Von Christoph Kuhn und Günter Pfeifer
Es existiert ein Zusammenhang zwischen steigenden Preisen und Lebenshaltungskosten, zwischen den Ressourcen der Erde und dem Klimawandel. Doch leider gibt es immer noch zu wenig Bewusstsein über das ökologische Bauen und die damit verbundenen Bewirtschaftungskosten eines Hauses oder einer Wohnung. Die Bundesregierung versucht mit zunehmender Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV), das Problem sozusagen von oben herab zu steuern. Das ist einerseits zu begrüßen, andererseits handelt es sich dabei um eine „architektonische Verpackungsverordnung“, die dazu führt, dass Dämmungen zunehmend stärker werden. Die architektonischen Probleme kennen all diejenigen, die sich um eine sorgfältige konstruktive Fassadengestaltung bemühen.
Das sogenannte Passivhaus mit einem Energieverbrauch von 15 kWh/m2a ist nur eine eingeschränkte Antwort auf dieses Problem. Es versieht sich in erster Linie mit dicker Dämmung, um die inneren Wärmegewinne zu organisieren. Die landauf, landab angepriesenen Bauten sind letztlich immer von gleicher Bauart: Irgendwelche Gebäudetypen – dabei spielt es keine Rolle, welche Qualitäten sie haben – werden verpackt; die Architektur selbst verändert sich aber keineswegs.
Doch das geht auch anders. In der Architekturgeschichte aller Kulturen gibt es autochthone Haustypen, die im Bezug zu Klima und Kultur vor Ort entstanden sind und auf einfache Art und Weise nicht nur energieeffizient, sondern auch nachhaltig sind. Zum Beispiel traditionelle Bauernhäuser im Schwarzwald. Kaum jemand ist sich bewusst, wie komplex und vielschichtig sie waren: etwa in ihren Dachformen, die – nach heutigen Erkenntnissen im Windkanal getestet – allen Sturmkategorien Widerstand leisten.
Das Heizungssystem, aufgebaut auf einer Energiequelle und ausgelegt für Holzarten vom Reisigrestholz bis zu schweren Holzscheiten, versorgt neben dem zentralen Ofen die Räucherkammer und befreit darüber hinaus über spezielle Rauchöffnungen den Dachraum von Ungeziefer. Die Konstruktion des Hauses ist auf das Notwendigste reduziert, das Baumaterial vor Ort vorhanden und das Grundstück so gewählt, dass es Wasser im oder am Haus gibt und die Hanglage die Ökonomie der Arbeitsabläufe optimiert.
In Japan erforderte die hohe Luftfeuchtigkeit eine gute Durchlüftung. Dafür sorgten nutzungsneutrale Grundrisse mit verschiedenen Raumschichtungen und der Engava, der Veranda für Sonnen- und Wetterschutz. Die Materialität der Häuser war auf Diffusion und Osmose ausgelegt: Tatamimatten mit Reisstroh und Shoji (Schiebewände) mit transluzenten Papieren dienten unter anderem zum Ausgleich der hohen Luftfeuchtigkeit. In Korea erwärmte die Ondolheizung (Fußbodenheizung), die durch die besondere Anordnung des Kochherdes und die Lage der Küche im Haus entsteht, das ganze Haus, klug organisiert über Hypokaustensysteme. Und das islamische Haus mit den Lüftungsschächten und der adiabaten Kühlung ist ein Musterbeispiel an intelligenter Raumzonierung, die nicht nur klimatische Gesetze berücksichtigte, sondern auch kulturell-gesellschaftliche.
Dank des technischen Fortschritts wird heute mit Klimaanlagen gekühlt. Es gab Energie zuhauf, sodass man selbst bei offenem Fenster heizte. Andere Völker, nach ähnlichem Komfort strebend, werden uns das gleichtun. Beispiele vom Abriss authentischer Architekturkulturen, ersetzt durch globalisierte Mainstreamgestaltung inklusive weit erhöhten Energieverbrauchs, sind überall auszumachen. So müssen in der Weltkulturerbestadt Isfahan derzeit alte funktionierende Hofhaustypen neuen Gebäuden nach internationalen Typologiestandards mit entsprechendem Energieverbrauch Platz machen.
Betrachtet man die alten Haustypen unter kybernetischen Aspekten, ist das keine Retrospektive, sondern eine Analyse. Denn das, was sie zeigen, gilt es entsprechend zu transformieren. Transformation heißt aber nicht Umbau oder Nachbau, sondern das Erkennen struktureller Eigenarten und Eigenschaften und ihre prinzipielle Übertragung auf heutige Standards.
Das griechische kybernétes bedeutet „Steuermann“; im Allgemeinen steht Kybernetik für die Wissenschaft von der Struktur komplexer Systeme, insbesondere der Kommunikation und Steuerung eines Regelkreises. Der Erfinder des Begriffs „vernetztes Denken“, Frederic Vester, beschreibt das kybernetische Prinzip als die Erkennung, Steuerung und selbsttätige Regelung ineinandergreifender, vernetzter Abläufe bei minimalem Energieaufwand und fordert seit Langem den Wechsel „vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter“.
