Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Handarbeit“ im Deutschen Architektenblatt 06.2024 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Eigentlich ging es nur um ein paar Übernachtungsmöglichkeiten für den Geschichtspark Bärnau-Tachov, ein archäologisches Freilichtmuseum an der tschechischen Grenze in der Oberpfalz. Die Parkleitung wollte zu diesem Zweck vier vorgefertigte Tiny Houses bestellen. Die auf den Baustellen des Parks tätigen Wandergesellen aber protestierten: „Lasst uns das machen, was wir können! Mit Kreis- und Kettensäge und ein paar Böcken bauen wir die Häuser selber.“
Einfache und nachhaltige Bauweisen testen
Die Idee stieß auf fruchtbaren Boden und fand Mitstreiter – denn zur selben Zeit suchte das in der Region vorwiegend im Denkmalschutz tätige Architekturbüro Schönberger aus Oberviechtach/Regensburg eine Möglichkeit, nachhaltige Bauweisen im größeren Maßstab zu erproben.
Junior Julius Schönberger, 23, hatte sich in seiner Abschlussarbeit an der OTH Regensburg gerade mit einfachen Bauweisen beschäftigt. Nachdem das Büro gemeinsam mit den Handwerkern des Geschichtsparks ein Konzept entwickelt hatte, gelang es dem Team, die OTH sowie die Hochschule Amberg-Weiden für ein Forschungsprojekt in Bärnau zu gewinnen: Die Naturdorf-Idee war geboren.
Welche Materialien halten am längsten?
So entstanden in Sichtweite der 30 mit mittelalterlichen Handwerkstechniken rekonstruierten Gebäude des Museums statt modischer Tiny Houses ab 2022 vier kleine Häuser in Fachwerkbauweise, mit steilem Dach und hohem Kniestock. An den zukünftigen Ferienhäusern sollen alte Bauweisen und Rohstoffe evaluiert sowie auf ihre Zukunftstauglichkeit geprüft werden.
Die Leitfrage ist dabei, welche Materialien am längsten haltbar sind, zugleich am wenigsten Energie verbrauchen – und trotzdem einen hohen Wohnkomfort bieten. Wie die Museumsbauten haben auch die Fachwerkhäuser des Naturdorfs historische Bezüge: „In den 1920er-Jahren gab es eine ähnliche Bauform als Siedlungshaus“, erklärt Julius Schönberger.
Lokale Baumaterialien: Holz, Stein, Lehm
Das Holz für die Neubauten kam aus dem nahen Wald, die Steine für den Sockel aus einem lokalen Steinbruch. Die Streifenfundamente bestehen aus Stampfkalk (römischer Beton „wie beim Pantheon“, weiß Julius Schönberger). Wie das Einstampfen der Kalk-Lehmmischung wurde vieles von Hand beziehungsweise Fuß erledigt – doch anders als im Geschichtspark, wo es um gelebte Archäologie geht, waren heutige, elektrisch betriebene Werkzeuge erlaubt.
Die Materialbeschaffung mag in jenen fernen Zeiten aber ähnlich gewesen sein wie heute: Für eine GEG-konforme Dämmung der Wände sorgt eine Mischung aus Kalk und Hanf, mit einer Gleitschalung händisch eingebracht. Sie erreicht einen beachtlichen U-Wert von etwa 0,2. Zum Einsatz kamen nur Hanfschäben, also die Stängel, die der Landwirt sonst unterpflügt. Ein Lehmputz bildet die abschließende Schicht.
Ökologische Dämmung und Dampfbremse
Zum Erdreich sind die Gebäude mit Pflanzenkohle gedämmt. Auch die Dachkonstruktion wärmen Hanffasern, als winddichte Dampfbremse werden gewachstes Papier und Loden oder Filz verwendet. Hier experimentieren die Beteiligten noch – als Basis dienen Messungen eingebauter Sensoren. Selbst die Fenster fertigten Wandergesellen aus ganz Europa kunstvoll (und komplett demontabel) in der museumseigenen Werkstatt. Viele gute Ideen verbreiten sich so über die Wanderschaft.
Das Werkzeug bestimmt die Form
„Wir sollten Handwerk und Planung wieder mehr zusammendenken“, sagt Steinmetzmeister und Bildhauer Andreas Mann, 34, der als ehemaliger Wandergeselle die treibende Kraft hinter dem Projekt ist. „Form follows tool“, also das Werkzeug bestimmt die Form, ist seine Devise.
