Von Philip Steden und Nicole Reiß
In der 2020 durchgeführten „Strukturbefragung abhängig beschäftigter Mitglieder der Architektenkammern“ mit 10.344 Befragten war zu lesen, dass der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern (Gender-Pay-Gap) gemessen am gemittelten Bruttojahresgehalt 26 Prozent beträgt. Dies erscheint auf ersten Blick bedenklich, zumal die EU-Kommission im Rahmen ihrer Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter das Ziel verfolgt, die durchschnittliche Entgeltlücke zu reduzieren. Eine undifferenzierte Betrachtung des Gender-Pay-Gaps greift jedoch zu kurz:
Entscheidend ist die sogenannte „bereinigte Entgeltlücke“, also der Teil der Entgeltlücke, der verbleibt, nachdem andere Einflussfaktoren, wie zum Beispiel die Berufserfahrung oder die berufliche Position jedes Arbeitnehmers, berücksichtigt wurden. Die bereinigte Entgeltlücke ist das Ergebnis eines Vergleichs der Gehälter von Frauen und Männern mit ähnlichen personen- und tätigkeitsbezogenen Merkmalen und bringt insofern den Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit besser zum Ausdruck.
Um herauszufinden, wie groß die bereinigte Gehaltslücke zwischen Architektinnen und Architekten ist, hat die Bundesarchitektenkammer (BAK) die Ergebnisse der bundesweiten Strukturuntersuchung 2020 gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Reiß & Hommerich tiefergehend analysiert. Diese Analyse trägt zur Versachlichung der häufig emotional geführten Debatte um geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede bei und zeigt auf, in welchem Maße und an welchen Stellen tatsächlich systematische Unterschiede in der Entlohnung bestehen.
Statistische Analyse zum Gehaltsunterschied
Die Detailanalyse der Jahresgehälter von angestellten Architekten (Mediangehalt: 62.000 EUR) und Architektinnen (46.000 EUR) aller Fachrichtungen zeigt, dass Faktoren wie die Dauer der Berufserfahrung, der Umfang der Berufstätigkeit (Vollzeit/Teilzeit), die berufliche Position (weisungsgebunden versus Leitungsfunktion) sowie die Art und Größe des Arbeitgebers einen erheblichen Einfluss auf das Gehalt haben. Die Zahlen legen nahe, dass die unbereinigte Gehaltslücke von 26 Prozent in weiten Teilen auf Unterschiede in der Art der Berufsausübung zurückzuführen ist.
Zeitlicher Umfang der Tätigkeit
44 Prozent der angestellten Architektinnen, aber nur 12 Prozent der angestellten Architekten sind teilzeittätig. Da eine Teilzeittätigkeit in aller Regel mit einem geringeren Monatsgehalt einhergeht als eine Vollzeittätigkeit, führt der Unterschied im zeitlichen Umfang der Berufstätigkeit zu einem Unterschied in der Höhe der Gehälter. Es ist daher sinnvoll, die Betrachtung nicht auf Jahresgehälter, sondern auf Stundenlöhne abzustellen. Beim Vergleich der mittleren Stundenlöhne von Frauen (28 Euro) und Männern (33 Euro) ergibt sich noch eine Gehaltslücke von 17 Prozent.
Art des Arbeitgebers
Architektinnen sind zu 57 Prozent und damit häufiger als Architekten (50 Prozent ) in Architektur- oder Stadtplanungsbüros angestellt, während Männer zu 26 Prozent überdurchschnittlich häufig in der gewerblichen Wirtschaft tätig sind (Frauen: 17 Prozent). Dies wirkt sich insofern auf die Gehälter aus, als in Planungsbüros deutlich geringere Stundenlöhne gezahlt werden (Median: 26 Euro) als in der gewerblichen Wirtschaft (39 Euro). Bei getrennter Betrachtung der verschiedenen Arbeitgeber sinkt das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Architektur- oder Stadtplanungsbüros auf 13 Prozent und im öffentlichen Dienst auf 8 Prozent. Bezogen auf angestellte Architektinnen und Architekten in der gewerblichen Wirtschaft steigt es demgegenüber auf 20 Prozent.
Position im Unternehmen
Die Höhe des Stundenlohns variiert in Abhängigkeit von der Position im Unternehmen. Frauen sind jedoch deutlich seltener als Männer in leitender Funktion angestellt. Dieses Ergebnis ist interessanterweise weder mit dem höheren Anteil der Teilzeittätigen unter den Frauen erklärbar, noch mit der im Schnitt geringeren Berufserfahrung weiblicher Angestellter, noch mit der Tatsache, dass Frauen häufiger in kleineren Büros tätig sind als Männer. Auch nach Herausrechnung dieser Effekte zeigt sich, dass Frauen überdurchschnittlich häufig in weisungsgebundenen Positionen tätig sind, während Männer überproportional häufig leitende Tätigkeiten ausüben. Da leitende Positionen besser bezahlt werden als weisungsgebundene Tätigkeiten, trägt dieser Zusammenhang zur Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen bei.
