Roland Stimpel
„Wir stehen früher auf“ heißt der Werbeslogan Sachsen-Anhalts: leistungsbetont, aber etwas lustfeindlich. In keinem anderen Bundesland nimmt die Einwohnerzahl so stark ab. Gut 2,3 Millionen Menschen leben hier heute; nur noch 1,3 Millionen sind für 2060 vorausgesagt. Nirgendwo sonst sind die Bürger schon jetzt so alt, im Schnitt 46 Jahre. Und kaum ein anderes Land bietet so wenige Jobs und zwingt so viele zum Abwandern.
Das merken vor allem Städte, die von Industrie und Bergbau geprägt waren. Schon in den letzten zwanzig Jahren ist die Zahl der Bürger in einigen um ein Drittel gesunken. Darum sind Sachsen-Anhalts Städte früher als andere aufgestanden, um aus dem Schrumpfen das Bestmögliche zu machen. Das Resultat zeigen in diesem Jahr 19 Städte unter dem Dach der Internationalen Bauausstellung (IBA), koordiniert von der Landesregierung und dem Dessauer Bauhaus.
Unter den 19 IBA-Städten kommen mit dem Schrumpfen am besten die zurecht, die sich auf lokale Kräfte und die Stärkung ihres Kerns fokussieren. Deutlich schwächer sind intellektuelle und abstraktere, von außen übergestülpte Leitmotive und Projekte. Und auch wenn es nach Klischee klingt: Relativ erfolglos war ein traditioneller, eher männlicher Planungsstil – mit großen Zielen und Visionen beginnen, sich dann ans Durchsetzen machen und gegen lokale Widerstände und Widrigkeiten möglichst obsiegen. Auf der anderen Seite sind die erfolgreichsten IBA-Akteure Frauen mit situationsgemäßem Planungsverständnis, die in kleinen Städten mit vielen kleinen Schritten moderieren und kommunizieren, die auf lokale Eigenkräfte setzen statt auf finanziellen oder intellektuellen Segen von draußen.
Alles in die Mitte
Zum Beispiel Ria Uhlig. Aschersleben, wo sie Baudezernentin ist, hat für die Anpassung seiner Kernstadt von einst über 35 000 auf jetzt 25 000 Einwohner ein klares Konzept: „Von außen nach innen“. Draußen ist das erste Plattenbaugebiet bis auf wenige Häuser beseitigt. Drinnen, wo 63 Hektar unter städtebaulichem Denkmalschutz stehen, werden dagegen neue Wohnungen gebaut: ein paar Reihenhäuser von Privaten, Mietshäuser der städtischen Gesellschaft und einer Genossenschaft. Sie sind nach örtlichem Maßstab teuer, aber begehrt wegen des Umfelds, wegen der Architektur und des Komforts. Einzelhändler wie Aldi und Netto haben in der Stadt neu gebaut und dafür Graue-Wiese-Märkte der Nachwendezeit aufgegeben.
Trotz der Verdichtung wird die Innenstadt auch noch grüner: Am Flüsschen Eine gibt es eine neue Promenade. Und das brachgelegene Areal der einstigen Papierfabrik Bestehorn ist jetzt das Zentrum der Landesgartenschau, die am 24. April eröffnet wird. Am 25. Juni eröffnet darin die Architektenkammer des Landes ihren Tag der Architektur. Kammerpräsident Ralf Niebergall diente Aschersleben als beratender und selbst planender „IBA-Pate“. Nach der Gartenschau konzentriert Aschersleben hier, was die Stadt wie alle anderen am dringendsten braucht: Bildung. Fünf freie und staatliche Schulen finden am Bestehornpark Platz. Auch sie kommen teilweise vom Stadtrand.
