Jens Peter Fehrenberg
Ohne es so zu nennen, haben frühere Baumeister häufig das getan, was wir heute als „ganzheitlich“ und „nachhaltig“ bezeichnen: Sie haben sparsam, mit einfachen Verfahren, umweltgerechter Verarbeitung und ökologischen Bauweisen kompakte Gebäude geschaffen. Diese stellen eine Art „Organismus“ dar. Sie funktionieren durch die Berücksichtigung ineinandergreifender Interdependenzen.
Dafür stehen zum Beispiel rund 75 Jahre alte denkmalgeschützte Wohnhäuser in Wolfsburg. Sie sind kompakt gebaut, drei bis vier Geschosse hoch und haben geneigte Dächer, die damals meist nicht ausgebaut waren. Die Außenwände wurden aus Ziegeln oder Bimsbetonsteinen gemauert. Die Deckenkonstruktion besteht aus Holzbalken; die Kellerdecke ist als preußisches Kappengewölbe oder Ziegelhohlsteindecke ausgebildet. Geheizt wird mit Kachelöfen oder zentralen Warmwasseranlagen.
Ein wichtiges Element sind die Holzkastenfenster. Sie sind leicht undicht und sorgen per Dauerlüftung dafür, dass die Wohnfeuchtigkeit nach draußen abtransportiert wird. Die äußere Glasscheibe war zugleich die kälteste Stelle im System mit der Folge, dass sich dort die Feuchtigkeit sichtbar niederschlug. Das „Schwitzwasser“, vornehm Kondensat genannt, wurde in einer kleinen Rinne in der Fensterbank gesammelt und konnte fortgewischt werden. In großen Versammlungsräumen waren sogar „Schwitzwassersammelkästen“ unter den Fensterbänken angebracht, die in den Pausen entleert wurden. Und trockene Raumluft benötigt bekanntlich weniger Energie, um sie aufzuheizen. Trockenes Wohnen ist also sparsames und gesundes Wohnen zugleich!
Nach der EnEV schwach grün – aber grün
Bei der Untersuchung des Heizenergieverbrauchs von mehr als 40 Wohngebäuden über mehrere Jahre ergaben sich Verbrauchsdaten, die nach dem Farbsystem der EnEV 2009 im Bereich grün bis schwach grün/gelb und in der Erläuterungsskala unter „energetisch gut modernisiert“ rangieren. So schlecht, wie häufig berichtet wird, sind diese alten massiven Wohnhäuser also nicht.
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen können. Aber bei Verbesserungsversuchen sind auch andere Kriterien zu berücksichtigen, etwa ökonomische und bauhistorische. Bei denkmalgeschützten Wolfsburger Häusern aus den 1930er-Jahren finden wir Außenwände, die teilweise zwar nur 25 Zentimeter dick sind, jedoch aus einem Bimsformstein bestehen, der immerhin einen U-Wert von 0,7 W/(m²K) erbringt.
Gegenstände aufheizen, nicht die Luft
Wenn bei solchen Baudenkmalen ein Dämmsystem auf der Außenfläche ausscheidet, dann kommt das innenseitige Vormauern einer weiteren Bimsschale infrage. Das bringt zwar noch nicht die geringen U-Werte für den Wärmedurchgang, die sich der Gesetzgeber heute vorstellt. Es ist aber bauphysikalisch unproblematisch und birgt nicht die Probleme anderer Innendämmsysteme. Auch die derzeit viel propagierten Kalzium-Silikat-Platten sind nicht unproblematisch. Sie sind weich und der Mieter soll die Wand so belassen, wie sie ist.
Bei den zweischaligen Außenwänden lässt sich die Luftschicht mit Perlite füllen; das halbiert den Wärmeverlust mindestens. Aber was macht man mit einer massiven, 40 Zentimeter dicken Mauerwerks-
wand aus Ziegelsteinen? Hier sollten wir nicht noch etwas draufkleben, sondern andere Einsparpotenziale nutzen. Diese finden wir bei einem alten Heizsystem, dem Kachelofen, der auf eine vollkommen andere Art für Wohlbehagen gesorgt hatte: durch einen hohen Anteil an Wärmestrahlung.
