Architektur formt Räume und schafft eine lebensfördernde Umgebung. Räume sollen funktional sein, aber auch ästhetisch ansprechend sein und das Wohlbefinden fördern. Seit den 1980er-Jahren wird dieser Ansatz in der Planung von Gesundheitsbauten berücksichtigt. Der Architekturprofessor Roger Ulrich hat in seiner Studie „View through a Window May Influence Recovery from Surgery“ gezeigt, dass gut gestaltete Architektur die Genesung von Patienten unterstützt.
Architektur wirkt direkt auf Menschen: Sie kann Stress reduzieren, die Kommunikation fördern sowie das allgemeine Wohlbefinden der Bewohner stärken. Viele dieser Wahrnehmungen sind den Menschen nicht bewusst, daher können die Planer sie auch nicht erfragen.
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Raumgestaltung an den Menschen ausrichten
Deshalb sollten Gestalter verstehen, wie die Grundrissstruktur, die Anordnung der Räume und ihre Übergänge, die Lichtverhältnisse und die Materialwahl das menschliche Verhalten beeinflussen. Menschengerechte Bauten nehmen Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bewohner, sowohl psychologisch als auch physiologisch. Neurowissenschaftliche und umweltpsychologische Erkenntnisse bilden wichtige Grundlagen für eine evidenzbasierte Gestaltung. Architekten können somit bereits in der Planungsphase den Einfluss der Architektur auf den Alltag der Menschen berücksichtigen und Lebensqualität und Zusammenleben verbessern.
Das ist auch entscheidend für die Nachhaltigkeit unserer gebauten Umwelt, denn nur Gebäude und Räume, die die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen, werden langfristig genutzt und geschätzt.
Bedürfnisse und Nutzung verstehen
Bewohnerinnen und Bewohner wollen ihr Wohnumfeld selbst gestalten und es als ihr eigenes ansehen. Dies ist entscheidend für das Gefühl, „Zuhause zu sein“. Bei der Planung ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie Räume genutzt werden und welches Verhalten sie fördern. Doch häufig wird umgekehrt erwartet, dass Bewohner sich auf eine bestimmte Weise verhalten, und diese Annahmen müssen mit der Realität übereinstimmen. Die Architektur- und Wohnpsychologie und das Konzept des Biophilic Designs beschäftigen sich damit, dies zu analysieren und einzuschätzen. Beide stellen den Menschen in den Mittelpunkt.
Das Design eines Raumes wird wesentlich von seiner Zweckmäßigkeit bestimmt. Vor der Planung müssen Fragen beantwortet werden wie:
- „Wer nutzt den Raum und wofür?“ und
- „Welche spezifischen Bedürfnisse haben die Bewohnerinnen und Bewohner?“
Dabei spielen nicht nur die aktuellen, sondern auch zukünftige Anforderungen eine Rolle. Eine Einzelperson mag einen offenen multifunktionalen Raum schätzen, der als Wohnzimmer und Arbeitsplatz und vielleicht auch noch als Küche und Schlafzimmer dient. Als Paar, Familie mit Kindern oder WG rücken dann verschiedene Nutzungsbereiche und Rückzugsmöglichkeiten in den Fokus.
Geschützte Sitzbereiche schaffen
Es ist auch wichtig, negative Effekte wie das Reaktanzverhalten zu berücksichtigen, bei dem sich die Bewohner fühlen, als stünden sie unter Beobachtung. Erholungsbereiche sollten nicht von überall einsehbar sein. Ein Sofa, das von allen Seiten, vielleicht sogar von der Küche, von einer Galerie oder vom Eingangsbereich aus einsehbar ist, erfüllt nicht die Kriterien eines idealen Wohlfühlorts zum Entspannen.
Stattdessen sollten Rückzugsorte, wie beispielsweise Sitzplätze, von hinten und oben geschützt sein, um ein Gefühl der Geborgenheit zu schaffen. Forschungen haben gezeigt, dass dies die Herzfrequenz und den Blutdruck senken sowie die Konzentration und Aufmerksamkeit verbessern kann.
Gemeinschaftliche und private Zonen trennen
In einem gut durchdachten Wohnumfeld unterstützt die Gestaltung der Begegnungsräume soziale Interaktionen. Diese Bereiche sind oft zentral gelegen und bieten komfortable Sitzmöglichkeiten, die zum Verweilen und Kommunizieren einladen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass jeder Bewohner einen persönlichen Bereich für sich hat, um Spannungen im Zusammenleben aus dem Weg gehen zu können. Eine klare Trennung zwischen gemeinschaftlichen und privaten Zonen ist also stets vorteilhaft.
