Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Aus der Vogelperspektive planen“ im Deutschen Architektenblatt 10.2021 erschienen.
Glasfassaden vermitteln Transparenz, Modernität und gelegentlich sogar Brillanz. Aus energetischen, baukulturellen oder ästhetischen Aspekten sind nicht alle von der Entwicklung zu immer mehr Glas begeistert. Für Vögel sind Glasfassaden sogar lebensgefährlich.
Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten in Deutschland hat 2017, gestützt auf umfangreiche Forschungsarbeiten in den USA, hochgerechnet, dass deutschlandweit jährlich über 100 Millionen Vögel am Glas zu Tode kommen. Das wären mehr als fünf Prozent aller im Jahresverlauf vorkommenden Vogelindividuen. Dass die Debatte über das Problem und insbesondere über angemessene architektonische Antworten in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen hat, kann angesichts des Themas Artenschwund und des im Alltag spürbaren Rückgangs von Vögeln heute kaum überraschen.
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Anderswo schon Gesetze gegen Vogelschlag
In den USA hat das Problem inzwischen Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden. Das „Bird-Safe-Buildings-Act“, das im vergangenen Jahr durch den Kongress ging, sieht bei öffentlichen Bauten eine 90-prozentige Reduzierung von Glas im unteren Gebäudebereich (bis 40 Feet Höhe) und darüber eine Reduktion von bis zu 60 Prozent vor. Grundsätzlich gilt: Je großflächiger und durchsichtiger und je stärker spiegelnd eine Glasfläche ist, desto gefährlicher für die Vögel. Notwendig sind Schutzmaßnahmen hierbei vor allem bei Gebäuden in der Nähe von Grünanlagen, bei denen sich die Bäume in den Fassaden spiegeln. Eine weitere Gefahrenquelle stellt schließlich noch die künstliche Beleuchtung von Gebäuden in der Nacht dar, der Zugvögel zum Opfer fallen, die sich an der hellsten Lichtquelle orientieren (Welche Situationen für Vögel gefährlich werden, lesen Sie in unserem Grundsatzbeitrag mit zahlreichen Fotos und Zusatzinformationen).
In Deutschland sind noch keine gesetzlichen Vorschriften in Vorbereitung, doch schalten die Bauaufsichtsbehörden mittlerweile vermehrt die Umweltämter ein, die inzwischen detaillierte Vorgaben machen. Vielleicht werden die Glas-Fassaden-Auflagen zum Vogelschutz einmal eine ähnliche Rolle spielen wie der Brandschutz. Beispiele mit geeigneten Fassadenlösungen jedenfalls gibt es, Gegenbeispiele allerdings auch.
Kloster Michaelsberg: Glaspavillon auf dem Dach
Das denkmalgeschützte ehemalige Kloster Michaelsberg, hoch über der Stadt Siegburg gelegen, wurde von 2013 bis 2017 nach Plänen des Architekturbüros msm meyer schmitz-morkramer zu einem Tagungszentrum mit Hotel umgebaut. Eine zusätzliche Erweiterung erfolgte durch einen Anbau, der vor dem Kloster am Hang errichtet wurde. Während sich die Sandsteinfassaden im unteren Bereich am Bestandsbau des Klosters orientieren, wurde für einen oben aufgesetzten, komplett verglasten Pavillon sowie für die verglaste Fußgängerbrücke zum Klosterbau ein Spezialglas verwendet, das Vogelschlag vermeiden sollte.
Lösung: Grau gepunktete Linien
„Wir hatten mit dem Thema eigentlich noch gar keine Erfahrungen gemacht“, sagte Tobias Goße, damals Bauleiter in Siegburg. „Aber die Auflage vom Umweltamt beziehungsweise der Wunsch des Bauherrn waren seinerzeit vorgegeben. Geeignete Hersteller gab es damals kaum. Schließlich sind wir bei der Firma Eckelt Glas GmbH mit Sitz in Steyr, Österreich, fündig geworden.“ Der Flachglasveredler, der weltweit Sonderanfertigungen produziert, konnte bereits zertifiziertes Glas anbieten. Es zeichnet sich durch senkrechte, grau gepunktete Markierungen in ausgewählten Farben aus, die in einem festgelegten Abstand voneinander aufgetragen werden. Sie verbinden damit zwei Anforderungen: Transparenz für das menschliche Auge mit Intransparenz für die Wahrnehmungsweise von Vögeln. Die Betreiber des Tagungszentrums bestätigten auf Anfrage, dass es zu keinem Vogelschlag gekommen sei.
Forschungsgebäude in Berlin: Bäume vor Glasfassade
Eine für Vögel gefahrvolle grüne Umgebung besitzt auch das 2019 eröffnete Forschungsgebäude für Medizinische Systembiologie (BIMSB) in Berlin. Es liegt zwischen dem Gelände des Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhofs und dem begrünten Campus der Humboldt Universität und wurde von Staab Architekten geplant. 35 Prozent der Fassadenfläche des winkelförmigen Gebäudes erhielten hier ebenfalls eine Bedruckung mit vertikalen Streifen, die in diesem Fall (eigentlich nicht optimal) auf der Innenseite der äußeren Scheibe angebracht wurde.