Dazu gehört die Verbindung von technischen und natürlichen Systemen. Denn ökologische Systeme sind geregelt; sie stehen in direkter und indirekter Beziehung zueinander und bilden ein Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten. Ökologisches Bauen ist a priori nichts anderes, bedingt es doch ein System verschiedener Funktionselemente, die untereinander in Wechselwirkung stehen. Integriert sein müssen: Ort und geografische Lage, Organisation und Orientierung des Grundrisses sowie die Wahl der Konstruktion und der Materialien. Ebenso werden passive und aktive Elemente der Energienutzung Bestandteil des räumlich-konstruktiven Konzepts und so zu mitbestimmenden Parametern des architektonischen Entwurfs.
Dieser Anspruch erfordert eine Ganzheitlichkeit, die die isolierte Betrachtung einzelner Prozessbestandteile ausschließt. Heutzutage gibt es Methoden und Know-how, solare und geothermische Energien direkt und ohne besondere technische Hilfsmittel in Gebäudekonzepte so zu integrieren, dass eine energieautarke Versorgung entsteht. Computergestützte Simulationsmethoden helfen, solare und geothermische Potenziale jedes Standortes zu analysieren. Die so entwickelte Physis des Orts wird zum wesentlichen Bestandteil des architektonischen Entwurfs. Ein abgestimmter interdisziplinärer Prozess bezieht alle Elemente so aufeinander, dass sich daraus ein kybernetisches Modell des Gebäudes generieren lässt.
Die Basismodule dieser Strategie sind:
- Zonierung der Räume und Funktionen nach energetischen Gesichtspunkten, also Ausrichtung und Orientierung, Lage geothermischer und solarer Quellen, Lage zur Speichermasse, Lage zu Energiegärten, Luftkollektoren, Hypokausten in verschiedenen Ausführungen und Anordnungen;
- Bauteilaktivierung in Kombination mit Speichermassen;
- Wasser zur Speicherung, Kühlung, Reflexion;
- Nutzung von Prozessenergien und deren Einbindung in den Energiekreislauf.
Sind diese Bestandteile (oder Teile davon) mit dem architektonischen Entwurf richtig verknüpft und mit den Potenzialen des Orts sorgfältig verwoben, entsteht ein komplexes Gebilde, das sich im Idealfall ausschließlich mit passiven Technologien betreiben lässt und energieautark ist. Das heißt, das Gebäude bezieht seine Energie aus einer Verknüpfung von geothermischer und solarer Energie ohne weitere Zusatzmaßnahmen. Dazu ist interdisziplinäre Teamarbeit ebenso gefordert wie Multitasking und der Hang zum Querdenken. Entwurfsvorgänge setzen sich aus Prüfungen, Querungen, Abgleichungen, präziser Detailbearbeitung und Materialkenntnissen zusammen; sie folgen nicht mehr den gewohnten Bildern eines analogen Entwurfsprozesses, sondern greifen kaskadenartig ineinander und sind nach oben und unten vernetzt.
Und hier liegt der entscheidende Unterschied zum Passivhaus. Der positiv gedachte Begriff „passiv“ im Sinne von „wenig verbrauchen“ zeigt gleichzeitig auch die architektonisch-konzeptionelle Schwäche. Aus der Herausforderung, weniger Energie zu verbrauchen oder, besser gesagt, sich in die ökologischen Kreisläufe der natürlichen Welt einzufügen, zieht das Passivhaus kein Potenzial. Es schottet sich lediglich ab, besser gedämmt, besser abgedichtet. Es nutzt wenig oder nur indirekt über technische Hilfsmittel die vorhandenen Energien der Sonne und der Erde. Und vor allem findet es keinen architektonischen Ausdruck, vielleicht abgesehen von größeren Fenstern auf der Südseite. Man muss schon Passivhaus draufschreiben, um die ohne Zweifel vorhandenen energetischen Qualitäten ablesbar zu machen.
Die Fortschreibung des architektonischen Anspruchs wird zukünftig nicht allein von funktionalen und ästhetischen Determinanten bestimmt, sondern auch von der Einsicht, dass Architekturen zu entwickeln sind, in denen das Verhältnis zwischen dem Teil und dem Ganzen kybernetischer Natur ist. Mit dem Ziel, die strukturellen Eigenarten aller beteiligten Systeme – physikalischer, biologischer und technischer Art – so zueinander in Beziehung zu setzen, dass sie sich in ihren Wirkungen ergänzen. Die folgenden Beispiele sind Versuche, die wesentlichen ökologischen Voraussetzungen für architektonisch relevante Gestaltungsfaktoren zusammenzufassen. Denn: Dämmung an sich ist kein architekturrelevanter Faktor.
Beispiel 1:
Das 2005 fertiggestellte Patchworkhaus in Müllheim wird von vier Personen bewohnt. Der Grundriss des Hauses ist offen und geschlossen und optional unterschiedlich koppelbar. Eine Partei kann beispielsweise im Erdgeschoss die Westseite bewohnen und sich im Obergeschoss noch drei oder vier Räume dazunehmen. Das energetische System funktioniert über Luftkollektoren, dynamische Dämmung sowie Speichermassen in Holz und Beton. Die Geschossdecken sind bauteilaktiviert – weitere Technik gibt es nicht.
