Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Architektur für die Ohren“ im Deutschen Architektenblatt 06.2023 erschienen.
- Konzertsaal mit viel Glas: Casals Forum, Kronberg
- Konzertsaal in der Tiefgarage: JazzHall, Hamburg
- Konzerthaus auf der grünen Wiese: Tauberphilharmonie, Weikersheim
- Konzerthaus als Systembau: Isarphilharmonie, München
Von Christoph Gunßer
Nach dem Museumsboom gibt es also eine kleine Konjunktur der Konzerthäuser. Für Architektinnen und Architekten halten die Klangtempel ganz andere Herausforderungen bereit als die Gehäuse der freien Kunst. Auch wenn Akustiker heute bei fast allen Bauaufgaben hinzugezogen werden – nirgends sind sie so mächtig wie bei Konzertsälen.
<<< Jump Mark: casals >>>
Staab Architekten: Casals Forum in Kronberg
Das musste auch Volker Staab bei dem im letzten Herbst eingeweihten Casals Forum im Taunus erfahren, seinem ersten Konzertsaal nach vielen Museen. Der Akustiker Martijn Vercammen bestand hier auf gekrümmten Reflexionsflächen für den Schall, und so rahmen den Saal für Staabs Œuvre sehr ungewöhnliche, fast barocke Balkone.
Trotz der zahlreichen Angaben von Vercammen sei es doch eine sehr angenehme und fruchtbare Zusammenarbeit gewesen, resümiert Volker Staab: „Denn wo es Reibung gibt, entsteht auch Energie.“ Der Akustiker findet ebenfalls lobende Worte: „Volker Staab hat unsere Ideen genommen und sehr gut umgesetzt.“ Für ihn sei es vor allem eine Herausforderung gewesen, einen Saal zu konzipieren, in dem sowohl Solisten als auch Kammerorchester gut klingen. Das ist schwierig, denn Orchester brauchen Volumen, Solisten brauchen Reflexionsfläche.
Konzerthaus für private Musikakademie
Die private Kronberg Academy gibt es bereits seit dreißig Jahren. Anfangs perfektionierten hier nur Cellisten ihr Können, heute junge Streicher und Pianisten aus aller Welt. Für sie galt es, im Einladungswettbewerb 2014 auf dem Gelände eines heruntergekommenen Parkdecks ein Ensemble aus Proben-, Verwaltungs-, Wohn- und Aufführungsorten zu entwerfen. Staab setzte sich gegen namhafte Konkurrenz wie Jean Nouvel und Daniel Libeskind durch, indem er die Baukörper im Zusammenspiel mit der Topografie tatsächlich zu einem urbanen Ensemble fügte.
Am S-Bahnhof macht nun ein Hotel-Block den Auftakt, an dem vorbei man zum neuen Beethovenplatz gelangt. Erst hier wird man des Konzerthauses mit seinem fast japanisch geschwungenen „Hut“ über gläserner Fuge gewahr. Rechter Hand fasst ein Riegel mit Büros und Probenräumen den Hang, später wird noch ein Wohnheim für rund 35 Stipendiaten folgen. 60 Millionen Euro hat das bisherige Ensemble gekostet, davon stammt fast die Hälfte aus Spenden, aber auch 26 Millionen Euro vom Bund. Das Land kam vor allem für die Energietechnik auf, die den Kulturkomplex mit einem Eisspeicher und Wärmepumpen klimaneutral betreiben soll.
Ungewöhnlich offenes Konzerthaus
Dass der 550 Gäste und rund 65 Musizierende fassende Saal deutlich höher als im Wettbewerb geworden ist, machen dessen ebenfalls hinzugekommene Rundungen wieder wett. Vom höher gelegenen Park aus blickt man auf nicht mehr als einen eleganten Pavillon, dessen umlaufende gläserne Fronten Einblick in den Konzertbetrieb gewähren. Breite Freitreppen führen von dort hinab auf den Beethovenplatz.
Vom Platz aus gelangt man ins Parkett des Saales. Auf Parkniveau liegt der steile, den Kurven folgende Rang. Vom Foyer dahinter geht der Blick sowohl in den Park als auch in den Saal – eine sehr luftige Lösung, für Konzertsäle ungewöhnlich offen. Unterm „Hut“, dessen Tragwerk übrigens aus Holz ist, reicht das Volumen des Saales noch weit höher.
