Interview: Roland Stimpel
Herr Minister, was gefiel Ihnen als Sachpreisrichter am Entwurf Franco Stellas?
Stella hat eine schlüssige, überzeugende Arbeit vorgelegt, was sowohl die Architektur als auch die Funktionalität betrifft. Darüber hinaus findet er in den nicht zu rekonstruierenden Teilen eine moderne Sprache, hier ist er klar und zurückhaltend zugleich – anders als eine Reihe anderer Entwürfe, die sehr massiv daherkommen.
Das klingt nach Kompromiss und kleiner Lösung.
Ganz im Gegenteil. Es ist keine Kompromisslösung, sondern ein Entwurf auf höchstem Niveau. Stella schafft interessante neue Räume im westlichen Eosanderhof und mit einem neuen Nord-Süd-Durchgang, vor allem aber bietet er die beste Lösung für die Ostseite. Die Idee eines offenen Belvederes finde ich hervorragend – besser als geschlossene Räume, die hier auch vorgeschlagen wurden.
Ist der Sonderpreis für den Entwurf von Kuehn Malvezzi ein Trostpflaster für die Modernen in der Jury?
Tiefensee: Der Sonderpreis spiegelt die Diskussion wider, die wir in der Jury provozieren wollten und bekommen haben. Als Auslober hätten wir es uns leicht machen und nur Fachpreisrichter einladen können, die dezidiert für Rekonstruktionen stehen. Wir wollten aber auf der Basis des Bundestagsbeschlusses und des daraus abgeleiteten Ausschreibungstextes eine lebhafte, ja kontroverse Diskussion in der Jury. Für die Entscheidung hat uns dieser Ausschreibungstext ja recht enge Grenzen gesetzt. Der Sonderpreis ist die Antwort der Jury auf die Frage, ob man es bei weiteren Grenzen nicht auch hätte anders und dennoch genauso gut machen können.
Vielleicht gar noch besser?
Wir haben die Vorgaben des Souveräns zu akzeptieren und als Bundesregierung umzusetzen. Diese Vorgaben sind ja auch nicht willkürlich und im stillen Kämmerlein entstanden. Sie sind Ergebnis eines sehr langen und gründlichen Diskussionsprozesses im Parlament, in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt. Am Ende steht ein Auslobungstext, der nach den Regeln der Demokratie zustande gekommen ist. Ihn habe ich nicht zu kritisieren, zumal grundlegende Beschlüsse weit vor der Legislaturperiode dieser Regierung gefällt wurden.
Das klingt nicht besonders begeistert vom Projekt. Hätten Sie es anders gemacht?
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass an diesem besonderen Platz der Wunsch nach einer Rekonstruktion des 1950 gesprengten Schlosses überwogen hat. Die Frage „Wie früher oder alles neu?“ kann nicht dogmatisch, sondern nur im Einzelfall entschieden werden – mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen. Als Oberbürgermeister von Leipzig habe ich die Diskussion um den Umgang mit der 1968 gesprengten Paulinerkirche provoziert und mitbestritten. Und ich finde, wir haben dort mit dem Entwurf Erick van Egeraats eine vorbildliche Antwort gefunden – im Hinblick auf Maßstäblichkeit, Funktionalität, aber auch den Umgang mit Altem und Neuem. Diese Lösung gilt für diese Situation. Sie kann nicht eins zu eins auf eine andere Stadt, eine andere Vorgeschichte, eine andere politische Konstellation übertragen werden.
Wäre es nicht politisch am bequemsten, aber auch der Kompliziertheit der Themen am angemessensten, die Politik würde solche Fachfragen den Fachleuten überlassen – so wie Maschinen den Ingenieuren und Zähne den Zahnärzten?
Den Göttern in Weiß folgen die in Schwarz in den Olymp. Nein, das wäre eindimensional und anmaßend. Wir bewegen uns im öffentlichen Raum und haben es mit mündigen Bürgern zu tun. Da sind legitimierte Prozesse einer repräsentativen Demokratie vonnöten. Natürlich spielt der Ratschlag der Fachwelt eine gewichtige Rolle.
Und welches Gewicht haben Fachargumente?
Ihre Wirkung im Abwägungsprozess hängt von ihrer Qualität und auch von der kommunikativen Kraft ab. Gerade in der Debatte um Rekonstruktionen geht es ja oft um sehr grundsätzliche Fragen zum Umgang mit Geschichte und Erinnerung, zur Gestaltung sehr geschichtsträchtiger Orte. Meine Frage ist: Was hat die Architekturwelt der weit verbreiteten gesellschaftlichen Sehnsucht nach tradierten Bildern argumentativ und mit vorzeigbaren, guten Alternativen kraftvoll entgegenzusetzen? Wie kann ihre Stimme vernehmbarer werden?
