Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wir wollen einen echten Befreiungsschlag wagen!“ im Deutschen Architektenblatt 12.2022 erschienen.
Interview: Brigitte Schultz
Frau Gebhard, wenn man in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden je ein Gebäude gleicher Nutzung plant, hat man völlig unterschiedliche Regeln zu erfüllen – zum Beispiel in Bezug auf Deckendicken oder Wandstärken. Warum ist das so?
Das hat sich historisch so entwickelt. Bei uns ist die Normung extrem wichtig geworden, die DIN-Normen sind wie Gesetze. Aber sie sind eigentlich keine. Es sind Normen, die über die Gesetze hinaus beachtet werden müssen, weil sie zu den „anerkannten Regeln der Technik“ gehören. Und das ist ein Problem.
Weshalb?
Weil diese zusätzlichen Regeln der Technik immer weiter ausdifferenziert werden. Man hat das Gefühl, sobald jemanden dieses oder jenes stört, gibt es wieder eine neue DIN-Norm. Wie beispielsweise die, dass die Türen in Deutschland automatisch zufallen müssen. Natürlich reagieren neue Normen auch auf Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer, aber es sind eben auch Ideen der Bauindustrie. Auf diese Weise haben wir inzwischen 3.700 Normen, die mal mehr, mal weniger sinnvoll sind und sich teilweise sogar widersprechen. Und wenn am Ende nur eine davon nicht erfüllt ist und jemand klagt, werden wir als Architekten in die Haftung genommen.
Kann man all diese Regeln noch im Kopf haben beim Entwerfen und Planen?
Nein, das ist ausgeschlossen. Deshalb sind wir von der BAK auch der Meinung, dass sich da was tun muss.
Geht es nicht auch um Komfort?
Komfort ist ja eine sehr relative Empfindung. Das sieht man schon allein daran, dass das Wohnen in Altbauten enorm beliebt ist. Und falls diese nicht komplett umgebaut wurden, fehlen da ganz viele dieser Dinge. Ich habe bisher immer in Altbauten gelebt, derzeit wohnen wir in einem Bau von 1926. Natürlich hört man da, wenn jemand über einem läuft. Aber die Frage ist, ob das so unerträglich ist, dass man den Trittschall so extrem entwickeln muss, wie es in Deutschland der Fall ist. Oder ob man nicht auch einfach sagen kann: Dann hört man halt ein bisschen was.
Verteuern die vielen Normen den Bau auch?
Natürlich. Allein die Deckenstärken bedeuten wesentlich mehr Material, wesentlich mehr Aufwand. Oder künstliche Lüftung … Und in der Ausführungsplanung muss ich sie auch mit einpreisen. Wir brauchen eine Rückkehr dahin, dass einfaches Bauen wieder möglich wird.
Aber wer nicht verklagt werden will, muss die Regeln einhalten, selbst wenn sie oder er sie als überflüssig ansieht. Wie kommen wir aus der Nummer wieder raus?
Unser Vorschlag, der auf der Bundeskammerversammlung beschlossen wurde, ist eine radikale Entschlackungskur. Also nicht eine Norm hier rauszunehmen und eine dort, sondern einen echten Befreiungsschlag zu wagen. Wir haben dafür die Idee eines neuen Gebäudetyps E entwickelt – E wie Experiment oder Einfach. Wenn man nach diesem Gebäudetyp E baut, bleiben die grundsätzlichen Schutzziele der Bauordnungen – also Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz – unantastbar. Aber alles andere kann dann zwischen Bauherrn und Architektin entwickelt und vertraglich vereinbart werden.
Das heißt, Sie wollen die Reißleine ziehen?
Ja. Wir wollen als Kammer nicht immer nur Schlechtes verhindern, sondern auch neue Herangehensweisen voranbringen. Gerade in der derzeitigen Situation: Die Energiepreise steigen, die Baupreise steigen, gleichzeitig sollen und wollen wir schnell gut bauen. Schnell und gut heißt aber, dass ich mir als Architektin etwas überlegen muss. Wir brauchen flexible, gute Grundrisse, flexible, gute Außenanlagen … Da muss es um Kreativität gehen und nicht nur um die Einhaltung von Normen.
Sie sagen ganz klar, dass das auch eine Möglichkeit ist, günstiger zu werden ….