Bei Berücksichtigung der Position im Unternehmen, wenn also nur noch die Stundenlöhne von Personen in vergleichbaren Positionen verglichen werden, sinkt in Architektur- und Stadtplanungsbüros die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen bei weisungsgebunden Tätigen auf 8 Prozent und bei leitend Tätigen auf 11 Prozent. Auf der Geschäftsführungsebene steigt sie demgegenüber auf 19 Prozent!
Dauer der Berufserfahrung
Nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in der Privatwirtschaft wirkt sich die Dauer der Berufstätigkeit auf das Gehalt aus. Die weiblichen Angestellten sind im Schnitt deutlich jünger als ihre männlichen Kollegen. In den Altersgruppen über 45 Jahre sind die Frauen in der Minderheit, in den Altersgruppen bis 45 hat sich das Verhältnis bereits umgedreht. Frauen unterbrechen zudem familienbedingt häufiger ihre Erwerbstätigkeit (etwa für Kindererziehungszeiten). Folglich verfügen Frauen über weniger Arbeitsmarkterfahrung als Männer, was in der Folge zu geringeren Gehältern führt.
Wird neben der Art des Arbeitgebers und der Position im Unternehmen zusätzlich die Dauer der Berufserfahrung berücksichtigt, zeigt sich in Architektur- und Stadtplanungsbüros ein Gender-Pay-Gap von 4 Prozent in der Gruppe mit der geringsten Berufserfahrung und von rund 10 Prozent bei den berufserfahreneren Angestellten.
Größe des Büros
Weibliche Angestellte arbeiten häufiger in kleinen Architektur- oder Stadtplanungsbüros (< 10 Beschäftigte), während Männer häufiger in größeren Büros tätig sind. Frauen können daher nicht in demselben Ausmaß wie Männer von den höheren Löhnen in großen Büros profitieren. Da kleine Unternehmen häufig mit flachen Hierarchien einhergehen, haben weibliche Angestellte auch weniger Möglichkeiten als ihre männlichen Kollegen, in eine leitende Position zu wechseln. Es zeigt sich allerdings, dass angestellte Architektinnen auch in großen Büros deutlich seltener in leitenden Positionen tätig sind als Architekten.
Gesamtbetrachtung der Effekte
Werden alle oben betrachteten Unterschiede in der Art der Berufsausübung in die Betrachtung mit einbezogen, zeigt sich beim Gehaltsvergleich von Angestellten in Architektur- und Stadtplanungsbüros in gleicher Position, mit ähnlicher Berufserfahrung und bei gleicher Bürogröße, dass Frauen je nach Teilgruppe bis zu 13 Prozent weniger verdienen als Männer. In einer Teilgruppe verdienen sie aber 2 Prozent mehr als Männer und im Schnitt über die Teilgruppen 7,3 Prozent weniger. Tendenziell fällt diese bereinigte Gehaltslücke bei leitenden Angestellten höher aus als bei weisungsgebunden Tätigen.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der unbereinigte Gender-Pay-Gap – also die bestehende Gehaltslücke bei einem undifferenzierten Vergleich der Jahresgehälter angestellter Architektinnen und Architekten von 26 Prozent – bei Berücksichtigung aller gemessenen Einflussfaktoren im Mittel auf 7,3 Prozent schrumpft (sogenannter bereinigter Gender-Pay-Gap).
Ist das Geschlecht der größte Einflussfaktor für den Gehaltsunterschied?
Mit Hilfe einer sogenannten multivariaten Regressionsanalyse wurde zusätzlich untersucht, welche Einflussvariablen den stärksten Effekt auf die Höhe der Stundenlöhne angestellter Kammermitglieder haben. Dieses Verfahren erlaubt die Abschätzung der Wirkungsstärke bei gleichzeitiger Betrachtung aller Einflussfaktoren. Das Ergebnis gibt folgende Tabelle wieder:
Die sogenannten standardisierten Beta-Koeffizienten machen deutlich, wie stark eine Variable zur Erklärung der Gesamtvarianz des Gehalts beiträgt. Den höchsten Erklärungsbeitrag für die Höhe des Stundenlohns liefert die Art des Arbeitgebers (standardisierter Beta-Koeffizient: 0,24). Zweitstärkster Einflussfaktor ist die Position im Unternehmen (0,23). Es folgen die Dauer der Berufserfahrung und die Größe des Büros. Das Geschlecht hat mit einem standardisierten Beta-Koeffizienten von 0,08 den im Vergleich schwächsten Effekt auf das Gehalt.
Mit dem Regressionskoeffizienten B der Schätzgleichung lässt sich abschätzen, um wie viele Einheiten der Stundenlohn steigt, wenn der Wert der Einflussvariablen um eine Einheit steigt. Aus den Befragungsdaten lässt sich ablesen, dass ceteris paribus (unter sonst gleichen Bedingungen) mit jedem zusätzlichen Jahr an Berufserfahrung ein Zuwachs des Stundenlohns von 0,30 Euro einhergeht. Bezogen auf die Variable Geschlecht liegt B bei 2,79. Das bedeutet, dass angestellte Architekten unter sonst gleichen Bedingungen geschätzt 2,79 Euro mehr pro Stunde erhalten als angestellte Architektinnen.
