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Meterdicke Wände

Der Nachfolgebau des New Yorker World Trade Centers wird ein Festungsturm.

01.09.20087 Min. Kommentar schreiben
Herausragend: Der „Freedom Tower“ (Montage) soll New Yorks Skyline noch stärker beherrschen als früher das World Trade Center.

Christine Mattauch
Der Architekturkritiker der New York Times war fassungslos. „Das Projekt ist das Monument einer Gesellschaft, die sich von jeder Form der kulturellen Offenheit abgekehrt hat“, schimpfte Nicolai Ouroussoff, nachdem er die letzten Entwürfe für den „Freedom Tower“ gesehen hatte. Das obeliskförmige Gebäude gleiche „einem Briefbeschwerer mit einem Zahnstocher obendrauf“. Ouroussoff: „Es ist genau der Alptraum, von dem uns die Politiker immer versichert haben, dass er nie gebaut werden wird: ein trutziger Turm, abgeschottet gegen die Außenwelt.“

Das sieht nicht nur Ouroussoff so. Der mehrfach überarbeitete Entwurf für den Freedom Tower an Ground Zero ist in der Fachwelt und in der Bevölkerung von New York überaus umstritten. Zwar bezweifelt niemand, dass gerade am Standort des früheren World Trade Centers Sicherheitsbelange berücksichtigt werden müssen. Die Frage ist allerdings, in welchem Umfang und in welcher Form das zu geschehen hat. Das hermetische Konzept des Freedom Towers prägte bereits den Begriff einer „Fortress Architecture“, einer Festungsarchitektur – und das ausgerechnet bei einem Symbolbau für Demokratie, Toleranz und Transparenz.

Absurdes Tauziehen

Von Anfang an war die Planung für Ground Zero und insbesondere für den Freedom Tower für die beteiligten Architekten komplex und langwierig. Der Masterplan von Daniel Libeskind, der sich 2002 in einem aufsehenerregenden Wettbewerb durchgesetzt hatte, wurde von David Childs (Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill) mehrfach überarbeitet, bis von dem ursprünglichen Entwurf des Freedom Towers kaum noch etwas übrig war. Der Planungsprozess geriet zum öffentlichen Spektakel, bei dem alle mitredeten: Entwickler Larry Silverstein, die New Yorker Port Authority-Behörde als Bauherrin, der damalige Gouverneur des Staates New York, George Pataki, Baufachleute, Lokalpolitiker, Sicherheitsexperten, Angehörige der Opfer und engagierte Bürger.

Das teilweise absurd anmutende Tauziehen der Interessengruppen fand seinen Höhepunkt, als das New Yorker Police Department im April 2005 plötzlich neue Auflagen machte, die das vorherige Konzept komplett über den Haufen warfen. Gefordert wurden zum Schutz vor Autobomben etwa ein größerer Sicherheitsabstand zur angrenzenden West Street und eine Verstärkung des Fundaments.

Der neue und endgültige Entwurf, den die Planer nach einer Rekordzeit von drei Monaten vorlegten, trägt den Vorgaben Rechnung: Der Turm ist jetzt fast 30 Meter von der West Street abgerückt. Er sitzt auf einem 61 Meter hohen Betonsockel, der eine nahezu fensterlose Lobby und mehrere Etagen für die Haustechnik enthält. Es ist vor allem dieses massive Fundament, das als „Architektur der Angst“ in der Öffentlichkeit auf Kritik stößt. Childs versucht dem entgegenzuwirken, indem er den Sockel in Glasschichten hüllt, die einen prismatischen Effekt und dadurch den Eindruck von Leichtigkeit erzeugen sollen.

Den Grundriss des Erdgeschosses dominiert nicht Kühnheit, sondern Angst vor neuem Terror: Die Lobby ist nahezu fensterlos.

Über dem Sockel beginnen die 69 Bürogeschosse, es folgen Etagen mit Fernsehstudios, Restaurants und Aussichtsplattform. Insgesamt hat das Gebäude 102 Geschosse. Das ursprüngliche Antennenkonzept, eine offene Gitterstruktur, wurde durch eine Stabform ersetzt. Das Gebäude wird 541 Meter hoch sein, 1776 Fuß. Die Zahl erinnert an das Datum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. Es soll das höchste Gebäude Amerikas sein. Allerdings wird der geplante Fertigstellungstermin immer wieder verschoben – momentan ist von 2012 die Rede.

Mit den Schutzmaßnahmen innerhalb des Towers „setzt das Gebäude einen neuen Standard für Wolkenkratzer“, sagt Entwickler Silverstein. So ist die Klimaanlage mit biologischen und chemischen Filtern ausgestattet, zum Schutz vor Giftgas sind Rettungswege und Treppen besonders breit angelegt, Sprinkleranlagen, Feuertreppen und Aufzüge durch Betonverschalungen geschützt. Es gibt ein separates Wegesystem für Rettungskräfte. Die Notbeleuchtung ist durch mehrere Reservesysteme nahezu ausfallsicher, die Kabel der Notfallsprechanlagen sind verstärkt. Der überwiegende Teil des Schutz- und Rettungssystems befindet sich darüber hinaus innerhalb eines besonders gesicherten Gebäudebereichs mit rund einen Meter dicken Wänden.