Mit seiner im Prinzip einfachen, konsequent verfolgten Strategie schafft Aschersleben das Schrumpfen ohne Ausdünnen – stattdessen sogar mit Verdichtung im Inneren. Es lenkt alle Kräfte in seinen Kern, die vom Stadtrand und von außerhalb. Ria Uhlig setzt auf lokale Eigendynamik, nicht auf hohe Förderung: „Wenn man viel Geld hat, kann man auch viel kaputt machen.“
Subventionen bezeichnet sie gar als „Droge, die Abhängigkeit schafft und nicht befreit“. Nur wer sich selbst helfe, dem helfe auch Unterstützung von außen: „Unseren Umbauprozess hatten wir ohnehin. Die IBA sattelt da oben drauf.“ Sie habe aber neue Qualitäten hineingebracht – „durch das Nachdenken über Dinge, die sonst im Alltag untergehen. Wir allein hätten uns dafür die Zeit nicht nehmen können.“
Das anfangs plakativste IBA-Projekt verbesserte nicht die Struktur, sondern die Optik: die sogenannte „Drive Thru Gallery“. Großbilder anstelle von Baulücken an der aggressivsten Verkehrsschneise der Stadt. Die Galerie gehört zu einer anderen Gruppe der IBA-Projekte: denen, die den Blick auf ein verschwundenes Stück Stadt lenken wollen und bei denen die Bauausstellung eher eine Abbauausstellung ist. Das ist in Aschersleben allerdings nur ein Nebenthema. Dagegen dominiert es die Schau im nahen Halberstadt. Dessen Zentrum wirkt sehr schütter, seit die Kriegsbomben fielen und der Wiederaufbau, freundlich gesagt, sehr aufgelockert vor sich ging – oder, unfreundlich ausgedrückt, in Quantität und Städtebauqualität ärmlich. Auch die Nachwendeimpulse waren nicht stark genug, um das grundlegend zu ändern.
Daraus leiteten die Dessauer und die lokalen Halberstädter Ausstellungsmacher ein unorthodoxes Konzept ab: Die Stadt widmet sich „inhaltlich, wahrnehmungsbezogen und gestalterisch dem offensiven Umgang mit der physischen Leere“. Geradezu lustvoll rufen sie die „Ästhetik der Leere“ aus, definieren „Leere als konstitutionelle Ressource“ und propagieren die „Kultivierung der Leere“. Ein „Trainingspfad des Sehens“ soll mit „szenografischen Interventionen“ Leere zeigen; auf einer „Sehbrücke“ lenken Ringe und Fernrohre den Blick auf diese oder jene Leerstelle. In einem stillgelegten Stadtbad gibt es allerlei Veranstaltungen – natürlich ist das Becken leer. Nichts von der Halberstädter Leere wurde zur Bauausstellung mit Neubauten gefüllt. Und die Stadt gesteht auf ihrer Website Schwächen bei der Popularisierung des Nichts: „Eines der herausragenden Probleme ist die Einbeziehung einer breiten Basis in die Projekte.“ Es sei „schwierig genug, das Thema selbst verständlich zu machen und ein allgemeines Interesse zu wecken“.
Reduzieren am Rand
Das fällt Städten leichter, denen es wie Aschersleben stärker ums Gestalten und Strukturieren geht und die näher an der Alltags- und Wahrnehmungswelt der Bürger operieren. Zu ihnen gehört auch Sangerhausen. Hier ist die Altstadt bis auf eine Brache hinterm Markt ebenfalls recht intakt. Weiter draußen wütet dagegen der Einwohnerschwund; in den letzten zwanzig Jahren verschwand ein Viertel der Bürgerschaft aus der einstigen Bergbaustadt – größtenteils aus diversen Plattenbaugebieten, die vier Fünftel aller Wohnungen geboten hatten. Also geht es für Sangerhausens Stadtentwicklungs-Leiterin Silvia Reichwald darum, „Gebiete zu reduzieren, aber auch lebenswert zu erhalten“.
