Die Überlegungen zur idealen Architektur oder zur idealen Stadtgestalt beginnen zunächst beim Begriff des Ideals selbst. Die Definition beschreibt dieses als den Inbegriff eines Vollkommenheitsmusters. Als vollkommen wiederum gilt, was „ohne jeden Fehler (ist) und keiner Verbesserung oder Ergänzung (bedarf)“ (Oxford Languages, 2020).
Diese Ausgangssituation zu hinterfragen, ist bereits, was eine zukünftige Gestaltung jedweder Art revolutionieren könnte. Es geht nicht darum, das eine perfekte Bild oder Gebäude zu kreieren – vielmehr müssen wir erkennen, dass es ein perfektes Endstadium nicht gibt. Alles ist im Wandel und in gewisser Weise unvorhersehbar, und mit dieser Erkenntnis sollten Raumsituationen gedacht werden.
Es gibt nicht nur schwarz und weiß
Die Diskussion, ob denn nun die dichte europäische Stadt oder die weitläufige, funktional getrennte Stadt baulich verwirklicht werden soll, ist damit hinfällig. Nichts ist nur schwarz oder weiß – es gibt keine einfachen Lösungen. Aber zu akzeptieren, dass nicht eine bauliche Intervention die endgültige Antwort sein kann, ist der erste Schritt.
Statt den Idealen einzelner Planender zu folgen, sollte die Stadt der Zukunft die Stadt der vielen sein. Visionen können Impulse geben und das ist wichtig, denn ohne sie gibt es keine Innovation und keine Diskussionsgrundlage. Aber wünschenswert wäre eine Planung, die Freiräume lässt – räumlich wie konzeptuell. Damit sich kleine Ideen einbringen und verwirklichen können und aus vielen kleinen Ideen ein großes Netzwerk entsteht. Die Stadt- (und Land-)gestaltung soll vor allem flexibel sein. Es muss Nischen geben, offene Plots, Raum für Marginalisierte. Das Zugeständnis an die Einzelnen, den Raum mitzugestalten und eigenverantwortlich teilzuhaben. Durch eine gewisse Offenheit ist es einfacher, auf sich wandelnde Umwelteinflüsse und damit einhergehende Raumbedürfnisse schnell zu reagieren. Diese Offenheit kann sowohl in der dichten wie auch in der weiten Stadtlandschaft verwirklicht werden.
Besser kein Ideal haben
Das Ideal ist vielleicht, kein Ideal zu haben; anzuerkennen, dass es nie das perfekte Haus und die perfekte Stadt gibt. Dass alles ein Aushandlungsprozess ist und alles was wir jetzt für die Bedürfnisse von heute planen, morgen bereits veraltet und irrelevant sein kann. Das macht nicht Gestaltung irrelevant. Denn es gibt sehr wohl perfekte Atmosphäre und positive Raumwahrnehmung. Diese ist aber eher an Raumkonstellationen unter Einbeziehung von Menschen geknüpft als an das einzelne Objekt. Somit ist genau dieses ewige Aushandeln von Raum ein wichtiger Faktor im Planungsprozess. Und ich revidiere: Das Ideal ist nicht, keines zu haben, sondern es stets zu verändern.
Julia Treichel, Studentin der Landschaftsarchitektur, TU München
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