Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Liebevolles Lifting“ im Deutschen Architektenblatt 04.2023 erschienen.
Die wellenförmige Fassade des 13-geschossigen Wohnhochhauses Schützenhofstraße 91 in Jena ist weithin sichtbar. Je nach Sonnenstand verwandelt der Schattenwurf sie in eine lebendige Fläche. Seine eindrucksvolle Optik verdankt das Gebäude seit seiner Errichtung im Jahr 1963 den 50 Balkonen, die mit ihren geschwungenen Balkonplatten die gesamte Südostfront in einem einheitlichen Raster bedecken. Als Architekt Stefan Nitschke den Auftrag zur Sanierung des DDR-Typenbaus erhielt, stand für ihn fest: Die Charakteristik dieser Gliederung wollte er auf jeden Fall erhalten.
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Wohnungsschlüssel als Vorgabe
Zu diesem Zeitpunkt waren die 82 Einheiten in dem ehemaligen Ledigenwohnheim mit einer Wohnfläche zwischen 22 und 33 Quadratmetern leergezogen. „Für den Bauherrn, die Jenawohnen, war der entscheidende Impuls zur Sanierung, dass die kleinen Wohnungen nicht mehr vermietbar waren“, berichtet Architekt Nitschke.
„Unser Kernauftrag war, die Grundrisse nach einem genau vorgegebenen Schema an Wohngrößen neu zu gestalten.“ Der Handlungsdruck wurde zusätzlich dadurch erhöht, dass das umliegende Quartier im Rahmen eines Architektenwettbewerbs mit weiteren Wohnhäusern bebaut wurde.
Neuer Haupteingang und barrierefreie Erschließung
Heute beherbergt das Gebäude einen Mix aus 31 Zwei-, Drei- und Vierraumwohnungen, viele von ihnen mit zwei oder gar drei Balkonen. Sehr hilfreich bei der Neugliederung waren die unzähligen vertikalen Versorgungsstränge. „Das mit 3,38 Metern relativ kleine Raster hat den Rahmen für die neuen Grundrisse, aber auch für den neuen Haupteingang des Gebäudes gesteckt“, so Stefan Nitschke.
Der entstand an der Talseite: Nitschke ließ die Decke zwischen den beiden Kellergeschossen durchsägen und schuf so Platz für eine Eingangshalle mit direktem Zugang zum Aufzug. Sämtliche Wohnungen sind nun barrierefrei erschlossen, auch das Penthouse, das den Platz der früheren Gemeinschaftsräume auf dem Dach eingenommen hat.
Balkonbrüstungen wie im Bauarchiv
Den entscheidenden Hinweis für die sehr zeitgemäß wirkende Gestaltung der Balkone fand das Architektenteam im Bauarchiv: In einer Zeichnung von 1963 waren nicht etwa die zum Sanierungszeitpunkt vorhandenen Stahlbetonbrüstungen, sondern Elemente aus Wellaluminium vorgesehen. „Diese Idee haben wir dann umgesetzt und biegbare Aluminiumplatten an einer Stahlkonstruktion zur Absturzsicherung montiert.“ Anders als mit einem starren Geländer ließen sich so die Bautoleranzen der Bodenplatten sauber nachbilden.
Energetische Sanierung mit Kompromissen
Als Herausforderung erwies sich die energetische Ertüchtigung des Gebäudes. Die Kellerdecke wurde gedämmt, die Wände zwischen dem Eingangsbereich und den verbliebenen Kellerräumen ebenfalls. Das gesamte Gebäude ist mit einem Wärmedämmverbundsystem versehen. „Dabei mussten wir Kompromisse machen, um die Architektur zu bewahren“, erklärt Nitschke.
Die durchgängigen Stahlbetonplatten bilden potenziell Wärmebrücken. Um den Bodenaufbau nicht zu erhöhen und Anschlüsse an die Balkontüren beibehalten zu können, kam die Dämmung auf die Unterseiten der Balkone und – mit geringerer Stärke – an die Zwischenwände.