Das bedarf geduldiger, sensibler Vor-Ort-Arbeit mit Bürgern und Wohnungsunternehmen, in der Reichwald und Kollegen Defizite, aber auch Vorzüge der einzelnen Gebiete erspüren. Diese verkleinern sie anschließend so feinfühlig wie möglich, damit aus weniger Quantität mehr Qualität fürs verbliebene Quartier wird. IBA-Vorzeigeprojekte sind zwei mit Bewohnern gestaltete „Kumpel plätze“ und ein Hauskomplex, der in den 50er-Jahren für Bergleute in gedämpftem Stalin-Stil errichtet worden war. Jetzt ist er zugleich denkmalpflegerisch-behutsam, energetisch und behindertenfreundlich saniert. Aber die wichtigsten Planungsleistungen von Silvia Reichwald und anderen sind unsichtbar: Recherchieren, Zuhören, Vermitteln und Verhandeln, nicht städtebauliche und architektonische Neuerfindung.
Stadt ohne Zentrum
Solche Neuerfindungen gibt es aber auch in Städten mit zentralen Leerräumen. Dessau versucht sich leidlich geordnet in „Stadtinseln“ zwischen Landschaftsräumen aufzulösen. Noch trauriger war die Aufgabe in Staßfurt zwischen Harz und Elbe: Freiraumdesign als Verzweiflungsakt. Genau unter Staßfurts Altstadt waren ab 1852 die ersten Kalistollen der Welt abgeteuft, dann aber nie richtig gesichert worden. Der Stadtkern wurde zum Bergschadens- und Bergbau-Verheerungsgebiet. Weit über hundert Häuser inklusive Rathaus, Marktbebauung und Stadtkirche sanken bis zu sieben Mieter tief ab und wurden nach und nach abgerissen. Neu bauen kann man hier nicht; seit Jahrzehnten hat Staßfurt keine Mitte mehr. Stattdessen hatte es lange Zeit eine zwei Hektar große Zentralbrache.
Jetzt hat es zur IBA das gezielte „Aufheben der Mitte“ inszeniert. Anstelle der einstigen Altstadt einen See nebst Uferlandschaft mit Markierungen zur Erinnerung: eine Rasenfläche für das Kirchgrundstück, Kleinsteinpflaster für einen Platz und Stummel einstiger Straßenverläufe, die vor dem See abbrechen. Einsam steht am Ufer ein neues Straßenschild und behauptet, dass hier die Rathausstraße vom Großen Markt abgehe.
Ringsum liegen angerissene Altbauquartiere und ein Zentrum der neuen Art mit Netto, Subway und Dänischem Bettenlager. Noch wirkt der Raum grotesk zerrissen. Aber er ist besser als das Nichts der vergangenen Jahrzehnte und wird noch stimmiger, wenn erst der am Parkrand geplante Neubau für kommunale und bergbau-dokumentarische Zwecke realisiert wird. Auch Privateigentümer investieren nach langer Zeit wieder in ihren Besitz mit frischem Seeblick. Doch trotz allen Fortschritts wirkt die IBA-Leitfrage für Staßfurt „Wie viel Mitte braucht die Stadt?“ zynisch – etwa wie die Frage an eine Witwe: Wie viel Ehemann brauchen Sie?
Staßfurts große Leere macht melancholisch. 40 Kilometer südlich in Eisleben stehen viele kleine Leerstellen dagegen für neues Leben im Stadtkern. Hier wirkt Gisela Kirchner als Sachgebietsleiterin der Stadt für Planung und Sanierung. Sie wurde wie Ria Uhlig und Silvia Reichwald noch zu DDR-Zeiten in Weimar als Stadtplanerin ausgebildet – wo sie auf das Schrumpfungsmanagement im 21. Jahrhundert so wenig vorbereitet wurden wie zum Beispiel Angela Merkel im Physikstudium auf ihren jetzigen Job. Aber irgendwie befähigt es doch. Alle drei gehören zu den stillen Heldinnen der IBA, für die sich Regierungs- und Ausstellungszentralen in Magdeburg und Dessau feiern lassen.
