Rosa Grewe
Welch ein Hochgefühl, damals. Als auf freier Bahn Autos staufrei durch die Landschaft zogen, von Picknickern am Wegesrand bewundert. Sauber, mobil, modern und aufgeräumt, das war das Bild der autogerechten Stadt. Keiner redete von CO2, Rußpartikeln und Lärm.
Wie viele deutsche Städte trägt auch Saarbrücken das Erbe der Sechziger. Mitten in der Innenstadt, entlang des Saarufers, lärmen täglich rund 90 000 Autos über eine vierspurige Autobahn, die 1961 für 6 000 Autos geplant wurde. (Zum Vergleich: Hamburgs ursprüngliche drei Elbtunnelröhren sind für 65 000 Autos ausgelegt.) Jetzt will die Stadt ihr Flussufer neu entwickeln, Stadtteile räumlich verbinden und maroden Wohnlagen neuen Glanz verleihen. „Vom Trend zurück in die Stadt können große Teile Saarbrückens so lange nicht profitieren, wie die Stadtautobahn große Freiflächen bedeckt und weite Gebiete verlärmt“, erklärt Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer.
Außerdem bietet der Fluss Anreize für den Tourismus, der Saarbrücken wirtschaftlich neu positionieren kann. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, sagt Wandel-Hoefer: „Das Potenzial für Flusstourismus ist gigantisch. Wir haben einen direkten Anschluss an das französische Kanalnetz und an europäische Radwanderwege.“
Was aber passiert mit der Autobahn, an der man weder wohnen noch seinen Urlaub verbringen möchte? Ohne eine Lösung der Verkehrssituation an der Saar sind eine Stadtentwicklung am Fluss und eine Imagesanierung nicht möglich. Unter dem Namen „Stadtmitte am Fluss“ begannen im Jahr 2002 die Planungen für ein Projekt mit zwei Zielen: die Lösung der Lärm- und Abgasprobleme und die Neugestaltung der Flächen. Rena Wandel-Hoefer hatte das Projekt schon als freie Architektin propagiert. Seit ihrer Wahl zur Baudezernentin 2008 drängt sie auf konkrete, rasch realisierbare Lösungen.
Die Stadtautobahn ist bereits ausgelastet; nach Verkehrsstudien wächst der Druck noch. Und das Projekt ist auf Förderungen von Bund und EU angewiesen. Letztere gäbe es aber laut Förderrichtlinien nur bis zur Fertigstellung und Abrechnung des Umbaus bis zum Jahr 2015.
Schnelle Planung
2008 schrieb die Stadt einen Wettbewerb für interdisziplinäre Teams aus Stadt-, Verkehrs- und Landschaftsplanern sowie Künstlern aus. Gleichzeitig bezog sie von Anfang an die Bewohner in Bürgerwerkstätten in den Entscheidungsprozess der Fachjury ein. Die Gleichzeitigkeit von Planung und Öffentlichkeitsarbeit sparte Zeit, erhöhte die Transparenz des Verfahrens und damit die Akzeptanz des Projektes.
„Die Bürger haben selbst die Kriterien für die Juryentscheidung festgelegt. Es zeigte sich, dass sie mehr Wert auf Nachhaltigkeit und Langlebigkeit legen als auf den Bilbao-Effekt, den Politiker gerne haben“, sagt die Baudezernentin. Das Siegerteam besteht aus den Landschaftsplanern des Ateliers Loidl, dem Planungsbüro Machleidt und Partner (beide Berlin) und den Ingenieurbüros Rogmann, Schwarz und Pattay sowie Martin und Jochen Maas. Sie verzichten auf eine aufwendige Landschaftsgestaltung und setzen auf die dreidimensionale Ausformung der Uferkante in Anlehnung an Saarbrückens Namen, der sich von Saarbrocken, also Saarfelsen, ableitet.
So bildet das Team die Höhendifferenz zwischen Ufer und Stadt als durchgängige Wandskulptur mit Vor- und Rücksprüngen aus. Die Freiflächen gestaltet es als einfache Flutwiesen, die auch ein Saarhochwasser oder strapaziöse Nutzungen durch Feste und Sport gut überstehen. Am Südwestufer der Saar vervollständigt das Team die Stadtkante baulich und gibt den Solitären auf der anderen Flussseite ein Gegenüber. Mit versiegeltem Belag und Saarschwimmbecken bildet es vor dem Neumarkt ein urbanes Ufer in Ergänzung zu den naturnahen Wiesen. Zwei Fußgängerbrücken erweitern die bestehenden Flussquerungen. Diese übernimmt die Stadt aus dem Entwurf des Münchener Teams von Stephan Braunfels.
