DABonline | Deutsches Architektenblatt
Menü schließen

Rubriken

Services

Menü schließen

Rubriken

Services

Zurück
[ Weniger Technik ]

Einfach Bauen: Ergebnisse und neue Forschungshäuser

Führt ein Weg heraus aus der Übertechnisierung unserer zeitgenössischen Architektur? ­Architekt Florian Nagler ist überzeugt davon. Seine Forschungshäuser in Bad Aibling sind ­legendär – und inzwischen auch unter realen Nutzungsbedingungen evaluiert. Sie waren der Startpunkt für eine Reihe weiterer Projekte, an denen Naglers Team die Prinzipien für ­einfaches Bauen weiterentwickelt.

Holzhaus mit bläulicher Fassade und Satteldach
Haus 4 ist das erste von drei neuen Forschungshäusern mit dem Ziel, die grauen Emissionen weiter zu reduzieren.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Einfach machen“ im Deutschen Architektenblatt 06.2024 erschienen.

Von Alexander Russ

Bauprozesse werden immer komplizierter. Ein Grund dafür ist die Gebäudetechnik, die nicht nur komplexe Planungsprozesse nach sich zieht, sondern auch fehleranfällig sein kann. Aber wie lässt sich das Ganze leichter umsetzen? Der Münchner Architekt Florian Nagler will mit „Einfach Bauen“ eine Antwort darauf finden. Seit Jahren entwickelt er das planerische Konzept, das mittlerweile einen großen Widerhall in der Architektenschaft findet, immer weiter.

Wenig Haustechnik und wenig Fremdstoffe

Vorbild war das Projekt 2226 in Lustenau von Baumschlager Eberle, ein Bürohaus, das ohne Heizung auskommt. „Einfach Bauen“ wollte diesen Ansatz auf Wohngebäude anwenden. In der Folge rief Florian Nagler, der auch den Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren an der TU München innehat, ein Forschungsvorhaben ins Leben.

Seitdem beschäftigen sich mehrere Lehrstühle mit der Frage, wie man Bauprozesse vereinfachen kann – zum Beispiel, indem man einfache Konstruktionen anwendet, die möglichst wenig Fremdstoffe enthalten. Hinzu kommt eine Haustechnik, die zwar anders als beim Projekt 2226 auf eine Heizung nicht komplett verzichtet, aber die technologischen Komponenten so weit wie möglich reduziert.

Einfache architektonische Prinzipien

Wichtig ist Florian Nagler und seinem Team, ihr Ziel mit den Mitteln der Architektur zu erreichen. Konkret bedeutet das, einen Schritt „back to the roots“ zu gehen, also Materialien zu verwenden, deren thermische Trägheit im Winter wie im Sommer ein stabiles Raumklima erzeugt, die Fenster darauf abgestimmt zu platzieren oder geneigte Vordächer mit Dachüberstand und außen liegenden Rinnen einzusetzen, um den Regen vom Gebäude fernzuhalten.

Tilmann Jarmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl und Projektleiter in Florian Naglers Büro, fasst es so zusammen: „Wir versuchen, mit den Elementen des einfachen Bauens zu gestalten. Anstatt den Entwurf nur als möglichst freien schöpferischen Vorgang und das Gebäude als Skulptur zu verstehen, nähern wir uns dem Ganzen über eine bestimmte Materialität und wenden die damit verknüpften Konstruktionstechniken an.“

<<< Jump Mark: endberichte >>>
Endberichte zum Forschungsprojekt „Einfach Bauen“

Das Forschungsvorhaben unterteilte sich in drei Schritte, denen jeweils Endberichte folgten (herunterzuladen auf der Website von „Einfach Bauen“).

1. Das optimale Zimmer

Im ersten Schritt untersuchte das Team mit einem Simulationsprogramm an einem 18 Quadratmeter großen Raum die Wechselwirkungen aus Nutzungsverhalten, Materialität, Konstruktion, Raumgeometrie, Fensteröffnungen und Wettereinflüssen. Als beste Variante ergab sich ein Zimmer mit sechs Metern Tiefe, einer Höhe von 3,40 Metern und einem großen Fenster, das für die optimale Belichtung relativ weit oben angesetzt ist – Parameter, wie sie die Wohnräume in Gründerzeithäusern aufweisen.

Forschunghäuser in Bad Aibling mit Spielplatz und Bäumen
Die ersten drei Forschungshäuser in Bad Aibling testen unterschiedliche massive Außenwandkonstruktionen. Links: Infraleichtbeton. Mitte: Holzhybrid mit Stahlbetondecken. Rechts: Mauerwerk. Die Häuser sind seit drei Jahren bewohnt.

2. Die drei Forschungshäuser

Im zweiten Schritt übersetzten die Architekten diese Erkenntnisse in drei konkrete Bauten mit unterschiedlichen einschaligen Außenwandkonstruktionen: Die sogenannten Forschungshäuser in Bad Aibling sind drei Wohngebäude mit jeweils acht Wohnungen und etwa 400 Quadratmetern Wohnfläche – einmal aus Infraleichtbeton, einmal aus Mauerwerk und einmal als Holzhybrid mit Stahlbetondecken errichtet. Wie der Architekt sie im persönlichen Gespräch vorstellt, lesen Sie in unserem Interview mit Florian Nagler.

