub mit einer Schichtdicke von 1,40 Metern ohne größere horizontale Wärmeverluste temperiert werden kann. Die thermische Energie dieses Saisonalspeichers wird bei Bedarf durch die Wärmepumpe für das Gebäude nutzbar gemacht. Die im Sommer eingebrachte Wärme führt hierbei zu höheren Temperaturen im Erdreich und so zu einem effizienteren Betrieb der Wärmepumpe.
Die thermisch nutzbare Gebäudestruktur funktioniert
Indem das vorhandene Potenzial von Gebäudestruktur und Erdreich gezielt genutzt wird, stellt das Gesamtkonzept des Smallhouse IV eine Alternative zu herkömmlichen thermischen Speichersystemen dar. Die Vorteile dieses Systems konnten bereits mithilfe von numerischen Untersuchungen am thermischen Gebäudemodell aufgezeigt werden. Aufgrund des hohen Speichervermögens der Betonbauteile und der geringen erforderlichen Vorlauftemperaturen wird der solare Deckungsgrad erhöht und die zusätzlich erforderliche Heizwärme reduziert. Die Nutzung des Solarthermiekollektors ist damit effizienter als mit einem konventionellen Wasserspeicher. Durch die gezielte Speichermassenbewirtschaftung der Gebäudestruktur und des Erdreichs kann der solare Deckungsgrad von üblichen 15 bis 25 Prozent auf über 50 Prozent der Heizwärmeversorgung signifikant gesteigert werden.
Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der grundlegende Gedanke einer thermisch nutzbaren Gebäudestruktur funktioniert und hierdurch die Dimensionierung von Wasserspeichern minimiert werden kann. Zum Vergleich unterschiedlicher Varianten werden hierbei die jährlichen Treibhausgasemissionen und Heizkosten herangezogen. So konnte in den Simulationen gezeigt werden, dass die thermisch aktivierten Außenwände des Großdemonstrators Smallhouse IV zu den gleichen jährlichen Kosten und Emissionen führen wie die Nutzung eines 2.000-Liter-Wasserspeichers. Durch die Kombination aus herkömmlichem Wasserspeicher und kerntemperierten Außenwänden kann eine Reduktion der Emissionen und Kosten erzielt werden. Somit stellt das im Smallhouse IV umgesetzte Energiekonzept einen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele dar und entspricht zugleich den Anforderungen an die Ästhetik und den architektonischen Entwurf.
Eine Grundlage für weitere Forschungen
Durch die erfolgreiche Umsetzung des Konzeptes im Großdemonstrator Smallhouse IV wurde die Grundlage für weitere Forschungen mit dem Smallhouse selbst und darauf aufbauende Forschungsideen geschaffen. Diese umfasst die Untersuchung innovativer Materialien, wie aktuell Vakuumdämmung und Phasenwechselmaterial, ebenso die Weiterentwicklung von Speicherkonzepten und der Regelungs- und Steuerungstechnik. Das Konzept lässt sich in seiner aktuellen Form bereits bei kleinen Gebäuden umsetzen und ist in der Adaption als Bestandteil eines Quartierskonzeptes oder von Smart-Grids ebenso wie für viele andere großmaßstäbliche Gebäudetypen mit einem hohen Betonanteil der nächste logische Schritt.
Matthias Pahn ist Professor für Baukonstruktion und Fertigteilbau im Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion der TU Kaiserslautern und Geschäftsführer der Pahn Ingenieure GmbH
Dirk Bayer ist Professor für Methodik des Entwerfens im Fachbereich Architektur der TU Kaiserslautern und Partner bei bayer | uhrig Architekten
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