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Nicht nur Blümchen

Das kleine Schwerin gönnt sich eine Bundesgartenschau des langen Atems.

01.05.20098 Min. Kommentar schreiben
Belebende Kontraste: vorn die Kolonnade und die „Schwimmende Wiese“ im „Garten des 21. Jahrhunderts“; im Hintergrund Schloss und Museum

Roland Stimpel

Immer diese Tulpen. Für viele Besucher sind sie die blühenden Herzchen jeder Gartenschau, aber deren Veranstaltern machen sie oft Probleme: Voriges Jahr zum Beispiel wurden sie vor Eröffnung der Landesgartenschau in Schleswig von durchziehenden Graugänsen gefressen. Zugleich drohten sie im warmen Vorfrühling von Neu-Ulm zu verblühen, bevor die Schau losging. Und in der barocken Hauptachse der diesjährigen Bundesschau von Schwerin blühten sie zur Eröffnung trotz gartendenkmalpflegerischer Bedenken.

Aber damit soll es dann auch genug sein: Unter den Tulpen und ihrer Erde ist Folie verlegt, die nach der Schau denkmalgerecht und für den Garten keimfrei abgeräumt wird. Auch die von Besuchern geforderten Rhododendren kommen hinterher wieder weg.Das klingt, als sei die Bundesgartenschau 2009 eine eher kurzatmige Veranstaltung ohne die viel beschworene Nachhaltigkeit. Aber das Gegenteil ist wahr: Kaum eine Buga der letzten Jahrzehnte steht so sehr für Geschichte und Dauer wie die von Schwerin. Sie pflegt und erneuert Traditionslinien aus 300 Jahren Landschaftsarchitektur und will etwas hinterlassen, das für jeden erdenklichen Gebrauch taugt: toben oder promenieren, Rentnervergnügen und Kinderspiel, Sport oder Tourismus.

Der lange Atem passt am besten zu diesem Ort. Schwerin ist Deutschlands kleinstes Landeshauptstädtchen; Scharnier zwischen Altstadt und Park ist sein leicht operettenhaft wirkendes Regierungsviertel: zwei Palais rechts, zwei links, ein sehr weitläufiger Platz mit Theater, Museum und Denkmal und dann das Schloss.

Es ist neben Neuschwanstein Deutschlands am gründlichsten beladene Historismenschatztruhe, ein bisschen alte Holland-Renaissance und sehr viel mehr Neo-Loire-Renaissance, und alles überzuckert von 365 Türmen und Türmchen. Auch anderswo in der Stadt werden gern Stil- und Zeitenspiele aufgeführt. Das Rathaus zum Beispiel besteht hinten aus vier Giebelhäusern, vorn aber aus der einheitlichen Fassade einer Neo-Tudor-Burg.

Rosen im Garten am Marstall: Blumenschau vor dem klassizistischen Palais

Was könnte besser in so eine Stadt passen als historische und historisierende Gärten? Wobei in der Landschaftsplanung die Grenzen zwischen Alt und Neu, Echtem und Nachgemachtem viel verschwommener sind als in der Architektur. Damit ein Garten seine Gestalt behält, will er vom ersten Tag an dauerrekonstruiert werden. Authentisch bleibt oder wird er nur, wenn man die natürlich gewucherten Zeitschichten nicht hinnimmt, sondern abträgt. Auch in Schwerin wurde vor der Buga kräftig in den Lauf der Natur eingegriffen, um Gärten so zu zeigen, wie sie einmal gedacht und angelegt wurden. „Es ging darum, bereits grüne Flächen zu qualifizieren“, erklärt der Schweriner Landschaftsarchitekt Matthias Proske. Er hat mit seinem Partner Claus Steinhausen den Marstall- und den südlichen Schlossgarten denkmalgerecht umgestaltet – Letzteren hatte Peter Josef Lenné geplant. Jetzt wurde nur weniges nach heutigen Ideen hinzugefügt und nichts davon auf Alt getrimmt.