Und innovativer! Ein Gebäudetyp E gibt dem Innovativen wirklich Raum. Das ist auch meine Argumentation gegenüber den Ministerien und den Abgeordneten: Es geht darum, im Einvernehmen mit den Bauherren Innovation zu ermöglichen und neue Ideen zu entwickeln, ohne dass x Normen geändert werden müssen. Sonst würden wir das nie durchkriegen.
Um es zusammenzufassen: Wer weiterhin mit allen Normen und Regeln der Technik, die dazugekommen sind, bauen möchte, kann das gerne machen. Aber man hätte die Möglichkeit, zu sagen: Ich beziehe mich hier auf Gebäudetyp E und ich mache mit meinem Bauherrn etwas anderes aus?
Genau.
Müsste man dazu das Bürgerliche Gesetzbuch ändern?
Ja. Deshalb habe ich zusammen mit der Bundesingenieurkammer einen Brief an Justizminister Marco Buschmann geschrieben, mit der Bitte, das BGB zu ändern. Ein Werk sollte bei Vereinbarung des Gebäudetyps E mängelfrei sein, wenn es – neben der selbstverständlichen Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Schutzziele – den vertraglichen Anforderungen entspricht. Dann könnte einfach und rechtssicher vereinbart werden, dass es nicht per se ein Mangel ist, wenn nicht alle Normen erfüllt sind.
Dürfen bestimmte technische Baubestimmungen nicht mehr zur Anwendung kommen, wenn ich nach Gebäudetyp E baue? Oder kann ich trotzdem anwenden, was ich will?
Ich kann vereinbaren, was ich anwenden will. Wir stellen uns das derzeit so vor, dass die Architekten den Bauherren vorschlagen, was für ihr konkretes Gebäude am meisten Sinn gibt. Das wird bei einem Seniorenheim anders aussehen als bei einer Jugendherberge.
Soll diese Möglichkeit der Entschlackung für alle Bauherren gelten?
Erst mal nicht. Unser Vorschlag ist, es zunächst den erfahrenen Bauherren zu ermöglichen, also öffentlichen Bauherren und großen Wohnungsbaugesellschaften, und die Idee dann weiterzuentwickeln.
Hat es irgendwelche Nachteile für die Bauherren oder die Gebäude, wenn man nach Gebäudetyp E baut?
Das kommt darauf an, was das Ziel sein soll. Wenn ein Bauherr das Haus als den teuersten Wohnungsbau der Welt weiterverkaufen will, ist der Gebäudetyp E vermutlich nicht das Richtige. Wenn er sagt, er will einen einfachen Standard haben, um zu vermieten, ist es wunderbar.
Wahrscheinlich müsste der Standard noch nicht einmal unbedingt niedriger sein, oder? Es könnte auch irgendetwas Experimentelles sein.
Absolut. Der Grundgedanke kommt ja aus der Innovation. Die wird durch die ganzen Normen blockiert.
Viele Leserinnen und Leser würden sicher gerne gleich loslegen mit dem normenreduzierten Bauen nach Gebäudetyp E. Wie schnell rechnen Sie mit dem Erfolg Ihrer Initiative?
Das kann ich schlecht voraussagen. Jetzt müssen wir es erst einmal hinkriegen, dass das BGB geändert wird. Ich bin derzeit im Gespräch mit Bundestagsabgeordneten und den Ministerien, um ihnen die Initiative zu erklären. Wir wollen damit so schnell wie möglich ganz praktisch weiterkommen! In der Krisensituation, in der wir gerade sind, haben wir gesehen, dass Dinge auch von heute auf morgen möglich sein können. Vielleicht kommen wir auch in den Genuss.
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Eine Loslösung von Juristerei, Übertreibung und Widerspruch – wunderbar! Das Etablieren von einfachem Standard von „erfahrenen Bauherren“ für günstige Mietwohnungen, ohne Standards einhalten zu müssen – schwierig! Es kommt mir so vor, als kämen hier Forderungen zusammen, die sowohl für und gegen „gutes“ Bauen ausgelegt werden können. (PUNKT)
Mir fällt dazu aber auch noch ein, dass meines Wissens viele Normen gesetzlich nicht bindend sind, sondern häufiger als Homogenisierungen von Gesetzen Richtlinien darstellen, die meistens Berechtigung haben.