Mit der Eislebener Altstadt hat Gisela Kirchner es schwerer als ihre Kolleginnen mit den Zentren von Aschersleben und Sangerhausen. Der Kern ist enger, viele Häuser sind noch älter und fürs heutige Leben wenig tauglich, der Autoverkehr ist teilweise penetrant. Ein Viertel der Häuser ist verlassen, ganze Gassen stehen leer. Eigentümer wohnen oft weit weg und haben weder Geld noch die für diese Altstadt nötige Leidenschaft. Von ihr hat Gisela Kirchner umso mehr. Ihre Arbeit beschreibt sie knapp so: „Immer unterwegs, dauernd im Gespräch, nach Möglichkeiten schauen, etwas organisieren.“ Der eine hat ein leeres Haus, der nächste in der Nähe einen raumbedürftigen Betrieb. Dritte brauchen Aufklärung, wo es vielleicht doch noch ein paar Förder-Euro geben könnte. Mit Vierten gründet sie einen Verein, der eine besonders wichtige Ruine wiedererwecken will. „Hier macht man keine großen Entwürfe. Sondern man managt, dass hier etwas geschieht und da etwas passiert.“
Ab und zu passiert auch etwas, was im ersten Moment erschreckt: Abrisse. Eislebens extrem dichte Altstadt dünnt baulich etwas aus. Das Paradoxe ist aber, dass sie sich dadurch funktionell verdichtet. Studieren kann man das an der neuen IBA-Achse: dem Lutherweg, der vom Geburtshaus des Reformators bis zu seinem letzten Wohnhaus vor dem Tod führt und an jeder Station ein Thema seines Lebens behandelt. Ein ums andere Mal passiert man Lücken – aber immer scheint ein abgewandelter Luthersatz zu gelten: Wo heute ein Stück Altstadtwelt untergeht, können wir gleich morgen ein Apfelbäumchen pflanzen.
Fast wörtlich geschah das auf dem vormaligen Abriss- und Brachland, das die Magdeburger Landschaftsarchitekten Lohrer. Hochrein mit Aprikosen-, Pfirsich- und Walnussbäumen zum „Schöpfungsgarten“ verwandelt haben, begrenzt von einer Ziegelmauer entlang der einstigen Gebäudekante. Briten würden es Pocket Park nennen: ein Platz zum Niederlassen und Aufatmen inmitten eines dicht bebauten Quartiers. Gleich um die Ecke schuf der Abriss eines hoffnungslos verrotteten Baus gegenüber von Luthers Geburtshaus Platz für das Besucherzentrum von Springer Architekten aus Berlin. Das bereichert jetzt die Altstadt weit mehr, als es das unrettbare Denkmal noch konnte.
Leer, doch buchstäblich ein Hoffnungsschimmer ist das Haus Lutherstraße 9. Hinterleuchtete „Showfenster“ von René Weißbarth aus Dessau bringen Bildaussagen zum Thema „Luther und die Festkultur“. Ein paar Meter weiter liegt der schillerndste Ort dessen, was die IBA-Leute „kleinteilige Perforation“ der Altstadt nennen. Gleich vier Häuser wurden nach langen Diskussionen abgerissen; historische Bausubstanz und historischer Stadtraum wurden zerstört. Auch diese Häuser hatten leer gestanden. Bauzustand, Düsternis und Enge boten keine Aussicht auf Wiederbelebung. Nur als Geschichtsmasken hätten sie weiterexistieren können.
Daher stimmten schließlich die Denkmalpfleger seufzend dem Abriss zu. Ausgerechnet dieser hat danach das ganze Viertel belebt und wohl am Ende mehr alte Stadt gerettet als vernichtet: Vorher fast ebenso schadhafte Nachbarhäuser haben mehr Luft und Freiraum; ihre Eigentümer haben sie nun saniert. Ein Lokal bekam schöne Freisitze – Gisela Kirchner hatte die Wirtsleute auf die Idee gebracht. Auf dem Abrissgrundstück selbst hat das Berliner Atelier le balto die „Ohrenweide“ gestaltet: eine Fläche mit gepflanzten Ohrweiden (so heißt der Baum wirklich) und Metallrohren, die zusammen den „Flüsternden Garten“ ergeben. Er ist dem Thema „Luther und die deutsche Sprache“ gewidmet – zu hören mit dem Ohr am Rohr. Und vielleicht kommt irgendwann auch wieder ein Haus hin.
