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Baurecht und Planungsrecht: 10 neue Urteile zum Bebauungsplan

Wann ist das Wohnen im Außenbereich oder im Gewerbegebiet erlaubt? Was zählt zur überbaubaren Grundstücksfläche? Was ist eine erdrückende Wirkung und wie muss ein Bebauungsplan ausgelegt werden? Zu diesen und weiteren Fragen sind neue Urteile ergangen

19.07.202226 Min. Kommentar schreiben

15 weitere Streitfälle, zum Beispiel zu diesen Fragen: Was ist baurechtlich eine Baulücke, ein Doppelhaus oder eine Tankstelle? Gelten Elterntaxis als Kinderlärm? Und was ist, wenn eine Scheune verdächtig wohnlich aussieht?

Einen allgemeinen Überblick zum Bauplanungsrecht und zu Ausnahmen, Befreiungen und Abweichungen von Bebauungsplänen gibt Hubertus Schulte Beerbühl ebenfalls auf DABonline.

Von Hubertus Schulte Beerbühl


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Fall 1: Nachbarn ohne Recht auf allgemeine Rechtskontrolle

Ein Nachbar hat nicht das Recht, im Sinne einer objektiven Rechtskontrolle überprüfen zu lassen, ob ein Vorhaben auf einem anderen Grundstück in jeder Hinsicht baurechtlich rechtmäßig genehmigt worden ist. Er kann lediglich dann die Aufhebung einer Genehmigung verlangen, wenn er durch eine rechtswidrige Baugenehmigung – zusätzlich – auch in seinen subjektiven Rechten verletzt ist. Dabei geht es nicht um bloße Interessen, sondern um „echte“ Rechte, die das Bauordnungsrecht oder das Bauplanungsrecht – dazu zählt auch ein gemeindlicher Bebauungsplan – in abstrakter Form Nachbarn in einer bestimmten baulichen Situation verliehen hat. Liegt eine solche subjektive Rechtsverletzung nicht vor, kann der Nachbar sich nicht gegen ein Bauvorhaben wehren.

Baugrenze überschritten, Firstrichtung abweichend

Das mussten sich Kläger, die sich gegen ein Wohnbauvorhaben auf einem angrenzenden Grundstück wandten, vom Verwaltungsgericht Münster sagen lassen. Das genehmigte Vorhaben soll die hintere Baugrenze auf dem Grundstück um 3,5 m überschreiten: im Erdgeschoss auf einer Länge von 7,45 m im Obergeschoss auf einer Länge von 8 m. Dies führte zu einer Überschreitung der festgesetzten Geschossflächenzahl von 0,5 um 0,02. Zudem sollte entgegen der Festsetzung die Firstrichtung des Daches nicht von Norden nach Süden, sondern von Nordwesten nach Südosten verlaufen. Für beide Abweichungen erteilte das Bauamt eine Befreiung und Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans.

Zur Begründung des klageabweisenden Urteils wies das Gericht darauf hin, dass die Kläger keine Bestimmung anführen könnten, die zumindest auch ihrem Schutz als Nachbarn dienen soll. Das Gericht lehnte es ausdrücklich ab, in eine allgemeine Rechtsmäßigkeitskontrolle einzutreten, solange die Frage des nachbarschützenden Charakters der geltenden Bestimmung oder Festsetzung zu verneinen sei.

Kein Nachbarschutz im Bebauungsplan

Soweit es um Maßfestsetzungen in einem Bebauungsplan geht, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung entscheidend, ob der Plangeber diese auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet. Das darf der Plangeberselbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden. Es seien hier aber weder den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans noch dessen Begründung Anhaltspunkte zu entnehmen, dass neben einer allgemeinen städtebaulichen Ordnungsfunktion von dem Plangeber nachbarschützende Funktionen intendiert waren.

Auch eine unterstellte Fehlerhaftigkeit der Befreiung konnten die Nachbarn nicht rügen. Zwar kann ein Nachbar verlangen, dass eine Befreiung nur „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ erfolgt. Auf die Baunachbarklage hin ist unter diesem Gesichtspunkt gerichtlich zu überprüfen, ob die Behörde mit der Vorhabenzulassung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen hat. Aber auch das verneinte das Gericht.

Keine unzumutbare Beeinträchtigung

Dadurch, dass das Bauvorhaben teilweise über die hintere Baugrenze hervortreten sollte, werde dem Grundstück der Kläger nicht in unzumutbarer Weise Licht und Luft genommen. Durch die diagonale Ausrichtung des Firstes und die pultförmige Ausbildung des Daches trete keine unzumutbare Verschattung ihres Grundstückes ein.