Andere Studien und Gehaltsunterschied in anderen EU-Ländern
Das Statistische Bundesamt (Destatis) hat Ende 2020 auf Basis seiner Verdienststrukturerhebung errechnet, dass bundes- und branchenübergreifend die unbereinigte Entgeltlücke bei rund 20 Prozent liegt und sich in den letzten Jahren nur wenig geändert hat. Zu ähnlichen Ergebnissen für die unbereinigte Lohnlücke kam 2019 das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die bereinigte Lohnlücke nach Destatis liegt etwa bei 6 Prozent, wenn sich Frauen und Männer bei den lohnrelevanten Merkmalen wie Beschäftigungsumfang, der Vertretung in Führungspositionen und der Branchenwahl gerade nicht unterscheiden würden. Dieser Wert liegt in etwa auf vergleichbarem Niveau wie der von BAK und Reiß & Hommerich für den Berufsstand der Architekten und Stadtplaner errechnete Wert (jedoch mit anderer Methodik).
Das IW (Institut der deutschen Wirtschaft) kommt auf Basis der Daten des sozio-ökonomischen Panels, der größten und am längsten laufenden multidisziplinären Langzeitstudie in Deutschland, bei der jährlich etwa 30.000 Menschen in knapp 15.000 Haushalten befragt werden, zu dem Schluss, dass Deutschland mit einer branchenübergreifenden bereinigten Entgeltlücke von 5,3 Prozent zu den Staaten mit den geringsten und zudem rückläufigen Entgeltunterschieden zwischen den Geschlechtern gehört. Länder wie Schweden und die Niederlande weisen eine ähnliche bereinigte Entgeltlücke auf, während sie in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Portugal rund doppelt so hoch ausfällt. Insgesamt reicht die Entgeltlücke von 2 Prozent in Belgien bis 16,7 Prozent in Estland. Dem IW zufolge lassen sich 72 Prozent der unbereinigten Lohnlücke darauf zurückführen, dass sich Männer und Frauen in den verwendeten lohnrelevanten Merkmalen unterscheiden. Besonders entscheidend ist dabei die Wahl der Branche, die unter den betrachteten Einzelvariablen den größten Beitrag zur Erklärung der Entgeltlücke liefert.
Fazit: Gender Pay Gap kein verlässlicher Indikator
Der unbereinigte Gender-Pay-Gap von 26 Prozent zwischen Architektinnen und Architekten verringert sich durch die Bereinigung um lohnrelevante Merkmale wie Beschäftigungsumfang, Art des Arbeitgebers, Berufserfahrung, Position im Unternehmen und Unternehmensgröße auf eine Gehaltslücke von 7,3 Prozent (bereinigtes-Gender-Pay Gap). Der Wert zeigt, dass auch bei Berücksichtigung der obigen lohnbestimmenden Faktoren in der Architektur immer noch ein Gehaltsgefälle und deutliche strukturelle Differenzen zu finden sind.
Die Entgeltlücke erweist sich als geringer als beim Blick auf den unbereinigten Pay Gap vermutet. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gehaltslücke bei Berücksichtigung weiterer lohnbestimmender Faktoren (zum Beispiel Informationen zu konkreten Tätigkeitsanforderungen), unterschiedliche Verhandlungsstrategien in Gehaltsgesprächen, Karriereambitionen, Ortsbindung) nochmals geringer ausfallen würde. Somit ist nicht nur der unbereinigte Gender-Pay-Gap, sondern auch die bereinigte Entgeltlücke kein verlässlicher Indikator für eine mögliche Benachteiligung. Nicht nur im Bereich der Entgeltunterschiede, sondern auch in anderen Handlungsfeldern, die die wirtschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern betreffen, wäre daher die Entwicklung geeigneterer Indikatoren nützlich, um Ursachen und Entwicklungen von Ungleichheiten aufzuzeigen und Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Frauen sind dort häufiger anzutreffen, wo weniger gezahlt wird
Mindestens ebenso interessant wie die Frage nach der tatsächlichen Höhe des Gender-Pay-Gaps ist jedoch die Erkenntnis, dass angestellte Architektinnen überdurchschnittlich häufig immer dort anzutreffen sind, wo die im Vergleich geringeren Stundenlöhne gezahlt werden: in kleineren Architektur- und Stadtplanungsbüros und in weisungsgebundenen Positionen.
Aus welchem Grund sind Frauen in der Chefetage unterrepräsentiert? Werden Führungspositionen seltener an Bewerberinnen vergeben? Oder streben Frauen diese Positionen seltener an? Fragen, denen sich die diesjährige Befragung der Architektenkammern der Länder und der Bundesarchitektenkammer unter anderem widmen wird. Das Thema bleibt spannend!
Dr. Philip Steden leitet bei der Bundesarchitektenkammer das Referat für nationale und internationale Wirtschaftspolitik. Nicole Reiß ist Geschäftsführerin des Sozial- und Marktforschungsinstituts Reiß & Hommerich.
Die Sonderauswertung der BAK zu geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden steht als kostenloses PDF zur Verfügung.
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