Dieses Interview ist unter dem Titel „Hinten Lärm, vorne Musik!“ im Deutschen Architektenblatt 06.2023 erschienen.
Interview: Simone Kraft
Herr Oei, ein Blasmusikzentrum klingt nach einer ungewöhnlichen Bauaufgabe. Zunächst einmal: Wer baut so was?
Hinter diesem Projekt steht der Blasmusikverband Baden-Württemberg, ein Dachverband für mehr als 1.400 Mitgliedsvereine. Das ist wohl, so sagen sie selbst, der zweitgrößte Verband des Bundeslandes nach dem Schwäbischen Turnerbund.
Warum brauchte der Verband ein neues Zentrum?
Über lange Zeit waren der Verwaltungssitz in Bad Cannstatt und eine Musikakademie in Kürnbach im Kraichgau getrennt voneinander untergebracht. Insbesondere die Akademie war aber zu klein geworden und in die Jahre gekommen, zudem auch nicht wirklich gut erreichbar. Statt zu sanieren – die Akademie musste 2016 wegen hoher Brandschutzauflagen geschlossen werden – hat man sich entschieden, zu verkaufen und das Geld in einen neuen gemeinsamen Standort zu investieren.
Reichte das Geld aus dem Altbau, um den Neubau zu finanzieren?
Die Endabrechnung liegt noch nicht vor. Die reinen Baukosten belaufen sich auf etwa 14 Millionen Euro. Die Gesamtsumme muss der Verband jedoch nicht komplett selbst tragen; das Land Baden-Württemberg hat den Bau des Musikzentrums bezuschusst. Schließlich ist die Amateurmusik im Sinne der Breitenförderung von enormer Bedeutung und ermöglicht bisweilen erst den erschwinglichen Zugang zu musikalischer Bildung. Zudem fungieren die Musikvereine überall im Land als wichtige Kulturträger. Unser (das Architekturbüro LRO) Bauherr, der Blasmusikverband, belegt etwa ein Drittel der Büroräume, dazu kommen externe Mieter aus dem Musikbereich. Das sind insgesamt zehn Verbände, zum Beispiel der Schwäbische Chorverband.
Welche Hoffnungen verbinden sich mit dem neuen Zentrum?
Es soll die Vereinskultur im ganzen Land stärken. Gerade Musikvereine gibt es ja eigentlich in jedem Ort. Ich kenne das selbst aus meiner Jugend – ich komme aus Fellbach, einem Mittelzentrum in der Region Stuttgart, wo die Vereine wichtige Aufgaben und gesellschaftliche Funktionen übernehmen. Über sie kommt man auf einfache Weise mit Musik und Instrumenten in Kontakt. Hier wurde und wird Bildung vermittelt, die oft genug weit über das Musikalische hinausreicht. Ein Faktor, der allzu leicht unterschätzt wird. Wir durften die Bauherrenvertretungen als ausnehmend weltoffen und engagiert wahrnehmen – übrigens viele davon ehrenamtlich für das Musikzentrum tätig.
Dazu passt ja auch die Entscheidung für eine so moderne Architektursprache – und auch die Wahl des Grundstücks kann durchaus als mutig bezeichnet werden. Zwischen Gleisanlagen und Industriegebiet würde man nicht unbedingt einen Ort für Musik vermuten. Wie geht man mit solch einem Standort um?
Die verkehrsgünstige und innerhalb des Bundeslandes zentrale Lage hat für den Verband organisatorische Vorteile. Nahe einer Bundesstraße und unweit des Bahnhofs ist das Musikzentrum sehr gut angebunden. Mit überlegter Ausrichtung der Räume, Mauern, die die Außenbereiche abschirmen, und moderner Schallschutztechnik lassen sich die Emissionen von den Bahnanlagen her im Zaum halten. Für uns wurde diese Lage zum Leitmotiv – hinten Lärm, vorne Musik!
Wie viel Musik steckt denn im Blasmusikzentrum?
Im Musikzentrum kommen Menschen aus ganz Baden-Württemberg zusammen, um zu musizieren. Dazu werden Fortbildungen, etwa zum Chorleiter oder zum Jugendleiter, angeboten und die Verwaltungsarbeit geleistet. Unsere Aufgabe war es also, einen Bau zu entwickeln, der neben Büroräumen auch Schulungs- und Proberäume umfasst und zudem Übernachtungsmöglichkeiten bietet.