In Eisleben harmonierten Stadt und IBA: hier die konkrete, zähe und bodenständige Vor-Ort-Arbeit wie die von Gisela Kirchner, dort die Dessauer Bauhaus-Denkwelt, deren viele Ideen dann helfen, wenn sie lokale Kräfte unterstützen. Wenn sie sich um diese Kräfte aber nicht kümmern, dann können sich aufgesetzte Ideen sogar als Knüppel zwischen den Beinen erweisen, auf denen eine Stadt den Weg der Schrumpfung geht.
Das passierte in Sachsen-Anhalts größter Stadt Halle, mit minus 90 000 Einwohnern auch die Metropole der Schrumpfung. In ihr sehen Unbedarfte eine Stadt, die IBA aber zwei: Halle und das seit 20 Jahren eingemeindete Halle-Neustadt. Für sie proklamierte die IBA als Leitmotiv einen „Balanceakt Doppelstadt“. Der wiederum „erfordert eine kulturelle und ökonomische Aufwertung von Halle-Neustadt“, denn „nur zwei gleiche Pole balancieren sich aus“.
Gleiche Pole? Halle ist 1 194 Jahre alt und entsprechend vielschichtig, Halle-Neustadt ein vor 43 Jahren gegründetes Wohngebiet aus einem Betonplattenguss. In Halle außer der Neustadt leben 185 000 Menschen, in Letzterer 45 000. Kultur, Wirtschaft, Handel und Verwaltung befinden sich fast vollständig in Halle und kaum in Neustadt. Die hat nur in einem Punkt deutliches Übergewicht: Während im übrigen Halle die Einwohnerzahl um 15 Prozent geschrumpft ist, sind es in der Neustadt bisher 50 Prozent.
Doch die IBA probierte das genaue Gegenteil dessen, womit sie in kleineren Städten Erfolg hat: Sie nutzte nicht die örtliche Dynamik und lenkte sie in konstruktive Bahnen, sondern sie hielt dagegen. Unbekümmert um die Dauerabstimmung per Möbelwagen betet die IBA ihr Mantra vom „Balanceakt“ und den „gleichen Polen“ herunter. Über die Motive kann man nur grübeln: Quartierslobbyismus? DDR-Nostalgie? Aversion gegen die alte Bürgerstadt? Gralshüten der Nachkriegsmoderne, unabhängig von ihrer Qualität?
Das Ganze hätte nicht weiter gestört, wenn die IBA sich auf Neustadt-Projekte wie die Platzerneuerung Am Tulpenbrunnen und eine Skaterbahn konzentriert hätte. Doch sie verteidigte die Neustadt auch in der Altstadt – und verfestigte deren Probleme. Zum Beispiel in Glaucha, einem gemischten Alt-Neubauquartier südlich des Zentrums von Halle, ziemlich zentral und städtebaulich eigentlich von guter Substanz. Doch Glaucha steht zu einem Drittel leer, viele alte Häuser sind unsaniert, weil nicht zuletzt auch wegen der Neustadt-Konkurrenz keiner sie sanieren wollte. In die Neustadt flossen dagegen seit der Wende rund eine Milliarde Euro meist öffentlicher Mittel. Sie entleert sich trotzdem; in Glaucha mühte sich die IBA spät, mit bescheidenen Mitteln und Erfolgen, um ein paar Impulse.