Gute Akustik trotz Glas
Musizierende wie Kritiker sind von der Akustik begeistert. Transparent, unmittelbar sei das Klangerleben, man höre die Musiker atmen. Faltbare Holzpaneele können im Spagat zwischen solistischem und orchestralem Klang vermitteln. Drei Kammermusik-Ensembles von Rang haben sich in den letzten Jahren hier angesiedelt und bespielen den Raum; etwa 80 Konzerte im Jahr soll es geben. Zugleich ist der Campus des Casals Forums ein „Werkraum für Musik“ von fast familiärem Charakter.
<<< Jump Mark: jazzhall >>>
JazzHall an der HFMT Hamburg, MPP Meding Plan + Projekt (Klicken für mehr Bilder)
MPP: JazzHall Hamburg
Weinberg oder Schuhschachtel? Oszilliert das Casals Forum irgendwo zwischen diesen üblichen Kategorien für Konzertsäle, findet man beim Blick nach Hamburg hingegen eindeutig eine Schachtel – sofern man nur den Grundriss der dortigen JazzHall betrachtet. Der Konzertsaal, der seit 2021 die Hamburger Hochschule für Musik und Theater bereichert, orientiert sich ziemlich frontal auf die Bühne. Räumlich aber ist das Konzept von MPP Meding Plan + Projekt aus Hamburg komplexer, denn die JazzHall liegt zum Großteil unter der Erde. Und auch hinter der Bühne gibt es Platz zum Sitzen: Die Glasfassade lässt sich hier zur Seite schieben, sodass Open-Air-Konzerte möglich werden. Die Lage dafür ist einmalig: Nur eine große Wiese und die Uferstraße trennen die JazzHall von der Außenalster.
Tiefgarage wird zu Konzertsaal
Möglich wurde der Bau des 199 Plätze bietenden Saales samt Bar, Lounge und Nebenräumen durch den reichen Sponsor E. A. Langer, der dem Architekturbüro einen Direktauftrag für das 5,7 Millionen Euro teure Projekt gab. Ein Teil der bestehenden Tiefgarage der Hochschule wurde für das Gebäude umgewidmet. Von dort wird die JazzHall auch beschickt, denn hinauf zum noblen Palais der Hochschule gelangt man nur über verwinkelte Treppen.
Eine Höhle also, fast das Gegenstück zur Elbphilharmonie in ihrer luftigen Höhe überm Hafen. Doch viele Konzertsäle kapseln sich ja von der Außenwelt ab. Hier war das Versteckspiel unumgänglich, denn es gab kein Baurecht für diese Wiese. Nur ein grüner Hügel ist vom Alsterufer aus zu sehen.
Trockene Akustik für Jazz
Die organische Innenraumgestaltung unter dem betonierten Korbbogengewölbe spielt mit dem Motiv der Schallwellen. Die hölzernen Akustikrippen erinnern zugleich an das Innere eines riesigen Brustkorbes. Die Schwünge folgen den akustischen Regeln der Brechung. Zwischen den hölzernen Rippen sind stoffbespannte Schallabsorber befestigt. Jazz, das erklärte mir ein Tontechniker vor Ort, braucht eine trockene Akustik ohne jeden Nachhall. So wird hier seither trocken, aber allem Anschein nach lustvoll von Studierenden wie internationalen Berühmtheiten experimentiert.
<<< Jump Mark: tauber >>>
Henn: Tauberphilharmonie Weikersheim
Eine ähnliche Win-win-Situation aus Nachwuchsförderung und architektonischer Bereicherung für die Allgemeinheit findet sich auch fernab der Großstadt: in der baden-württembergischen Kleinstadt Weikersheim. Seit 1956 residiert am dortigen Schloss die Akademie der Jeunesses Musicales, der rund 300 Jugendorchester angehören. Den gut besuchten Kursen fehlte indes ein passender Saal für die Aufführungen.
Konzerthaus auf der grünen Wiese
Darum beschloss die Stadt 2011, auf der Talwiese vis-à-vis dem Schloss ein Konzert- und Veranstaltungshaus zu bauen – die Tauberphilharmonie. Den nicht offenen Architekturwettbewerb gewann das Büro Henn aus München mit einem skulpturalen Baukörper aus zwei maximal 11,5 Meter hohen, ineinandergeschobenen Kuben. Die grau lasierte hölzerne Hülle bleibt vor der Stadtsilhouette unauffällig, die einzige Öffnung ist das verglaste Foyer mit Blick auf das Schloss. Am störendsten sind die vielen Parkplätze, denn eine öffentliche Verkehrsanbindung gibt es zumindest abends nicht.