Hätten Sie einen Tipp?
Es gibt keine einfache Antwort: Zunächst einmal darf die Diskussion nicht nur in Fachzirkeln geführt werden. Ich weiß, dass es in der Architektencommunity, auch in Ihrem Blatt, einen lebhaften Austausch gibt. Sollte es nicht möglich sein, die Tagespresse dafür zu interessieren? Sollten wir nicht über Baukultur in den Schulen reden, die Sinne schärfen, die Urteilskraft schulen? Sollten Gegenargumente nicht gründlicher bewertet werden, statt sie als laienhaft grundsätzlich zurückzuweisen?
Argumente werden auf beiden Seiten reichlich geäußert, nur gern aneinander vorbei. Befürworter reden über die von Ihnen-erwähnte Sehnsucht nach dem Alten, Gegner über Kriterien wie Authentizität und Zeitgenossenschaft. Also über unterschiedliche Themen.
Darum sollte weniger abstrakt und allgemein diskutiert werden, sondern besser am konkreten Fall: Was bedeutet zum Beispiel das Berliner Schloss für die umgebende Stadt, welche Prozesse hat der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden ausgelöst? Es wäre hilfreich, wenn solche Diskussionen auch im Nachhinein öffentlich geführt würden. Wenn man dabei gemeinsam herausfindet, ob nach drei oder fünf Jahren der jeweils realisierte Entwurf an Akzeptanz gewonnen hat oder ob er dauerhaft abstößt und womöglich Anlass ist, nicht realisierten Alternativen nachzutrauern, wäre das ein Gewinn für künftige Projekte.
Was halten Sie von Bürgervereinen, die immer öfter mit eigenen Vorstellungen auftreten – und sich oft als Alternative und Opposition zu den Architekten sehen?
Unsere Gesellschaft lebt von einer aktiven, interessierten Bürgerschaft. Vereinstreffen, öffentliche Diskussionen, Planungswerkstätten tragen zur Meinungsbildung und zur guten Entscheidung bei.
In Ton und Aktion sind jene Bürgervereine manchmal eher schrill als harmonisch.
Damit muss man umgehen können – Ausgrenzung wäre der falsche Weg. Wichtig ist, dass die Diskussion um Architektur, Baukultur, Stadt- und Stadtteilgestaltung in der Mitte der Gesellschaft geführt wird, nicht in Elitezirkeln hier und in Gruppen interessierter und engagierter Bürger dort. Dass auch sie viel Herzblut geben, Geld sammeln, stadthistorisch forschen und Entwürfe in Auftrag geben – all das hat ja die erfreuliche Seite, dass Bürger sich für ihre Stadt, für ihre gebaute Umwelt engagieren.
Was tut der Minister für Bau, um die Diskussion in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren?
Wir stellen unsere eigenen Projekte öffentlich zur Diskus-sion. Die Ausstellung der Wettbewerbsentwürfe zum Berliner Schloss hat tausende Besucher selbst in der Weihnachtszeit angezogen. Wir -haben die Bundesstiftung Baukultur ins Leben gerufen. Sie soll uns auf diese Frage zeitgemäße Antworten geben.
Für die Berliner Barockfassaden fehlt noch der größte Teil des -nötigen Geldes, und nach Aussage von Experten gibt es nicht -genug qualifizierte Steinmetze. Droht da nicht ein Schlossrohbau für lange Zeit?
Beide Gefahren sehe ich nicht. Handwerker wird man finden und Spender auch. Bevor es überhaupt einen Entwurf gab, schon vor der Ausstellung und ohne Infobox ist bereits viel gespendet worden. Jetzt gibt es ein konkretes Objekt, mit dem der Verein werben kann. Und ich rechne auch mit Spendern, die nicht bei dieser Bürgerinitiative anklopfen, sondern bei der Stiftung. Sie fungiert als Dach über den Initiativen, als Bauherr und vielleicht auch Betreiber des Humboldt-Forums. Nicht Skepsis ist gefragt, sondern gemeinsame Kraftanstrengung.
Kein Restrisiko?
Nichts im Leben ist ohne Risiko. Strengen wir uns an, dass alles planmäßig läuft.
Ist das Schloss von der Finanz- und Haushaltskrise eher bedroht oder wird es eher als Konjunktur- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme unterstützt?
Weder noch. Es ist beschlossen, die Finanzen sind bewilligt, also sollte dieses wunderbare Werk gelingen.