Bauherren von Mietwohnungen, egal mit welchem Erfahrungsschatz, neigen generell dazu, die ökonomische Qualität des Baus über die eigentliche Bauqualität zu stellen – ob da die Loslösung von Richtlinien zum Ziel führt?
Manchmal fühlen sich Fußballspieler in ihrer künstlerischen Freiheit beschränkt und donnern den Ball (Fußballkultur) in den eigenen Kasten. Hauptsache das Runde ist im Eckigen. Das nennt man dann Eigentor.
Die bayerische Architektenschaft bemüht sich, diesem Ansinnen im Sinne der Baukultur zu folgen und schlägt mit vehementen Diskussionen und emotionalen Vorträgen den neuen Gebäudetyp E vor. Abseits aller bösen und einengenden Richtlinien möchte man sich – weitgehend von gesetzlichen und sonstige Regelungen entblößt – luftig und frei fühlen, ohne beschränkenden Zwänge wippt die Baukultur im unendlichen Raum auf der Suche nach Kunst und niedrigeren Baukosten. Dies alles sollen gewerbliche Bauherrn vor Gott und ihren Geldgebern mitmachen und vertreten, da sie ja die selben Interessen haben wie die Architektenschaft. Oder etwa doch nicht?
Umfassend ist der Aufwand dem sich der experimentierfreudige Kollege*in aussetzt. Um dem Bauherrn darzustellen welche Abweichungen der nach Baukunst und Kosteneinsparung strebende von Gesetz, Normen und Richtlinien plant, müsste er diesem zunächst die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik erläutern, die ihr für so überzogen hält, um dann nach Darstellung der Abweichung mit einer eingehenden Risikoanalyse seinen Bauherren zu einer völlig innovativen und kostengünstigen Lösung führen zu können.
Interessant wird sicher auch der Schriftverkehr mit der Haftpflicht-Versicherung, der mann die oben genannten Erläuterungen nochmals darlegen darf, um Versicherungsschutz zum Erhalt der eigenen Existenz für bewusste Abweichungen von allen aaRdT zu bekommen. Für Konfliktfälle schlägt die E-Task-Force vorsichtshalber eine Öffnungsklausel auf Ebene des BGB vor. Denn es kann ja nicht sein dass solch nachhaltige Experimente auf dem finanziellen Rücken des Architekten durchgeführt werden. Der möge zwar verpflichtend (!) den Prozess des experimentellen Bauens begleiten, dürfte sich aber aus Schieflagen durch eine noch in die Mauern des Gesetzes zu brechende Hintertür des BGB verabschieden. Welcher Bauherr sollte sich das antun? Wer hat zu viel Zeit und Geduld und insbesondere die technische Kompetenz, Abweichungen gegen Schallschutznormen, Wärmeschutznormen oder sonstige bisher nicht genannte Richtlinien abzunicken und im Namen seiner Geldgeber das Risiko auf sich zu nehmen? Tut dies ein ehrenamtlicher Vorstand einer kleinen Baugenossenschaft? Oder jemand auf Sachbearbeiter – Ebene für seinen Vorstand?
Wie soll ein alternativer Wärmeschutz nachgewiesen werden, wie in einen Förderantrag bei der BEG eingebracht werden (na gut, das hat sich inzwischen fast von selbst erledigt)? Wie soll ein schlechterer Schallschutz begründet werden? In der Leidensfähigkeit des Mieters, deutsche Schlager und Weihnachtslieder des Nachbarn zu ertragen?
Dass man bei den Überlegungen andere am Bau Beteiligte wie z.B. Statiker, Projektanten der technischen Gewerke, Handwerker oder Energieversorger großzügig übergeht, zeigt, wie kurz hier gesprungen wird.
Die Geschichte wird zeigen, für wie viele ruhmreiche Bauherren – Architektenpaarungen dieser Ritt gegen Windmühlen geführt wird. Der normale gewerbliche Bauherr ist selbstverständlich interessiert an Kosten, insbesondere daran, diese wo möglich zu vermeiden. Dies alles bedarf eingehender Beratung und Kosten- Kompetenz seitens der Architekten, damit das Geld im Sinne der beabsichtigten Wirkung eingesetzt wird. Dünnhäutige Putz – Systeme auf Styropor werden durch einen Gebäudetyp E jedenfalls nicht verhindert.
