Claas Gefroi
Als Hamburg vor einigen Jahren beschloss, mit dem Konzept „Wachsende Stadt“ in eine höhere Liga der Metropolen aufzusteigen, spielte auch der Sport eine wichtige Rolle. Mit neuen Trainings- und Wettkampfstätten und attraktiven Veranstaltungen sollte die Sportstadt Hamburg weltweit auf sich aufmerksam machen. Doch nach der gescheiterten Bewerbung um die Olympiade 2012 erlahmte der Enthusiasmus und viele Projekte versandeten.
So stehen aktuell zwei Großprojekte aus finanziellen Gründen auf der Kippe: die Transformation des Altonaer Volksparks mit Volksparkstadion alias AOL-Arena alias HSH-Nordbank-Arena zu einem Sportpark sowie die Bewerbung für die internationale Sommer-Universiade 2015, die Weltsportspiele der Studenten. Einer der wenigen Neubauten für den Leistungssport ist auch in architektonischer Hinsicht ein Ausnahmefall: die Leichtathletik-Trainingshalle der Architekten Markovic Ronai Lütjen Voss im Hamburger Norden. Nach jahrelangem Planungsstillstand entstand sie 2007 neben der aus den späten 60er-Jahren stammenden „Sporthalle Hamburg“, auch bekannt als „Alsterdorfer Sporthalle“, die für große Sport- und Musikveranstaltungen genutzt wird.
Alte und neue Halle sind durch einen Übergang miteinander verbunden und bilden zusammen ein Zentrum für den Leistungs- und den Breitensport. Die neue Trainingshalle besitzt, ungewöhnlich für eine Sporthalle, allseitig gläserne Fassaden und bildet damit einen wohltuenden Kontrast zum Waschbeton von nebenan.
Bruchloser Übergang ins Grüne
Die Architekten wollen den Sportlern das Gefühl geben, sie trainierten im Freien. Damit weder im Innenraum noch in der Fassade Stützen stören, wurden sie nach außen verlegt. Und so tragen 22 entlang der Längsseiten aufgereihte Pylone das an Rundstäben aufgehängte, sanft gewölbte Dach. Die Konzentration des Tragwerks auf stählerne Pylone und filigranes Abspannwerk ermöglichte eine dünne Dachkonstruktion. Trotz ihrer Grundfläche von 130 mal 50 Metern konnte die Halle somit Maßstab und Höhe der nahen Wohnbauten aufnehmen. Und das, obwohl ihr Boden für eine offene Souterrain-Garage angehoben ist. Damit werden die Kosten einer Tiefgarage vermieden, zudem lässt die Fuge die Halle quasi schweben – ein tonnenschwerer Koloss wirkt leicht und fragil.
Erst im Inneren wird klar, welche Qualität die gläsernen Außenwände ermöglichen: Die riesige, von allen Stützen und Innenwänden freigeräumte Halle erscheint wie ein Kontinuum, das sich irgendwo im Grün der Umgebung verliert. Inneres und Äußeres verschmelzen optisch miteinander. Der so erzeugte Raum ist beeindruckend und irritierend zugleich, denn gewaltige Dachsparren und –pfetten enden scheinbar in dünnen Glaswänden. Auch der starke Kontrast zwischen dem dunklen Dach und den lichtdurchfluteten Seitenwänden ist ungewohnt. Da bei bestimmten Disziplinen wie dem Stabhochsprung der Blick des Athleten zwischen oben und unten pendelt, wurde mittels siebbedruckter Gläser in den oberen Fassadenbereichen ein Helligkeitsübergang geschaffen, um Irritationen zu verhindern. Auch eine Blendung durch die tief stehende Sonne soll so verhindert werden.
Der große, grenzenlose Innenraum führt dazu, dass die Trennung der Disziplinen aufgehoben wird: Hier trainieren Läufer, Hoch- und Weitspringer sowie Werfer neben- und miteinander, soweit Sicherheit und Bewegungsfreiheit es zulassen. Dafür wurden eine 200-Meter-Rundlaufbahn, eine Sprintbahn, Wurf- undSprunganlagen angelegt; die Geräte finden in einer großen Box Platz, die frei im Raum steht.
Bemerkenswert ist die gute Luft im Glaskasten: Am höchsten Punkt des Daches wurde die Bogenform mit zwei einander zugewandten Pultdachstreifen geöffnet, deren vertikale Elemente aus gläsernen Lüftungsflügeln bestehen. Werden sie aufgeklappt, entsteht durch Unterdruck eine Strömung, mit der die Raumluft binnen kurzem ausgetauscht wird – ein Kamineffekt ganz ohne maschinelle Unterstützung.
So kann zudem im Sommer die sich aufstauende Hitze schnell entweichen. Schade ist, dass dieser Windkanal optisch nicht auffälliger in Szene gesetzt wurde. Überhaupt ist die Dachuntersicht enttäuschend: Offenbar aus Kostengründen reichte es nur zu Trapezblechen und Leuchtstoffröhren. Man kann diese Industriehallenoptik als architektonisch gewollte Armutskunst verklären, aber sie passt nicht zu dem hohen Anspruch dieses Gebäudes, der ansonsten selbst in Sanitärräumen und Umkleidekabinen eingelöst wurde. Obwohl hier an der falschen Stelle gespart wurde, ist die schwebend leichte, weite Halle insgesamt ein Lichtblick in der Tristesse deutscher Sportbauten-Langeweile.
>Claas Gefroi ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Architektenkammer Hamburg und freier Autor.