Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Spiel – Platz – Sieg?“ im Deutschen Architektenblatt 08.2020 erschienen.
Von Simone Kraft
Denkt man in diesem Jahr an Sport- und Spielplätze, ist die erste Assoziation für die meisten wohl die schmerzhafte Erfahrung des Lockdowns, der den Wert öffentlich zugänglicher Freiflächen erst richtig deutlich gemacht hat. Die gestalterische Qualität derselben stand bei vielen in dieser Zeit wahrscheinlich erst einmal nicht ganz oben auf der Prioritätenliste. Tatsächlich kommen einem aber auch in normalen Zeiten bei anspruchsvollen Freiraumplanungen nicht zuallererst solch monofunktionale Flächen in den Sinn. Zu eng sind die gestalterischen Möglichkeiten der funktionalen Sportanlagen – Wie sehr kann eine Aschenbahn variieren? – und zu eng gefasst scheint auch das „Zielpublikum“. Wer kennt schon die teils durchaus eindrucksvollen Spielplätze, wenn nicht gerade Kinder im entsprechenden Alter im Haushalt sind?
Alla Hopp: alle Generationen in Bewegung versetzen
In Baden-Württemberg ist das womöglich ein wenig anders. Hier machte in den letzten Jahren generationenübergreifend ein Angebot von sich reden, das Bewegung, Sport und Spiel unter freiem Himmel mit einer ausgeklügelten Freiraumgestaltung verbindet. Insgesamt 19 „alla hopp!“-Anlagen entstanden zwischen 2015 und 2017 in der Metropolregion Rhein-Neckar. Wie sie funktionieren, lässt sich zum Beispiel in der Kurpfalz beobachten, wo in Schwetzingen die erste Anlage gebaut wurde: Da toben die Kleinen auf einem Abenteuerspielplatz mit hölzernen Türmen, Rutsche und Kletterelementen, während die Älteren ihre Geschicklichkeit an unterschiedlichen Balanciergeräten testen – und ihre Eltern gleich mit. Aber auch ganz ohne „kindliche Begleitung“ können Erwachsene im Bewegungsparcours vielfältige Geräte sportlich nutzen.
Dahinter steckt, das Wortspiel im Namen deutet es an, die Dietmar Hopp Stiftung, die sich seit 1995 für die Förderung von Sport, Medizin, Sozialem und Bildung starkmacht (Fußball-Fans dürfte das Engagement des SAP-Gründers Hopp für die TSG 1899 Hoffenheim ein Begriff sein). In einer bislang in dieser Art ungesehenen Aktion initiierte die Stiftung 2013 eine Ausschreibung für Städte und Gemeinden der Region, die sich für eine „alla hopp!“-Anlage bewerben konnten. An den ausgewählten Standorten investierte die Stiftung insgesamt rund 45 Millionen Euro; die Unterhaltung liegt bei den Kommunen.
Alle Spielplätze sind unterschiedlich
Gemeinsam mit vier Landschaftsarchitekturbüros (siehe Ende des Beitrags) hat die Stiftung die jeweils mindestens 5.000 Quadratmeter großen Anlagen gestaltet. „Keine der 19 ‚alla hopp!‘-Anlagen gleicht der anderen“, berichtet die Karlsruher Landschaftsarchitektin Elke Ukas, die mit ihrem Team vier Anlagen verantwortet. „Es gibt je drei bis vier Grundmodule: einen Bewegungsparcours für jedermann, einen wettergeschützten Spielbereich für die Kleinsten, naturnahe Spiel- und Bewegungsflächen für Schulkinder und, optional, ein Modul für Sportive bis Hochbetagte. Die besondere Herausforderung bestand darin, alle Module in einem Gesamtkonzept zu verbinden und der jeweiligen Location entsprechend zu gestalten. So entstand an jedem Ort etwas ganz Eigenständiges.“ Ein Ansatz, der aufgeht – die von Ukas gestaltete Anlage in Sinsheim etwa wurde von der Architektenkammer Baden-Württemberg als beispielhaft für den Rhein-Neckar-Kreis 2009–2019 ausgezeichnet, alle Anlagen werden von den Nutzern begeistert angenommen.