Vor allem müsse in dicht bebauten innerörtlichen Bereichen damit gerechnet werden, dass Nachbargrundstücke innerhalb des vorgegebenen Rahmens, etwa durch (hier eingehaltene) Abstandsflächen, baulich ausgenutzt werden und es durch eine Bebauung zu einer Verschattung des eigenen Grundstücks kommt.

Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 6. Januar 2022, Az.: 2 K 2641/19


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Fall 2: Rücksichtslosigkeit wegen „erdrückender Wirkung“?

In zahlreichen Nachbarklagen gegen ein Bauvorhaben wird geltend gemacht, dieses verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot, weil es eine „erdrückende Wirkung“ habe, das Gefühl des „Eingemauertseins“ vermittle oder eine „Gefängnishof-Situation“ erzeuge. Mag ein solcher Vortrag auch in vielen Fällen übertrieben erscheinen, hat er doch in besonders gelagerten Einzelfällen seine Berechtigung.

Auch das Verwaltungsgericht Potsdam hatte sich mit diesen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen und sie an der bisherigen Rechtsprechung zu orientieren. Zu deren Maßstäben zählen insbesondere zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts aus den 1980er-Jahren: zum einen zu einem zwölfgeschossigen Hochhaus, das an der engsten Stelle nur 15 Meter neben einem zweieinhalbgeschossigen Gebäude genehmigt worden war (Urteil vom 13. März 1981 – 4 C 1.78), zum anderen zu drei auf Stahlstützen errichteten Rundbehältern für Düngekalk, die über eine Länge von 13,31 m in einer Höhe von 11,50 m und in einem Abstand von nur 3 Metern zur Grenze eines Wohngrundstücks errichtet worden waren (Urteil vom 23. Mai 1986 – 4 C 34.85).

Bei dem vom Verwaltungsgericht Potsdam entschiedenen Vorhaben handelte es sich um ein optisch deutlich wahrnehmbares doppelgeschossiges Bauwerk mit einer Breite von 24,50 m, einer Tiefe von 9,41 m und einer Firsthöhe von 7,91 m sowie einer Grundfläche von 225,4 m2. Da das Vorhaben entlang der 17,64 m messenden nördlichen Grenze des Grundstücks der Antragsteller gelegen war, schränkte es den nördlichen Blick aus dem Wohngebäude der Antragsteller und von deren Terrasse erheblich ein.

Eingehaltene Abstandsflächen gleich Rücksichtnahme

Allerdings stellte das nach Ansicht des Gerichts keine das Gebot der Rücksichtnahme verletzende und nicht mehr hinnehmbare Situationsverschlechterung dar. Zum einen konkretisiere bereits das eingehaltene bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme. Denn es entspricht allgemeiner Rechtsprechung, dass der Landesgesetzgeber durch die Regelungen zum Abstandsflächenrecht im Zusammenhang mit dem Bauplanungsrecht grundsätzlich abschließend geregelt hat, was Nachbarn an räumlicher Nähe von baulichen Anlagen hinzunehmen haben. Die Einhaltung der Grenzabstandsvorschriften indiziert insofern die Einhaltung des Rücksichtnahmegebotes. Für eine abweichende Bewertung besteht nur Anlass, wenn besondere Umstände vorliegen.

Geringer Höhenunterschied und Staffelung

Zum anderen überschritten die Beeinträchtigungen nicht die Schwelle des Zumutbaren. Denn vom Grundstück der Antragsteller und von ihrem Hauptgebäude aus verbleibe nach Süden sowie auch nach Westen ein freier Blick. Zudem weise die zum Grundstück der Antragssteller gerichtete Seite des Bauvorhabens eine mit ansteigender Höhe zurückversetze Dachkonstruktion auf, von der ebenfalls eine geringere Wirkung als von einer massiven Außenmauer ausgehe.

Es liege auch kein extremer Höhenunterschied vor, bei dem das Bauvorhaben für die benachbarte Bebauung erdrückende Wirkung hätte. Ein solches Missverhältnis sei angesichts der zweigeschossigen Bebauung und der vergleichbaren Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller nicht ersichtlich. Mit den von der zitierten Rechtsprechung entschiedenen Fällen aus den 1980ern sei die von den Antragstellern in den Raum gestellte Bedrängnis mithin nicht vergleichbar.

