Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Maßgeschneidert“ im Deutschen Architektenblatt 04.2024 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Diese drei Projekte stellen wir vor:
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Luftschiff-Hangar in Mülheim
Das Luftschiff „Theo“ kennen im Ruhrgebiet alle. Seit 50 Jahren schwebt es als Werbebotschafter über ihnen. Am Flughafen Mülheim-Essen bekam das Gefährt nun einen spektakulären neuen Hangar, der zugleich als Veranstaltungshalle für 1.500 Gäste dient.
Mit seiner schimmernden Alu-Haut ähnelt das 92 Meter lange, 42 Meter breite und 26 Meter hohe Bauwerk selbst seinem Inhalt. Fliegen wird es indes nie und nimmer – denn sein Gerippe besteht aus 557 Tonnen heimischem Holz.
Holz-Tragwerk erinnert an historische Hallenkonstruktionen
Fünfzehn gebogene Zweigelenk-Rahmen bilden die Primärstruktur, die über zehn Zentimeter starke Brettsperrholzplatten unter der Dachhaut zu einer steifen Halbschale verbunden ist – das Konzept erinnert etwas an die frühen Hallen von Freyssinet oder Zollinger.
Zirkuläres Bauen im Großmaßstab
Nachhaltig, wartungsarm und rückbautauglich sollte die Konstruktion sein. So bestehen auch alle 592 Knotenpunkte komplett aus Holz. Das Fundament des Vorgängerbaus wurde vor Ort geschreddert und wieder verbaut, die Bodenplatten stammen aus einem nahen Abbruch. Und selbst die Stehfalz-Elemente des Dachs seien zu 95 Prozent recycelt, heißt es. 156 Tonnen CO² wurden so eingespart. Ein DGNB-Zertifikat in Gold war die Folge.
Geplant haben Smyk Fischer Architekten aus Mülheim (Entwurf), Gronau plan aus Wegberg (Ausführungsplanung) sowie als Tragwerksplaner Ripkens Wiesenkämper aus Essen und Marx Krontal aus Hannover. Die Holzkonstruktion stand bereits nach zehn Wochen. Besonders imposant sind die jeweils 72 Tonnen schweren Torflügel, die von vier 80 PS starken Elektromotoren bewegt werden.
Industriearchitektur als spektakuläre Event-Location
Theo, eines von nur sechs Gefährten seiner Art, bleibt künftig als „Luftschiff zum Anfassen“ am Boden, bekommt aber einen neuen, „echten“ Zeppelin zur Seite (im Gegensatz zum prallen Theo ein halbstarres Luftschiff, das Rundfahrten, etwa zur Industriekultur, anbieten wird).
Platz ist genug in der effektvoll illuminierten Großgarage, die bereits im ersten Jahr zu 55 Events und Konzerten genutzt wurde. Anders als die viermal so große Frachtzeppelin-Werft in Brandenburg, die 2004 zum Spaßbad mutierte, wird der Hangar hier also von vornherein erfolgreich doppelt genutzt.
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Gabelstaplerhalle in Ergenzingen
Deutlich kleiner als der fußballfeldgroße Hangar in Mülheim ist der Gewerbebau im schwäbischen Ergenzingen südlich von Stuttgart, den rundzwei Architekten aus Berlin realisiert haben. Auf und um 4.900 Quadratmeter Bruttogrundfläche herum tummeln sich dafür allerdings rund 450 Fahrzeuge, die gerade Bauleute noch mehr begeistern als ein Zeppelin: Gabelstapler, Hubwagen und dergleichen. Sie kann man hier leihen, kaufen und sogar probefahren. Ein Paradies für große Jungen also, das hier im eher öden Gewerbegebiet auch architektonisch ein echter Hingucker geworden ist.
Ein Holzhut als Schutz vor Regen und Sonne
Die mittelständische Bauherrenschaft wünschte sich ein ökologisch vorbildliches Gebäude (wenn schon so viel Freifläche versiegelt wird) mit viel Stellfläche für die angebotenen Gefährte, die hier auch gewartet und repariert werden. So gliedert sich der im Grundriss längsrechteckige Bau in Halle, Werkstatt und einen Bürotrakt.
Alle drei Funktionen hält eine ringsum laufende breite Vordachhaube gestalterisch zusammen: Wie die gesamte Konstruktion ist sie aus Holz und beschirmt eine Zone zwischen Drinnen und Draußen, die für die Abläufe des Betriebs sehr praktisch ist. Fahrzeuge und Kunden können hier im Schatten und im Trockenen stehen. Zugleich schützt das Vordach die eigentliche Fassade vor Verwitterung.
Verkohltes Holz nach der Yakisugi-Methode
Das Thema „Kern und Schale“ vermittelt auch die Materialität: Während die thermisch wirksame Hallenfassade in unbehandelter Lärche bekleidet ist, wurden die zu einem Rost gekreuzten Latten der „Krempe“ vor der Montage verkohlt (nach der japanischen Yakisugi-Methode), um sie haltbarer zu machen.
