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Bauen mit Flachsfasern: Der livMatS Pavillon in Freiburg

Auf der Suche nach ökologischen und effizienten Bauweisen erinnert man sich wieder an die Naturfaser Flachs. In einem Forschungsprojekt wurde ein erster Pavillon digital entworfen und vom Roboter gesponnen

09.06.20227 Min. Kommentar schreiben

Von Thomas Geuder

Der Bausektor hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der materialintensivsten und leider auch umweltschädlichsten Bereiche entwickelt. An Ideen für nachhaltige und ressourceneffiziente Alternativen zur herkömmlichen Bauweise fehlt es jedoch nicht. Das zeigt der livMatS Pavillon der Universitäten Stuttgart und Freiburg, der im Botanischen Garten Freiburg steht. Seine digital entwickelte Tragstruktur besteht ausschließlich aus robotisch gewickeltem Flachsfaden. Der Vorteil des Materials: Flachs ist natürlich, erneuerbar, biologisch abbaubar und sogar regional verfügbar.

Es ist erstaunlich: Während in der Baubranche seit vielen Jahren von der Notwendigkeit gesprochen wird, ressourcenschonend zu bauen, sieht die Realität allzu oft anders aus. Kaum ein Bauwerk kommt nach wie vor etwa ohne den Einsatz von Beton aus, dessen Herstellung, Verarbeitung und spätere Entsorgung bei der Klimabilanz keine besonders gute Figur macht. Auch zahlreiche andere Materialien (Stahl, Aluminium, Kunststoffe, Dämmmaterial,…), die nicht nur in ihrer Herstellung, sondern auch in der späteren Entsorgung energieintensiv und problematisch sind, gehören noch zum Standardrepertoire. Immerhin ist das Interesse an Baustoffalternativen in den letzten Jahren merklich gestiegen, etwa am Holz, das regenerativ produziert werden und (bei entsprechender Planung) am Ende sortenrein weiterverarbeitet werden kann.

Materialsparendes Prinzip

Neben der Wahl des richtigen Materials ist es außerdem die Art der Konstruktion, mit der sich enorme Ressourcen sparen lassen, um zum Beispiel das Gewicht zu verringern. Beides bedingt sich: Wird eine Konstruktion auf ihr notwendiges Minimum reduziert, ist sie leichter und kann dann wiederum schmaler gebaut werden. „Leichtbau“ nennt sich dieses Prinzip, das in dieser Präzision ohne digitale Planungswerkzeuge heute nicht vorstellbar wäre. An einigen Universitäten wird diese Art des Bauens bereits intensiv erforscht, und auch in der Praxis finden sich mittlerweile immer wieder gute Beispiele.

Grafik Fasern im Vergleich
Verschiedene Fertigungsweisen im Vergleich. Grafik: ICD/ITKE/IntCDC

Kooperation verschiedener Universitäten

Wo der Leichtbau mitunter allerdings noch mit konventionellen Materialien wie Stahl und/oder Beton arbeitet, lässt sich das Bauen auch in diesem Punkt weiterdenken. Einen wichtigen Forschungsbeitrag auf diesem Feld liefern seit Jahren etwa das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart. Mit ihren Gebäudedemonstratoren, die auf dem Universitätscampus oder an Orten wie der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn errichtet wurden, loten die Forschenden gemeinsam mit Studierenden aus, welche Leichtbaukonstruktionen machbar und sinnvoll sind.

Computergeneriertes Tragwerk für Faserverbundwerkstoffe

Der jüngste Demonstrator „livMatS Pavillon“ ist in Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster livMatS (Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems) der Universität Freiburg entstanden, der sich intensiv mit der Eignung von biologischen beziehungsweise natürlichen Materialien für das Bauen auseinandersetzt. Mit tragfähigen, computergenerierten Konstruktionen aus gewickelten und verklebten Faserverbundwerkstoffen, die aus kohlenstofffaserverstärkten Polymeren oder Glasfaserverstärkungen bestehen und deren Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht besonders günstig ist, beschäftigen sich die Stuttgarter Forschenden bereits seit über zehn Jahren. Ein ehemaliger Mitarbeiter des ICDs hat mittlerweile daraus das Unternehmen „FibR“ gegründet, das beim aktuellen Demonstrator Industriepartner ist.

Saguaro Kaktus
Der Saguaro-Kaktus diente als Vorbild. Foto: Plant Biomechanics Group Freiburg

Von der Natur inspiriert

Die Forschenden fragten sich nun, inwiefern sich die Kunstfasern durch Naturfasern ersetzen lassen. Als Inspiration für diesen Schritt dienten der Saguaro-Kaktus (Carnegia gigantea) und der Feigenkaktus (Opuntia sp.), deren Holzstruktur besondere Merkmale besitzen. Der Saguaro-Kaktus verfügt über einen zylindrischen Holzkörper, der hohl und deshalb besonders leicht ist. Die Struktur ist außerdem netzartig, was dem Holzkörper eine besonders effiziente Stabilität verleiht. Auch die Seitentriebe des Feigenkaktus sind netzartig durchzogen, wodurch eine besonders hohe Belastbarkeit entsteht.

Nachwachsend, abbaubar und regional

So besteht die Struktur des livMatS Pavillon vornehmlich aus gewickelten Flachsfasern, einem Material also, das natürlich, erneuerbar, biologisch abbaubar und regional verfügbar ist. Denn, so der selbsterklärte Anspruch der Projektteilnehmer, „die Voraussetzungen für eine nachhaltige gebaute Umwelt sind sowohl die Entwicklung neuer, ressourceneffizienter Ansätze für Entwurf und Konstruktion als auch die Forschung zum Einsatz natürlich nachwachsender Rohstoffe im Bauwesen“.