Die restliche Wärme liefert eine Biomassenfernheizung (zu deren Nutzung sich alle Grundstückskäufer für zehn Jahre verpflichten mussten). Die Luftkollektoren mit den äußeren Polykarbonatplatten (U-Wert 1,2) führen solar erwärmte Luft in die 15 Zentimeter starken hölzernen Brettstapelwände. Diese sind mit dem thermisch wirksamen Luftraum des Hauses verbunden und leisten weit mehr als passive Energiegewinne. Sie sind das interaktive Zentrum des Hauses, nicht nur als Verteilerraum für die unterschiedlichen Möglichkeiten, Wohnungsnutzungen zu kombinieren, sondern vor allem als lebendiger Kommunikationsraum.
Die Grundrissorganisation im Haus macht es möglich, dass die Wohnungsgröße variieren kann, zum Beispiel, wenn die kleine abgeschlossene Wohnung im Erdgeschoss zusätzlich um Zimmer in den Obergeschossen erweitert wird. So sind Kombinationen von zwei Vierzimmerwohnungen oder auch einer Zweiraumwohnung und einer Sechszimmerraumeinheit möglich, ohne dass ein Umbau erforderlich ist.
Die thermischen Simulationen für dieses Haus befinden sich auf einem hohen Niveau. Die Abweichung vom simulierten Wert zum tatsächlich verbrauchten beträgt 121 kWh, also gerade einmal 0,6 Prozent. Die Energiekennzahl liegt bei 34 kWh/m2a. Die erwärmte und gesammelte Luft im Dachspitz drückt ein kleiner Lüfter nach unten, die sommerliche Wärme wird über Lüftungsklappen im Dach geregelt. Die Details sind einfach und preiswert; es handelt sich um einfachste No-Tech-Konstruktionen.
Die Lüftungsklappen funktionieren auf Unterdruck mittels einfacher Folien, die am unteren Ende der Luftkollektoren eingebaut sind und zusammen mit der Regenrinne auch die Funktion der Zuluftöffnung übernehmen. Alles wird von Hand geregelt, auf MSR (Messen, Steuern, Regeln) per Computer wurde verzichtet. Würde man noch weitere Module wie Wärmerückgewinnung und Geothermie hinzuaddieren, befände man sich sicherlich im Bereich des Nullenergiehauses.
Beispiel 2:
Bei der Sanierung des Alten Rathauses in Lörrach haben wir auf der Südseite mit einem räumlich transformierten Laubengangelement einen recht wirkungsvollen einfachen Luftkollektor errichtet, der einen Teil der passiv gewonnenen Energien in das Gebäudeinnere leitet. Dies geschieht auf der Basis erwärmter Luft mit einfachen Kanalsystemen. Die Luft wird geregelt, nachgeheizt und über Wärmerückgewinnung energetisch optimal genutzt. Mit dieser Methode wurde nicht nur der Energiebedarf erheblich reduziert, sondern es konnten beispielsweise auch die alten Originalfenster auf der Nordfassade erhalten werden, die nun – durch einen Umbau zum Kastenfenster – in das Energiekonzept integriert sind. Die dynamische Dämmung der Südfassade liefert einen Teil der passiven Wärme, der Luftkollektor wird zum Teil als zweiter Fluchtweg genutzt, dient als Sonnenschutz und ist ein transformiertes architektonisches Element der ehemaligen alemannischen Laubenganghäuser.
Beispiel 3:
Auch bei dem 2008 in Betrieb genommenen Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universität Freiburg basiert das Entwurfsprinzip auf einer neu gedachten Gebäudezonierung. Die Belichtung der gesamten Gebäudetiefe übernehmen tief eingeschnittene Energiegärten; die Versorgungsschächte sind auf der nördlichen Außenseite angebracht.
Statt Büroräumen mit Vollverglasung nach Süden ist ein Luftkollektor mit Speichermasse eingesetzt. Drei Energiegärten lassen eine tiefe Belichtung des Gebäudes zu und werden passiv genutzt. Sie dienen zudem der Orientierung und der räumlichen Kommunikation der Geschosse untereinander.
Zum Heizen werden die Betondecken mit der Erdwärme des Erdkollektors versorgt. Die solar erwärmte Luft des Luftkollektors gelangt über die Vorsatzschale in die Bürozone. Über thermisch bemessene Schächte strömt die Luft ohne mechanische Hilfe nach oben zu den Wärmetauschern, wo die Energie entnommen und dem Kreislauf wieder zugeführt wird.
Im Sommer funktioniert die Bauteilaktivierung als Kühlung. Die kühle Luft fällt nun über die Schächte in die Büros, wo sie der im Luftkollektor vorhandene Auftrieb wieder absaugt. Auch diese Funktion benötigt keine mechanische Unterstützung.
Günter Pfeifer ist Architekt und Professor an der Technischen Universität Darmstadt; Christoph Kuhn ist Architekt.