Proske legt Wert auf die Feststellung: „Was neu ist, wurde auch als Neues kenntlich gemacht.“Bau- und Gartendenkmale sind wieder ein Gesamtkunstwerk, dessen Qualität sich mit Lennés Hauptwirkungsort Potsdam messen kann. Auch die Schweriner würden gern Schloss und Park auf die Unesco-Welterbeliste setzen lassen. Sogar noch stärker als in Potsdam sind bei ihnen Bauten und Gärten mit dem Wasser verwoben. Das Gartenschaugelände schmiegt sich an und um den Schweriner See und den Burgsee; die Ufer sind teils für die Gartenschau neu konturiert. „Man sieht wieder, wie viel Wasser die Stadt hat“, freut sich Landesarchitektenkammer-Präsident Joachim Brenncke. Aber auch wegen der Anstöße für andere Gebiete findet er „die Schau für das Erscheinungsbild der Stadt genial“ und lobt ihre weitreichende Wirkung: „Es sind wirklich nicht nur Blümchen, sondern es ist Stadtentwicklung im besten Sinn.“

Allerdings gab es gerade um die Ufer auch heftigen Streit. Die Landschaftsgestalter von der Gartenschau gerieten in eine publizistische und juristische Wasserschlacht mit den Naturwächtern vom Bund Umwelt und Naturschutz. Dem war Landschaftskunst egal; nur geschützte Arten zählten. Also protestierten, bremsten und klagten die Naturschützer, wo sie nur konnten. Als „Umwelt-Taliban“ bezeichnete sie einmal ein wütender Gartenschauförderer. Am Ende gab es einen Vergleich beim Verwaltungsgericht: An manchen Stellen im Burgsee durfte die Buga baggern, fällen und roden; an anderen musste sie Schilf und Gebüsch schonen.

Die BUGA 2009 in Schwerin.

Ein anderes Problem hatten sich die Gartenschauplaner selbst zuzuschreiben: Sie dachten anfangs viel zu groß und wollten Standorte in ganz Schwerin zu Buga-Plätzen machen – was sich bald als zu teuer erwies. Und es tut der Gartenschau gut, dass sie jetzt am Ufer konzentriert ist. Landschaftlich wie gestalterisch ist auch jetzt die Vielfalt groß, doch zugleich ist sie als Einheit erlebbar. Schloss, Altstadt und Seen bilden immer wieder Blickpunkt oder Hintergrund.

Auch die Repräsentanten der regionalen Architekten sind insgesamt zufrieden. Mecklenburg-Vorpommerns Kammergeschäftsführer Reinhard Dietze lobt die „großen Wettbewerbe“ für vier realisierte und einen später eingesparten Gartenschauteil. Präsident Brenncke findet die Vergaben, auch mit der Verteilung an regionale und anderswo ansässige Büros, „im Ergebnis o. k.“. Unschön ist für ihn nur der fast völlige Verzicht auf Hochbau – Etats wurden gekürzt; der Bedarf war und ist gering. Eine geplante Säulenhalle am Haupteingang schrumpfte unter Kammerprotest zu einer Kolonnade. Ein Ruderclub bekam einen Neubau.

Und die 4 000 Quadratmeter große Blumenhalle von Gorenflos Architekten aus Berlin ist ein nachhaltiges Schaustück der besonderen Art: Sie lässt sich demontieren und transportieren. Schon ist sie für die Bundesgartenschau 2011 in Koblenz gebucht.

Sieben Parks, eine Schau

Garten des 21. Jahrhunderts
Vor der Vergangenheit kommt die Zukunft: Durch den insgesamt 4,5 Hektar großen „Garten des 21. Jahrhunderts“ betreten die meisten Gäste das Schaugelände. Der mit Robinien bepflanzte Platz, die Kolonnade und die Uferkante sind geometrisch-klar angelegt. Ringsum dominieren Serviceeinrichtungen. Wer das Gelände betritt, hat gleich ein Gesamtpanorama mit Burgsee, Schlossgarten und Schloss vor sich. Die rechteckige „Schwimmende Wiese“ ist mit kleinen Hügeln modelliert, auf denen Wechselflor- und Staudenbeete angelegt sind. Bäume und Büsche gibt es nicht – noch nicht, vermuten Ortskundige in Schwerin. Denn die Wiese soll künftig die Sonnenbader und Picknicker versorgen, die im Schlossgarten nicht mehr so gern gesehen sind. Die aber erwarten mehr Lauschigkeit, als die 21.-Jahrhundert-Landschaft bisher bietet.
Planer: Breimann & Bruun, Hamburg

