Thomas Herrgen
Nachkriegsarchitektur wird derzeit viel diskutiert, aber fast immer geht es um den Hochbau. Die Landschaftsarchitektur jener Zeit wird gerade erst entdeckt. Auch sie ist ein Ausdruck des Zeitgeistes und kann Denkmalwert haben. Die Gartenamtsleiterkonferenz beim Deutschen Städtetag hat kommunale Projekte der 1950er-Jahre zusammengestellt, die heute noch existieren, die gut dokumentiert sind und die nach wie vor den Stil der Fünfzigerjahre widerspiegeln.
Die Entwürfe jener Zeit sind von Farbe und Heiterkeit, freien Formen, Bewegung, Kunst, Skulpturen und – wie der Hochbau – meist von einer demonstrativen Abwendung von der NS- und Kriegsvergangenheit geprägt. Klassische Stilmittel waren Polygonalplatten, Pergolen aus Naturstein- beziehungsweise Sandsteinpfosten mit Holzauflagen, Mosaike, Wasseranlagen, Rosengärten, bunte Staudenpflanzungen, Teiche in Nierenform und die überwiegend freie, geschwungene Wegeführung.
Die neuen Erholungsflächen wie Parkanlagen, Stadtplätze, Grünhöfe, Schwimmbäder oder Sportanlagen und Kinderspielplätze mussten nützlich, praktisch und nicht zuletzt bezahlbar sein. Die Grünanlage am Aasee (1951) in Münster lädt noch heute zum Schwimmen und Segeln ein, inzwischen ergänzt um Skulpturen von Claes Oldenburg. Weitere Beispiele sind die Rote-Tor-Wallanlagen (1950) in Augsburg, das Mainufer mit dem „Nizza“ sowie Kinderspielplätze und Grünhöfe (1951–1958) in Frankfurt am Main.
In Nachfolge der „Reichsgartenschauen“ gab es ab 1951 in Westdeutschland Bundesgartenschauen, die auch als Messen und Leistungsschauen der Landschaftsarchitektur und des Garten- und Landschaftsbaus dienten. Die erste Buga fand 1951 in Hannover auf dem Stadthallengelände statt. Wettbewerbssieger waren Wilhelm und Peter Hübotter; ein neues Konzept erstellte das Gartenamt Hannover mit künstlerischem Beirat. Kriegsschäden und Bombentrichter wurden beseitigt und das Gelände zum Stadtpark entwickelt, der in dieser Form noch heute besteht.
Das Bundespräsidentenpaar eröffnete die Schau, Präsidentengattin Elly Heuss-Knapp sagte: „So gehört der Garten zum Wiederaufbau. Er gehört zur Hoffnung nach der Zerstörung, zur Ruhe trotz aller Arbeit.“
Die Buga 1955 in Kassel fiel zeitlich und räumlich mit der ersten documenta zusammen. Aus ihr ging eine völlig neue Grünanlage hervor, der Auepark von Professor Hermann Mattern. Auch die Buga 1957 in Köln erweiterte mit dem neuen Rheinpark von Herta Hammerbacher, Kurt Schönbohm und Joachim Schulze das Stadtgrün nachhaltig.
Der Park ist heute integraler Bestandteil der Kölner Stadtlandschaft. Nach wie vor fahren die zur Gartenschau gebaute Seilbahn über den Rhein und die für Kinder attraktive Kleinbahn. Zu seinem 50. Geburtstag erhielt der Rheinpark 2007 den gesponserten ersten Preis im jährlichen Wettbewerb „Deutschlands schönster Park“ (www.schoenste-parks.de) sowie den Ehrenpreis der Bundesgartenschau-Gesellschaft für „hervorragende, nachhaltige Parknutzung“. Im „Schönster-Park“-Wettbewerb wurde die Anlage am Aasee in Münster 2009 gar Europameister.
Politische Parks
In der DDR wurde ab 1953 die lang gestreckte Potsdamer Freundschaftsinsel in der Havel umgestaltet. Zuvor war sie Schau- und Sichtungsgarten nach einer Idee von Karl Foerster und Plänen von Hermann Mattern. Jetzt wurde sie nach der Anregung Foersters sowie nach Plänen von Walter Funcke mit Werner Bauch zu einer mehr der Erholung dienenden Grünanlage. Eine Wasserachse, Pergolen, Bronzeskulpturen und die lebendige Bepflanzung verdeutlichen noch heute den damaligen Zeitgeschmack, in dem sich Ost und West kaum unterschieden. 2001 wurde sie für die Potsdamer Buga umfassend saniert.
Neben der Sehnsucht nach Idylle gab es aber auch politisch geprägte Projekte, die bis heute nachwirken. Saarbrückens wichtigste Grünanlage ist der 50 Hektar große Deutsch-Französische Garten. 1955, als das Saarland gerade über den Beitritt zur Bundesrepublik abstimmte, begannen Verhandlungen mit Frankreich über eine gemeinsame Gartenschau.
