Von Christoph Gunßer
Generationen von Planern haben das Einfamilienhaus als die große Landplage bekämpft – mit wenig Erfolg. Nun arbeiten sich die Volkskundler und Anthropologen an dem Thema ab und analysieren die Motive der Menschen – empirisch und höchst wissenschaftlich in „Housing the Family“.
Bungalows aus der Mode gekommen
Der Fokus der Feldforschung liegt auf Nordwestdeutschland – manche der Autor(inn)en lehren an der Uni Münster –, doch könnten die Beispiele wohl überall in Deutschland liegen. Es geht um typische Lebenslagen der Bauherrschaft, Vorbehalte gegen Altbauten, Stereotypen der Geschmäcker und deren mediale Herkunft. Viel Offensichtliches bekommt in dem Sammelband die wissenschaftlichen Weihen.
Manches Nischenthema wie die Genese des deutschen „Bungalows“ ist da für Architekten schon lesenswerter. So ruft die Innenarchitekturprofessorin Julia Ebert in Erinnerunng dass die luftig-leichten Neutra-Bungalows aus Kalifornien in den Fünfziger-Jahren als die Traumhäuser der Deutschen galten, wofür im Buch einige Beispiele aus Nordrhein-Westfalen gezeigt werden – bis hin zu Sep Rufs „Kanzlerbungalow“ von 1964.
Fertighäuser auf die falsche Bahn geraten
Auch lesenswert ist, warum der moderne Traum des analog zum Auto vorfabrizierten Standardhauses hierzulande im Kitsch der Kataloge von Fertighaus-Anbietern endete, die Individualität vorgaukeln, wo in Wirklichkeit Massenware vorherrscht – das resümiert noch einmal der Beitrag der Architektin Julia Gil. Da Präfabrikation stets mit Notzeiten und Einschränkungen assoziiert wird, muss sie kaschiert werden.
Leider fehlt der Aspekt der Weiterentwicklung und Nachverdichtung von Einfamilienhaus-Siedlungen weitgehend, außer im Beitrag von Johannes Warda, der die Konversion und Anpassbarkeit der Nachkriegshäuser zum Thema hat.
Die Standard-Baufamilie gibt es nicht mehr
Leider verlieren die Beiträge an Authentizität durch die Übersetzung ins Englische und die ellenlangen wissenschaftlichen Verweise. Housing Studies sind aber tatsächlich ein international wichtiges Forschungsfeld. Die Individualisierung der Motive ist eine Erkenntnis: Es gibt heute weniger Standard-Baufamilien. Doch halten die meisten daran fest, dass „man nur einmal baut“ und dann aber solide – eine deutsche Eigenart (gut für die Architekten, möchte man anmerken). Erstaunlich ist dabei, wie beharrlich sich der Bautyp Einfamilienhaus als Wunschbild hält, trotz der soziologischen Veränderungen mit dem Verlust der klassischen „Einfamilie“.
Verspätete Hüslipest in der Schweiz
Da ist der Blick über die Schweizer Grenze aufschlussreich: Der Journalist Stefan Hartmann liefert mit „Kein Idyll“ einen gut lesbaren Überblick der dortigen, ziemlich anderen Hausbautradition und des dort stark verbreiteten genossenschaftlichen Wohnens. So grassiert die „Hüslipest“ in der Schweiz erst seit den 1980ern richtig. Kundig erläutert der Autor auch deren Kehrseite, etwa wenn das „Haus als Klotz am Bein“ thematisiert wird. Verdichtungsstrategien werden vorgestellt und Kleinsthäuser als bodenschonende Alternativen.
Es gelte, „über den eigenen Schatten zu springen“, resümiert der Autor, um etwas an der Misere zu verändern. Ein auch persönliches Buch mit historischen Fotos der Meilensteine des Siedlungsbaus und einer aktuellen Bild-Reportage des Fotografen Reto Schlatter, die den Bogen schlägt zum anonymen Elend im erstgenannten Buch.
Einfamilienhäuser politisch gewollt und gefördert
Der Vergleich zur Schweiz zeigt jedoch klar, dass die räumliche Entwicklung kein reiner „Wandel“ ist, sondern politisch oftmals gewollt – gerade in Deutschland spielte die Befriedung der Arbeiterschaft durch Zugang zu privatem Eigentum über das Bausparkassenwesen eine wichtige Rolle (dazu gibt es ein eigenes Kapitel bei Baumann, bei Cantauw nur Verweise auf frühere Studien). Auch heute wundert sich die Politik, dass sie den Flächenverbrauch nicht eingedämmt bekommt, wo sie ihn doch gleichzeitig mit Baukindergeld und Maßnahmen zur „Baulandmobilisierung“ selbst fördert.
Das Einfamilienhaus als Corona-Gewinner?
Beide Bücher entstanden vor der Corona-Pandemie und konnten den dadurch ausgelösten Run aufs Land noch nicht einbeziehen. Auch wenn noch unklar ist, was davon bleibt – das Einfamilienhaus als private Insel in unruhigen Zeiten wird so wohl noch lange überdauern.
Christiane Cantauw, Anne Caplan, Elisabeth Timm (Hg.)
Housing the Family
Locating the single-family home in Germany
Jovis Verlag, 2019 (englisch)
326 Seiten, 32 Euro
Stefan Hartmann
(Kein) Idyll – Das Einfamilienhaus
Eine Wohnform in der Sackgasse
Triest Verlag, 2020
172 Seiten, 39 Euro
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