Er rechtfertigt ausdrücklich den „Retro-Look“ der Häuser, den manche modernen Gestalter kritisieren: „Wir haben gebaut, wie sich die Formgestaltung bewährt hat. Der vorindustrielle Baubestand ist immer noch sehr langlebig. Ein Flachdach oder ein Kubus hätte hier keinen Sinn ergeben. Und das hier ist eindeutig die klimaneutralste Art zu bauen.“
Gegenszenario zum digitalen und seriellen Bauen
Aber rechnet sich der hohe Anteil an Handarbeit? „Aktuell lohnt sich handwerkliche Arbeit oft nicht, weil die Energie so günstig ist. Eine CO₂-Steuer würde reichen, um kapitalschwächere Techniken wie unsere zu fördern“, so die Einschätzung des Meisters. Und er gibt zu bedenken: „Viele der Arbeiten, wie etwa das Einstampfen von Lehm und Kalk, können auch ungelernte Kräfte ausführen.“ Natürlich lasse sich heute ein Fachwerkhaus rasch mit CNC-Fräsen fertigen, aber die nicht ganz perfekte Handarbeit habe doch ihre eigene organische Tiefe. „Wir hier stehen für ein Gegenszenario zum digitalen und seriellen Bauen.“
Architektennachwuchs Julius Schönberger ist ebenfalls von der Bauweise überzeugt: „Wir können uns heute alles aussuchen an Bauformen. Und das, was zwischen Vorstellung und Wirklichkeit liegt, müssen wir mit Technik, mit Chemie überbrücken. Das ist nicht nachhaltig.“
Ein gestampftes Gemisch aus Hanf, Kalk und Lehm sorgt für gut dämmende Wände. (Klicken für mehr Bilder)
Kompromisse bei Heizung und Solaranlage
Ein paar Kompromisse ging das Bauteam jedoch schon ein. Es gibt in den Häusern nicht nur jeweils einen zentralen Kaminofen (mit einem Kaminzug aus Betonsteinen), sondern auch Heizschlangen in Fußböden oder Wänden. Ein Pelletkessel in einem Anbau versorgt das Nahwärmenetz, das einen Pufferspeicher speist. Der sitzt, in eine imposante kreisrunde Stampflehmwand verpackt, mitten in einem der Häuser, gleich neben der Sauna.
Die Dächer sind nur zum Teil aus Lärchenschindeln, ein eigens verlängertes Süddach trägt künftig eine Solaranlage. Das Regenwasser fließt über Zinkblechrinnen in einen Teich.
Baustelle fast ohne Müll
Wo sonst Container voller Folien- und Styroporreste das Bild bestimmen, gelang hier aber eine so gut wie müllfreie Baustelle. Mehr noch: „Die Häuser lassen sich am Ende fast komplett kompostieren“, freut sich Julius Schönberger. Und sie fügen sich perfekt in den Kontext ein: „Wenn ich hier um mich blicke, sehe ich nichts Modernes“, schwärmt Andreas Mann.
Fassaden erfordern regelmäßige Pflege
Freilich werden die natürlichen Fassaden der Häuser regelmäßig Pflege erfordern: „Früher war es ganz normal, einen ‚Frühjahrsputz‘ zu machen, also die Oberflächen auszubessern“, sagt Julius Schönberger. „Das stärkt die Identifikation der Bewohner mit den Häusern“, findet er. „Es geht um das Leben nicht nur im, sondern mit dem Haus.“ Hier im Museumsdorf gibt es indes für den Unterhalt der Bauten ohnehin ein Team von Handwerkern.
Neue Fachleute für nachhaltiges Bauen gewinnen
Mit dem Naturdorf will das Team vor allem Fachleute für ein nachhaltigeres Bauen gewinnen. „Ältere Handwerker können sich noch gut an manche unserer Praktiken erinnern“, sagt Juliuzs Schönberger. Doch die anerkannten Regeln sähen heute leider anders aus: „Ohne Kunststoffschienen zu verputzen, geht heute kaum mehr.“
Unter den Architekten indes sieht Julius Schönberger einen „Kampf der Bilder“ im Gange: „Beim Klicken durch Pinterest und ähnliche Webseiten wird sofort aussortiert, was irgendwie traditionell aussieht“, beklagt er. „Die Trends werden auch in der Ökologie in den Städten gesetzt, dabei funktioniert auf dem Land vieles anders.“ Als Beispiele nennt er Mobilitätskonzepte oder Urban Mining.
Umdenken bei Bauindustrie und an Hochschulen beginnt
In der Industrie wächst indes das Interesse an alternativen Baustoffen und regionalen Wertschöpfungskreisläufen. „Die ,Worst Performer‘ in der Produktpalette werden ausgelistet“, bemerkt Julius Schönberger, der trotz seines jungen Alters schon DGNB-Auditor ist. „Aber vieles ist nur Greenwashing“, bemerkt er trocken – hat aber gleich auch ein positives Gegenbeispiel parat: Immerhin habe eine Keramikfirma in der Region auf die Produktion von Lehmbauplatten umgestellt – mit zweistelligen Zuwachsraten.
An der Hochschule sieht der engagierte junge Baumeister ein deutliches Umdenken: weg vom klassischen Stahl- und Betonbau, hin zur Erprobung alternativer Materialien.
Oberpfalz als Forschungsregion für nachhaltiges Bauen
Derzeit beschäftigen sich mehrere Forschungsarbeiten mit der Baustelle in Bärnau. Diese wird noch eine Weile die Chance zur Beobachtung bieten: Weil vieles noch erprobt wird und auch die Mittel des formell privaten Projekts gerade etwas knapp sind, ist die Eröffnung des Naturdorfes erst für Anfang 2026 geplant.
Doch die Beteiligten denken schon weiter: Das Team erhofft sich hier einmal ein Forschungszentrum für nachhaltige Baumethodik, das besonders Altbauten in den Blick nimmt. Versuchsobjekte gäbe es genug: In der strukturschwachen Region stehen vielerorts halbe Dörfer leer.
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