Blickbeziehungen und Aussichten schaffen
Eine effektive Nutzung visueller Reize in der Raumgestaltung wirkt sich entscheidend auf unser Wohlbefinden und unsere psychologische Reaktion auf die Umgebung aus. Ein gut geplanter Raum berücksichtigt sowohl die Aussicht als auch die Privatsphäre. Die Theorie des Biophilic Designs des Beratungsunternehmens Terrapin Bright Green besagt, dass Menschen instinktiv Orte bevorzugen, die sowohl Schutz bieten als auch die Möglichkeit zur Überwachung der Umgebung erlauben.
Ein gelungen gestalteter Raum vermittelt Sicherheit und Freiheit durch visuelle Reize. Dies wird durch eine ausgewogene Mischung aus offenen Sichtlinien und geschützten Bereichen erreicht. Die Aussicht nach draußen ermöglichen es uns, unsere Umgebung zu überblicken und uns zu orientieren. Zudem haben wir ein Gefühl der Kontrolle und sehen, was auf uns zukommt.
Fenster richtig positionieren
In der Praxis ist es ratsam, die Fenster entsprechend der vorhandenen Aussicht auszurichten (siehe auch erstes Bild) und ihre Größe an die Wohnbedürfnisse anzupassen. Bodentiefe Fenster sollten nur dort verwendet werden, wo die Privatheit nicht beeinträchtigt wird. Hoch gelegene Fenster sind beispielsweise in Gäste-Toiletten in Ordnung, in Wohnräumen können die fehlenden Ausblicke jedoch dazu führen, dass sich Menschen dort nicht gerne aufhalten.
Bei Fensterflächen ist zu bedenken, dass sie nachts anders wirken als tagsüber: Was tagsüber der malerische Ausblick in den Garten ist, kann sich bei Dunkelheit in eine schwarze Wand verwandeln, die kalt wirkt und ein Gefühl der Gefahr erzeugt. Eine angemessene Beleuchtung im Garten kann dann für eine angenehme Atmosphäre sorgen.
Hingegen sind Fenster von außen bei Tageslicht kaum einsehbar, werden jedoch bei Beleuchtung im Innenraum zum Schaufenster, sofern keine Jalousien oder Vorhänge vorhanden oder gewünscht sind.
Tageslicht für die Raumgestaltung nutzen
Der Biorhythmus des Menschen ist auf das sich verändernde Lichtspektrum im Laufe des Tages abgestimmt. Morgens benötigen wir kaltweißes Licht mit einem hohen Blauanteil, um Cortisol zu bilden und wach zu werden. Während des Tages verändert sich das Lichtspektrum. Abends sorgt warmes Licht dafür, dass Melatonin ausgeschüttet wird, was uns beim Entspannen und Einschlafen hilft.
Viele Funktionen im Körper wie Wach-Schlaf-Rhythmus, das Wachstum, die Pubertät bei Kindern und die Leistungsfähigkeit werden von diesem natürlichen Wechsel beeinflusst. Rolf Göbel, Leiter des Lichtinstituts Melalux, hebt aus seinen langjährigen Forschungen hervor: „Die Menschen orientieren sich an der Natur und benötigen dabei das ganze Farbspektrum.“
Es scheint zunächst widersprüchlich zu sein, dass eine gute Ausleuchtung mit Tageslicht und ein effektiver Hitzeschutz gleichzeitig möglich sind. Doch laut Architekt und Lichtplaner Dr. Helmut Köster erwärmt kurzwelliges Licht, das auf die Erde gelangt, unsere Räume nicht. Wichtig ist, dass die Absorption des Fensterglases gering ist und nur wenige Lichtstrahlen in langwelliges Licht umgewandelt werden, die dann den Raum erwärmen.
Mit den von Dr. Helmut Köster entwickelten Lamellen-Systemen kann das Tageslicht gezielt in bestimmte Bereiche gelenkt und Blendeffekte verhindert werden. Die Lamellen liegen dabei horizontal und ermöglichen gleichzeitig einen guten Ausblick. Aber auch mit Oberlicht-Bändern, Lichtkuppeln oder Lichtrohren kann das Tageslicht tief in Räume gelenkt werden.
