Seit nunmehr über drei Jahrzehnten ist die Rückeroberung des Stadtraums im Gange. Oft ein zähes Ringen mit der Auto-Lobby, hat dieser Prozess doch vielerorts beachtliche Resultate erbracht. Dieser Band, entstanden aus Forschungen an der Bauhaus-Universität Weimar, sortiert 32 Stadtplätze aus ganz Europa in sinnfällige Kategorien, erläutert sachlich Entstehung sowie Materialisierung und zeigt sie vor allem in Bildern und Plänen, wobei Grundrisse, Abwicklungen, Schnitte und Details einheitlich präsentiert werden.
Nutzung und Rezeption bleiben unbeachtet
Zehn Seiten ist viel Raum für jeden Platz, doch wie bei solchen puren Präsentationen üblich, gibt es weder eine kritische Einschätzung noch eine systematische Auswertung zur Nutzung, was zumindest bei den naheliegenderen Beispielen möglich gewesen wäre. So ist etwa der gezeigte Zürcher Sechseläutenplatz, der eine Festwiese am Seeufer ersetzte, noch immer Gegenstand von Kontroversen, selbst in der Fachwelt.
Überwiegend architektonische Stadtplätze
Dem Zeitgeist (und sicher auch Vorgaben zur Barrierefreiheit) folgend, handelt es sich fast ausschließlich um offene Architekturplätze, die sich als eigenständige Setzung einer neuen Ordnung verstehen. Die umliegenden Bestandsgebäude stehen oft wie auf einem Tableau oder als wäre ein neuer Teppich vor ihnen ausgerollt worden.
Autos verschwinden nur von der Oberfläche
Oft gibt es für diese Fremdheit einen „tieferen“ Grund, nämlich die teuren Tiefgaragen unter den Plätzen. Die autogerechte Stadt ist also nur „oberflächlich“ beseitigt Als Folge dieser zwiespältigen Verdrängung gibt es kaum raumbildende Bäume auf solchen Plätzen, dafür mancherlei stylisches Mobiliar für die diversen Zielgruppen – oder einfach architektonische Leere. Was ja unseren vielfältigen Gesellschaften auch irgendwie entspricht. Gerade deshalb wüsste man gern mehr darüber, wie diese Räume dann genutzt und besetzt werden.
Starke Zeichen in der Standort-Konkurrenz
Eine Rolle für die auffällig eigenständige Gestaltung spielt sicher auch der Trend zu medial verwertbaren Images in der Konkurrenz der Standorte. Tatsächlich stehen Platzgestaltungen häufig am Anfang der Aufwertung von Quartieren. Doch ist diese Auswahl diesbezüglich moderat. Neben schrill-artifiziellen Beispielen wie dem vor Jahren viel publizierten Kopenhagener Superkilen gibt es auch zahlreiche zurückhaltende. Mein Lieblingsplatz ist der kleine Quartiersplatz Stadswaag in Antwerpen – voller Bäume ist er einfach ein schattiges „Wohnzimmer“ zwischen Häusern.
Dass aktiv nutzbare Freiräume in Zeiten immer kleiner werdender Stadtwohnungen selbstverständlich wichtiger werden, dass sie auch beim Klimaschutz eine Rolle spielen (es gibt hier Beispiele für die „Stadt als Schwamm“), vermittelt das Buch in eigenen Kapiteln. Dass manchmal, zumindest in Mitteleuropa, ein mächtiger Baum mehr wäre als viele schicke Gestaltungsideen, wäre noch anzumerken. Bis so ein Ort entsteht, dauert es aber deutlich länger als zwanzig Jahre.
Dennoch bietet das nüchtern aber ansprechend gestaltete Buch einen soliden Querschnitt durch die aktuelle Platzproduktion.
Hilde Barz-Malfatti und Stefan Signer
Die neue Öffentlichkeit. Europäische Stadtplätze des 21. Jahrhunderts
deutsch und englisch
MBooks, 2020
384 Seiten, 58 Euro
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