Halle und Werkstatt, beide zehn Meter hoch, nehmen etwa drei Viertel der Grundfläche ein. Auf der Nordseite schließt, durch betonierte Brandabschnitte getrennt, der dreistöckige Bürotrakt an, der die Kubatur ein Stück weit durchstößt. Über die schwarze Haube hinaus ragt hier die von ebenfalls verkohlten Sonnenschutzlamellen geschützte Fassade der Büros, die sich gen Süden auf eine Dachterrasse öffnen. Das übrige Dach wurde extensiv begrünt, um den Flächenverbrauch etwas zu kompensieren.
Gute Industriearchitektur zieht Bewerber an
Die drei Bürogeschosse verbindet eine skulpturale Wendeltreppe, die in dem orthogonalen Nutzbau das soziale und gestalterische Zentrum markiert – und aufgrund ihres großen ovalen Ausmaßes auch sehr bequem zu begehen ist.
Das Gebäude verfügt über eine Industriebodenheizung und ist rein natürlich belüftet. Für Wärme sorgt ein Biogas-Blockheizkraftwerk, für heiße Sommer gibt es eine Absorptionskältemaschine. Regenwasser wird in einer Zisterne gesammelt.
Die noch recht jungen Berliner Architekten hinter „rundzwei“, Marc Dufour-Feronce und Andreas Reeg, arbeiteten zuvor unter anderem für ACME in Großbritannien und im Mittleren Osten. Dies ist ihr erster Gewerbebau – und ein sehr bemerkenswerter Anfang. Das rund neunzigköpfige Team ihrer Bauherren ist sehr zufrieden, und Bewerbungen häufen sich – wegen der guten Arbeitsumgebung.
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Rasierwaren-Manufaktur im Erzgebirge
Während der „Holzhut“ mit seinen Hunderten Gabelstaplern also das Beste aus der berüchtigten „grünen Wiese“ gemacht hat, realisiert sich in der Erzgebirgsgemeinde Stützengrün-Hundshübel der Traum vieler Planer von der friedlichen Koexistenz von Produktion und Wohnen.
Das Leipziger Atelier ST konnte dabei allerdings wortwörtlich auf eine lange Tradition bauen, denn ihr Bauherr, eine Manufaktur für Rasierwaren, produziert seit Langem in dem kleinen Ort. Nun wollte die Firma ihr Werksgelände mithilfe der jungen Architekten, die sich mit respektvollen Ergänzungen im ländlichen Sachsen einen Namen gemacht haben, nachverdichten.
Nachverdichtung auf dem Land
Anstelle einer alten Baracke schufen Sebastian Thaut und Silvia Schellenberg-Thaut gegenüber dem Haupteingang eine neue Werkshalle zum Sortieren und Verpacken der Produkte. Die Kubatur fügt sich in den Bestand ein, durch einen Rücksprung gewinnt der Innenhof der Fabrik aber an Aufenthaltsqualität. Was frappiert, ist die Materialisierung des schlichten Quaders.
Präzision und Eleganz gehören zum Markenkern der Firma, und so stellt sich auch der Neubau zunächst sehr „clean“, geschliffen und scharfkantig dar: Das Gesicht zum Hof ist eine schimmernde, spiegelnde Pfosten-Riegel-Fassade aus Aluminium und Glas.
Brettsperrholzkonstruktion mit Einblasdämmung
Dass Pfosten und Dachträger aus Brettschichtholz bestehen, realisiert der Betrachter erst beim Betreten des Bauwerks. Kühle Hülle und warmes Interieur kontrastieren also enorm. Decke und Dach bestehen auch hier aus Brettsperrholz-Elementen, im Zwischenraum wärmt eine Einblasdämmung. Nur als Stütze gegen den rückwärtigen Hang und als Frostschürze dient Beton.
Das letzte Feld des nur 400 Quadratmeter großen, fünf Meter hohen Rasterbau-Quaders füllt ein zweistöckiges Volumen mit Büro und Besprechungsraum. An dieser eingestellten Box wiederholt sich das Pfosten-Riegel-Motiv der Hauptfassade zum Innenraum, allerdings in engerem Rhythmus.
Photovoltaik und Geothermie
Die übrigen Innenwände sind mit Holzlamellen bekleidet, was eine angenehme, gedämpfte Atmosphäre schafft. Das verwendete lokale Fichtenholz stellt zudem einen Bezug zu den Wäldern der Gegend her. Errichtet hat die Konstruktion eine lokale Zimmerei.
Das Gebäude wird, anders als ursprünglich geplant, nicht mit Gas, sondern über Geothermie beheizt, da der Ukraine-Krieg die Gaspreise zur Bauzeit in die Höhe trieb. Die Erdwärmepumpe steht sichtbar im Raum. Auf dem extensiv begrünten Dach erzeugen Photovoltaik-Module Strom.
Architektur ist Markenbildung
„Architektur ist Markenbildung“, sagt Architekt Sebastian Thaut. Es ist indes eine schlichte, unaufgeregte Weise, mit der hier die viel beschworene „Corporate Identity“ weitergewebt wird. Das elegante kleine Gebäude setzt so gewissermaßen auf nachhaltige Art die Tradition der Moderne fort, die gerade im kleinräumigen Ostdeutschland noch mancherorts überdauert.
So stehen die drei ganz unterschiedlichen Beispiele stellvertretend für eine lebendige Industriebaukultur im Lande. Alle drei Projekte entstanden übrigens als Direktauftrag an freie Architekten.
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