Alle Balkontüren und Fenster wurden durch Modelle mit hohem Wärmeschutz ersetzt und die Heizkörper direkt dahinter platziert, um Schimmelbildung zu vermeiden. „Diese Lösungen zu finden, war nicht ganz einfach und hat viele Detailrechnungen des Bauphysikers erfordert“, sagt Nitschke. „Möglich war diese minimalistische Herangehensweise, weil das ganze Gebiet mit Fernwärme erschlossen ist.“
Berlin: Deutsche Wohnen saniert
In Jena konnte so an der Architektursprache der Bauzeit festgehalten werden. Auch in Berlin ist dies gelungen – positiv fällt hier ausgerechnet das Unternehmen Deutsche Wohnen auf, das ansonsten mit einem eher schlechten Ruf kämpft. Mit der energetischen Sanierung zweier Siedlungen in Kreuzberg macht es jetzt zumindest bei Architekten Punkte wett.
Holzfenster und originale Farbgebung
So stattete es seine Wohnblöcke in der Spring-Siedlung (Bauzeit 1959 bis 1967) mit neuen Holzfenstern, einer Perimeterdämmung und einem Wärmedämmverbundsystem aus Steinwolle aus und bildete darauf die ursprüngliche Fassadengestaltung nach. „Charakteristisch ist die klare Gliederung der Fassade durch horizontale Madenputz-Elemente und Glattputzstreifen sowie die vertikalen Loggiastränge“, erläutert der projektleitende Architekt David Weinert.
„Diese strenge Geometrie haben wir in der Architektur und der Materialität erhalten, aber durch die Farbgestaltung aufgebrochen.“ Als Orientierung diente die in einzelnen Loggien noch erhaltene ursprüngliche Farbgebung in Gelb-, Blau- und Rosa-Tönen. Sie finden sich auch in den eigens gebrannten Gehwegplatten der Außenanlagen wieder (Landschaftsarchitektur: hochC).
Klinker als wichtiges Gestaltungselement
In der angrenzenden, ebenfalls in den 1950er- und 1960er-Jahren entstandenen Otto-Suhr-Siedlung prägen auch nach der energetischen Sanierung die Klinkeranteile an den Balkonbrüstungen, dem Gebäudesockel und den Treppenhausbändern das Bild (Generalplaner SPP – Schüttauf und Persike, Mewis Landschaftsarchitekten). „Für den Sockel haben wir Riemchen in einer eigenen Farbmischung – der Otto-Suhr-Mischung – herstellen lassen“, betont Weinert.
Die Balkone wurden nach der Einrüstung in drei Schadensgruppen eingeteilt und es wurde individuell über die Sanierungsschritte entschieden. „Wo nur einzelne Steine ersetzt werden mussten, konnten wir solche von Balkonen verwenden, die umfangreicher saniert werden mussten.“
Hamburg: Entscheidung gegen neuen Look
So viel Liebe zum Detail tut den eigentlich alltäglichen Architekturen gut und stärkt die Identifikation der Bewohner mit „ihrem“ Haus. Dabei ist es nicht immer einfach, insbesondere die beliebte Backsteinoptik in der Außenschale zu erhalten. Kreative Lösungen fand hier das Architekturbüro Seysta bei der Sanierung von zwei Riegeln in Hamburg-Lohbrügge im Auftrag der Genossenschaft Bergedorf-Bille.
Der Weg dahin war allerdings ein Prozess, wie Architekt Jens-Uwe Seyfarth erzählt: „Die ersten Überlegungen zur Sanierung waren eine völlig neue Fassadengestaltung mit einer vorgelagerten Metallkonstruktion, versetzten Balkonen und einer bandartigen Fassadengestaltung.“ Auch die Umwandlung der Balkone in Wintergärten oder Schallschutzverglasungen waren im Gespräch. „Das hätte dann eine großflächige Umgestaltung des Gebäudes bedeutet.
Vertraute Backsteinoptik mit neuen Riemchen
Von diesem Konzept sind wir abgewichen, nachdem der für die Förderung des Landes notwendige Gutachter den vorhandenen Backstein – und damit auch die alte Fassadenstruktur mit Balkonen und Klinkerflächen – als erhaltenswert eingestuft hat“, sagt Projektleiter Lutz Lütjen.
Die Einordnung des Sechzigerjahre-Baus durch den Gutachter war für die Architekten der Anstoß, die eigenen Ideen infrage zu stellen und die Bausubstanz neu zu bewerten. „Die Frage, ob die vorhandenen Klinker entfernt oder als Tragschicht für den Aufbau der neuen Fassade erhalten werden sollen, haben wir lange diskutiert.
