Um Klimaschutzziele nachweislich erreichen zu können, müssen Einsparungen künftig mess- und steuerbar werden. Das gilt insbesondere für die Baubranche. Ökobilanzen als wissenschaftlich fundierte Datenbasis kommen hier eine besondere Rolle zu. Ein hochkarätig besetztes Symposium des Instituts Bauen und Umwelt (IBU) diskutierte dazu aktuelle und künftige Entwicklungen.
Die Klimakonferenz im schottischen Glasgow war auch bei der hybriden Fachkonferenz des Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) in Berlin das bestimmende Thema. Es gehe darum, die ökologischen Grenzen der Erde zu respektieren, so Dr. Barbara Hendricks, die zwischen 2013 und 2018 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit war, in ihrer Keynote. Seit 2019 ist sie ehrenamtliche Präsidentin des IBU und hatte jetzt Corona-bedingt ihren ersten öffentlichen Auftritt in dieser Rolle. „Es ist ein Paradigmenwechsel erforderlich. Wir müssen eine Urbanität schaffen, die lebenswertes Wohnen ermöglicht.“ Nachhaltigkeit in der Stadtgestaltung, so Hendricks weiter, dürfe dabei aber kein Merkmal für gehobenes Wohnen sein, sondern auch gefördertes Wohnen habe ein Anrecht darauf. „Beim Bauen ist das nicht so einfach, dafür braucht es hohe technologische Kompetenz.“ Im Rahmen des EU Green Deals werden künftig genaue Informationen über Ressourceneinsatz und deren Verwendung gefordert. Hendricks: „Das IBU kann hierbei eine wichtige Plattform sein“.
IBU-Symposium „Guided by the future“ am 02.11.2021 in Berlin. Sehen Sie 18 Bilder mit Impressionen in der Galerie.
Hans Peters, Vorstandsvorsitzender des IBU, stimmte Hendricks zu. Nachhaltigkeit habe nicht nur eine Dimension, die bedacht werden muss. Sie umfasse vielmehr ein weites Spektrum von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Um dem im Bausektor gerecht werden zu können, ist neben den Themen Energie und Klima auch die schonende Ressourcennutzung sowie die soziale Komponente von Bauen und Wohnen zunehmend wichtig. Peters betont hier die auch weiterhin proaktive Rolle des IBU.
Die Antworten sind komplex
Messbarkeit war auch das Stichwort für Prof. Dr. Matthias Finkbeiner, der an der Technischen Universität Berlin das Institut für technischen Umweltschutz leitet. „Wir sind uns einig, dass wir Umwelt und Klima schützen müssen, aber wie können wir wissenschaftlich robust messen, was klimaverträglich, umweltschonend und nachhaltig ist?“ Aktuell fehle eine eindeutige Definition, was man unter Klimaneutralität versteht. Dekarbonisierung sei richtig, erfordere aber eine saubere und konsistente Bilanzierung. Die Ökobilanz, so Finkbeiner, sei seit langem als die beste Methode anerkannt. Durch den Blick auf den gesamten Lebenszyklus decke sie vor allem Problemverschiebungen auf. Aber sie löse nicht alle Probleme: Häufig kommt die Kritik auf, dass berechnete Stoffe manchmal als sinnvoll und dann in anderem Zusammenhang wieder als ökologisch schädlich bewertet werden.