Das PLAY_LAND in Oberhausen ist eine Landschaftsskulptur, unter der sich ein Jugendtreff versteckt. (Klicken für mehr Bilder)
Oberhausen: Teenager als seltene Zielgruppe
Tatsächlich fällt aber auch bei einem so durchdachten Angebot für Groß und Klein eine Altersgruppe durchs Raster, für die Spielplätze einfach uninteressant geworden sind. Mit der Oma schaukeln zu gehen, löst bei Teenagern keine Begeisterungsstürme mehr aus. Treffpunkte und Rückzugsräume sind für diese Altersgruppe allerdings nicht mehr so einfach zu finden. Die Jugendlichen wollen für sich sein, die Erwachsenen stören sich meist an Lärm und Gepose.
Explizit auf dieses „Zielpublikum“ ausgerichtet ist das PLAY_LAND in Oberhausen-Holten, ein Jugendtreff mit Skatepark und Spielplatz. Das Projekt hat eine außergewöhnliche Entstehungsgeschichte. Im Rahmen der Triennale „Emscherkunst 2013“, einer Weiterführung der Aktionen zur Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010, wurde der Neubau des Jugendtreffs zum Teil einer künstlerischen Kooperation: Die slowenische Künstlerin und Architektin Apolonija Šušteršič initiierte ein auf allen Ebenen integratives Projekt. In einem umfassenden Austauschprozess mit Auftraggebern, Künstlerin, Landschaftsarchitekten, Architekten, Skateanlagenspezialisten, Jugendtreffleiter und Kinderbüro entstand PLAY_LAND als „neues soziales Biotop“ (Šušteršič), das die verschiedenen Funktionen räumlich und gestalterisch verknüpft – eine Landschaftsskulptur, die in dieser Form nur durch den intensiven Austausch aller Beteiligten zustande kam, wie Landschaftsarchitektin Christine Wolf von wbp Landschaftsarchitekten GmbH betont, die das Projekt gemeinsam mit Šušteršič entwickelt hat.
Von Skatepark bis Sandkasten
Auch Architekt Dietmar Riecks berichtet von dem spezifischen Entwurfsprozess: „Die Gestaltfindung begann nicht durch eine architektonische Setzung, sondern im Dialog über eine ergebnisoffene Kommunikation mit allen Beteiligten.“ Sein Bochumer Büro Banz + Riecks Architekten hat ein amorphes „underground building“ entworfen, das sich unter einen grünen Hügel schiebt und diesen leicht nach oben zu klappen scheint. Innen befinden sich die frei und flexibel bespielbaren Räume des Jugendtreffs, die mittlerweile von Jugendlichen in Eigenregie ausgebaut wurden; das begrünte Dach ist Teil der Landschaftsgestaltung. Oder vielmehr: Alles ist Landschaft, in die sich die architektonischen Räume vorsichtig hineinschieben. Zur einen Seite hin öffnet sich das Hügel-Haus zu einem großzügigen Außenraum, die Sichtbetonstrukturen gehen nahtlos in den Skatepark über, zur anderen Seite öffnen sich die Spielbereiche für die jüngeren Kinder mit Kletterlandschaft, ein Wegeband hält die unterschiedlichen Zonen zusammen.
„Die Landschaftsskulptur hat zudem den Vorteil, dass sich der Jugendtreff in Richtung Emscher, weg von der Wohnbebauung, orientiert. Durch die Skulptur, die Mauern und Wege entstehen unterschiedliche Teilräume für Jugendliche, ältere und kleine Kinder. Die Freiraumgestaltung verbindet alles“, so Christine Wolf. „Und nicht zuletzt war das Thema des Wiederaufbaus von Landschaft entlang der Emscher wichtig: Der Fluss war historisch in ein landschaftliches Umfeld eingebettet, was 2012 natürlich ganz anders aussah.“ Auch ein Spielplatz kann auf städtebaulicher Ebene viel erreichen.
