Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Dämmen mit Stroh“ im Deutschen Architektenblatt 05.2023 erschienen.
Lüneburg ist derzeit Schauplatz von Deutschlands größtem Strohbauprojekt. Im Auftrag der Baugruppe „querbeet“ entsteht im Hanseviertel ein generationenübergreifendes Wohnprojekt der Gebäudeklasse 4. Für die Realisierung der beiden Häuser mit 40 Wohnungen hat sich querbeet für das Büro deltagrün Architektur entschieden. Inhaber Dirk Scharmer verfügt über eine jahrzehntelange Erfahrung beim Bauen mit Holz, Lehm und Stroh. Unter seiner Leitung entstanden bereits zahlreiche strohgedämmte Gebäude.
Strohhäuser als Guerillabauweise
Alles begann mit einem Tiny House, später folgte 2015 in Zusammenarbeit mit den „Architekten für Nachhaltiges Bauen“ aus Verden ein fünfgeschossiges Bürogebäude und 2019 wurde gemeinsam mit dem Architekturbüro arch.tekton das Wohnprojekt „Speicherbogen“ in Lüneburg abgeschlossen, um nur einige Beispiele zu nennen. Möglich wurde das nicht zuletzt deshalb, weil Dirk Scharmer an der Weiterentwicklung der Bauweise maßgeblich mitwirkte.
„Als ich mich vor 20 Jahren für Stroh als Baustoff interessierte, sprachen wir noch von einer Guerillabauweise“, konstatiert Dirk Scharmer rückblickend. Damals fanden sich ökologisch orientierte Menschen zusammen, die auf der Suche nach bereits vorhandenen Naturbaustoffen waren. Hierfür bot sich Stroh vom Feld förmlich an.
Regulierung für Strohbau notwendig
In dieser frühen Strohbauszene machte man sich aber wenige Gedanken darüber, wie beispielsweise wärme- und brandschutztechnische sowie bauphysikalische Anforderungen beim Hausbau erfüllt werden können. „Perspektivisch konnte das so nicht funktionieren, schließlich schulde ich als Architekt dem Bauherrn gegenüber Erfolg.
Bauaufsichtliche Zulassungen waren notwendig“, sagt Dirk Scharmer und gründete deshalb mit einigen Mitstreitern den Fachverband Strohballenbau. „Mithilfe mehrerer Forschungsprojekte gelang es, nach und nach alle Bedenken zu entkräften. Stroh ist heute ein europäisch zugelassener Dämmstoff, womit Häuser bis zur Gebäudeklasse 5 gebaut können.“
Brandschutz für Holzbau mit Strohdämmung
Die querbeet-Gebäude werden in einer Holz-Skelett-Bauweise mit strohgedämmten Außenwänden errichtet. Außen sind sie mit Kalk, innen mit Lehm verputzt. Eine Besonderheit bildet bei diesem Projekt der Brandschutz. Vier- bis fünfgeschossige Wohngebäude mit einem Tragwerk aus Holz erfordern eine Feuerwiderstandsdauer von mindestens 60 Minuten und die Verwendung nicht brennbarer Dämmstoffe.
Das konnte für die Kombination Holz-Stroh-Putz nicht erfüllt werden. Daher wurde das Tragwerk so konzipiert, dass der vertikale Lastabtrag über die Innenwände und einzelne Stützen erfolgt und die Gebäudeaussteifung gegenüber den horizontalen Lasten über die Geschossdecken realisiert wird. Somit wurden die Außenwände zu nicht tragenden Bauteilen, woraus sich eine auf „feuerhemmend“ reduzierte Brandschutzanforderung ergibt.
„Dies bedeutet hinsichtlich der Brennbarkeit, dass die Dämmstoffe normal entflammbar ausgeführt werden dürfen, was der Baustoff Stroh erfüllt“, erläutert Björn Kampmeier, Professor für Brandschutz und Baukonstruktion an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Björn Kampmeier zählt zu den führenden Experten im Bereich des Brandschutzes bei nachwachsenden Rohstoffen und hat das querbeet-Brandschutzkonzept von Dehne, Kruse Brandschutzingenieure (Gifhorn) bearbeitet.
Rauchdichtheit von Bauteilanschlüssen
Im Rahmen des Brandschutzkonzeptes war auch der Nachweis der Rauchdichtigkeit von Bauteilanschlüssen zu erbringen. „Hierzu konnten wir auf Forschungsergebnisse zurückgreifen, die belegen, wie sich die Rauchdichtigkeit mithilfe konstruktiver Lösungen sicherstellen lässt, wie durch das Vorhandensein einer luftdichten Schicht in einer thermisch unkritischen Zone“, erläutert Björn Kampmeier und weist noch auf eine weitere Besonderheit strohgedämmter Gebäude hin: die Führung der Installationen innerhalb des Gebäudes.