Schlossgarten

Der 24 Hektar große Schlossgarten ist das räumliche und denkmalpflegerische Herzstück der Gartenschau. Seinen barocken Teil mit dem „Kreuzkanal“ gestaltete Jean Legeay bis 1756, den südlich davon gelegenen „Greenhouse“-Garten knapp hundert Jahre später Peter Josef Lenné. Während der barocke Teil zwar zeitweise ungepflegt, doch in seiner Grundstruktur deutlich erkennbar war, wucherte der Englische Garten über die Jahrzehnte zu und wurde von Bauten angefressen – von der SED-Schule für Landwirtschaftskader bis zu einer Straßenbahn-Wendeschleife. Hier ging es nun nicht ums Neupflanzen, sondern ums Auslichten. Rund 200 Bäume wurden gefällt, Kronen beschnitten und Sichtachsen wiederher­gestellt.
Planer: Proske und Steinhausen, Schwerin (denkmalgerechte Wiederherstellung südlicher Schlossgarten); 3xC Christiane Haberkorn, Christian Meyer, ­Christine Orel, Schwerin (Pflanzplanung); Georg v. Gayl, Berlin (Planung Irrgarten)

Burggarten

Er ist nur zwei Hektar groß, doch besonders prominent gelegen: rund ums Schweriner Schloss auf dessen eigener Insel. Mit seinen englischen, italienischen und sogar mecklenburgischen Elementen ist er so vielgestaltig wie das Schloss selbst. Direkt an dieses angebaut ist die Orangerie, vor über 150 Jahren inspiriert durch Joseph Paxtons sensationellen Londoner Kristallpalast. Der Burggarten hat jetzt wieder annähernd das gleiche Erscheinungsbild wie 1857, als er zugleich mit dem Schloss ausgestaltet wurde.
Planer: Stefan Pulkenat, Gielow

Garten am Marstall

Der nördlichste, etwas abgelegene Parkteil erfüllt konventionelle Erwartungen an Gartenschauen. „Ein Meer von Blumen in den unterschiedlichsten Formen und Farben ­beherrscht das Bild“, verspricht die Buga-Gesellschaft für die vier Hektar. Am Marstall „werden die neuesten Trends der Züchtung und die visionären Ideen für eine Garten­gestaltung präsentiert“. Dem dienen „Gartenkabinette“, die vor allem Hobbygärtner inspirieren sollen.
Planer: Proske und Steinhausen, Schwerin (denkmalgerechte Wiederherstellung); hutterreimann, Berlin (Ausstellungsstruktur); OLP Klisch + Schmidt, Schwerin (Pflanzplanung)

Küchengarten

Wo schon die Großherzöge Gemüse und Obst pflanzen ließen, geht es auch jetzt wieder um Nutzpflanzen: Gemüse, Kräuter, Wein, Beerensträucher, Obstbäume, Kletterrosen und Kübelpflanzen. Poppig-schlichte Großskulpturen mit Motiven rund ums ­Essen dominieren das Dreihektarareal jedoch optisch sehr. Dagegen rücken schöne alte Mauern, an denen junge Pflanzen ­ranken, buchstäblich in den Hintergrund. Die bunten Wülste vermitteln deutlich die Botschaft, dass es hier um Masse geht: Am Küchengarten steht die auf Gartenschauen stets am stärksten frequentierte Blumen­halle.
Planer: Adolphi und Rose, Wismar (Grundstruktur); Planung + Ökologie, Schwerin (Pflanzplanung)

Ufergarten

Hier geht es um Sport, Erholung und Genuss am Wasser. Es gibt Tobeplätze für ­Kleine und Große, Strand und viel Gastronomie. Da lässt sich dann laut Gartenschauprosa „bei dezenter Kaffeehausmusik von der ­Terrasse aus der weite Blick über den Schweriner See genießen“. Von hier führt auch die Pontonbrücke zum Marstallgarten.
Planer: Topotek 1, Berlin

Naturgarten

Auf dem weiträumigen und stadtfernsten 13-Hektar-Gelände hielten sich die Planer mit Eingriffen zurück. Nicht Gartengestaltung ist das Thema, sondern Natur. Stege und Wege führen über Morast, Teich und Ufer, durch Röhricht und Orchideenwiesen. Hier ist auch der umweltpädagogische ­Ehrgeiz am größten. Es gibt eine „grüne Schule“ für Kinder und Erwachsene, den „Hauptspielplatz“ der Gartenschau und ­einen Streichelzoo.
Planer: Geske und Hack, Berlin

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