Fast hautnah bedrängt ein Neustadt-Auswuchs die Franckeschen Stiftungen: die früher größte Schulstadt Europas, gegründet vor 300 Jahren, heute Bildungs- und Kulturquartier von der Kita bis zur barocken Wunderkammer, vom Institut für Pietismusforschung bis zum Apothekergarten. Nur zehn Meter von ihr entfernt führt eine vierspurige Hochstraße entlang – angeblich existenziell für die Neustadt, tatsächlich aber nur für diejenigen nötig, die weder per Straßenbahn im Vierminutentakt noch per Rad über die Saale fahren können. Die Hochstraße ließ einst gegen den Willen der Stadt Halles SED-Chef Horst Sindermann durch die Stadt schlagen, über den damals Wolf Biermann spottete: „Ach Sindermann, du blinder Mann. Du richtest nur noch Schaden an.“
Vergebliche Klimmzüge – doch ein Erfolg für die Stadt
Bis heute verhunzt, verlärmt und tranchiert die Straße die Stadt; der Aufnahme der Frankeschen Stiftungen ins UNESCO-Welterbe ist sie auch nicht förderlich. Zur Einzigartigkeit und Lebensqualität Halles trägt sie so viel bei wie Machwerke gleichen Typs in Hannover oder Houston. Aber die IBA feiert sie als „Zeugnis der städtebaulichen Moderne“ von „besonderer Relevanz“, da sie „beide Stadthälften räumlich miteinander verbindet“. In ähnlichem Ton feiert sie am östlichen Ende der Straße, einem Verkehrskreisel namens Riebeckplatz, zwei seit Jahren leer stehende Hochhäuser.
Aber schließlich hat sich die IBA doch um diese Themen Verdienste erworben. Ihre vielen vergeblichen Klimmzüge für die leeren Hochhäuser machten am Ende allen deutlich, dass diese mit keinem vernünftigen Aufwand zu retten sind. Ab Ende Juni kommen sie weg, wozu die IBA nunmehr einen „Auftakt-Event“ plant. Einen ähnlichen Weg geht die Hochstraßendiskussion: Ausgerechnet auf einer IBA-Veranstaltung verkündete Planungsdezernent Thomas Pohlack, eine bald nötige Reparatur werde so teuer und die Verkehrsbedeutung sei so mäßig, dass man von den vier Fahrbahnen am besten zwei abreiße.
Pohlacks Vorgänger Friedrich Busmann agierte zeitweise nicht in Halle und kehrte dann als IBA-Beauftragter zurück, der an Doppelstadt-Parolen nicht glaubt: „Ich habe nicht den notwendigen Auftrieb gespürt, den man sich von der theoretischen Auseinandersetzung mit der Moderne erhofft hatte. Offenbar lässt sich dieses Thema besser in Akademikerkreisen kommunizieren.“ Und er äußert, was die IBA teilweise bis heute nicht sehen will: „Die Altstadt mit ihrer kulturellen Kraft kann von der Neustadt niemals eingeholt werden.“ Eher unfreiwillig hat die IBA eigene und geistesverwandte Blasen platzen lassen. Erst machte sie es schwerer, aber nun wird es für die Stadt leichter, sich anstelle eines traumtänzerischen Balanceakts auf ihren urbanen Boden zu stellen. Und die Neustadt kann auf ein ihr angemessenes und stadtverträgliches Maß schrumpfen.
Alle Erfolgswege und Irrwege, die Leistungen der tapferen Planerinnen, die Oden an die Leere und die Trance-Balance von Halle präsentiert die IBA ab dem 10. April im Dessauer Bauhaus. All ihre 19 Städte stellen ihre Arbeit auch vor Ort aus – so unterschiedlich wie die Familienförderung in Wanzleben und die Homöopathie in Köthen. Auch wenn manches stecken geblieben und Einzelnes bizarr ist: Es hat sich gelohnt, dass Sachsen-Anhalt früh zur aktiven Stadtverkleinerung aufgestanden ist. Gelohnt auch für andere Regionen, denen das noch bevorsteht und die sich von den Schrumpfpionieren vieles abgucken können.