„Ziel der Maßnahme war ursprünglich lediglich ein ästhetisch ansprechender integrierter Sonnenschutz, der den Wärmeeintritt in das komplett verglaste Gebäude verringern sollte“, erzählt Projektleiter Ulf Theenhausen. Man habe aber nach entsprechenden Auflagen des Umweltamtes zur Verhinderung von Vogelschlag Kontakt mit den zuständigen Abteilungen aufgenommen und das schließlich verwendete Motiv in Abstimmung entwickelt. „Wichtig war, dass der Abstimmungsprozess früh im Projektverlauf stattgefunden hat.“ Das habe Kosten gespart, die sich überdies, so Theenhausen, nicht wesentlich von herkömmlichem Glas unterschieden, da in diesem Fall ein Digitaldruckverfahren zum Einsatz kam, das günstiger als Siebdruck war.
Lösung: Bedruckung mit hellen Streifen
Das Ergebnis kann vor allem auch ästhetisch überzeugen. Die vertikalen, sich gabelnden und organisch wirkenden hellen Streifen fassen die geschosshohen Glasscheiben des Gebäudes optisch zusammen, wirken beruhigend und können auch noch als Hinweis auf die biologische Forschungsarbeit des Instituts gelesen werden. Allerdings, betont Klemens Steiof von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, sind nicht alle Gebäudefassadenteile in gleicher Weise ausgeführt. Ein Teil mit senkrechten Lisenen, die im Abstand von circa 70 Zentimetern an der Fassade angebracht sind, ist für Vögel nicht ausreichend sicher. Erforderlich sei ein Abstand der Lisenen von zehn bis 15 Zentimetern. Ansonsten aber erfüllt das Gebäude mit den bedruckten Mustern die Vorgaben des Vogelschutzes.
Axel-Springer-Haus in Berlin: mächtiges Glasgebirge
Wie viele Varianten und Aspekte das Thema aufweist, demonstriert auch das neue Verlagsgebäude von Axel Springer in Berlin. Der mächtige Baukörper, durch den sich diagonal ein bis zu 45 Meter hohes Atrium zieht, das den ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer markiert, präsentiert sich partienweise in gläserner High-Tech-Anmutung (Rem Koolhaas, Office for Metropolitan Architecture): Die Fassaden des Neubaus mit einer Fläche von rund 28.000 Quadratmetern sind höchst unterschiedlich ausgeführt. Der Bereich, der mit bedrucktem Glas ausgeführt wurde, erfüllt die Anforderungen hinsichtlich des Vogelschlags klar.
Lösung: Bedruckung mit künstlerischem Motiv
Das Motiv für das Muster hat Koolhaas aus einer Skizze Ludwig Mies van der Rohes für seinen legendären Hochhausentwurf an der Friedrichstraße entnommen. Die spektakuläre Südwestseite, wo 1.552 nach außen gewölbte und nach innen gestülpte Glasscheiben in weißen Rahmen montiert wurden (Hersteller Guardian, Veredler Flachglas Wernberg) sei dagegen nach Steiof noch nicht im Hinblick auf Vogelschlag erforscht worden. Als „katastrophal“ für Vögel, so Steiof, muss aber die spiegelnde und teils nach unten geneigte Nordseite des Gebäudes eingeschätzt werden. Wenn dort die Bäume entlang der Straße noch größer und grüner sind, seien hier dringend Veränderungen notwendig.
Vorgaben der Deutschen Bahn bei Stuttgart 21
Im besten Fall arbeiten Architekt, Bauherr oder Betreiber frühzeitig mit einem Fachplaner zusammen. So funktioniert es beispielsweise bei der Deutschen Bahn, die bei ihren Liegenschaften mit vielen gläsernen Problemfällen konfrontiert wurde. Jascha Klusen, zuständiger Bauleiter bei Ingenhoven architects beim Großprojekt Stuttgart 21, erzählt, dass seitens der Bahn als Vorgabe für die Architekten eine Art Manual beziehungsweise Richtlinien für die besonders gefährdeten Fassadenbereiche vorgestellt worden seien, die man dann gemeinsam abzuarbeiten hatte. „Wir entwickeln derzeit für die verglasten Eingangsbereiche – die sogenannten Gitterschalen, die an vier Stellen in die achtgleisige Durchgangsstation hinunterführen – die geeigneten Muster, die im Siebdruckverfahren aufgetragen werden.“ Letztlich, so Klusen, liege es ja im Interesse des Bauherrn oder auch des Betreibers, wenn sein Gebäude nicht als Vogelgrab eine schlechte Presse erfährt. Die Vögel würden unbedingt zustimmen.
Dr. Frank Maier-Solgk ist freier Journalist und Buchautor in Düsseldorf
Vogelschlag: Gefahren, Grundwissen, Maßnahmen
Warum fliegen Vögel gegen Glas? Welche Fehler kann man bei der Planung machen? Welche Markierungen sind nutzlos? Vogelschlag-Experte Klemens Steiof beschreibt es auf DABonline, bebildert mit zahlreichen positiven und negativen Beispielen sowie mit vielen Zusatzinformationen und Quellenangaben.
Welche Muster wie, in welchen Abständen, mit welchen Gläsern am besten wirken, ist inzwischen gut erforscht. In Österreich hat man hierzu Tests mit Wildvögeln durchgeführt, die – natürlich durch ein Netz gesichert – in einem Tunnel auf zwei Scheiben, einmal mit, einmal ohne Spezialglas, zufliegen. Zu den Ergebnissen ist ein hilfreiches Faltblatt als PDF verfügbar.
Diese Ergebnisse sind außerdem in eine Broschüre aus dem Jahr 2022 eingeflossen, an der auch der BUND mitgearbeitet hat. Die 65-seitige Planungshilfe „Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht“ kann als PDF kostenlos heruntergeladen werden.
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