3. Nutzerverhalten und Energieverbrauch

Um herauszufinden, ob das Konzept praxistauglich ist, überprüfte das Team von „Einfach Bauen“ im dritten Schritt des Forschungsvorhabens das konkrete Nutzerverhalten. So wurde etwa der Verbrauch der Heizenergie in einem Zeitraum von zwei Jahren gemessen. Alle drei Gebäude wiesen hierbei geringere Werte auf, als zuvor im Wärmeschutznachweis berechnet. Zudem untersuchte das Team pro Haus zwei Wohnungen in den oberen Geschossen. Dafür kam dann doch einige Technik zum Einsatz: Über 100 Sensoren kontrollierten, wann die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Fenster öffnen, welche Temperaturen Raum und Heizkörper haben oder wie hoch die Luftfeuchtigkeit ist. Dabei zeigte sich eine große Streuung im Nutzungsverhalten: So gab es Bewohnerinnen oder Bewohner, die durch permanentes Lüften und Heizen viel Energie verbrauchten, aber auch solche, die sich sehr effizient verhielten.

<<< Jump Mark: erkenntnisse >>>
Erkenntnisse für Energiekonzept oder Lüftungskonzept

Die daraus gezogenen Erkenntnisse lassen sich auf verschiedene Fälle anwenden – etwa bei Sanierungsmaßnahmen, um Rückschlüsse auf deren Auswirkungen zu ziehen. Anhand von Simulationen kann nun überprüft werden, welche Maßnahmen bei welchem Nutzungsverhalten überhaupt sinnvoll sind.

Ein Beispiel wäre die Verwendung einer Lüftungsanlage in einem Wohnungsbau. Diese wäre keine effizienzsteigernde Maßnahme, wenn über die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner weiter über ihre Fenster lüften. Als Folge stellt sich der Effizienzgewinn, den die Lüftungsanlage bei geschlossenen Fenstern theoretisch produziert, in der Praxis nicht ein.


<<< Jump Mark: wogeno >>>

Langes Wohnhaus mit Satteldach und Balkonen aus Holz
Auf die ersten drei Forschungshäuser folgte ein Holzbau mit Wohnungen für die Genossenschaft Wogeno. Unter anderem wurde der Außenwandaufbau optimiert.

Das erste Folgeprojekt: Wogeno in Bad Aibling

Die Auswertung des Forschungsvorhabens stellt aber keinen Schlusspunkt dar, sondern ist erst der Anfang von „Einfach Bauen“ – denn mittlerweile hat Florian Nagler drei weitere Projekte realisiert. Das erste, ein Mehrfamilienhaus aus Holz mit 22 Wohnungen für die Wohngenossenschaft Wogeno, befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den drei Forschungshäusern.

Weniger Wärmeverluste

„Das Ganze war eine Weiterentwicklung, weil wir hier ein Gebäude mit 22 Wohnungen verwirklicht haben, in dem die Wärmeverluste aufgrund der Gebäudehülle halbiert wurden. Im Haus gibt es pro Geschoss vier Eckzimmer. Der Rest ist sehr kompakt. Schon dadurch ist das Gebäude effizienter als die drei Forschungshäuser“, erklärt Tilmann Jarmer das Konzept für den Wogeno-Bau.

Geringerer Außenwandaufbau

Außerdem wurden beim Außenwandaufbau 13 Zentimeter gegenüber dem Holzhybrid-Forschungshaus eingespart, was 50 Quadratmeter zusätzliche Wohnfläche erzeugte. Während Letzteres eine Vollholzwand mit 30 Zentimetern aufweist, sind es beim Wogeno-Gebäude nur 22 Zentimeter. Hinzu kommt hier eine Traglattung von nur einem Zentimeter und eine daran befestigte Wetterschale aus vorvergrauter Fichte mit drei Zentimetern. Demgegenüber kommt das Holzhybrid-Forschungshaus auf einen Aufbau von neun Zentimetern, der sich aus Konterlattung, Traglattung und einer Holzverschalung von jeweils drei Zentimetern zusammensetzt.

Balkone und Sonnenschutzlamellen aus Holz
Für den Sonnenschutz sorgen aus der Fassade springende Rahmen und eine vorgesetzte Wand aus Lamellen.

Holzdecken, Treppenhauskern, Sonnenschutz

Auch an weiteren konstruktiven Punkten wurde gefeilt: Anstatt Geschossdecken aus Beton verwendeten die Architekten Holzdecken. Um trotzdem eine gewisse thermische Trägheit zu erzielen, gibt es zwei Treppenhäuser, die von Wänden aus 24 Zentimeter dickem Stahlbeton eingefasst sind. Sie dienen als Rückwand für die einzelnen Wohneinheiten und erzeugen dadurch einen Temperaturpuffer. Hinzu kommt ein außen liegender Sonnenschutz. Im Unterschied zu den drei Forschungshäusern hat jede Wohnung einen großen Balkon.