Künstliches Licht bei der Raumgestaltung gezielt einsetzen
Für die Übergangszeiten und die Nacht kommt dann künstliches Licht hinzu. Mit verschiedenen Lichtarten und Farbtemperaturen können nicht nur Stimmungen im Raum erzeugt, sondern als biodynamisches Licht auch die natürliche Veränderung des Tageslichts nachgeahmt werden.
- Allgemeinbeleuchtung sorgt für eine gute Orientierung im Raum.
- Arbeitsflächen werden zielgerichtet beleuchtet.
- Atmospärisch ausgeleuchtete Lichtinseln schaffen ein entspanntes Ambiente.
Mehr erfahren Sie in unserer Artikelsammlung zum Thema Licht
Farben im Gleichgewicht halten
Die Lichtqualität beeinflusst, wie wir Farben, Materialien und auch Formen wahrnehmen. Farben sind nicht nur dekorativ, sondern sie haben einen aktiven Einfluss auf die Raumwirkung und das menschliche Empfinden. Je nach Farbton und Intensität können sie eine ruhige oder anregende Umgebung schaffen. Durch den gezielten Einsatz von Farben lassen sich bestimmte Bereiche hervorheben oder zurücknehmen, was die intuitive Orientierung im Raum erleichtert.
Der Einsatz solcher visuellen Reize sollte jedoch mit Bedacht und je nach Vorlieben der Bewohner gewählt werden. Denn während eine sterile weiße Umgebung Stress aufgrund mangelnder Reize verursachen kann, kann ein Übermaß an Reizen ebenfalls stressig sein. Unsere Gehirne sind darauf programmiert, Vergnügen zu empfinden und individuell auf bestimmte Reize zu reagieren. Es gilt also, ein gutes Gleichgewicht zu finden.
Wie Sie Farben richtig einsetzen, lesen Sie in unserem ausführlichen Ratgeber „Farbe in der Architektur“.
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Die Potenziale von Materialien nutzen
Auch Materialien und ihre Oberflächen verändern die Wirkung von Licht und Farbe und bieten zusätzlich eine sinnliche Wahrnehmung durch ihre Textur. Natürliche Materialien wie Holz, Stein oder Ziegel können ein warmes Gefühl der Behaglichkeit in einem Raum erzeugen. Insbesondere Lehm hat zusätzlich positive Effekte für das Raumklima, weil es die Luftfeuchtigkeit reguliert.
Textilien, stark strukturierte oder perforierte Oberflächen wirken sich zudem positiv auf die Raumakustik aus, während Fliesen, Stahl, Glas, Sichtbeton oder polierter Naturstein das Gegenteil bewirken.
Dass von der Natur inspirierte Farben, Formen und Materialien Wohlbefinden, Produktivität sowie Kreativität erhöhen, zeigt beispielsweise die Umfrage von Professor Sir Cary Cooper und Interface zu Biophilic Design am Arbeitsplatz. Dafür wurden 7600 Büroangestellten in 16 Ländern befragt.
Raumgestaltung mit Formen beeinflussen
Auch die Formgebung von Raumkanten oder Einbauten ist ein wesentlicher Faktor für die Raumgestaltung. Organische Formen und abgerundete Ecken schaffen fließende Übergänge und vermitteln ein offenes Raumgefühl. Gerade im Zusammenspiel mit Licht können dabei interessante Raumsituationen entstehen. Geschwungene Treppen vermitteln zum Beispiel Dynamik und leiten auch den Blick von einer Ebene zur anderen.
Einbauten im Raum (ob rund oder eckig) können auch gezielt so platziert werden, dass sie die Sicht auf andere Wohnbereiche verdecken und überraschende Blickbeziehungen (s.o) schaffen, die sich erstaus einer anderen Position ergeben.
Unser Gehirn sucht nach Mustern und Wiederholungen, was die Reizwahrnehmung stimuliert. Geometrische Formen mit klaren Linien und definierten Kanten betonen Struktur und Ordnung. Zu scharfe Kanten, etwa an einer frei stehenden Arbeitsplatte, prägen die Gesamtwahrnehmung eines Raumes hingegen negativ.
Birgit Schneider ist freie Journalistin, Redakteurin und Sprachcoach in Backnang
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