Katharina Hodes
Ganz simpel und harmonisch sieht alles auf dem Modell aus, das im Foyer der Behörde für Stadtentwicklung im Bezirk Tanjong Pagar in Singapur steht. Auf der raumfüllenden Karte erheben sich Dutzende gläserne Minigebäude, die alle geplant oder schon im Bau sind. Darunter auch das Projekt „Reflections at Keppel Bay“ mit seinen sechs gekrümmten Türmen. Es ist das derzeit teuerste Wohnensemble in Singapur, entworfen von Daniel Libeskind. An die Verhandlungen, die hier ein paar Etagen höher stattgefunden haben, erinnert sich Laurence Liew, Geschäftsführer von DCA Architects Pte. Ltd, noch gut. Maximal hundert Meter wollte der zuständige Minister genehmigen; sonst würde den Ausflüglern am nahe gelegenen Mount Faber das Panorama auf den Seekanal versperrt, an dessen Wasser die Türme stehen. 178 Meter sahen die Pläne von Libeskind und Liew vor. „Um die Behörde zu überzeugen, ist Mr. Libeskind persönlich eingeflogen“, erzählt Liew.
Singapur hat eine Schwäche für Stararchitekten. Hier entwarfen und entwerfen Michael Gray, Norman Foster, Moshe Safdie und Zaha Hadid. Nur Frank Gehry fehlt noch – er und sein Projekt sollen zu teuer gewesen sein. Die Baulust ist fast ungebrochen; trotz Finanzkrise arbeitet der Inselstaat am Äquator am auserkorenen Image, eine „tolle Stadt zum Leben, Arbeiten und Spielen“ zu werden. Auf seinen 133 Quadratkilometern Innenstadt wird langsam der Platz für weitere „iconic landmarks“ knapp, was die Regierung aber nicht bekümmert – ein paar Tonnen malaysischer Sand werden ins Meer gekippt und Singapur hat eine neue Küste und frische Bauflächen. Viel näher an den Projekten sind die Architekturbüros vor Ort, die häufig die Feinplanung für ausländische Stararchitekten übernehmen – so wie DCA beim „Reflections“-Projekt. Sie balancieren Design und Nutzen aus und beziehen örtliche Vorlieben und Eigenheiten ein.
Bei der Vermarktung haben DCA Architects offenbar alles richtig gemacht. Von den 1 129 Wohneinheiten waren schon mehr als 700 verkauft, als der Rohbau gerade vier Etagen hoch war. Ob das an dem integrierten pneumatischen Müllschlucker liegt oder doch an der Ausstattung der 1–4-Schlafzimmer-Wohnungen mit Miele, Kaldewei, Grohe und der spinnenartigen „Dear Ingo“-Lampe für 3 000 US-Dollar? Vielleicht ist es auch der exklusive Preis von 1,7 bis zu neun Millionen Sing-Dollar, etwa 4,5 Millionen Euro, der sich vom stark regulierten, beinah sozialistischen Wohnungsmarkt Singapurs abhebt.
Der Plan der Regierung, das ehemalige Industriegebiet mit außergewöhnlicher Architektur und gut betuchten Bewohnern aufzuwerten, scheint zu funktionieren. Die sechs Türme sind zu drei Pärchen mit je einem großen und einem kleinen Bau gruppiert, die jeweils durch Brücken miteinander verbunden sind. Sie bieten freie Sicht auf einen nahe gelegenen Golfplatz sowie die beiden beliebten Ausflugsziele Mount Faber und die Insel Sentosa. Bootsbesitzer profitieren doppelt, denn die 2008 eröffnete Marina gewährt Anliegern in den ersten zehn Jahren kostenlose Mitgliedschaft. Nun muss der Bau ohne Verzug ablaufen, damit die Gebäude wie geplant bis 2011 fertiggestellt sind.
Eine anspruchsvolle Aufgabe, denn mit dem Wort Reflections bezieht sich Libeskind auf das lateinische Wort reflectere, zurückbeugen. Die Gebäude lehnen und biegen sich in unterschiedliche Richtungen und schließen mit einer spitzen Stahlkonstruktion ab, die skelettartig die Dynamik des Designs vollendet. Die Fassade aus Weißflachglas trägt zum Eindruck makelloser Schärfe bei. Der Eisenanteil des Glases ist eigens reduziert, um einen Grünstich zu verhindern. Zu Füßen der Türme stehen elf aluminiumverkleidete Blöcke mit sechs bis acht Stockwerken, ebenfalls für Apartments.
Wie die Türme ihre Biegung bekommen, kann Laurence Liew verraten: „Wir bringen das Gebäude während der Konstruktion aus der Balance, lassen so die Schwerkraft angreifen und es sich verformen. Sobald wir feststellen, dass sich das Gebäude 20 Zentimeter in eine Richtung bewegt hat, bauen wir in die andere.“ Jeder Turm verfügt im Kern über das zentrale Treppenhaus, das wie eine steife Wirbelsäule das Gebäude aus Stahlbeton stabilisiert. Darum legt sich wie ein Brustkorb die restliche Säulenkonstruktion, die peu à peu gekrümmt wird. Erst wenn auch die Stahlkrone sitzt und der gesamte Bau stabil ist, kann er mit seiner farblosen Glashaut überzogen werden. Liew gibt sich optimistisch: „Wir haben alles präzise vorausgerechnet. Jetzt kommt es darauf an, in der Konstruktionsphase nicht über die eigenen Füße zu stolpern.“
Optimismus brauchten Liew und Libeskind auch bei der Präsentation vor dem Minister. An einem Modell zeigten sie, dass auch 178 Meter hohe Türme nicht den Blick zwischen Mount Faber und Kanal versperren, da sich die Türme aus der Sicht winden. Das hervorragende Energieeffizienz-Rating des Gebäudes, dank natürlicher Ventilation und isolierender Pflanzen auf den Dachterrassen, half außerdem, den Minister letztendlich umzustimmen. Er gestattete die 178 Meter. Die sollen Reflections jetzt zur Ikone zwischen all den anderen außergewöhnlichen Bauten auf dem singapurischen Reißbrett machen. Aber womöglich geht der Bau doch nicht ganz reibungslos vonstatten und dann hätte Singapur gleich sechs richtig schiefe Türme. Was für ein Landmark-Building!
Katharina Hodes ist Journalistin in Düsseldorf.