Letztlich wurden die Klinker mit dem Hintermauerwerk aus Kalksandstein verbunden, ein 18 Zentimeter dickes Wärmedämmverbundsystem aus Mineralwolle angebracht und neue Riemchen davorgesetzt“, erklärt Architekt Christian Stahlhut.
Veränderungen bei Lisenen und Brüstungen
Auch nach der Sanierung bestimmen so die Fassadenaufteilung und das Material Klinker die Anmutung des Gebäudes (Landschaftsarchitektur: Spalink-Sievers). Im Detail gab es allerdings Veränderungen. Die mit Stahlaufhängern an den tragenden Mauerwerkslisenen befestigten, erneuerungsbedürftigen Keramikplatten wurden entfernt, die Lisenen mit WDVS ummantelt und verputzt.
Anstelle der Stahlbetonbrüstungen wurden wesentlich dünnere Glaselemente an den Balkonen montiert. „Farbe und Lichtdurchlässigkeit der neuen Balkonbrüstungen wurden lange und intensiv diskutiert“, berichtet Christian Stahlhut. „Letztlich waren die Brüstungen aus satiniertem Glas ein tragfähiger Kompromiss.“ Der brachte einen großen Vorteil für die Bewohner: Die Glasbrüstungen sind so dünn, dass trotz der an den Seitenwänden angebrachten sechs Zentimeter starken Resopalplatten die Fläche der Balkone nicht kleiner wurde.
Münster: Wohnhaus mit Räumen aufgedoppelt
Leider lässt sich nicht jeder Baukörper mit solch minimalen Veränderungen so transformieren, dass er heutigen Wohnbedürfnissen entspricht. Aber auch Erweiterungen können behutsam vorgenommen werden und die ursprüngliche Architektur bewahren. Nach diesem Konzept hat Architekt Reinhard Martin ein Wohngebäude in Münster weitergedacht: Das Haus aus den 1930er-Jahren wurde in den 1950er-Jahren umfangreich umgebaut und befindet sich in dritter Generation in Familienbesitz.
„Aus Sicht unseres Büros waren die sehr solide Substanz des Ziegelmauerwerks und der Baukörper als typischer Teil der Nachbarschaft unbedingt erhaltenswert“, sagt Reinhard Martin. Das Ziel war, in einem Gebäude mit einer nicht mehr zeitgemäßen inneren Organisation moderne, barrierefreie Wohnungen zu schaffen und zugleich das energetische Niveau und die Haustechnik auf den heutigen Stand zu bringen.
Vorne und hinten verbreitert
Das gelang durch Erweiterungen nach dem Baukastensystem: Straßenseitig hält ein raumtiefer, neuer „Schild“ nun den Straßenlärm fern. Die Ziegelsteine dafür stammen aus der Region und erinnern mit Reichsformat und Wasserstrich an die des Altbaus, setzen sich jedoch durch den helleren Rotton von ihm ab.
Auf der Gartenseite schaffen Fenstertüren den Übergang zu Anbau Nummer zwei: großzügigen Loggien. „Der alte Baukörper bildet den Kern des heutigen Gebäudes. Die ehemalige Backsteinaußenwand ist darin als frei liegende Ziegelinnenwand integriert, samt den ehemaligen kleinen Küchenfenstern“, beschreibt Reinhard Martin. 420 Kubikmeter Ziegelmauerwerk und 390 Quadratmeter solide Holzbalkendecke wurden so erhalten.
Ergänzungen bleiben erkennbar
An den Stirnseiten des Gebäudes sind die Spuren der Vergangenheit bewusst in Szene gesetzt: Der ehemalige Kolonialwarenladen im Erdgeschoss wurde zugemauert und weiß verputzt, sodass der Umriss noch klar erkennbar ist. Wo kleinere Fenster eingebaut wurden, blieb die alte Rollschicht erhalten, zum Zumauern wurden recycelte Abbruchziegel aus dem Altbestand verwendet.
Ein Staffelgeschoss in Holzrahmenbauweise verbindet den Altbau und die Erweiterungen. „Die Addition der unterschiedlichen Bauglieder mit jeweils eigenem Charakter hat das massive Volumen leichter, lockerer gemacht“, so das Fazit des Architekten. In Münster, wie in unseren anderen Beispielen, bilden die sanierten Fassaden damit einen wohltuenden Kontrast zu all jenen bis zur Unkenntlichkeit eingepackten Gebäuden, die das Straßenbild leider immer noch oft beherrschen.