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Gräber und Gärten

Auf Friedhöfen wird immer weniger Fläche gebraucht. Was tun mit den nicht mehr benötigten Arealen?

01.05.20095 Min. Kommentar schreiben
Utopia im Totenreich: Der Entwurf für den Friedhof Heidenstücker in Karlsruhe sieht vor, dass die Verstorbenen unter Lieblingsplätzen ihres Lebens ruhen sollten. Er wurde nicht realisiert.

Gerhard R. Richter

Auf den mehr als 30 000 Friedhöfen in Deutschland gibt es immer größere Überhangflächen. Damit droht ein wirtschaftliches Desaster, das auch nicht mehr durch höhere Gebühren abgefangen werden kann. Außerdem droht bei manchen Friedhofsbetreibern ein drastischer Personalabbau. Das Phänomen hat vielfältige Ursachen: Der enorme Geburtenrückgang wird auch zu einem Rückgang der Sterbezahlen führen. Grabstätten werden rascher aufgegeben, da wegen der wachsenden Mobilität mehr Hinterbliebene fern von den Gräbern ihrer Angehörigen leben und da Zeiten der Trauer und aktiven Grabpflege immer kürzer werden. Auch die steigende Lebenserwartung trägt dazu bei: Je älter ein Verstorbener ist, desto kürzer pflegen anschließend Hinterbliebene das Grab.

Auch die Bestattungskultur ändert sich drastisch: Die Säkularisierung geht weiter, die Vorstellung von einem ewigen jenseitigen Leben schwindet. Schon rund ein Zehntel der Menschen in Deutschland lebt an der Armutsgrenze und kann sich die Anlage und Pflege aufwendiger Grabstätten nicht leisten. Ein wachsender Teil der Bevölkerung kommt aus anderen Ländern und pflegt oft andere Bestattungsgebräuche. Mehr und mehr Verstorbene werden in Krematorien eingeäschert: Im Bundesdurchschnitt sind es bereits 48 Prozent, in zahlreichen Großstädten sogar über 90 Prozent. Schließlich konkurrieren „Friedwälder“ und „Ruheforsten“ mit den traditionellen Friedhöfen.

Es bleibt aber eine Aufgabe der Kommunen, genug Flächen vorzuhalten und zu unterhalten, um allen Menschen eine würdige Bestattung zu gewährleisten. Lange Zeit rechneten die Gemeinden mit 4,5 bis fünf Quadratmetern Fläche je lebenden Einwohner. Inzwischen reicht oft schon die Hälfte: beispielsweise in Dresden 2,5 Quadratmeter, in Lübeck und Berlin jeweils drei. Allein in der Bundeshauptstadt gibt es schon jetzt fast 700 Hektar Überhangfläche auf Friedhöfen, zusammengenommen ein doppelt so großes Areal wie der unlängst stillgelegte Flughafen Tempelhof. Aber Jammern über den Rückgang der Bestattungskultur gilt nicht, denn die Überhangflächen bieten auch planerische Chancen: neue Ansätze der Friedhofsleitplanung, Flächengewinn für andere Zwecke und auf den bleibenden Friedhofsteilen eine höhere Pflege- und Gestaltungsqualität.

Eine Vielfalt von Biotopen

Freiflächen am Rand von Friedhöfen, die für einst geplante Erweiterungen vorgehalten wurden, lassen sich relativ gut anders nutzen, wenn sie von außen erschlossen werden können. Solche Flächen muss zunächst der Gemeinderat außer Dienst stellen und rechtlich entwidmen. Werden sie nicht bebaut, können sie zu öffentlichen Grünanlagen oder Kleingärten werden. Nutzbar sind sie auch als naturschutzrechtliche Ausgleichsfläche nach dem Baugesetzbuch, zur Energiegewinnung oder als Sukzessionsfläche für aufzu­bauende Biotope. In Einzelfällen können sie aufgeforstet ­werden. Je naturnaher die Folgenutzung ist, desto stärker setzen Kommunen Abkommen zur biologischen Vielfalt um, ­etwa die 2002 in Den Haag beschlossene Biodiversitäts­konvention. Auf den über 30 000 Friedhöfen in Deutschland gibt es diverse Biotoptypen wie Rasen, Wiese, Saumzonen, Hecken, Wald, Trocken- und Feuchtbiotope sowie Ritzenvegetation.

Besonders attraktiv kann die Chance zur Energieversorgung sein. So könnten Schilfgewächse, Binsen und Bambus angepflanzt und das Schnittgut dann als Biomasse zur Energiegewinnung verwertet werden. Damit wäre ein umweltfreundlicher Beitrag zur Energiegewinnung möglich. Es wäre aber auch denkbar, auf den Überhangflächen neueste Systeme von Fotovoltaikanlagen zu installieren. Solche Nutzungen lassen sich per Verfahren nach Paragraf 9 des Baugesetzbuchs rasch realisieren, auch nach Paragraf 9 Absatz  2 als Zwischennutzung.

Denkbar ist auch hochwertiges Wohnbauland. Vor allem jene frei gewordenen und entwidmeten Flächen, die noch nicht als Bestattungsflächen dienten und lediglich einmal als mögliche Erweiterung eines Friedhofs vorgesehen waren, eignen sich bestens als reines oder gemischtes Baugebiet, wenn die Lage verkehrsgünstig und die Infrastruktur gut ist. In einigen Großstädten laufen bereits Planungsvorhaben für reine und allgemeine Wohngebiete. Schwieriger ist der Umgang mit frei gewordenen Flächen inmitten bestehender Bestattungsfelder. Besonders in Grabfeldern mit Wahlgrabstätten entstehen perforierte Lagen, die in der Addition einen erheblichen Anteil an Überhangflächen darstellen. Diese Flächen sind pietätsbehaftet und hängen meist räumlich nicht zusammen. Hinzu kommt die lange Bindung der noch verbleibenden Nutzungsrechte an Wahlgrabstätten.

Blickpunkt: Die Wasserachse ist das zentrale Gestaltungselement des Friedhofs Neubiberg.

Nutzer werden anspruchsvoller

Vieles wird sich aber auch dort verändern, wo Friedhöfe Friedhöfe bleiben. Die individuelle Grabstätte wird an Bedeutung verlieren, die traditionellen Formen des Erdbegräbnisses in Reihen- und Wahlgrabstätten werden in Zukunft weniger gefragt sein, auch die Ruhezeiten gehen zurück. Die Zahl der Urnenbestattungen wird weiter zunehmen, vor allem die in Gemeinschaftsgrabanlagen. Der Friedhof insgesamt wird jedoch an Bedeutung gewinnen. Zunächst in seiner primären Funktion: Er wird weiterhin ein Raum des Beisetzens, Gedenkens, Abschiednehmens, Erinnerns sein, aber auch ein Ort der Kommunikation sowie ein Erinnerungsspeicher. Betreiber müssen darüber nachdenken, wie sie die Informationen für die Besucher verbessern – auch mit modernen digitalen Medien. Der Friedhof wird ebenfalls in seiner sekundären Bedeutung als ein Ort des Erholens, Spazierens und Begegnens wichtiger. Hinzu kommt sein ökologischer Wert wegen seiner hohen Artenvielfalt mit bis zu 1 000 kartierten Pflanzenarten auf einzelnen Friedhöfen, wegen der größtenteils unversiegelten Flächen und der Ausgleichsfunktion für das Stadtklima.

Prof. Dr. Gerhard R. Richter ist Landschaftsarchitekt in Freising.


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