Prof. Dr. Susanne Rexroth ist Architektin und Professorin im Fachbereich Ingenieurwissenschaften – Energie und Information der HTW Berlin.
Dieses Interview ist unter dem Titel „Die Photovoltaik-Pionierin“ im Deutschen Architektenblatt 09.2021 erschienen.
Interview: Brigitte Schultz und Lars Klaaßen
Frau Rexroth, Sie forschen als Architektin zu unterschiedlichen Themen, mit einem Schwerpunkt auf Photovoltaik. Wie kam es dazu?
Das hat mich schon während des Studiums fasziniert. Mein damaliger Freund studierte Physik und befasste sich mit Photovoltaik. Damals war das ein ganz neues Thema, lange noch nicht im Gebäude angekommen. Mich hat es gereizt, diese Fragestellungen, die man vielleicht mit einem Entwurfsbleistift nicht lösen kann oder auch gar nicht möchte, in die Architektur hereinzubringen.
Also haben Sie sich direkt der Forschung verschrieben?
Nein, das hat noch fast 15 Jahre gedauert. Mein erstes Forschungsprojekt hatte ich im Jahr 2000. Inzwischen war die Photovoltaik ein Produkt. Uns hat interessiert, was man mit diesen neuen Glasmodulen – es sieht ja erst einmal aus wie ein Glasmodul – machen kann.
Was hat sich in den letzten 20 Jahren geändert?
Leider weniger als erhofft. Die gebäudeintegrierte Photovoltaik macht augenblicklich ein Prozent aller installierten PV-Leistungen aus. Die verfügbaren Flächen von Dächern und Fassaden sind aber viel, viel größer.
Warum wird die gebäudeintegrierte Photovoltaik immer noch so wenig genutzt?
Das liegt zum einen sicherlich an den Kosten. Und zum anderen nach wie vor an der Palette, auch wenn jetzt immer mehr Sondermodule und Varianten möglich sind. Ein Hindernis ist auch der deutlich höhere Planungsaufwand. Aktuell forsche ich daran, wie man diesen Aufwand reduzieren kann – klingt jetzt nicht so spannend, ist aber enorm wichtig, um die Photovoltaik dahin zu bekommen, wo sie sein soll: nämlich am Gebäude, in der Fassade.
Woran liegt es, dass der Planungsaufwand so hoch ist?
Sobald Sie nicht einfach eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach stellen – was natürlich überhaupt nichts mit Ästhetik zu tun hat –, wird es komplex. Bei gebäudeintegrierter Photovoltaik haben Sie deutlich mehr Akteure im Planungs- und Bauprozess. Dann haben Sie das Photovoltaik-Modul als technisches Gerät, das Sie auf der einen Seite in die Gebäudetechnik und in die Anlagentechnik integrieren müssen, und auf der anderen Seite in Ihren Entwurf, in das Erscheinungsbild. Dazu kommt ein aufwendiger Genehmigungsprozess.
Wie ließe sich das vereinfachen?
In meinem aktuellen Forschungsprojekt „StaGiMo“ setzen wir beim Genehmigungsprozess an. Das Photovoltaik-Modul ist gleichzeitig ein Elektroprodukt und ein Bauprodukt, deshalb haben Sie es bei der Zulassung mit zwei Strängen zu tun. Wir untersuchen, inwiefern sich diese Prozesse und ihre Regeln überschneiden, ob es bei den erforderlichen Bauteiltests eine Schnittmenge gibt oder ob sie vielleicht sogar gleich sind.
Klingt nach hartem Schwarzbrot .…
Ja, es ist viel Schwarzbrot – aber das ist gesund, oder? [Lacht] Das Schöne an der Forschung in der Architektur ist ja: So breit wie das Curriculum der Architektur ist, so breit kann man nachher in der Forschung aufgestellt sein. Als forschende Architektin macht man ja keine Grundlagenforschung, sondern forscht sehr praxis- und anwendungsorientiert. Da hat man es wie im Büro auch mit vielen Partnern und Akteuren zu tun. Das ist nicht nur Recherche in Textdokumenten. Wir werden auch Musterbauteile in Outdoortests untersuchen, zum Beispiel hinsichtlich der Temperaturentwicklung im Fassadenzwischenraum oder hinsichtlich einer optimierten Leitungsführung, um herauszufinden, ob das, was wir auf Papier entwickeln, auch wirklich umsetzbar ist.
Was ist das Ziel des Projekts?
Letztendlich Handlungsempfehlungen an diejenigen zu geben, die darüber bestimmen, was zugelassen wird. Wären wir radikal, würden wir sagen: „Unser Ziel ist: nie wieder Zustimmung im Einzelfall!“ Doch das werden wir nicht erreichen. Dafür müsste man das Produkt komplett regeln, in allen Facetten, die es haben kann, das ist unrealistisch. So einfach ist es eben nicht. Es wird irgendeine Gratwanderung dazwischen geben müssen. Zwischen all den vielen Normen und Regelungen, die es augenblicklich gibt, und dem hehren Ziel „einfach machen“.
Welche Fragen wälzen Sie dabei gerade?