Wie die Kubatur schon erkennen lässt, besteht das Gebäude aus zwei Sälen mit 650 und 200 Plätzen. Werden deren Foyer-Wände geöffnet, sind beide gemeinsam bespielbar. Doch bei aller Neutralität und Schlichtheit hat sich die Akustik gerade des großen Saales mit trapezförmiger Bühne sowie schrägen hölzernen Wand- und Deckenelementen als sehr gut erwiesen; seit 2019 gastieren hier Ensembles von Rang.
13 Millionen Euro hat die Philharmonie gekostet, davon kamen vier vom Bund. Zwei Drittel des Energiebedarfs decken Erdsonden. Ein Teil der Konstruktion, insbesondere das Dach und die Verkleidung, ist aus Holz – wie bei einem Musikinstrument, sagen die Architekten.
<<< Jump Mark: isar >>>
gmp: Isarphilharmonie München
Auch beim letzten Beispiel bemüht das Planungsteam den Vergleich zu einem Musikinstrument: Wie eine Violine im Geigenkasten sei ihre Isarphilharmonie aufgebaut, sagen gmp Architekten, die das Ausweichquartier für den Münchener Gasteig im Herbst 2021 fertiggestellt haben. Rund zwei Kilometer isaraufwärts von dem nach dreißig Jahren Nutzung sanierungsbedürftigen Stammhaus sind Philharmonie, Volks- und Musikhochschule sowie die Stadtbibliothek auf dem ehemaligen Stadtwerkeareal in Sendling untergekommen, zwischen Reifenhandel, Autolackierer und Heizkraftwerk.
Ein Konzerthaus als Systembau
Da braucht es schon einen robusten „Kasten“, um den klingenden Konzertsaal zu schützen: Eine gängige Stahl-Sandwich-Konstruktion aus dem Industriebau umhüllt den aus massiven, schwarz lasierten Holzelementen zusammengefügten eigentlichen Konzertsaal – 1.300 Kubikmeter Holz stecken in diesem „Instrument“. Alles ist sehr kubisch, dunkel und vor allem groß: 1.900 Sitzplätze bietet der 16 Meter hohe Saal.
Schuhschachtel statt Weinberg
Die im Wesentlichen auf raue, den Schall reflektierende und brechende Holzleistenfelder an den Wänden beschränkten Akustik-Maßnahmen verantwortet Yasuhisa Toyota von Nagata Acoustics, der auch die Elbphilharmonie mitgeplant hat. Hier hat er aber keinen Weinberg betreut, sondern eine klassische Schuhschachtel, die nach allem, was man hört, vorzüglich klingt, transparent und direkt (und was es sonst noch an eher vagen Hilfsbegriffen gibt). Vom Vorgängerbau Gasteig mit seinem ziemlich dumpfen Klang war man diesbezüglich nicht gerade verwöhnt. Nur allzu laut darf es offenbar nicht tönen, sonst sei „zu viel Druck im Kessel“.
Ein Provisorium mit Zukunft als Konzerthaus
Groß ist auch die angrenzende alte Trafo-Halle, die – hinter einer gläsernen Fuge mit zwei „Himmelsleitern“ – als Foyer dient und auch die anderen kulturellen Nutzungen erschließt, sodass sie den ganzen Tag belebt ist. Ziegelwände, eine Kranbahn unterm originalen Glasdach und Eisenbahngleise im Betonboden bewahren etwas vom rauen Charme der 1920er-Jahre.
Effizient nach Verhandlungsverfahren in nur zwanzig Monaten errichtet, blieb die Philharmonie mit 43 Millionen Euro trotz Pandemie im Kostenrahmen. Die Sanierung des alten Gasteig wird sich noch Jahre hinziehen, und längst wird in München gemunkelt, dass dem wohlklingenden Provisorium eine längere Zukunft beschieden sein wird.
Architektur und Akustik im Einklang
So wird es wohl noch eine Weile zur Verfügung stehen für eine Reise durch die neuen musikalischen Hotspots der Republik, die seit dem Ende der Pandemie wieder brummen, oder besser: klingen. Sie zeigen: Das manchmal schwierige Wechselspiel von Architektur und Akustik kann beide Partner inspirieren, räumlich wie klanglich ein Optimum zu suchen. Und neben objektiven physikalischen Merkmalen ist wie bei der Musik auch einige Subjektivität, vulgo: Geschmack, im Spiel. Ansonsten gilt bei dieser Bauaufgabe schlicht: Akustik ist nicht alles, aber ohne Akustik ist alles nichts.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: