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Revier oder Metropole?

Im Kulturjahr 2010 schwankt das Ruhrgebiet zwischen Heimatverbundenheit und globaler Avantgarde – auch in den Bauten

01.04.20107 Min. Kommentar schreiben

Von Katharina Hodes

Das Kulturjahr an der Ruhr hatte noch nicht begonnen, als der 13. Gelsenkirchener Baukultur-Salon im November die Frage behandelte, wie nachhaltig die Projekte für die Region nach 2010 wirken würden. Eine pointierte Antwort gab es nicht – kein Wunder bei der Unterschiedlichkeit der Ideen und der Teilnehmer, von Nordrhein-Westfalens Bau- und Verkehrsminister Lutz Lienenkämper über Ulrike Rose, Leiterin der Landesinitiative Stadtbaukultur, bis hin zum niederländischen Rauminstallationskünstler Andre Dekker.

Symbolisch für die Vielfalt steht das Raumumfeld mit herben Baugerüsten und makellosen Marketingständen für „RUHR.2010“. Auch dessen Bau- und Stadtprojekte folgen einer Vielzahl unterschiedlicher Intentionen und Konzepte – wie fast alles am Kulturjahr. Das ist in ihm angelegt: Bei ­seiner Erfindung 1985 sollte es die europäische Identität fördern, doch schnell drängten sich profanere Ziele in den Mittelpunkt: Tourismus, Prominenz, Imagepolitur für die jeweilige Stadt. Jetzt findet das Kulturjahr zum dritten Mal in Deutschland statt – nach Westberlin 1988 und Weimar 1999. Diesmal steht eine ganze Region aus 53 Städten mit mehr als fünf Millionen Einwohnern im Mittelpunkt. „Europa“, „Mythos“ und „Metropole gestalten“ sind die Schlagworte, die das Programm bestimmen. Außerdem will das Revier zum Kreativquartier werden. Es hat sich viel vorgenommen.

Der Programmpunkt „Europa“ ist der architektur- und planungsfernste. In „Mythos“ wird Kohlenpottkultiges zur Kultur erhoben; Geliebtes und Vertrautes wird in neuen Zusammenhang gebracht. Projekte wie die Kunstinstallation SchachtZeichen sind ebenso einfach wie bewegend: In der Maiwoche nach Pfingsten werden 350 gelbe Ballons in bis zu 80 Metern Höhe die ehemaligen Kohlenschächte markieren. Jeder Ballon erhält eigene Paten, die auf ihn achtgeben. Rundherum gibt es Angebote im Freien. So verbinden sich Stolz und Geschichte, Feiern und Kultur. Zwar kratzen auch diese Ideen nur an der Oberfläche, aber sie können den Revierbewohnern neues Selbstbewusstsein geben.

Hinter dem Motto „Metropole gestalten“ stecken zwei Absichten. Zum einen soll aus dem fünftgrößten Ballungsraum Europas ein Zentrum werden, das mit London oder Paris mithalten kann – kühn angesichts der industriegeprägten Geschichte und Bewohnerschaft, der Zersplitterung und der nach außen nur mäßigen, teils negativen Ausstrahlung. Abhilfe soll auch hier die Baukultur schaffen. Gut gelingt ihre Verbindung mit traditioneller Ruhrkultur in der Reihe „Hochpunkte“. Sieben Aussichtsorte, teils bestehend, teils erneuert, aber alle mit der Identität des Ruhrgebiets verwoben, laden zum Überblick ein.