Ein ganz großes Thema ist der Brandschutz, im Genehmigungsprozess spielt er eine entscheidende Rolle. Wir müssen uns noch entscheiden, ob wir Hochhäuser betrachten oder nicht, weil die Hochhausrichtlinie die Integration von Photovoltaik-Modulen eigentlich fast unmöglich macht. Da müsste man ein ganz dickes Brett bohren. Außerdem gehen die gängigen Richtlinien im Genehmigungsprozess derzeit davon aus, dass die Module nicht größer als zwei Quadratmeter sind. Die Hersteller entwickeln aber gerade größere Module, um sie leistungsfähiger zu machen. Wie gehen wir damit um? Das sind alles Fragen, die uns derzeit beschäftigen.
Entwickeln Sie auch Produkte?
Nein, eben nicht. Nicht schon wieder neue Produkte! Es ist viel interessanter, zu fragen, welches Verfahren so einfach sein könnte, dass ich jedes Produkt mit einem relativ geringen Genehmigungsaufwand an meine Fassade oder in mein Dach bekomme. Das ist unser Fokus. Denn die Photovoltaik-Anlage an sich ist ja laut Landesbauordnungen genehmigungsfrei. Doch sobald das Modul ins Gebäude kommt, ist es ein Bauprodukt, dann ist es aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht geregelt. Dann erfolgt die Zulassung über Bauteiltests und Prüfverfahren und so weiter, je nach Einsatz. Schon allein das ist so komplex, dass wir uns nur auf vorgehängte, hinterlüftete Fassaden konzentrieren – nicht etwa auf Überkopfverglasung oder absturzsichernde oder begehbare Verglasung. Das wäre ein weiteres Forschungsfeld.
Sind Sie als Architektin auch noch bauend tätig oder haben Sie sich komplett auf die Forschung fokussiert?
Ich bin noch beratend tätig und mache kleinere Projekte. Aber wenn, dann als „One-Woman-Show“. Letztendlich habe ich nicht die Ressourcen, um tatsächlich zweigleisig fahren zu können. Forschung und Lehre füllen mich auch so aus, dass ich den Praxisbezug nicht vermisse, weil ich ihn durch die praxisorientierte Forschung eigentlich nie verloren habe. Ich habe momentan drei Forschungsprojekte, das reicht. Augenblicklich etwa ein schönes Projekt namens „Fenstervergleich“: Da geht es um die energetische Performance von Bestandsfenstern. Aufhänger ist das Berliner Kastenfenster.
Wie kommen Sie an neue Forschungsprojekte?
Die Themen sind meistens schon da. Die finde ich manchmal in der Zeitung oder auf alle Fälle in der Fachpresse. Oft werden da ja Defizite beschrieben. Diese Defizite nochmals näher zu beleuchten, zu analysieren, zu ergründen – da leiten sich häufig Forschungsfragen ab. Dann fragt man die Leute, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat, und schreibt zusammen einen Antrag. Der wird dann vielleicht etwas und man hat wieder drei, vier Jahre miteinander zu tun.
Was reizt Sie an der Forschung?
Die Auseinandersetzung mit Akteuren – auch interdisziplinär – ist viel intensiver als in einem Architekturbüro. Dort hat man es ja auch mit vielen Disziplinen zu tun. Aber ein Planungs- und Bauprozess ist ja doch sehr zeit- und kostengetrieben. Da bleibt nicht die Zeit – und es ist auch nicht erforderlich –, sich so intensiv auszutauschen. In der Forschung kooperieren wir jetzt mit Leuten von der Uni Siegen, mit denen wir uns über Glas und Mechanik austauschen. Auch sozialwissenschaftliche Begleiter hatten wir schon dabei, in den Projekten „Cluster-Wohnen“ und „Variowohnungen“. Je nach Forschungsfeld sind es immer wieder andere Akteure. Das sind dann ganz andere Auseinandersetzungen und Diskurse, die da geführt werden.
Hatten Sie ein Lieblingsprojekt in den Jahrzehnten, in denen Sie jetzt schon forschen?
Ein Projekt nicht, aber mein Lieblingsthema ist schon die Photovoltaik, weil sie ein Forschungs- und Entwicklungspotenzial auf mehreren Ebenen hat. Man hat zum einen dieses Material, diese Solarzelle, die man tatsächlich forschend mitgestalten kann. Wie kann ich aus so einer Solarzelle ein Material für Architekten machen? In der Zwischenzeit ist ja sogar schon weiße Photovoltaik möglich – vor zwanzig Jahren undenkbar. So etwas mit zu begleiten, finde ich sehr reizvoll. Mit viel Glück wird dann etwas, das man mitentwickelt hat, zehn Jahre später einmal in den Markt eingeführt. Spannend ist auch die Elektrotechnik dahinter und die Technologie selbst, dass man den Einblick in die Halbleiterphysik gewinnt. Das ist toll, ich habe da unglaublich viel gelernt.
Hat diese Arbeitsweise noch etwas damit zu tun, was Sie mal gelernt haben?
Das ist eine ganz bestimmte Art von Kreativität. Diese Vorgehensweise, dieser wissenschaftliche Blick. Das hat zwar nicht so viel mit dem Bleistift zu tun, aber das Neue wirklich bis in die Tiefe zu ergründen, wenn man das möchte, ist ein sehr kreativer Prozess. Ganz genau hingucken und daraus etwas Neues ableiten. Letztendlich ist das auch bei unserer aktuellen Beschäftigung mit den Normen und Richtlinien der Fall. Auch wenn es ein bisschen staubig und theoretisch ist, guckt man ganz genau in die Tiefe und sucht darin etwas Neues. Das reizt mich sehr.