Herten: Vereinsplatz wird Sportpark
Einen städtebaulichen Mehrwert zu schaffen, war auch das Ziel im nicht weit entfernten Herten-Westerholt. Hier ist etwas gelungen, was für viele Orte exemplarisch werden könnte, zeigt es doch einen anderen räumlichen Umgang mit Vereinssportplätzen auf, die oft als eigentlich untergenutzte „Inseln“ im Ort liegen. In Westerholt wurde solch ein alter Sportplatz zu einem öffentlichen „Sportpark“ weiterentwickelt. Klaus Tenhofen von DTP Landschaftsarchitekten erklärt: „Flächen für Vereinssport sind sehr spannende Freianlagen für alle Beteiligten und heute oft noch ‚blinde Flecken‘ in der Stadt, da sie rein vereinsgebunden genutzt werden und von der breiten Öffentlichkeit weder wahrgenommen noch genutzt werden. Ziel muss es sein, diese Sportplätze niedrigschwellig für die Stadtgesellschaft zu öffnen. Die Stadt gewinnt so zusätzliche Bewegungs- und Erholungsräume – auf Flächen, die sich bereits in einer intensiven Pflege befinden – und die Vereine können mit ihren Angeboten und den sanierten Flächen neue Mitglieder werben.“
Um dies in Herten zu erreichen, hat das Essener Planungsbüro das gesamte Gelände zum „Sportpark“ werden lassen, in den die Sportflächen eingebettet sind. Zwischen sanften Hügeln – aus dem gewonnenen Aushub modelliert – fügen sich nun verschiedene Sportplätze ein. Zwei Großspielfelder bilden den Kern. Sie werden um unterschiedliche Bewegungsangebote ergänzt: Verschiedene Oberflächen lassen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für verschiedene Arten der Bewegung entstehen – von Boule über Skaten und Laufen bis hin zu Outdoorfitness an Geräten, vom Boulderfelsen bis hin zur Bogenschießanlage.
Eingefasst wird die Anlage von einem ganzjährig nutzbaren, beleuchteten Rundweg, der mit einer klugen, spielerisch-leichten Signaletik spielt: Ein geschwungenes Willkommen begrüßt und führt in den Sportpark hinein, der asphaltierte Weg selbst ist als Laufbahn gestaltet und mit einer Kilometrierung in geschwungener Schriftart versehen („Start“, „100“, „200“ etc.). Wassergebundene Parkwege und gepflasterte Platzflächen ergänzen das Wegesystem, das nicht nur das benachbarte gewachsene Quartier, sondern auch den nahe gelegenen Wald anbindet. Ein rundum gelungenes Konzept, das für seine ungewöhnliche Kombination der Angebote mit dem Landschaftsarchitekturpreis NRW 2020 ausgezeichnet wurde. Es zeigt, wie viel gestalterisches Potenzial sich auch in einer durch und durch funktionalen Sportfläche verbirgt.
19 „alla hopp!“-Spielplätze
Bewegung, Sport und Spiel für Klein und Groß: In einer groß angelegten Aktion initiierte die Dietmar Hopp Stiftung 19 Anlagen an ausgewählten Standorten in der Metropolregion Rhein-Neckar. Gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten wurden Bewegungsanlagen entwickelt, die sich an jedem Standort aus vier Grundmodulen individuell zusammenfügen und nicht nur Kinder und Jugendliche ansprechen, sondern auch Erwachsene, Senioren und Sportler. Mehr über die einzelnen Anlagen findet sich bei den planenden Landschaftsarchitektinnen und -architekten:
Schelhorn Landschaftsarchitektur, Frankfurt: Abtsteinach, Bürstadt, Grünstadt, Heidelberg, Hemsbach, Mörlenbach, Schwetzingen
www.schelhorn-landschaftsarchitektur.de
Büro Hink Landschaftsarchitektur, Schwaigern/Sindelfingen: Buchen, Ravenstein, Schwarzach
Elke Ukas Landschaftsarchitekten, Karlsruhe: Deidesheim, Ilvesheim, Sinsheim, Speyer
Stadt + Natur, Annweiler: Edenkoben, Ilbesheim, Ketsch, Meckesheim, Rülzheim
www.stadt-und-natur.de/landschaftsarchitektur
Beispiel für eine kommunale Spielleitplanung
Der Verein „Kinderfreundliche Kommunen“ arbeitetet bundesweit mit über 30 Kommunen für eine kinderfreundlichere Planung und Stadtentwicklung zusammen, u.a. mit der Stadt Regensburg. Dort wurde inzwischen eine sogenannte „Spielleitplanung“ eingeführt, die unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen für sie interessante und abwechslungsreiche Freiräume anstrebt.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Unter freiem Himmel
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