Die Bauordnungen bieten für Abweichungen ausreichende Möglichkeiten. Dass die Überprüfung einer Abweichung im Rahmen eines ZiE-Verfahrens auch mal Geld kostet, dient letztlich auch der Absicherung der planenden Zunft. Auch Lösungen außerhalb der (privatrechtlichen) Normen lassen sich bereits jetzt vertraglich vereinbaren. Wozu also der Aufstand?
Der Vorschlag von Teilen der Architektenschaft, Regeln des BGB, der Bauordnung oder der Normen pauschal außer Kraft zu setzen lässt sicher den einen oder anderen gewerblichen Bauherrn nicht nur an der Kompetenz der Architekten zweifeln sondern auch daran denken, deren Beteiligung nach (z.B.) Bayer. Bauordnung Art. 61 (2) als einengenden Kostenfaktor zu sehen. Das wäre dann allerdings ein klassisches Eigentor! Beenden wir den Unsinn, so schnell es geht!
Nehmen wir den einfachen Balkon, den wir in Stahlkonstruktion und einfachster Bauweise nachträglich angebaut an viele Altbauten finden. Punktuell an das Gebäude angebunden, als Belag ein einfaches verzinktes Riffelblech. Entwässert über die Kanten dieser einfachen Konstruktion. Funktioniert und ist wirtschaftlich hergestellt. Widerspricht aber einem Dutzend Normen, insbesondere der DIN 4109 / Schallschutz. Im Alltag werden wir doch von den Stimmen der Balkon-Nutzer mehr gestört als über einen Tritschall, der sich über die nicht schallentkoppelte Anbidnung an den Rohbau ggf. in ein nicht zum Balkon orientiertes Schlafzimmer übertragen könnte ….
Oder wir nehmen die Brandschutztür, die im Keller ordentlichst in einer Betonwand sitzt, aber das Schließgeräusch lt. DIN 4109 zu laut ist in der EG-Wohnung (Tür ist technische Anlage). Selbst wenn man die Tür langsamst mit der Hand manuell schließt. Ratlosigkeit. Der Nachweis über die VDI 4100 gelingt dann, weil die beiden Regelwerke den gleichen Lärm unterschiedlich verrechnen. Einmal regelkonform – einmal nicht.
Es ist daher nur naheliegend, dass wir uns als verantwortungsvolle Planer gegen diese Willkür der Normierung wehren. Nicht pauschal alles in Zweifel ziehend, sondern sehr exakt den Bauherren beratend. Das ist kein Eigentor, sondern der Wunsch, die 10 normierten Schichten eines Anschlussdetails deutlich zu reduzieren. Hier sind die Forschungsprojekte des Kollegen Nagler in Bad Aibling ein schönes Beispiel. Sie zeigen verantwortungsvoll den Weg in die richtige Richtung und sind beileibe gut herausgespielte Tore – keine Eigentore.
Was wir t.w. veranstalten um MFHs auf ein KFW Niveau zu bringen ist Irrsinn. Beispiel – um eine Wärmebrücke an Laubengängen eines Hochhauses zu reduzieren durch den Einbau von 3 cm Miwo – werden 500.000 € ausgegeben. Das Gebäude packt so den maximalen WB-Zuschlag – ob sich die Maßnahme im Energieverbrauch bemerkbar macht ?
„Eine Flut von Normen, die sich zum Teil gegenseitig widersprechen!“
Aber stimmt das? Gefühlt ja!
Es kursieren die unterschiedlichsten Zahlen:
– 24.000 als eine erste, irrtümliche Aussage des Bauministeriums in 2014, die auch heute immer wieder noch zu finden ist,
– 3.700 von BAK-Präsidentin Gebhard genannt und
– 2.400 Normdokumenten im Zusammenhang mit dem Bericht der Baukostensenkungskommission, lange Zeit als gesichert angesehen.