Wenige Bauprodukte für Strohbau geeignet
Damit eine brandschutztechnische Bewertung innerhalb des Brandschutzkonzeptes erfolgen kann, sollte die Detailplanung frühzeitig und in enger Abstimmung mit den jeweiligen Gewerken erfolgen. Es werden zwar mittlerweile von der Baustoffindustrie vereinzelt Lösungen für den Holzbau angeboten, doch sie lassen sich nicht einfach auf den Strohballenbau übertragen. Da die Bereitstellung geprüfter Systeme, wie Abschottungen, mit hohen Kosten für die Hersteller verbunden ist und der Strohballenbau im mehrgeschossigen Wohnungsbau eher die Ausnahme bildet, rechnet Björn Kampmeier nicht mit zeitnahen industriellen Lösungen. Wünschenswert wäre es außerdem, in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr Techniken zu entwickeln, wie Brände innerhalb des Strohs schneller erkannt und bekämpft werden können.
Wärmeschutz bei Strohdämmung
Bis 2006 errichtete Bauvorhaben erforderten in punkto Wärmeschutz noch eine Zustimmung im Einzelfall. Seitdem war Stroh als Dämmstoff zunächst in Deutschland bauaufsichtlich zugelassen, mit der ETA-17/0247 „Baustroh“ dann auch auf europäischer Ebene. Nach ETA beträgt der Bemessungswert für die Wärmeleitfähigkeit = 0,049 W/m∙K. Daraus ergibt sich für eine 40 Zentimeter dicke Außenwand ein U-Wert von etwa 0,15 W/m2∙K, was dem Passivhaus-Standard entspricht. Nicht zuletzt trug die hohe Wärmedämmung bei dem querbeet-Projekt entscheidend zum KfW-40-Standard der Gebäude bei.
Schallschutz bei Strohdämmung
Ein normgerechter Schallschutz-Nachweis für eine Außenwand nach DIN 4109 liegt bereits seit 2009 vor. Dirk Scharmer: „Die geprüfte Strohwand erreicht etwa 43 Dezibel, was für die meisten Anwendungsfälle ausreichend ist.“ Da sich der Standort der querbeet-Gebäude rund 200 Meter von einer vierspurigen Straße entfernt befindet, entstanden in puncto Außenlärm keine Probleme. In urbanen Bereichen mit besonders hohem Außenlärmpegel könnte die verputzte Bauweise jedoch an ihre Grenzen stoßen. Mit mehr Masse, zum Beispiel durch vorgesetztes Klinkermauerwerk, ließe sich eine deutlich höhere Schalldämmung erreichen. Für Dirk Scharmer wäre damit allerdings das Ziel eines ressourcenschonenden Wandaufbaus verfehlt.
Bislang noch nicht nach DIN 4109 nachgewiesen ist das Flankenschalldämmmaß. Das bedeutete für alle an querbeet Beteiligten eine erhöhte Risikobereitschaft, denn die realen Werte sind mit einer nachträglichen Schallschutzmessung am fertigen Gebäude zu ermitteln. Sollte sich dann die Nichteinhaltung der Werte herausstellen, werden Nacharbeiten aufwendig und teuer. Aufgrund seiner Erfahrungen schließt Dirk Scharmer diesen Fall für die Lüneburger Baugruppe jedoch aus: „Decken und Trennwände haben wir sicherheitshalber leicht überdimensioniert, und das, obwohl Messungen an einem anderen Projekt gezeigt hatten, dass der errechnete Flankenschalldämmschutz sogar übertroffen wurde.“
Feuchteschutz bei Strohdämmung
Stroh ist ein pflanzlicher Stoff, der vor Feuchtigkeit geschützt werden muss, um eine Schimmelbildung zu vermeiden. Die Grundlagen dafür, wie dies geschehen kann, wurden zwischen 2006 und 2009 im Rahmen eines Forschungsprojekts zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik gelegt. Die Ergebnisse sind heute Bestandteil der ETA-17/0247 „Baustroh“.
Die Fassaden werden bei den Projekten von Dirk Scharmer außenseitig durch eine hinterlüftete Holzschalung oder durch einen Kalkputz mit hydrophobierendem Anstrich vor eindringender Feuchte geschützt. Innen kommt ein diffusionsoffener Lehmputz zum Einsatz. Mit dem üblichen Glaser-Verfahren kann die feuchtetechnische Eignung dieses Wandaufbaus ohne raumseitige Dampfbremse nicht nachgewiesen werden, da es lediglich die Wärmeleitfähigkeit und die Wasserdampfdurchlässigkeit der Baustoffe berücksichtigt.
Die DIN 4108 sieht aber auch alternative Nachweisverfahren, zum Beispiel eine bauphysikalische Berechnung mit dem Programm WUFI (Wärme und Feuchte instationär) des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik vor. Bei WUFI werden deutlich mehr Baustoffeigenschaften berücksichtigt, darunter vor allem die Feuchtespeicherung und der kapillare Feuchtetransport. Außerdem werden auch kurzzeitige Wetterereignisse mit in die Simulation einbezogen.