Flachs war in Vergessenheit geraten

Das Forschungsteam aus Architektur, Bauingenieurwesen und Biologie hat in den vergangenen zwei Jahren das Potenzial von Naturfasern und vor allem Flachsfasern, die als vielversprechende Alternative zu synthetisch hergestellten Fasern gelten, untersucht. Zur Erinnerung: Flachs (oder auch: Leinen) wurde bis ins späte 19. Jahrhundert von der Textilindustrie zur Herstellung von Gewebe eingesetzt, ehe es durch Baumwolle fast vollständig verdrängt wurde. Flachs ist in seinen mechanischen Eigenschaften mit synthetischen Glasfasern vergleichbar, bietet eine ähnliche spezifische Steifigkeit, jedoch mit einer viel geringeren grauen Energie. Flachsfasern haben also das Potenzial, den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden deutlich zu reduzieren, vor allem in Kombination mit effizientem Leichtbau.

Herstellungsverfahren auf Flachs angepasst

Die Verwendung von Flachs als Endlosfaser für tragende Konstruktionen beim livMatS Pavillon also ist die Innovation, die konkrete Verarbeitung die nächste, nicht unwesentliche Frage. Das Vorgehen konnte zwar prinzipiell aus der bisherigen Arbeit mit Kunstfasern übernommen werden, doch die biologische Variabilität der Flachsfasern stellte die Forschenden vor neue Herausforderungen. Die verschiedenen Tests führten schließlich zu einer Anpassung des integrativen, computergenerierten Bauteilmodells sowie zu einer Neukonfiguration des robotischen Herstellungsverfahrens, bei dem die Flachsfasern langsamer gewickelt werden. Um die Reißfestigkeit zusätzlich zu vergrößern, wurde etwas Sisalfaser (ebenfalls eine Naturfaser) in den Strang eingearbeitet.

Grafik Pavillon aus Fasern
Aus dem digitalen Entwurfsprozess. Grafik: ICD/ITKE/IntCDC

Digitale Berechnung und Planung

Der Entwurf der Freiform erfolgte computerbasiert als digitales 3D-Modell mittels der für Tragwerksingenieure geläufigen Programme wie Rhino und Grashopper. Aus diesen Daten konnte das konkrete Fadenmodell errechnet werden, mit dem sich die Freiform auf einem wiederverwertbaren Wickelrahmen spannen lässt. Mit diesem additiven und kernlosen Fertigungsverfahren können Orientierung, Ausrichtung und Dichte der Fasern wie beim biologischen Vorbild gezielt gesteuert und gestalterisch ausgebildet werden.

Schnelle und abfallfreie Fertigung vom Roboter

Die Bauteilform schließlich entsteht auf dem Wickelrahmen von allein, weder Abfall noch Verschnitt fallen an. Das Bauteil besteht aus insgesamt acht Layern an Vorder- und Rückseite. Verbunden sind sie während der robotischen Fügung über Hülsen, die auf den Rahmen gesteckt sind und die später teilweise zur Befestigung des Dachs dienen. Die Fasern sind mit einem Epoxidharz durchtränkt, der nach Aushärtung für die Verklebung der Fasern untereinander sowie der Layer miteinander sorgt. Nach rund einem Tag sind die Bauteile ausgehärtet, sodass sie vom Rahmen genommen werden können.

Bauen mit Flachs als langjähriges Forschungsprojekt

So besteht die tragende Struktur des livMatS-Pavillons aus 15 Flachselementen, die jeweils zwischen 4,50 m und 5,50 m lang sind und im Durchschnitt nur 105 kg wiegen. Die gesamte Faserkonstruktion wiegt bei einer Gesamtfläche von 46 m² nur ca. 1.5 t, ist für die vollen Schnee- und Windlasten der gültigen Bauvorschriften ausgelegt und zusätzlich mit einem Polycarbonat-Dach gedeckt, um das Forschungsbauwerk vor Regen zu schützen. Künftig wird der mit dem Pavillon generierte Raum als offener Lehr- und Lernraum im Botanischen Garten dienen. Parallel dazu wird beobachtet, wie sich das Flachsfaser-Tragwerk unter Einfluss der Witterung verhält. Auch die weitere Forschung mit biobasierten Klebern läuft bereits. Geplant ist eine Standzeit von fünf bis sechs Jahren.

Die Zukunft des Bauens: Bioinspiration und Leichtbau

Dass sich im Bausektor einiges ändern muss, ist den meisten Bauschaffenden mittlerweile bewusst. Althergebrachte Bauweisen allerdings sind nach wie vor nur schwer aus den Köpfen zu bekommen – allzu oft gerade bei jenen, die schlussendlich entscheiden, was gebaut wird beziehungsweise werden kann. Die Angst, neue Ideen könnten ein Projekt überproportional verteuern, ist nicht selten zu groß. Es fehlt dann schlicht der Mut zur Innovation. Umso mehr sind Planerinnen und Planer gefragt, ihre Auftraggeber gut zu beraten und mehr noch ihnen Mut zuzusprechen, sich auf neue Pfade einzulassen. Die Möglichkeiten, die sich für das Bauwesen durch Bioinspiration, digitale Leichtbauplanung und damit den effektiven, effizienten und ressourcenschonenden Einsatz von Energie und Material für die Zukunft ergeben, sind bereits heute erstaunlich.

Thomas Geuder ist Raumjournalist in Stuttgart

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