<<< Jump Mark: haus4 >>>

Dreistöckiges Holzhaus mit Balkonen zwischen Bäumen
Haus 4 wurde mit Materialien errichtet, die eine besonders gute Ökobilanz haben.

Das zweite Folgeprojekt: Haus 4 in Bad Aibling

Neben dem Genossenschaftshaus wurde ein weiterer Bau in Bad Aibling gerade fertiggestellt: „Haus 4“ ist eines von drei neuen Forschungshäusern. Bei ihnen geht es laut Tilmann Jarmer unter anderem darum, den Aufwand, der bei der Materialherstellung, dem Bauprozess und später bei einem Umbau oder der Entsorgung des Gebäudes entsteht, zu verringern: „Das Ziel war es, die grauen Emissionen von Gebäude und Gebäudetechnik noch weiter zu reduzieren. Wir wollten zum Beispiel so wenig Zement und Beton wie möglich verwenden.“

Wohnraum mit Wänden aus Ziegeln und Holzfußboden und Holzdecke
Im Haus 4 kombinierte das Team Außenwände und Decken aus Holz mit tragenden Innenwänden aus Lehmziegeln.

Holz kombiniert mit Lehm und Stroh

Dazu kombinierte das Team Holz – für Außenwände und Decken – mit einem Lehmstein für die tragenden Innenwände. Hierbei handelt es sich um Ziegel aus getrocknetem Lehm im gängigen Mauerwerksformat 2 DF. Hinzu kamen Trennwände aus Strohbauplatten zwischen den einzelnen Zimmern.

Abbruchmaterial und Vorfertigung

Für die beiden weiteren Forschungshäuser sind konventionelle Streifenfundamente aus Beton geplant. Allerdings soll dafür der alte Hallenboden aus dem Abbruch einer nahe gelegenen Werkshalle verwendet werden. Zudem ist ein höheres Maß an Vorfertigung und das Entwickeln einer Konstruktion vorgesehen, die sich für die Gebäudeklasse 5 eignet.

Treppenhaus mit Holztreppen und Lehmsteinen
Im Treppenhaus sind die Holzstufen direkt in der Wand aus Lehmsteinen vermauert.

<<< Jump Mark: gartenhaus >>>

Dreistöckiges Holzhaus mit Baugerüst zwischen Bäumen
Das noch nicht ganz fertige Münchner „Gartenhaus“ kommt komplett ohne Zement, Beton und Gipskarton aus.

Das dritte Folgeprojekt: Gartenhaus in München

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Florian Naglers neuestes Projekt in München, das sogenannte Gartenhaus: ein Wohn- und Bürogebäude, das der Architekt für sich selbst im Stadtteil Pasing errichtet hat. Hier verzichtete er komplett auf Zement, Beton und Gipskarton. Anstatt eines Betonfundaments gibt es drei Meter lange Schraubfundamente aus verzinktem Stahl. Darauf sitzt ein Rost aus Massivholz.

Gestapelte Lehmziegel vor einer Holzwand
Auch im Gartenhaus von Florian Nagler Architekten triftt Holz auf Lehmziegel.

<<< Jump Mark: leitfaden >>>
Einfach Bauen: der Leitfaden

Florian Nagler ist Überzeugungstäter – und sehr daran interessiert, dass einfachere Bauweisen den Weg in die Breite finden. Dafür wurde im Rahmen von „Einfach Bauen“ ein Leitfaden erstellt, der als Buch im Birkhäuser-Verlag erschienen ist. Kostenlos gibt es ihn auch als reduzierte Version auf der Homepage des Forschungsvorhabens zum Herunterladen.

In sechs Kapiteln, die von den zugrunde liegenden Prinzipien bis ins Detail gehen, wird hier das Konzept anschaulich erläutert. Themen sind:

  • kompaktes Verhältnis vom Volumen zur Hülle,
  • Platzierung von Fenstern,
  • thermische Trägheit,
  • robuste Gebäudetechnik,
  • Trennung technischer Systeme vom Bauwerk
  • materialgerechte Konstruktion.

Dazu werden die Auswirkungen entwurflicher Entscheidungen anhand von Beispielrechnungen aufgezeigt. Die ersten drei Forschungshäuser dienen als anschauliche Projekte. Deren Lösungsansätze sind ausdrücklich als Inspirationsquelle für Architektinnen und Architekten gedacht, um „einfach“ weiterzubauen.


Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Einfach

2 Gedanken zu „Einfach Bauen: Ergebnisse und neue Forschungshäuser

  1. „Ergebnisse der Forschungshäuser“ … im ganzen Artikel kein Wort über „Ergebnisse“, nur die Infos, die wir alle schon zu Hauf kennen. Wurde das vergessen, oder kommt da noch etwas?

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Sie wollen schon gehen?

Bleiben Sie informiert mit dem DABnewsletter und lesen Sie alle zwei Wochen das Wichtigste aus Architektur, Bautechnik und Baurecht.

Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.
Anzeige