Nach drei Kriegen in 70 Jahren zwischen Deutschland und Frankreich sollte ein grünes Symbol der Freundschaft und Versöhnung errichtet werden. Auch der Ort auf den Spicherner Höhen war symbolisch – ein Schlachtfeld des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71. Im Zweiten Weltkrieg war das Terrain Teil des Westwalls mit einer Panzersperre und zahlreichen Bunkeranlagen, die zum Teil heute noch existieren. 1960 kam es hier zur deutsch-französischen Gartenschau.
Vergangenheit unterm Rasen
Ein Unikum in mehrfacher Hinsicht ist der „Rudolf-Diesel-Gedächtnishain“ in Augsburg. Er wurde 1956/57 zum 100. Geburtstag des Erfinders errichtet und war das Geschenk eines japanischen Dieselmotorenherstellers. Nach einem Entwurf von Junzo Sakakura ist der etwa 1 000 Quadratmeter große Hain im Stil eines japanischen Trockenlandschaftsgartens angelegt. Der in den Wittelsbacher Park integrierte, rechteckige und von einer mittelhohen Eibenhecke eingefriedete Hain ist nahezu unverändert erhalten und ein einzigartiges Beispiel seiner Art in Deutschland.
In Leipzig entstanden in der damaligen Zeit nicht weniger als 21 überwiegend kleine und mittlere Quartiersplätze. 1950 war ein Sonderaufbauprogramm für die Gestaltung öffentlicher Freiräume aufgelegt worden. Die neuen Plätze nach Entwürfen von Gerhard Scholz sind durch große Rasenflächen, geschwungene Wege, lockeren Baumbestand, punktuelle und farbenreiche Staudenpflanzungen, aber auch durch viele Kinderspieleinrichtungen gekennzeichnet. Viele Anlagen konnten nur durch die Mitwirkung Leipziger Bürger im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerks” entstehen, was zur Identifikation der Bewohner mit ihren Plätzen beitrug.
In Kassel ist die „erste Fußgängerzone Deutschlands” noch heute eine Attraktion: die Treppenstraße. 1947 von Architekt Werner Hasper geplant und bis 1953 realisiert, bezieht sich die Achse auf frühere, nicht realisierte Planungen aus dem 19. Jahrhundert und den Dreißigerjahren („Gauhauptstadt Kassel“) des 20. Jahrhunderts.
Die Treppenstraße ist 275 Meter lang und überwindet mit 104 Stufen und Rampen einen Höhenunterschied von mehr als 15 Metern. Wer sie hinabgeht, hat das Museum Fridericianum, das 1959 gebaute Staatstheater von Paul Bode und Ernst Brunding und die Hügellandschaft jenseits der Fulda im Blick. Flankiert wird die Treppenstraße von zweigeschossigen Gebäuden mit Ladengeschäften, Büros und Cafés, denen jeweils ein befestigter Bereich vorgelagert ist. Durch die Mitte der Straße zieht sich ein breiter, „kaskadenartiger“ Grünstreifen mit Rasen, Bäumen, Sträuchern, Stauden, Kunst und Wasserspielen, gestaltet von Oswald Sauer.
Eine völlige Abkehr von früheren Stadtstrukturen bedeutete der Bau von zwölf Hochhausscheiben am Hamburger Grindelberg, ab 1953 eingebettet in eine von Eugen Heling gestaltete Freifläche. Sie kennzeichnete ein netzartiges Erschließungssystem mit Plätzen vor den Eingängen, eine organisch geformte Wasserfläche vom Typ „Nierenteich” im Zentrum, Spielplätze, Mauern, Treppen und Bänke sowie eine kraftvolle, parkartige Begrünung mit Bäumen, Sträuchern, Hecken, Rasen und Schmuckpflanzungen. Die „Parkanlage Grindelberg” sollte Weiträumigkeit und „Natürlichkeit” vermitteln und ist damit ein erhaltenes, besonders zeittypisches Beispiel einer Freianlage jener Zeit. Doch bei aller Offenheit ist sie auch ein Stück Verdrängung: 25 000 Juden hatten vor dem Krieg im Grindelviertel gelebt. Erst seit 2002 erinnern 75 „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig an die früheren Bewohner; bis dahin gab es von ihnen im neuen Hochhausquartier mit Park keine Spuren. Die Idylle jener Zeit konnte und kann auch trügen.
Weitere Informationen:
Die Wanderausstellung mit 33 Projekten aus zwölf Städten der Gartenamtsleiterkonferenz wird vom 19.6. bis 10.8 in der Städtischen Bauverwaltung Hannover und danach in Hamburg gezeigt.
Thomas Herrgen ist Landschaftsarchitekt und Fachjournalist in Frankfurt am Main.