Zum „Hochpunkt“ geadelt wurde Bekanntes teilweise aus der Zeit der IBA Emscherpark, wie das Oberhausener Gasometer, der Tetraeder in Bottrop, die Essener Schurenbachhalde mit der Skulptur „Bramme für das Ruhrgebiet“ und der Landschaftspark Duisburg-Nord. Drei der Hochpunkte sind oder werden aber extra für das Kulturhauptstadtjahr modernisiert: das Dortmunder U, als ehemalige Brauerei nahe dem Hauptbahnhof ein Wahrzeichen der Stadt, erhält eine Dach- und Fachsanierung, während die Fassade nur instand gesetzt wird. Im UNESCO-Welterbe Zeche Zollverein in Essen ist das neue Ruhr Museum entstanden (siehe Seite 22). Und der Förderturm der Nordstern-Zeche in Gelsenkirchen wird um eine Glaskonstruktion plus 18 Meter hohen „Herkules“ von Markus Lüpertz erweitert.

Ohrenpark und Parktankstelle

Kulturjahrthema ist auch eine nichtwirtschaftliche Seite des oft beschworenen Strukturwandels: die Konversion von Kirchen, die nicht abgerissen, sondern in veränderter Form weiter genutzt werden sollen. Das gelingt zum Beispiel in der Markuskirche in Gladbeck, jetzt „Martin-Luther-Forum Ruhr“, und in der Bochumer Marienkirche mit ihrem Umbau zum Kammermusiksaal durch Max Dudler aus Berlin.

Auch auf der Straße soll Metropole gestaltet werden. Die Autobahn A42, die mitten durchs Ruhrgebiet durch den Emscher-Landschaftspark führt, soll den täglich 80 000 Fahrern mehr bieten als Schallschutzwände. Auf der „Parkerlebnisstrecke“ bieten Sichtfenster Ausblicke auf die Attraktionen entlang der Strecke. Am Autobahnkreuz Castrop-Rauxel gibt es in den Autobahnohren der Ausfahrt einen „Ohrenpark“ – nicht zum Hören, nur zum Vorbeifahren. An „Parktankstellen“ gibt es kein Benzin, sondern Informationen zur Kulturhauptstadt. Ein paar Kilometer weiter südlich wird die Autobahn A40, in Wirklichkeit und im Volksmund längst vom Ruhrschnellweg zum Ruhrstauweg degradiert, am 18. Juli garantiert keinen Stau erleben. Sie ist dann auf 60 Kilometern gesperrt und lädt von 11 bis 17 Uhr ein, an der längsten Tafel der Welt Platz zu nehmen. „Still-Leben Ruhrschnellweg“ ist der hübsche Name der Veranstaltung.

Entwerfen aus der Region heraus

Andere Bauprojekte werden dem Metropolgedanken gerecht, vereinbaren ihn aber kaum mit der bestehenden Ruhrkultur. Der Neubau des Folkwang-Museums durch David Chipperfield hebt Essens Prestige, wirkt aber als Fremdkörper in trostloser Umgebung an einer Schnellstraße. Das Museum Küppersmühle in Duisburg verwandelt sich zum Spiel mit Riesenbauklötzen: Herzog & de Meuron setzen dem Backsteinbau einen Quader aus Glas auf. In Bochum erhält das Museum „Situation Kunst“ durch das Büro Pfeiffer – Ellermann – Preckel aus Lüdinghausen einen Erweiterungsbau, der aus der Kriegsruine eines Herrenhauses von 1592 mit integriertem Glasbau besteht.

Den stärksten nachhaltigen Erfolg verspricht das Bestreben, durch Kreativquartiere den Standort Ruhrgebiet aufzuwerten. Gelingt es, die Kreativen ins gemachte oder selbst gestaltbare Nest zu locken, regt sich neues Leben in ehemaligen Industriegebäuden und heutigen Problemvierteln. Die Niederlande haben mit der Strategie bereits Erfolg und unterstützen nun das Ruhrgebiet. Der übrig gebliebene Turm der Dortmunder Union-Brauerei wird vom örtlichen Büro Gerber zum Kreativzentrum „Dortmunder U“ verwandelt, mit Fachhochschule, Ostwall-Museum und zwei sogenannten Kreativetagen mit offener Funktion. Oberhausen bietet am zentralen Altmarkt günstige Wohn- und Arbeitsflächen. Bochum widmet seine früheren Zechen Prinz Regent dem Thema Musik. Dinslaken will auf dem Areal der erst vor fünf Jahren stillgelegten Zeche Lohberg das Kreativleben in einer kleineren Stadt entwickeln.