Der New Yorker Architekt James Sanders vergleicht das Gebäude mit einem Bunker. „Daran ändert auch die einfallsreiche Fassade nichts“, sagt er. Doch er hat auch Verständnis für diejenigen, die den Bau hochgerüs­tet haben. „Wenn man den hochsensiblen und gefährdeten Charakter dieses Standorts bedenkt, ist es fast unausweichlich für die Verantwortlichen, sich gegen jedes Risiko abzusichern.“

Guy Nordenson sieht das anders. Der Architekturprofessor an der Eliteuniversität Princeton, der in New York ein ­Ingenieurbüro betreibt, ist der Ansicht, dass die Verantwortlichen die risikoreiche Situation, der sie nun entgegenwirken, in großen Teilen selbst kreiert haben. „Wenn man ein Gebäude ‚Freedom Tower‘ nennt und zum nationalen ­Monument erklärt, beschwört man die Gefahr doch ge­radezu herauf.“ Er kritisiert zudem, dass die Diskussion über die Gebäudesicherheit höchst irrational gewesen sei. „Es waren keine Fachleute am Werk, die eine sachliche ­Risikoabschätzung betrieben haben, sondern Bürokraten, deren hierarchische Stellung bei Entscheidungen den ­Ausschlag gab.“

Fest steht: Der Terroranschlag vom 11. September 2001 hat das Bauen in US-Großstädten verändert. Das gilt besonders für Manhattan, aber auch für andere Metropolregionen mit symbolträchtigen Gebäuden. Sicherheitsbelangen wird ein weitaus größeres Gewicht eingeräumt als vor der Attacke. In New York beispielsweise hat ein neuer Vorschriftenkatalog die Regeln für Einbau und Kennzeichnung von Notausgängen, Feuerlöschern und Sprinkleranlagen dras­tisch verschärft. Nicht nur bei öffentlichen Bauten müssen Planer höhere Anforderungen erfüllen. Große private Bauherren wie Banken und Konzerne, bei denen das Thema Sicherheit vor dem 11. September eine untergeordnete Rolle spielte, beschäftigen heute ganze Teams von Architekten und Ingenieuren mit der Aufgabe, Sicherheitsrisiken abzuschätzen und Vorbeugungsmaßnahmen zu treffen. Das hat Einfluss auf Konzeption, Materialwahl und Design.

Sperrwände: Wer ins Haus kommt, muss zunächst um eine Wand herumgehen, die Fahrzeuge mit Sprengstoff am Hineinfahren hindert.

„Als eine der größten Bedrohungen gilt ein Bombenanschlag“, sagt die New Yorker Architektin Barbara Nadel. Sie gab nach dem 11. September das Fachbuch „Building Security“  heraus, das in den USA inzwischen als Standardwerk für Planer gilt. Empfehlungen daraus: ein Sicherheitsabstand von der Gebäudegrenze zur Straße von wenigstens 15 Metern. Eine dem Hauptgebäude vorgelagerte Eingangshalle mit Kontrollen, damit Selbstmordattentäter möglichst wenig Schaden anrichten. Ein hartes Fassadenmaterial, etwa Verbundsicherheitsglas, dazu eine Vorhangfassade. Eine statische Konstruktion, die im Fall einer Erschütterung die Lasten ausbalanciert und den Einsturz des Gebäudes verhindert. „Natürlich beschränken diese Auflagen die Freiheit des Architekten“, sagt Nadel. „Wenn die Planer kreativ sind, können sie trotzdem exzellente Entwürfe erreichen.“

Als gelungen gilt Kritikern etwa das neue Gerichtsgebäude in der Bronx, das Anfang dieses Jahres fertig wurde. Architekt Rafael Vinoly konstruierte eine transparente Fassade aus Glas und Aluminium. Die Lobby ist offen und hell; jeder der 47 Gerichtssäle hat Tageslicht. Trotzdem genügt das neunstöckige Gebäude den Sicherheitsvorgaben nach dem 11. September. „Das Beispiel zeigt, dass wir für Worst-Case-Szenarios planen können, ohne uns ihrem Schrecken zu unterwerfen“, meint Architekturkritiker Justin Davidson. „Die Festungsarchitektur des Freedom Towers dagegen schüchtert die Leute ein, die sie zu schützen vorgibt.“

Fehlendes Vertrauen

Princeton-Professor Nordenson hält die Sicherheits­frage beim Freedom Tower für ungelöst – zumal die Gefahr be­stehe, dass Terroristen die Armierung des ­Gebäudes erst recht als Herausforderung betrachteten. ­Nachdenklich macht jedenfalls, dass die Bauherrin Port Authority selbst nicht in den Freedom Tower einziehen will, sondern nebenan in Tower 4. Ray Cirz, Geschäftsführer der Maklerfirma Integra Realty Resources, sagte dem Branchendienst CPN, dass auch andere potenzielle Büromieter Vorbehalte gegen den Freedom Tower haben: „Hinter vorgehaltener Hand geben sie zu, dass sie Angst haben, dort einzuziehen.“

Ohnehin nützt die beste Sicherheitsarchitektur nichts, wenn Leichtsinn und Schlamperei regieren. Bereits zweimal in diesem Jahr fanden Obdachlose umfangreiche Werkplanungen für den Freedom Tower im Müll, jeweils gekennzeichnet mit der Überschrift „Geheimes Dokument – vertraulich“. Sie enthielten detaillierte Raumübersichten, Angaben zu Wandstärken und tragenden Säulen sowie die genauen Standorte von Aufzügen, Lüftungsanlagen und ­Kabelschächten. Bei welchem der vielen Projektbeteiligten die Pläne verschwanden, blieb unklar. Die „New York Post“ kommentierte lakonisch: „Gut, dass es nicht Osama bin Laden war, der gestern morgen durch SoHo ­spazierte.“

Christine Mattauch ist freie Journalistin in New York.

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