Knackpunkte: Geld und Grundsatz
Das Projekt ist heute so weit gediehen, wie es die Saarbrücker vor zwei Jahren kaum zu hoffen wagten – die lange schon erwartete Lösung gegen den Lärm in der Stadt scheint greifbar nah. Die Stadt möchte die Autobahn über 1,4 Kilometer in einen Tunnel verlegen – ganz so, wie es zum Beispiel Köln, Düsseldorf und nach aktuellen Planungen Heidelberg vormachten. Die Lösung des Verkehrsproblems ist weder technisch einfach noch günstig, und so gehen bei aller Einigkeit um eine grüne Stadtmitte die Meinungen zum Konzept auseinander – nicht zuletzt wegen der Kosten.
Ursprünglich rechnete die Stadt mit Kosten in Höhe von 180 Millionen Euro für das Gesamtprojekt. Diese sollten sich zu je einem Drittel die EU, der Bund sowie Land und Stadt teilen. Aber im April 2009 ergab eine Verkehrsmodelluntersuchung für den Tunnel mehr als doppelt so hohe Kosten: 380 statt 180 Millionen Euro. Die Baudezernentin bat Bundesverkehrsminister Tiefensee, seine bereits gegebene Förderzusage von 64 Millionen auf die noch fehlenden 170 Millionen Euro aufzustocken. Seine Entscheidung steht noch aus.
Kritiker rufen nach günstigeren Alternativen, zum Beispiel einer Stadtumfahrung. Doch mit Hinweis auf zahlreiche Verkehrsgutachten versichert die Baudezernentin: „Es geht nur mit der Tunnelvariante, es gibt keine Alternative. Die meisten Benutzer der Stadtautobahn wollen in die Stadt oder kommen von hier. Saarbrückens kammförmiges Straßensystem kann man nur bedingt durch Nord- und Südumfahrungen korrigieren. Außerdem ist es aufgrund der Topografie schwierig, Umgehungsstraßen auszubauen.“
Manchem Kritiker geht es aber ums Prinzip. Warum nicht das Geld in die Stärkung des ÖPNV investieren und auf eine Reduzierung des Autoverkehrs setzen, wo ein Großteil der Autofahrer doch Berufspendler sind? Die Baudezernentin argumentiert: „Man kann natürlich sagen, man findet grundsätzliche Alternativen zum Individualverkehr. Vielleicht bewirkt man in 20 oder 30 Jahren ein Umdenken bei den Pendlern. Es gibt aber kein realistisches Konzept, um die Belastung der Autobahn von 90 000 Fahrzeugen auf 20 000 zu reduzieren. Der Tunnel ist einfach ein notwendiges Übel. Wir arbeiten daran, eine Verkehrsmischung herzustellen.“
Doch die Saarbahn GmbH, Betreiberin des Saarbrücker Bus- und Bahnnetzes, wirtschaftet seit Jahren mit Verlusten. Viele Pendler sind erst jetzt in der Krise bereit, das teure Auto stehen zu lassen und die Bahn zu nehmen. „Die Startchancen sind derzeit nicht schlecht dafür, einen Mobilitätsplan ganz neu zu positionieren“, sagt Rena Wandel-Hoefer und verweist auf die Projekte der Stadt, mit Elektroleihrädern und einem Ausbau des Fahrradnetzes Alternativen anzubieten. Ein Verkehrsentwicklungsplan ist in Auftrag gegeben. Ein Paradigmenwechsel ist das nicht. Für diesen, etwa für den Ausbau des Bus- und Bahnnetzes, gäbe es auch nicht so viel Fördergeld wie für einen Tunnel. Denn die Programme des Bundes zielen auf den Bau von Straßen- und Bahntrassen, nicht auf den teuren Betrieb lokaler Bahnen und Busse. Der ist sogar vom aktuellen Konjunkturprogramm II explizit ausgenommen.
So ist der Tunnel zwar die pragmatischste Lösung, aber nicht die umweltfreundlichste. Er ist ein Versuch, mit immensem Aufwand das Mobilitätsmuster der autogerechten Stadt zu bewahren und zugleich dessen übelste Folgen zu beheben. Wenigstens würde es endlich ruhig an der Saar.
Rosa Grewe betreibt das Architektur-Fachpressebüro quer-streifen in Darmstadt.