Wie verteilt sich das im Gebäude, damit sich die verschiedenen Nutzungen nicht stören?
Im Grunde haben wir zwei Gebäude gebaut, die sich am Hof gegenüberstehen: auf der einen Seite das Gästehaus für die Musiker, auf der anderen die Akademie. Die Verwaltungs- und Seminarräume sind in den beiden Obergeschossen untergebracht, im Erdgeschoss befinden sich sechs gleich große Proberäume, ein größerer Chorraum und der etwa 300 Quadratmeter große Saal für Orchesterproben und Veranstaltungen. Das Gästehaus im rechten Gebäudeteil steht für Musiker aus ganz Baden-Württemberg offen und bietet 52 Doppelzimmer und entsprechende Gastro-Bereiche. Wenn alles richtig in Betrieb ist, können im ganzen Haus schon einmal bis zu 300 Personen unterwegs sein.
Wie haben Sie die Frage von Lärm und Lautstärke gelöst? Blasinstrumente sind per se ja nicht die leisesten Instrumente …
Zunächst einmal ist das Musikzentrum Plochingen kein Konzerthaus, es erfüllt andere Bedürfnisse. Deshalb mussten wir das Innere relativ gut gegen Lärm von außen schützen – allerdings schon auch den „Lärm“, der von innen nach außen dringt, kontrollieren: gut zwei Drittel der musikalischen Nutzer sind Blechbläser. Da keine Wohngebiete angrenzen, gibt es im Quartier kein wirkliches Konfliktpotenzial. Und von den Mitarbeitern ist es durchaus gewünscht, auf akustischem Wege mitzubekommen, dass sie sich in einem Musikzentrum befinden. Wenn die Türen geschlossen sind, ist dennoch kaum etwas zu hören.
Wie sieht es mit den Musikräumen selbst aus?
Die Proberäume sind tendenziell akustisch eher gedämpft und mit verschiebbaren Vorhängen versehen, denn jeder Musiker will beim Üben sein eigenes Instrument hören – anders als in einem Konzerthaus, wo es längere Nachhallzeiten braucht, damit die Musik für das Publikum gut klingt. So gibt es auch im großen Saal einen Vorhang vor der Betonwand, der nach Bedarf vorgezogen werden kann. Bei Konzerten, ein paar Mal im Jahr, wird der Vorhang beiseitegeschoben und der Saal dadurch schallhärter gemacht. Dazu kommt eine akustisch wirksame Wandverkleidung aus Holzwerkstoff mit Klappen, die sich manuell öffnen lassen – eine professionelle, durchaus aber nicht teure Lösung, mit der sich die Akustik nochmals genauer justieren, je nach Bedarf „härter“ oder „weicher“ einstellen lässt.
Kann man den Klang vorab auf dem Papier so berechnen, dass nachher gleich alles passt?
Die Akustik wurde im Vorfeld in Zusammenarbeit mit einem Bauphysiker berechnet und geplant. Es lassen sich aber nicht alle akustischen Phänomene genau vorhersagen. Daher braucht es ein anschließendes Feintuning. So wird etwa ein unerwartetes Echo im großen Saal voraussichtlich mit einem zusätzlichen Vorhang abgefangen.
Nicht nur für die Ohren, auch für die Augen gibt es in Plochingen einiges: Vor Ort, aber auch auf dem Web-Auftritt des Musikzentrums springt die auffällige Visual Identity ins Auge. Oft genug ist Signaletik ja auch heikel, wenn sie nachträglich in Architektur eingepasst wird. Hier aber fügt sie sich perfekt ein, obwohl sie so auffällig ist.
Die visuelle Sprache stammt vom Stuttgarter Grafikbüro Uebele, das über ein Auswahlverfahren mit ins Boot kam. Wir haben schon oft zusammengearbeitet und freuen uns sehr, dass sich das Büro auch hier hat durchsetzen können. Das gleichermaßen kraftvolle wie raffinierte und durchdachte Kommunikationsdesign, das die visuelle Identität des Musikzentrums prägt und sich im Orientierungssystem für das ganze Haus wiederfindet, polarisiert, ohne Frage. Uns gefällt das, weil es zur Auseinandersetzung anregt.
Verraten Sie uns zum Abschluss, welches Instrument Sie früher gespielt haben?
Es war die Klarinette. Die fürs Orchester nötige klangliche Qualität habe ich allerdings nie erreicht.
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