Verwaltungsgericht Potsdam, Beschluss vom 7. Dezember 2021, Az.: 4 L 861/21


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Fall 3: Feststellung der überbaubaren Grundstücksfläche nach § 34 BauGB

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat die Grundsätze präzisiert, unter denen sich in einem unbeplanten Innenbereich (§ 34 Baugesetzbuch) eine rückwärtige Bebauung unter dem Merkmal der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

Umnutzung zu Wohnen im Hinterhof

Es ging darum, dass ein hinter dem Wohnhaus gelegenes Gebäude für Wohnzwecke geändert werden sollte. Die Bauherren wollten in dem umzunutzenden Gebäude einen Schlaf- und Ankleideraum, einen Hauswirtschaftsraum und ein Badezimmer einrichten. Zum bisherigen Wohnhaus war eine Verbindungstür vorgesehen.

Faktische hintere Baugrenze

Das Gericht ließ dies nicht zu, weil es sich dann nach der Grundfläche, die überbaut werden sollte, nicht mehr in die nähere Umgebung einfügte; es überschritt die faktische hintere Baugrenze. Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass für die faktische hintere Baugrenze die Bebauungstiefe von der tatsächlichen Straßengrenze aus zu ermitteln ist, wobei von der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße auszugehen ist, nicht aber von einem Privatweg oder einer private Grundstückszufahrt zu einer solchen Straße.

Hauptanlage oder Nebenanlage?

Bei der Frage, ob eine rückwärtige Bebauung eines Grundstücks zulässig ist, ist ferner zwischen Hauptanlagen und Nebenanlagen zu differenzieren, da nach der Baunutzungsverordnung Nebenanlagen grundsätzlich auch auf der nicht überbaubaren Grundstücksfläche zulässig sind, Hauptanlagen dagegen nicht in der gleichen Weise privilegiert sind.

Als Nebenanlagen kommen Gebäude und andere bauliche Anlagen in Betracht, die dem Hauptzweck dienen und diesem räumlich-gegenständlich zu- und untergeordnet sind, also beispielsweise Gartenhäuser. Für die Annahme einer faktischen hinteren Baugrenze entlang der Rückseite der vorhandenen straßenseitigen Hauptgebäude kann es daher ausreichen, dass auf den Grundstücken in der maßgeblichen Umgebung in den rückwärtigen Grundstücksbereichen durchgehend keine Hauptgebäude mit Wohnnutzung, sondern lediglich Nebengebäude vorhanden sind. So war es hier: Rückwärtige Hauptgebäude waren nicht vorhanden.

Neuerrichtung und Umnutzung werden gleichbehandelt

Unter diesen Verhältnissen macht es rechtlich keinen Unterschied, ob ein neues Hauptgebäude errichtet wird oder ob ein Nebengebäude in ein eigenständiges Hauptgebäude umgenutzt wird. Dasselbe gilt, wenn durch bauliche Maßnahmen das Hauptgebäude um das bisherige Nebengebäude erweitert wird. In dem entschiedenen Fall sollte mit der Schaffung der Verbindungstür und der Umnutzung der Räume ein Anbau zu dem Hauptgebäude entstehen, der jenseits der Baugrenze lag und deshalb unzulässig war.

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Juni 2021, Az.: 2 M 42/21


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Fall 4: Ein Bebauungsplan mit Abwägungsfehlern

Die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans oder die Änderung eines bestehenden Bebauungsplans ist ein komplizierter Vorgang, bei dem den Gemeinden viel abverlangt wird. Neben der Beachtung der Vorgaben aus dem jeweiligen Gemeinderecht enthält das Bauplanungsrecht das Gebot zur Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts, bevor in die Abwägung eingetreten wird.

Das Ermittlungs- und Bewertungsgebot umfasst alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägung eingestellt werden müssen. Ein Ermittlungsdefizit liegt auch dann vor, wenn abwägungserhebliche Belange in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt worden sind und der Gemeinderat deshalb seiner Abwägungsentscheidung einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Denn eine sachgerechte Einschätzung setzt ein vollständiges und zutreffendes Bild der voraussichtlichen Auswirkungen der Planung voraus.

Wohngruppenhaus ohne Parkplätze

Daran mangelte es in dem vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschiedenen Fall eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Es sollte auf einem schmalen Grundstück ein mehrgeschossiges Haus mit Wohngruppen für Menschen mit Behinderung sowie junge Menschen in Ausbildung gebaut werden. Für das gesamte Vorhaben waren keine Pkw-Stellplätze vorgesehen. Das sei zwar nach dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan zulässig, nicht aber nach der Landesbauordnung, so das Gericht.

Bedenken beiseitegeschoben

Der Bebauungsplan der beklagten Stadt wurde auf Antrag eines Nachbarn für unwirksam erklärt. Denn der dem Gemeinderat vermittelte Sachverhalt und der von diesem bei der Beschlussfassung angenommene Umstand, dass kein erhebliches verkehrliches Problem entstehen werde, sei falsch gewesen.

Zahlreiche private Einwender und Institutionen wie Nachbarn, eine Handwerkskammer und ein Polizeipräsidium hatten wegen der zu erwartenden verkehrlichen Probleme Bedenken geäußert. Diese seien vom Plangeber rechtsfehlerhaft beiseitegeschoben worden, wie das Gericht in seinem Urteil ausführlich und mit deutlichen Worten begründete.

Das Interesse der Nachbarn, von einer Überlastung der ihre Grundstücke erschließenden Straßen und damit verbundenen Beeinträchtigungen ihrer Grundstücksnutzung durch parkende Kraftfahrzeuge und etwaigen Parksuchverkehr verschont zu bleiben, sei im Rahmen der Abwägung nicht beachtet worden. Das habe zur Rechtswidrigkeit des Plans geführt. Der Bebauungsplan, der im Übrigen noch an weiteren Fehlern litt, wurde für unwirksam erklärt.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Juni 2021, Az.: 8 S 1928/19


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Fall 5: Bebauungsplan intransparent ausgelegt und Wohnungszahl falsch beschränkt

Die Rechtsprechung stellt seit jeher strenge Anforderungen an die Einhaltung der gesetzlichen Regelung für die Bekanntmachung eines Bebauungsplans. So musste auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen Bebauungsplan für unwirksam erklären. Dieser litt an zwei unheilbaren Fehlern, sodass die öffentliche Bekanntmachung nach § 10 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) nicht ordnungsgemäß erfolgt war.

Technische Vorschriften müssen zugänglich sein

Problematisch wird die Bekanntmachung besonders dann, wenn es um nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften (zum Beispiel DIN) in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans geht. Diese brauchen zwar nicht vollständig wiedergegeben zu werden, es darf eine Verweisung erfolgen. Ergibt sich aber erst aus dieser Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, muss der Plangeber sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich vom Inhalt der jeweiligen technischen Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können. Das ergibt sich aus § 10 Absatz 3 BauGB und dem Rechtsstaatsprinzip.

Diesen Anforderungen genügt die Gemeinde dann, wenn sie die in Bezug genommene Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereithält und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hinweist. Ebenso genügt ein entsprechender Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung, weil dieser in gleicher Weise wie der Hinweis in der Bebauungsplanurkunde geeignet ist, die Planbetroffenen über die Möglichkeit und den Ort der Einsicht in die technische Vorschrift zu informieren.

In dem entschiedenen Fall hatte die Gemeinde in der textlichen Festsetzung auf die DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“ Bezug genommen, ohne darauf hinzuweisen, wo diese eingesehen werden kann. Eine solche Bekanntgabe genügt nicht den Anforderungen.

Wohnungen im Mischgebiet

Ein weiterer Fehler des Bebauungsplans lag darin, dass er ein Mischgebiet festsetzte und nach einer textlichen Festsetzung gleichzeitig bestimmte, dass „maximal zwei Wohneinheiten je Grundstück“ zulässig seien. Diese zweite Festsetzung war unwirksam, weil sie nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 9 Absatz 1 Nummer 6 BauGB gedeckt war.

Danach kann im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden festgesetzt werden. Die Festsetzung der höchstzulässigen Anzahl kann durch eine absolute Zahl, aber auch durch eine Verhältniszahl erfolgen. Dabei lässt sich mit der Angabe einer absoluten Zahl vor allem das städtebauliche Ziel einer einheitlichen Struktur des Gebiets in Bezug auf die Wohnform (beispielsweise Ein- und Zweifamilienhäuser), mit der Angabe einer relativen Zahl hingegen die Steuerung der Wohn- oder Besiedlungsdichte des Gebiets erreichen.

Wohnungszahl je Grundstück oder je Wohngebäude?

Die vom Gericht überprüfte Regelung genügte den gesetzlichen Anforderungen jedoch nicht. Denn § 9 Absatz 1 Nummer 6 BauGB ermöglicht es nicht, die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in anderen Gebäuden als Wohngebäuden festzusetzen. Da es sich hier aber um ein Mischgebiet handelte, sollte die Festsetzung nach Wunsch der Gemeinde (durch die Angabe „je Grundstück“) aber auch für andere Gebäude gelten.

Ferner lässt die gesetzliche Grundlage keine Begrenzung der Wohnungsanzahl je Baugrundstück zu, sondern lediglich je Wohngebäude. Außerdem war ein spezifischer städtebaulicher Grund nicht genannt. Die von der Gemeinde hierzu angeführte Begründung zeigte die städtebauliche Erforderlichkeit für die Festsetzung eines Mischgebiets auf, nicht hingegen für die weitergehende Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 8. Februar 2022, Az.: 1 N 20.1687


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Fall 6: Ein Diensthund in einem allgemeinen Wohngebiet?

Die Haltung eines Hundes in einem Wohnhaus in einem Wohngebiet ist selbstverständlich zulässig; denn sie gehört zu dem erlaubten Nutzungszweck „Wohnen“. Auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen, die einem solchen Nutzungszweck dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen sind nach § 14 Absatz 1 Satz 1 Baunutzungsverordnung zulässig, sofern die Zulässigkeit im Bebauungsplan nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen ist.

Aber gilt das auch für den Diensthund eines Soldaten und für einen Verweilzwinger? Das bezweifelte ein Grundstücksnachbar und meinte, ein im privaten Umfeld gehaltener Diensthund sei anders zu beurteilen als ein normaler Hund. Das Gericht widersprach dieser Ansicht. Denn der fragliche Hund sei auf dem Grundstück nicht im Dienst, ebenso wenig wie sein Halter selbst; beide verbrächten dort vielmehr ihre Freizeit. Ebenso wenig wie das private Wohnhaus deshalb eine Kaserne oder eine sonstige militärische Nutzung darstelle, weil der Nachbar Soldat sei, sei die private Unterbringung des Hundes eine der Bundeswehr oder seinem Dienst zugeordnete Anlage.

Auch die Ansicht des Nachbarn, bei dem Hundezwinger handele es sich nicht um eine Neben-, sondern um eine Hauptanlage, weil die Haltung eines Diensthundes nicht der Wohnnutzung funktional zugeordnet sei, sei offenkundig falsch. Die außerdienstliche Haltung eines auch im Dienst eingesetzten Hundes sei zweifellos funktionell der Hauptanlage, also hier dem Wohnhaus, zu- und untergeordnet. Der Diensthund werde in seiner Freizeit wie ein sonstiger Familienhund faktisch „Teil der Familie“ des Diensthundeführers. Die gegen die Tierhaltung und den Zwinger erhobene Klage des Nachbarn blieb deshalb in zwei Instanzen erfolglos.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. August 2021, Az.: 2 A 922/21


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Fall 7: Betriebsleiterwohnhaus für einen Gartenbautrieb im Außenbereich?

Kann der Inhaber eines Gartenbaubetriebs beanspruchen, dass er dafür ein Betriebsleiterwohnhaus genehmigt bekommt? Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat diese Frage verneint. Nach § 35 Absatz 1 Nummer 2 Baugesetzbuch ist ein Vorhaben im Außenbereich privilegiert, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient. Dabei reicht es für ein „Dienen“ nicht aus, dass ein Vorhaben nach den Vorstellungen des Betriebsinhabers für seinen Betrieb förderlich ist.

Zwischen förderlich und unentbehrlich

Andererseits kann nicht verlangt werden, dass ein Betriebsleiterwohnhaus für den Betrieb  unentbehrlich ist. Die bloße Förderlichkeit einerseits und die Unentbehrlichkeit andererseits bilden den äußeren Rahmen für das Merkmal des Dienens. Innerhalb dieses Rahmens muss darauf abgestellt werden, ob ein fiktiver„vernünftiger“ Betriebsinhaber auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereichs das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde.

Außenbereich soll grundsätzlich nicht bebaut werden

Dabei ist zugleich der Grundgedanke des § 35 Baugesetzbuch zu beachten, wonach der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll. Diese Grundsätze gelten für einen Gartenbaubetrieb in gleicher Weise wie für einen landwirtschaftlichen Betrieb, die Prüfung kann aber im jeweiligen Einzelfall zu einem anderen Ergebnis führen.

Containerbaumschule mit hohem Pflegeaufwand

Nach den beschriebenen Maßstäben entschied das Gericht, dass das Wohnhaus dem (erst projektierten) Gartenbaubetrieb, einer Containerbaumschule, nicht „dient“. Zwar berief sich der Bauherr darauf, dass eine Containerbaumschule (Aufzucht in Behältnissen) die intensivste Form einer Baumschule mit hohem Arbeits- und Pflegeaufwand sei und einen deutlich höheren Arbeits- und Pflegeaufwand als die Aufzucht von Gehölzen im gewachsenen Boden verlange. Außerdem sei die Containeraufzucht im Freien, anders als die Aufzucht „unter Glas“, abhängig von Witterungseinflüssen und bringe daher keinen gleichmäßigen und geregelten Arbeitseinsatz mit sich. Pflege und insbesondere Bewässerung der Pflanzen könnten nicht sich selbst überlassen werden.

Kein Vergleich zu Landwirtschaft

Das Gericht konnte aber nicht davon überzeugt werden, dass dafür ein „Wohn- und Geschäftshaus“ auf den Grundmaßen von (rund) 12 Meter mal 26,5 Meter, wie es beantragt war, sachlich geboten sei. Neben der Dimension des Vorhabens spreche dagegen, dass die Notwendigkeit einer dauerhaften Anwesenheit eines Betriebsleiters angesichts der in der Betriebsbeschreibung angegebenen Betriebszeit (werktags von 8 bis 16 Uhr) fraglich erscheine.

Auch seien Wirtschaftsweise und Betriebsabläufe eines Gartenbaubetriebs, anders als im Falle eines bäuerlichen Vollerwerbsbetriebs mit seiner Hofstelle im Außenbereich als Mittelpunkt eines flächenmäßig ausgedehnten Betriebs, infolge der kleineren Betriebsfläche und einer geringeren Vielfalt unterschiedlicher Produkte und Produktionsverfahren eher einteilbar und ermöglichten somit regelmäßig einen gleichmäßigeren und geregelteren Arbeitseinsatz.

Die Arbeit im gartenbaulichen Betrieb sei nicht mit den Erschwernissen vergleichbar, die die Bodenbearbeitung im großflächigeren und diversifizierteren Agrarbetrieb mit sich bringt. Ein Wohnhaus in unmittelbarer Nähe der Containerbaumschule sei nicht erforderlich.

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 5. Juli 2021, Az.: 2 A 123/20


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Fall 8: Betriebsleiterwohnhaus für Autohaus im Gewerbegebiet?

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte darüber zu entscheiden, ob eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses in einem Gewerbegebiet zu erteilen war. Die Klägerin besaß bereits ein an der Straße errichtetes Wohnhaus mit drei Wohnungen und Garagen. Auf der anderen Straßenseite betrieben sie und ihre beiden Söhne ein Autohaus, im rückwärtigen Teil des Grundstücks sollte das Haus errichtet werden. Die Wohnung sollte vom Betriebsleiter bezogen werden, der auch eine betriebliche Tätigkeit übernehme, die bedingt durch einen 24-Stunden-Notdienst einen schnellstmöglichen Zugriff auf die Werkstatt notwendig mache.

Funktionale Zuordnung der Wohnung zum Betrieb?

Das Gericht bestätigte die Ablehnung des Bauantrages durch das Bauamt. Allgemeines Wohnen sei in einem Gewerbegebiet grundsätzlich nicht zulässig. Auch eine ausnahmsweise Zulassung – die vom Bebauungsplan ausgeschlossen werden kann, hier aber nicht ausgeschlossen war – könne nicht erfolgen.

Nach § 8 Absatz 3 Nummer 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) können in einem Gewerbegebiet ausnahmsweise Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter zugelassen werden, soweit sie dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind.

Die von der Bestimmung vorausgesetzte funktionale Zuordnung der Wohnung zum Betrieb besteht, soweit die Person wegen der Art des Betriebes oder zur Wartung von Betriebseinrichtungen oder aus Sicherheitsgründen ständig erreichbar sein muss. Zwar muss der Betrieb die ständige Einsatzbereitschaft nicht zwingend erfordern; aber das Wohnen auf oder nahe dem Betriebsgrundstück muss mit Rücksicht auf Art und Größe des Betriebes aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll sein. Das hatte das Bauamt zurecht verneint.

Genug Wohnraum gegenüber vorhanden

Das Bauamt hatte seine Ablehnungsentscheidung damit begründet, dass der geltend gemachte Bedarf durch die vorhandenen Wohnmöglichkeiten gedeckt werde. Das in unmittelbarer Betriebsnähe vorhandene Wohnhaus der Klägerin weise drei Wohnungen auf, die von der Klägerin und ihren Söhnen auch nach Größe und Zuschnitt jeweils zum Wohnen genutzt würden beziehungsweise werden könnten. Eine anderweitige Vermietung stehe dem nicht entgegen.

Der vorhandene Wohnraum war auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als angemessen einzustufen. Zur näheren Eingrenzung der Angemessenheit hat es die Aspekte herangezogen, die von der Rechtsprechung im Rahmen einer Genehmigung der Erweiterung eines im Außenbereich errichteten Wohngebäudes (§ 35 Absatz 4 Satz 1 Nummer 5 b) Baugesetzbuch) für die Beurteilung der Angemessenheit von Wohnraum Bedeutung haben.