Heute beheizen wir unsere Wohnräume vorwiegend durch Erwärmen der Raumluft mit Konvektoren. Der Konvektor zieht die kalte Luft von unten an, wärmt sie auf und bläst sie nach oben hinaus. Die erwärmte Luft steigt unter die Decke, kühlt sich ab und streicht dann über den Fußboden wieder zum Konvektor hin. Es bildet sich eine Luftwalze im Raum. Die Decke wird warm, der Fußboden bleibt kühl. Abgelagerte Stäube werden mit aufgewirbelt, durchströmen den Heizkörper und werden in der Atemluft verteilt.
Ein Ofen als Wärmequelle strahlt die Gegenstände direkt an und erwärmt erst sekundär die Luft. Die Sonnenstrahlen erwärmen ja auch nicht die Luft, sondern bestenfalls die Schwebestoffe darin. Ebenso fühlt sich ein von der Sonne bestrahlter Mensch wohl, auch wenn die Luft um ihn herum kühl ist. Ein solches System ist zum Beispiel eine Fußleistenheizung. Der erzeugte Wärmeschleier erhöht die Temperatur der massiven Wand und diese strahlt die Wärme zurück in den Raum. Dadurch wird für ein angenehmes Wohngefühl insgesamt weniger Heizenergie benötigt. Dieses Prinzip ist übrigens uralt. Die Römer haben es bereits als „Hypokausten-Heizung“ zur Erwärmung ihrer Badehäuser erfolgreich genutzt.
Auch Kastenfenster lassen sich energetisch verbessern. Wenn die Denkmalpflege mitspielt, lassen sich die inneren Flügel so herrichten, dass sie mit einem Dämmglas ausgestattet werden können. Die Dichtigkeit ist durch Einfräsen einer kleinen Nut herstellbar. In diese wird ein Gummiprofil eingesetzt, das bei Überholungsanstrichen ausgewechselt werden kann. Die äußeren Flügel sollten eher undicht bleiben, damit der Zwischenraum abtrocknen kann und kein lästiges Kondensat entsteht. Lästig sind diese Fensterkonstruktionen den Bewohnern im Übrigen dennoch. Das ist dann eben eine Referenz an den Denkmalschutz.
Aber steht das nicht im Widerspruch zu der oben geäußerten Kritik an totaler Luftdichtheit? Der Lösungsvorschlag aus diesem Dilemma stammt ebenfalls aus den 1930er-Jahren: Wir bauen wieder eine Luftklappe ein, zum Beispiel einen sogenannten Schalldämmlüfter. Und zwar nicht, wie damals häufig praktiziert, oberhalb der Fensterflügel, sondern unterhalb, in den Schlafräumen in Nasenhöhe eines liegenden Menschen. Die Öffnung ist sehr klein, sodass nur eine geringe Luftmenge hinein- und gleichzeitig verbrauchte Luft ausströmt. Es bildet sich dann sozusagen ein Frischluftsee: Die warme Luft steigt nach oben und gibt ihre Wärme an die Bauteile ab. Diese strahlen sie wieder zurück auf die Schlafenden.
Weil die Luft außerordentlich trocken bleibt, kann kein Schimmel entstehen, und auch die kleinen Tierchen, die manche Betten bewohnen, haben keine Überlebenschancen, weil sie vertrocknen.Eine Anmerkung noch zur viel beworbenen Energieeinsparung von 70 Prozent durch Wärmedämmverbundsysteme. Betrachten wir wiederum typische Bauten der 1930er-Jahre.
Hier tragen die Außenwände etwa 28 Prozent zum gesamten Wärmeverlust bei. Nur dieser Anteil lässt sich durch Dämmung der Wand – egal ob innen oder außen – verringern. Selbst bei einer Verringerung dieses Anteils um mehr als zwei Drittel sinkt der Wärmeverlust insgesamt nur um etwa 20 Prozent und nicht um die beworbenen 70 Prozent – und bei anderen sogar noch deutlich weniger. Dabei ist noch gar nicht berechnet, dass durch Außenwände nicht nur Wärme nach draußen, sondern auch Wärme von draußen nach drinnen gelangen kann.
Prof. Jens P. Fehrenberg ist Architekt, Hochschullehrer und Sachverständiger in Hildesheim.
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