Finkbeiner: „Es ist kein Fehler der Ökobilanzen, dass die Antworten komplex sind, sondern eher ihre Stärke. Je nach Verwendung müssen Produkte unterschiedlich bewertet werden.“ Zugleich warnte er davor, dass eine komplett emissionsfreie Zukunft eine Illusion bleibe. „Wir müssen reduzieren, wir müssen neue Energie einsetzen, aber ohne Kompensation wird es am Ende auch nicht gehen“, so Finkbeiner. „Wir brauchen andere Kompensationslösungen als wir derzeit haben. Wir müssen das korrekt durchrechnen, sonst werden wir am Ende formell klimaneutral sein, aber dennoch steigen die CO2-Emissionen.“
Keine Daten, kein Auftrag
Thomas Lützkendorf, Professor für Immobilienwirtschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), lenkte den Blick auf die bestehenden Normen und die „handwerkliche Seite“ der Umweltbilanzierung. Lützkendorf: „Es ist schade, wenn alle von Klimaneutralität reden, ohne entsprechende Nachweise zu liefern.“ Mit Bezug auf die Bau- und Immobilienwirtschaft konkretisierte er: „Wir brauchen geeignete Bauproduktinformationen, um das Wechselspiel zwischen Tiefe und Breite der Prozesse abzudecken. Der Trend geht eindeutig in die Richtung verbindlicher Anforderungen.“ Und das hat Folgen für die Hersteller: Wer solche Daten auf Dauer nicht liefere, dessen Produkte können auf Dauer auch nicht mehr verbaut werden. Treiber sei nicht nur der Staat, sondern auch die Finanzwirtschaft. Im Rahmen der EU-Taxonomie hängen nämlich künftig auch Finanzierungskonditionen davon ab. Deshalb müssen entsprechende Umwelt-Produktdeklarationen (EPDs) schneller erstellt werden. „Wir müssen künftig diese Informationen planungsbegleitend bereitstellen.“ Da das für Einzelunternehmen schwierig sei, empfahl Lützkendorf den Weg über branchenspezifische Lösungen und die Möglichkeit des digitalen Ausspielens von maßgeschneiderten EPDs.
Deutlich mehr Recycling unabdingbar
Michael Ritthoff vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie stellte erste Ergebnisse der vom IBU in Auftrag gegebenen Studie zu Fragen der Ressourcenschonung, des Ressourcenmanagements sowie der Ressourceneffizienz vor und betrachtete die Rolle der Kreislaufwirtschaft. Der Grundgedanke dabei ist, knappe oder zunehmend teurer werdende Ressourcen durch Recycling und Wiederverwendung zu gewinnen. Ein praktisches Problem im Alltag ist jedoch, dass die Hersteller von Bauprodukten keinen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie ihre Produkte ein- und zurückgebaut werden. Viele Gebäude seien naturgemäß sehr langlebig, so dass deren künftiges Recycling und die Techniken dazu heute gar nicht absehbar sind. Wichtig seien für die Kreislaufwirtschaft Lebensdauerinformationen zu Bauprodukten, da die Nutzungsdauer einen erheblichen Einfluss auf lebenszyklusweite Umweltbelastungen und den Ressourcenverbrauch habe. Ritthoff verwies zudem auf grundliegende Voraussetzung für späteres Recycling wie beispielsweise einer möglichst geringen Verunreinigung der Sekundärrohstoffe. Informationen zum korrekten Einbau, zur Demontage und den eingesetzten Stoffen insbesondere bei komplexen Bauprodukten würden das Recycling deutlich erleichtern. Rücknahmegarantien können zudem dazu beitragen, die Sammelmenge und die Qualität zu steigern. Aktuell hakt es vor allem noch an der grundsätzlichen Akzeptanz: Der Einsatz von Recyclingmaterial stockt, weil Qualität, Gleichwertigkeit und Produktverhalten oft noch nicht vollständig erforscht sind. Das erzeugt Unsicherheit bei Planern, Bauunternehmen und Bauherren.