In der aktuellsten Untersuchung des für Bauen zuständigen BMI 2020/2021 kamen ca. 500 relevante Normen für den Wohnungsbau zusammen. Diese Zahl erscheint durchaus plausibel. In über 10-jähriger Existenz und Pflege des Normenportals Architektur hat sich dessen Umfang ungefähr auf die gleiche Anzahl eingepegelt. Zudem zeigt sich, dass ein sehr großer Teil der DIN-Normen die Qualität von Bauprodukten bzw. Bauweisen sichert, die Zahl der DIN-Normen, die als Planungsnormen wirken, dagegen durchaus überschaubar ist.
Wer sind die „Schuldigen“, die sich widersprechen bzw. von denen man sich befreien möchte? Sind es
– DIN-, EN- und ISO-Normen – VDI- und VDE-Richtlinien usw. nicht zu vergessen?
– landesrechtliche Regelungen, wie LBO, VVTB und deren Durchführungsverordnungen (Stellplatz-/GaragenVO, VersammlungsstättenVO, Hochhausrichtlinie usw.) – im übrigen 16-mal anders?
– bundesrechtliche Regelungen, wie BauGB, BauNVO, VOB oder diejenigen des Arbeitsschutz-, Energie- und Umweltschutzrechtes?
– unzählige Verbandsregeln, beispielsweise des TÜV, der Versicherungen, Handwerks- und gesellschaftlich orientierten Verbänden, wie ZVDH oder NABU?
– europäische Richtlinien und Verordnungen?
– gesellschaftlich relevante Themen, wie Klimawandel, Inklusion, Nachhaltigkeit, Circular Economy, BIM und KI, die alle europäisch ausgestaltet werden?
Entsteht der Eindruck der Normenflut und der vermehrten Widersprüche nicht vielmehr aus der Gesamtlage der Regelungsdichte?
DIN-Normen sind lediglich ein Knoten im großen Netz. Sie fallen auch nicht einfach vom Himmel oder werden von der „Bauindustrie“ aufgezwungen, sondern sind das Ergebnis eines aufwendigen – ja oft auch kontroversen und nervigen – Diskurses, aber immer mit dem Ziel eines Konsenses. Sie entstehen in einem für jeden zugänglichen, alle interessierten Kreise umfassenden Verfahren. Leider beteiligen sich nur wenige Architekt:innen an der Normung!
DIN-Normen müssen nach DIN- und CEN-Satzung untereinander widerspruchsfrei sein und entsprechen in aller Regel den a.R.d.T.. Sie sind in ihrer Anwendung zunächst erst einmal freiwillig und erhalten gesetzliche Verbindlichkeit, wenn sie im Auftrag der Europäische Kommission, Bund und Länder staatliche Regeln untersetzen. Bei aller Schelte: DIN-Normen erleichtern im überwiegenden Maße die Arbeit!
Die Fälle, in denen Unausgewogenheit in DIN-Normen feststellbar ist oder man sich wünscht, dass man von diesen Normen befreit wäre, stehen oftmals in einem starken Interessenkonflikt. Meist geht es nicht um die gesamte Norm, sondern um Teile, was die Sache nicht einfacher macht, wenn man sich daraus „befreien“ will. Es kollidieren die Ansprüche von Seiten der Behörden, Wissenschaft, Sachverständigen , Hersteller, Bau-, Immobilienwirtschaft, Planenden und Ausführenden usw. oder des Umweltschutzes, der Sicherheit (Versicherungen, Feuerwehr und Polizei) des Verbraucherschutzes oder aus gesellschaftlicher Sicht. Bestes Beispiel ist der Schallschutz und die unterschiedlichen, häufig sehr individuellen Erwartungen daran. Auch im Altbau wird das von den Nutzern sehr unterschiedlich gesehen bzw. empfunden. Mit dem Gebäudetyp E lassen sich diese Konflikte nicht auflösen. Sie müssen einem gesellschaftlichen Konsens zugeführt werden. Es bedarf daher einer weitreichenden Diskussion „Was müssen wir uns leisten, was wollen und können wir uns leisten?“ Alles geht jedenfalls nicht, dass zeigt die aktuelle Diskussion zu LNG-Terminals im Wattenmeer.