Maßgeblich sei insofern eine objektive Bewertung der jeweiligen familiären Wohnbedürfnisse, die aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu bestimmen seien. Dabei könnten die Zahlen, die nach § 39 des zum 1. Januar 2002 außer Kraft getretenen II. Wohnungsbaugesetzes für förderungswürdige Bauten gegolten haben, weiterhin Anhaltspunkte für die Angemessenheit im Sinne einer Orientierungshilfe liefern.

Das Gericht rechnete der Klägerin vor, dass sich angesichts der Gesamtgröße des Hauses und der Gesamtwohlfläche von 281,78 m² keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass das Gebäude nicht auf die drei Haushalte so aufgeteilt werden könne, dass jeder Haushalt eine seiner Personenzahl entsprechende Größe hat.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Juli 2021, Az.: 5 K 10328/17


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Fall 9: Wohnen im Schleusenwärterhaus im Außenbereich?

Kann davon ausgegangen werden, dass ein vor langer Zeit im Außenbereich errichtetes Gebäude legal zu Wohnzwecken genutzt worden ist? Diese Frage musste das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht beantworten. Ein Kläger hatte 2017 ein neben einer Schleuse im Außenbereich gelegenes Grundstück nebst Doppelhaus erworben; Genehmigungen dafür lagen nicht vor. Das Doppelhaus war 1948 errichtet worden und hatte bis 1988 als Dienstunterkunft für Schleusenwärter gedient; danach diente es allgemeinen Wohnzwecken. Der Kläger führte Baumaßnahmen durch, um das Gebäude weiterhin als Wohnung zu nutzen. Die Bauaufsichtsbehörde untersagte dies und forderte ihn zur Beseitigung des Gebäudes auf, da es illegal sei.

Rechtsmittel gegen die Verfügungen der Behörde blieben erfolglos. Das Gericht ging davon aus, dass das Gebäude zu keiner Zeit als Wohnhaus ohne Zweckbindung und Privilegierung legal war: Im Außenbereich nicht privilegierte Vorhaben können nur unter engen, in § 35 Absatz 4 Satz 1 Nummern 1 bis 6 Baugesetzbuch genannten Voraussetzungen zulässig sein. Dabei setzen bis auf die Nummer 4 alle Alternativen voraus, dass ein „zulässigerweise errichtetes“ Gebäude existiert, das unter den gesetzlichen Voraussetzungen erweitert oder sogar ersetzt werden kann. Ob ein Gebäude in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit dem Baurecht errichtet worden ist, ist oftmals schwer nachzuprüfen, da auf das seinerzeit geltende Baurecht abzustellen ist.

War 1948 ein allgemeines Wohnhaus im Außenbereich zulässig?

Das Gericht führte aus, schon nach § 3 Bauregelungsverordnung (BauRegVO) von 1936 sei die Zulässigkeit von Bauvorhaben im Außenbereich erheblich eingeschränkt gewesen. Nach § 3 Absatz 1 BauRegVO sollte für bauliche Anlagen, die außerhalb von Baugebieten oder, soweit solche nicht ausgewiesen sind, außerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ausgeführt werden sollen, die baupolizeiliche Genehmigung versagt werden, wenn ihre Ausführung der geordneten Entwicklung des Gemeindegebiets oder einer ordnungsgemäßen Bebauung zuwiderlaufen würde.

Ein generelles Bauverbot war hiermit zwar nicht verbunden, erforderlich war indes, dass es sich um Bauten handelte, die durch das Wesen der Landschaft erfordert waren oder sich doch der Eigenart der Landschaft anpassten. Auf dieser Grundlage war in den Jahren 1948/49 der Bau eines Schleusenwärterwohnhauses im Außenbereich in direkter Lage zur Schleuse nach § 3 BauRegVO genehmigungsfähig, weil es seinerzeit notwendig war, dass zur Regelung des Schleusenbetriebs das Schleusenwärterpersonal dauerhaft anwesend war.

Ein Wohnhaus zu allgemeinen Wohnzwecken war dagegen weder durch das Wesen der Landschaft erfordert noch der Eigenart der Landschaft angepasst. Auch konnte nicht davon ausgegangen werden, dass ein allgemeines Wohnhaus jemals im Wege einer Befreiung genehmigt worden war, da ein objektiver Grund, der die Errichtung eines allgemeinen Wohnhauses im Außenbereich an einer Schleuse notwendig gemacht hätte, nicht zu erkennen war. Ein zum allgemeinen Wohnen vorgesehenes Gebäude sei, so das Gericht, bereits 1948 nach der damals geltenden Rechtslage und auch seither nicht genehmigungsfrei zulässig gewesen.