Strukturen und Wille zur Zusammenarbeit
Annette von Hagel, Geschäftsführende Vorständin der re!source Stiftung forderte deshalb: „Klimaschutz braucht eine Ressourcenwende“. 50 Prozent der Treibhausgasemissionen sowie 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes und Wasserstresses seien nachweislich auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen zurückzuführen. Erst zwölf Prozent der Baustoffe stammten derzeit aus dem Recycling. Die Europäische Union habe nachgewiesen, dass vor allem im Bau, bei Elektronik, Kunststoff, Lebensmittel und Textilien Verschwendung an der Tagesordnung sei. „Wir können uns eine solche Verschwendung nicht länger leisten,“ so von Hagel, die von Hause aus Architektin ist und den Alltag auf Baustellen kennt. Sieben bis zehn Prozent der Baukosten seien auf Materialverschwendung, falsche Planung und falsche Logistik zurückzuführen.
Als Lösung sieht sie eine Reihe notwendiger Veränderungen wie beispielsweise einer integralen Lebenszyklusbetrachtung, also am Anfang schon an das Ende zu denken, wie es die meisten EU-Verordnungen ohnehin bereits vorgeben. Hinzu komme professionelles Facility Management, das die Erfahrungen im Betrieb eines Gebäudes immer wieder neu berücksichtigt. Generell sei auch ein Wille zu kooperativer Zusammenarbeit nötig sowie eine grundlegende Digitalisierung umzusetzen, um durchgängige Prozesse möglich zu machen.
Vernunft und Vereinfachung
Thomas Bolwin vom Architekturbüro BOLWIN / WULF berichtete aus Sicht des Planers. Sein Rat lautete: „Nicht tun, was wir nicht tun müssen“. Es sei in letzter Zeit unter anderem durch politische Offensiven fälschlicherweise der Eindruck entstanden, dass man durch das Bauen etwas ökologisch Gutes tue. Dagegen verdeutliche die Corona bedingte Materialknappheit, dass Ressourcen nur begrenzt zur Verfügung stünden. Verantwortungsvolles Handeln aller Beteiligten sei angesagt. Dazu zählen neben einer vernünftigen undogmatischen Baustoffauswahl im Sinne der Bauaufgabe und vorgesehenen Nutzung auch eine Reduzierung der Technik. Bei aller Freude über volle Auftragsbücher seitens der Architekten spiele künftig auch das kritische Hinterfragen jeder Bauaufgabe eine wichtige Rolle. Die rein Baukostenorientierte Honorierung sei dafür aber nicht mehr zielführend. Die Zukunft des planerischen Alltags sieht Bolwin in der integralen Gebäudesimulation. Diese berücksichtige neben Materialdaten auch projektspezifische Informationen wie geographische Lage, Energieeintrag und Nutzzeiten, um über eine ganzheitliche Ökobilanz und der Wirtschaftlichkeitsbewertung zu sinnvollen Entscheidungen kommen zu können.
EPDs in Unternehmen
Auch Bauprodukthersteller fanden Raum für ihre Erfahrungsberichte: Lea Kullmann vom Schließtechnikhersteller dormakaba Deutschland GmbH gab Einblicke in Produkt- und Prozessoptimierung durch Environmental Product Declarations. Dr. Edmund Vankann von der Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden e.V. (G.U.T.) rückte den Einsatz von EPDs in der Teppichbranche ins Licht. Martin Dolkowski vom österreichischen Parketthersteller Admonter erläuterte die Grundlagen der Raumakustik und ihre Rolle für nachhaltige Architektur.
Eine abschließende Podiumsdiskussion unter der Leitung von Annette von Hagel trug die wichtigsten aktuellen und künftigen Trends zusammen. Wichtige Redebeiträge rund um den Themenkomplex Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung leisteten Dr. Bernhard Hauke, Bauingenieur und Editorial Director des Ernst & Sohn Verlages, Irina Brehm, Projektleiterin Beratung & Lösungen im Bereich Ökobilanzierung bei Myclimate Deutschland, Dr. Hans-Jörg Kersten, Leiter des Referat Umwelt im Bundesverband der Gipsindustrie e.V., Annelie Casper, Geschäftsführerin der GEFMA-Deutscher Verband für Facility Management sowie Prof. Winfried Heusler, Leiter Global Building Excellence der Schüco International KG.