Von Christoph Gunßer
Die fertigen Produkte der Holzindustrie lassen oft nur noch entfernt erahnen, dass Bauholz aus Bäumen hergestellt wird. Der „Kunststoff Holz“ ist heute zu vielem fähig, doch die Atmosphäre von Wald und Forst verflüchtigt sich dabei. Dieses Manko erkannte die Firma WholeTrees im US-Bundesstaat Wisconsin.
Seit 2007 entwickelte die von Architekten mitgegründete Firma mithilfe von CAD und BIM die digitale Erfassung von Restholz, das nicht fürs Sägewerk taugt. Das Unternehmen stellt auf diesem Weg Rundholz als Baumaterial zur Verfügung, im Wesentlichen Baumstämme und große Äste, die als Stützen, Träger, Stäbe und andere Tragwerkselemente, aber auch als dekorative Systeme verwendet werden.
Baumstämme werden gescannt und geprüft
„Unmilled“, also unbeschnitten, werden die krummen Baumstämme gescannt und mit nicht-invasiven Techniken auf Tragfähigkeit überprüft. Als CAD-Abbild mit allen notwendigen Maßen finden sie dann Eingang in die firmeneigene Datenbank. Dort können Architekturbüros und Baufirmen sie abrufen und in ihre Planung integrieren – als Baumstützen oder als mit eigens entwickelten Beschlägen verbundene Fachwerkträger. So entstehen Spielplätze und Pavillons, Wohnhäuser und Schulgebäude – die in den USA meist eingeschossig sind.
Baumstämme erzeugen positive Gefühle
Welche konkreten Formen das annehmen kann, sieht man etwa beim US-amerikanischen Büro Mahlum Architects, die eng mit der Firma zusammenarbeiten. „Wir prüfen und entscheiden gemeinsam, welche Baumarten für den Innenbereich und welche für den Außenbereich verwendet werden sollen“, erläutert Rene Berndt, Mitarbeiter des Architekturbüros, der eine Schule bei Portland/Oregon mit ganzen Bäumen realisiert hat.
Er sieht darin auch einen psychologischen Vorteil, wie er erklärt: „Wenn wir Holz sehen, sei es im Stück oder als ganzen Baum – und in unserem Fall handelt es sich tatsächlich um ganze Bäume –, weckt das Erinnerungen an unsere Kindheit, vielleicht auch daran, wie wir im Wald gespielt haben.“ Damit spreche man positive Emotionen und Assoziationen der Menschen an. „Der Effekt, den das auf unser Wohlbefinden hat, ist Gegenstand zahlreicher Forschungen über das menschliche Gehirn.“
Mit BIM zu den Ursprüngen des Holzbaus
Beim Bau der Schule in Oregon verwendeten die Architekten Bäume, die auf dem Grundstück gefällt werden mussten. „Einer der großen Vorteile dieser Art der Arbeit ist, dass wir digitale Modelle exakt jener Bäume haben, die wir dann auch verwenden“, sagt Pip Allen von Mahlum Architects. „So konnten wir während der Entwurfsphase die Baummodelle frei drehen und wenden.“
Er erinnert sich, dass man in der digitalen Planung der Schule einmal eine Stütze im letzten Moment weg vom Aufenthaltsraum weiter nach Norden versetzt habe: „Diesen Baum dann auf der Baustelle zu sehen und zu erkennen, dass es genau der ist, den ich für diese Position ausgewählt habe, ist schon ein tolles Erlebnis.“
Statische Vorteile der Baumstämme
Structural round timber, so der englische Fachbegriff für Rundholz in Tragwerken, hat gegenüber Schnittholz nachweislich auch statische Vorteile: Da die Holzfasern nicht durch Zuschnitt zertrennt werden, ist das Tragverhalten Studien zufolge um die Hälfte bis zu zwei Dritteln besser. Schwierig wird es allerdings, dies im Einzelfall nachzuweisen, denn Baumstämme sind jeder für sich anders gewachsen.
Neue Testverfahren für Tragfähigkeit nötig
Das Team von WholeTrees fordert, dafür ein nicht-destruktives maschinelles Belastungstestverfahren zum Standard zu machen, das bereits angewandt wird (neben dem mobilen Echo-Verfahren, das auch von Baumpflegern benutzt wird, um festzustellen, wie gesund ein Baum ist): Ein maschinelles, hydraulisch betriebenes System testet die Baumstämme auf Elastizität und vertikale Tragfähigkeit, was zur Sortierung in Stärkeklassen führt. Zusätzlich werden Materialproben je nach Baumart bis über die Belastungsgrenze hinaus getestet, um sortenspezifische Werte einfließen zu lassen.
In Tests bewährten sich beispielsweise filigrane 60-Fuß-Träger (rund 18 Meter) aus Rundholz. Amtlich gilt indes bislang die Augenscheinprüfung als verbindlich, was nach Ansicht von WholeTrees regelmäßig zu Materialverschwendung durch Überdimensionierung führt.
Holzmarkt soll angekurbelt werden
Gefördert wurde das WholeTrees-Konzept vom US-Landwirtschaftsministerium, das in Madison/Wisconsin ein Testlabor für Holzbauweisen betreibt und damit den Holzabsatz ankurbeln will. Weit mehr als in Deutschland leidet der Holzmarkt in den USA am Überangebot insbesondere von 30- bis 60-jährigem Durchforstungsholz.
WholeTrees kooperiert inzwischen mit Holzunternehmen an der Westküste und in Neuengland, sodass weite Transportwege vermieden werden. Das frauengeführte Unternehmen hat heute fünfzehn Mitarbeitende und kann zahlreiche beachtliche Referenzen vorweisen.
Verwendung von Baumstämmen in Deutschland noch schwierig
In Deutschland beschränkt sich die Verwendung unverarbeiteten Holzes im tragenden Bereich bislang auf Spielplatzstrukturen oder kleinere Pavillons; im Gebäudebereich gibt es nur wenige Pilotprojekte (einige haben wir hier vorgestellt). Fragt man deren Tragwerksplaner nach den Gründen, so bekommt man die erwartete Antwort: „Wir sind ein Norm-Land.“ Die deutschen Richtlinien behindern zumindest die breitere Verwendung von Rundholz im Bauwesen.
Aufwendige Einzelfallprüfung schreckt ab
Jedes Bauteil muss auch hierzulande nach Güteklasse klassifiziert werden, wobei etwa der Anteil an Ästen und Rissen im Holz eine Rolle spielt. Diese Prüfung im Einzelfall ist gegenüber der Verwendung von Norm-Holz vom Händler aufwendig. Tragende Bauteile, die nicht normgerecht sind, werden dann in der Regel, wenn überhaupt, deutlich überdimensioniert verwendet. „Da sind wir noch hintendran“, hört man aus der Holzbranche. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sei das aber „ein beginnender Markt“. Der Einsatz von BIM und CAD wie im amerikanischen Beispiel dürfte künftig auch hierzulande den Einsatz erleichtern.
Lesen Sie auch unseren Bericht über drei Projekte in Deutschland, bei denen ganze Baumstämme (tragend und nicht tragend) zum Einsatz kamen.
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