Widersprüche – in meinen Augen treffender Zielkonflikte – machen sich immer dann bemerkbar, wenn die gesammelten landes- und bundesrechtlichen Anforderungen an das Bauen, die divergierenden Wünsche und Erwartungen der Auftraggebenden und Nutzer, z.B. zu Komfort und Kosten, sowie die weiterer Baubeteiligten zueinander zu bringen sind. Abweichungen von Regeln kommen daher regelmäßig vor. Hier ist eine sehr aktive, technisch versierte und detaillierte Kommunikation und Dokumentation aller Beteiligten im Planungs- und Bauprozess gefragt. BIM und KI können vielleicht zukünftig unterstützen. Gebäudetyp E mit der Ergänzung im BGB würde den Aufwand nicht verringern.
Vor allen Dingen gilt es in der Rechtssetzung der Länder, des Bundes und in Europa Grenzen zu finden – Stichwort „Bürokratieabbau“, aber auch Abwägung von Kosten und Nutzen. Ist es wirklich ein „echter Befreiungsschlag“ , indem man alten Regeln eine neue Regel hinzufügt, die aller Erfahrung nach weiteres Regelwerk schafft und ein Spielfeld für neue juristische Kommentare bietet?
Der Begriff „Gebäudetyp E“ ist klug gewählt, um auf das hochkomplexe Themengebiet der Bauregeln erneut mehr Aufmerksamkeit zu lenken. Mein Wünsche wären, dass:
1. nicht nur vereinzelte Mitstreiter aus der Architektenschaft haupt- wie ehrenamtlich in der Normung aktiv sind, sondern sich Architektinnen und Architekten wenigstens einmal im Berufsleben in einem Normungsverfahren engagieren. So wäre ein großer Schritt getan, der neben dem eigenen Erkenntnisgewinn auch den Vorteil bringt, dass die Erfahrungen der Berufspraxis regelmäßig Eingang in DIN-Normen finden.
2. mit der Initiative „Gebäudetyp E“ die weitreichenden Erkenntnisse und Umsetzungsvorschläge aus dem Bericht der Baukostensenkungskommission 2015 (Zukunft Bau: Baukostensenkungskommission) und der Deutschen Normungsroadmap Bauwerke 2017 (Deutsche Normungsroadmap Bauwerke (din.de) ) auch von der neuen Bundesregierung vorangetrieben würden.
Werte Frau Schlesinger –
Leider beteiligen sich nur wenige Architekt:innen an der Normung!
Warum wohl ?
Wer kann sich das in der Architektenschaft wirtschaftlich erlauben ? Die Industrie stellt jemanden ab. Heisst ja nicht umsonst Deutsche Industrie Norm und ist meist der kleinste gemeinsame Nenner.
Wie sollten die zeitlichen Ränkespiele von einem Architekten bewältigt werden ? Woher die Ressourcen nehmen.
Ein Normausschuss ist ein Lobbygremium.
Warum wird hier eigentlich immer nur über DIN-Normen diskutiert? Natürlich machen Normen mit praxisfernen Ansprüchen das Bauen teuer … aber gilt das nicht in noch größerem Maße für praxisferne und widersprüchliche behördliche Bauvorschriften?
Wenn man sich nur mal vor Augen hält, dass man als Bauherr/in bzw. beauftragte/r Architekt/in z. B. gemäß Bauordnung Berlin eigentlich verpflichtet ist, beim Neubau von Wohnungen einen Anteil barrierefrei herzustellen, dies natürlich in nicht zu ebener Erde liegenden Geschossen nur durch einen Aufzug möglich ist, der gemäß Bauordnung Berlin ab dem 5. OG sowieso vorgeschrieben ist, der dann auf Grund von Vorgaben der Stadtplanung aber bei Altbauten, insbesondere beim Aus- bzw. Neubau von Dachgeschossen nicht genehmigt wird, fragt man sich schon, was das soll …
Im so einem Fall muss man also einen Antrag auf Befreiung von einer Verpflichtung stellen, der man eigentlich sehr gerne nachkommen würde, das aber nicht darf! Das ist doch völlig absurd!!
Dazu kommt dann noch das krampfhafte Festhalten an der „historischen Dachlandschaft“, das jeden Versuch, „dort oben“ trotz der unerfreulichen Normenlage relativ günstigen, barrierefreien, ökologisch vorteilhaften und architektonisch wie bautechnisch hochwertigen Wohnraum zu schaffen, unmöglich macht.