Schon im Zuge des ETA-Antrags konnte so in Kombination mit dem Schimmelprognosetool WUFI-Bio des Fraunhofer-Instituts nachgewiesen werden, dass innerhalb der strohgedämmten Wand weder Tauwasser ausfällt noch die Strohdämmung mikrobiell befallen wird.
Qualitätsprüfung für den Strohbau
Wer heute Stroh als Dämmstoff verwenden will, kann die Ballen tatsächlich „vom Acker nebenan“ beziehen. Man muss dafür lediglich einen kleinen digitalen Umweg über die BauStroh GmbH in Verden gehen. Auf Anfrage wird ein Landwirt in möglichst kürzester Entfernung genannt, der über Ballen in Baustroh-Qualität verfügt. Die Prüfungen nach ETA-17/0247 erfolgen direkt beim Landwirt durch die BauStroh GmbH, die diese Leistung seit 2012 als europaweit erstes und deutschlandweit einziges Unternehmen anbietet.
„Dass die Qualitätsprüfung nicht wie üblich in einem Herstellerwerk, sondern vor Ort auf dem Feld stattfindet, war dem Deutschen Institut für Bautechnik am Anfang schwer zu vermitteln. Wir wollten jedoch die vielen Transporte zu einer Produktionsstätte vermeiden“, sagt Dirk Scharmer. Zusätzlich zur Qualitätskontrolle der Strohballen auf dem Feld erfolgen noch Laboruntersuchungen, zum Beispiel auf Brennbarkeit und Feuchteaufnahme.
Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die Vergabe der CE-Kennzeichnung, die sich bei Stroh auf dem Lieferschein befindet. Neben der Qualitätskontrolle führt BauStroh Seminare durch und vermittelt Fachleute für die Beratung sowie ausführende Firmen.
Baukosten für ein Haus mit Strohdämmung
Abschließend noch ein Wort zu den Baukosten. Dirk Scharmer hat für ein Einfamilienhaus Folgendes ermittelt: Im Vergleich zur Massivbauweise mit gleichem U-Wert der Außenwand, bestehend aus Kalksandsteinen mit WDVS, ergaben sich für den Strohbau Mehrkosten von etwa acht Prozent. Beim Vergleich mit anderen Holzbauweisen liegen die Mehrkosten zwischen zwei und vier Prozent. „Die Mehrkosten entstehen aber größtenteils durch den Putz, außen wie innen. Mit rund 70 bis 80 Euro pro Quadratmeter hat der Lehmputz daran den höchsten Anteil“, begründet Dirk Scharmer den Unterschied.
Strohbau: Richtlinien, Prüfzeugnisse, Testberichte
Auf der Website des Fachverbands Strohballenbau Deutschland (FASBA) finden Sie unter anderem die Strohbaurichtlinie, die ETA-17/0247, ein Prüfzeugnis für die Feuerwiderstandsklassen F30-B beziehungsweise F90-B, die Umweltprodukt-Deklaration (EPD), die Dokumentation eines Schalltests, baubiologische Untersuchungen zum Raumklima sowie Forschungsberichte und Projektbeispiele. fasba.de
Zertifiziertes Baustroh
Auf der Website der Firma BauStroh erfahren Sie, wie das Stroh vom Feld auf die Baustelle kommt. Zahlreiche Unterlagen stehen zum Download bereit, von der ETA 17/0247 über die Strohbaurichtlinie bis zur gutachterlichen Stellungnahme zum Brandschutz. baustroh.de
Fortbildungen zum Thema Strohbau
Am 6. Mai findet an der Leuphana Universität Lüneburg der Deutsche Strohbautag 2023 statt. Thema sind mehrgeschossige strohgedämmte Holzgebäude. strohbautag.de
Fachseminare für ökologisches Bauen, darunter auch zum Strohbau, bietet die Bildungswerkstatt für nachhaltige Entwicklung e. V. (BiWeNa) an. biwena.de
Kammer-Seminare „Einführung in die strohgedämmte Holzbauweise“: 16. Juni, Hamburgische AK; 22./23. Juni und 28./29. Juni, AK Niedersachsen. architekten-fortbildung.de
Befindet sich das aktuell größte strohgedämmte und mit Stroh ausgebaute Projekt nicht in Berlin? Die Aufstockung der ehemaligen Kindl-Brauerei mit Gewerbe- und Wohneinheiten umfasst eine BGF von 6600m2 gesamt.
https://www.zrs.berlin/de/project/crclr-house/
Vielen Dank für Ihren Hinweis. Auch das CRCLR House ist ein bemerkenswertes Projekt. Dort kommen strohgedämmte Wände vor allem bei der Aufstockung zum Einsatz. Diese wird (ohne die Bestandsbauten) mit 2800m2 BGF angegeben.
Danke für den schönen Artikel! Wer weiter über unser Projekt informiert werden will, ist herzlich eingeladen unseren Newsletter zu abonnieren (https://querbeet-lueneburg.de/newsletter) und/oder uns auf Instagram zu folgen (https://www.instagram.com/querbeet_lg).