Für einen nachhaltigen Wandel ist Authentizität immer Bedingung – darin waren sich die Teilnehmer des Gelsenkirchener Baukultur-Salons im November immerhin einig. Der niederländische Künstler Andre Dekker wünschte sich, den Heimatgedanken zu stärken, die ruhrgebietstypische Architektur weiterzubauen: „Das Echte muss weiterleben. Die zahlreichen Glaskuben der neuen und erweiterten Architekturen gibt es überall, und die ureigene Kultur des Reviers hat keinen Anknüpfungspunkt.“

Glaskuben mit ihrem internationalen Design geben zwar dem Erscheinungsbild des Ruhr­gebiets modernes Flair – beispielsweise der Kubus auf dem Duisburger Museum Küppersmühle, der Bochumer Kunstkubus oder der Turm der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen von Karl-Heinz Petzinka mit Nathalie Ness und René Clasen. Sie wirken aber auch aufgesetzt, nicht aus der Region heraus entworfen. Schlüssiger gelöst ist das Thema in der Zeche Zoll­verein oder dem Dortmunder U. Die Bauten betonen die überkommene Kantigkeit der Orte, ­anstatt ihnen eine ortsfremde Identität über­zustülpen. Pius Knüsel, Direktor der Züricher Kulturstiftung „Pro Helvetia“, stellte im Bau­kultur-Salon allen Gestaltungseifer infrage: ­„Heimat entsteht langsam und im Detail, nicht am Reißbrett. Und gerade Wegnehmen gibt Entwicklungen Raum. Wäre es nicht mancherorts ­sinnvoller, eine Million in den Abriss zu ­investieren?“

Katharina Hodes ist Journalistin in Düsseldorf.


Baukunst-Website
Eigens für die Kulturhauptstadt von den Architekten- und Ingenieurkammern des Landes erarbeitet, bietet die Website Überblick über die spannendsten Bauwerke der Revierstädte. Mit einem Klick sind Daten, Bilder und Beschreibungen abrufbar. In einer Kompaktversion steht der Service auch für mobile Endgeräte zur Verfügung. Insgesamt präsentiert der Onlineführer fast 1 000 Projekte aus ganz NRW.

Wohnkulturroute
Auch an der „Route der Wohnkultur“ ist die Architektenkammer maßgeblich beteiligt. An 60 Objekten können Besucher hautnah erleben, wie das Ruhrgebiet wohnt – von außen wie von innen. Über die Website sind Führungen durch die Wohngebiete von Dortmund, Bochum, Oberhausen und Hattingen buchbar. Im „Sommer der Wohnkultur“ von August bis Oktober können die Objekte auch von innen besichtigt werden.

Baukulturkonvent
Die rund 350 Mitglieder des Konvents der Bundesstiftung Baukultur diskutieren am 16. April in der Essener Zeche Zollverein über „Baukultur des Öffentlichen“. Am 17. April wird das Thema mit prominenter Besetzung vor Ort diskutiert: das Thema Bildung in Bochum in der Erich-Kästner-Gesamtschule, das Thema Freiraum in Gelsenkirchen auf dem Heinrich-König-Platz und das Thema Verkehr im Hauptbahnhof Essen.

NRW wohnt
Ebenfalls in der Zeche Zollverein läuft am 19. April die feierliche Abschlussveranstal-tung der Veranstaltungsreihe „NRW wohnt“. In allen Regionen des Landes hatte sie seit 2008 Experten und Laien, Architekten und Mieter, Investoren und Eigentümer zusammengebracht. Am 19. April wird zusammengefasst und Bilanz gezogen; außerdem werden auch die Preisträger des Fotowettbewerbs „Wohn(t)räume – Lebensräume“ bekanntgegeben.

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