Kein Zeugniswert erkennbar

Das Gericht erklärte ergänzend, dass auch aus der langdauernden Nutzung zu Wohnzwecken nicht gefolgert werden könne, dass diese rechtmäßig gewesen sei. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, das Gebäude sei ein das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäudes und das Vorhaben diene einer zweckmäßigen Verwendung des Gebäudes und der Erhaltung des Gestaltwerts (§ 35 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4 Baugesetzbuch). Das Haus mache den Eindruck eines gewöhnlichen Wohnhauses und habe auch keinen Zeugniswert für die Lebensverhältnisse von Schleusenwärtern in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Selbst wenn die Nähe zur Schleuse einen solchen Bezug herstellen könne, sei dies nicht ausreichend, denn eine allein historische Bedeutung reiche nicht, wenn diese im Gebäude keinen Niederschlag gefunden habe.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2021, Az.: 1 LA 91/20


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Fall 10: Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Außenbereich

Ist ein Vorhaben im Außenbereich nicht privilegiert, ist es bauplanungsrechtlich unzulässig, wenn es öffentliche Belange beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange ist nach § 35 Absatz 3 Satz 3 Nummer 5 Baugesetzbuch unter anderem dann in der Regel anzunehmen, wenn das Vorhaben Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet.

Die Hürden hierfür sind nicht hoch, wie zwei Entscheidungen des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gezeigt haben.

Zaun reicht als Beeinträchtigung

Im ersten Fall ging es um einen ohne Genehmigung errichteten Knotengeflechtzaun, für den keinerlei privilegierende Rechtfertigung vorlag und der Gegenstand einer Ordnungsverfügung war. Das Verwaltungsgericht wies die gegen die Verfügung zur Entfernung des Zauns gerichtete Klage ab, weil öffentliche Belange beeinträchtigt seien. Hierbei ließ das Gericht ausreichen, dass mit dem Zaun ein Teil des Grundstücks aus der freien Landschaft „ausgegrenzt“ und ein befriedeter Bezirk geschaffen werde.

Der Außenbereich solle aber – auch wegen des Erholungswertes der Landschaft für die Allgemeinheit – möglichst von jeglicher Bebauung und deren Auswirkungen freigehalten werden. Zudem werde durch den Knotengeflechtzaun ein Wildwechsel – bis auf sehr kleine Wildtiere – beinahe vollständig verhindert und dadurch in den Naturhaushalt eingegriffen.

Naturgegebene Bodennutzung

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass der Schutz der natürlichen Eigenart der Landschaft den Zweck verfolgt, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung für die Allgemeinheit zu erhalten und dieser Zweck durch das in dem Verfahren streitige Wohnbauvorhaben im Außenbereich beeinträchtigt werde.

Die Landschaft werde schon dann beeinträchtigt, wenn durch das Vorhaben die Fläche der naturgegebenen Bodennutzung entzogen werde. Außenbereichsvorhaben mit anderer als land- oder forstwirtschaftlicher Bestimmung seien deshalb im Regelfall unzulässig.

Nur wenige Ausnahmen

Eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft kommt bei baulichen Außenbereichsanlagen nur dann nicht in Betracht, wenn sich das betroffene Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die naturgegebene – also insbesondere landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche – Bodennutzung noch für Erholungszwecke eigne oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe vollständig eingebüßt habe.

Mit dem geplanten Wohnbauvorhaben werde aber die bisher auf dem Baugrundstück noch vorhandene, naturgegebene Bodennutzung als Grünfläche mit einer Streuobstbepflanzung durch eine dem Außenbereich wesensfremde Bebauung mit einem Wohngebäude verdrängt. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit nicht mehr für diese naturgegebene Bodennutzung eigne oder seine Schutzwürdigkeit eingebüßt habe, gebe es nicht.

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2021, Az.: 2 B 29/21
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 8. Februar 2022, Az.: 15 ZB 21.2602


15 weitere Streitfälle, zum Beispiel zu diesen Fragen:Was ist baurechtlich eine Baulücke, ein Doppelhaus oder eine Tankstelle? Gelten Elterntaxis als Kinderlärm? Und was ist, wenn eine Scheune verdächtig wohnlich aussieht?

Einen allgemeinen Überblick zum Bauplanungsrecht und zu Ausnahmen, Befreiungen und Abweichungen von Bebauungsplänen gibt Hubertus Schulte Beerbühl ebenfalls auf DABonline.

Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster a.D., freier Dozent für Baurecht und Autor und Mitherausgeber verschiedener Lehrbücher wie „Öffentliches Baunachbarrecht“, „Baurecht NRW“ und des „StichwortKommentars Nachbarrecht“.

 

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