Michael Sudahl
Hans-Peter Weinreich in Neckarsulm ging es vor einigen Jahren wie vielen Kollegen: Er kämpfte mit seinem vierköpfigen Team oft vergeblich um Aufträge. Nahm häufig an Wettbewerben teil oder verzettelte sich zwischen Privatkundschaft und öffentlichen Auftraggebern. Weinreich rief bei der baden-württembergischen Architektenkammer an, die Controlling- und Strategieberatungen vermittelt. „Dann ging es schnell“, erinnert sich Weinreich. „Zuerst haben wir mit Hilfe des Beraters ein Controlling installiert. Durch die Nachkalkulation einzelner Aufträge sahen wir, welche Projekte rentabel waren und welche nicht.
“Ein auffällig gutes Verhältnis von Zeitaufwand und Honorar offenbarten dabei die von Weinreich bereits geleisteten Kirchensanierungen im Landkreis Heilbronn. Dank seiner Referenzen und als Ehemann einer Religionslehrerin hatte er zudem gute Kontakte und spezialisierte sich auf die Sanierung und Restaurierung von Gottes- und Pfarrhäusern. „Wegen der knappen Budgets und der ethischen Ansprüche spielen Kostentransparenz und alternative Energieformen eine wichtige Rolle“, weiß Weinreich. Mittlerweile hat er sein Konzept „Niedrigenergiekirche“ bei mehr als einem Dutzend sakraler Bauten realisiert. Die Spezialisierung bringt es mit sich, dass Weinreich sein Netzwerk immer engmaschiger knüpft. Ob barocke Decke, gotisches Chorgestühl oder Wandbemalungen aus der Renaissance: Der Kirchensanierer weiß, mit wem er sich im Landesdenkmalamt besprechen und mit welchen Restauratoren er zusammenarbeiten muss.
Weinreich und andere profitieren von der Konzentration auf eine Bauaufgabe. Das ist nicht die einzige Möglichkeit der Spezialisierung. Es kann auch ein Querschnittsthema wie Energieplanung oder Denkmalschutz sein – und sogar die Fokussierung auf eine von vielen Kollegen nicht geliebte Leistungsphase, die der Beitrag auf Seite 29 beschreibt. Manchmal ist die Konzentration ein Produkt des Zufalls oder der richtigen Intuition. Oft aber steht am Anfang eine systematische Analyse der eigenen Stärken und Schwächen, bei der Berater helfen können.
Bei Weinreich war es das Stuttgarter Büro Preißing. Vater Werner Preißing ist selbst gelernter Architekt, sein Sohn Andreas Betriebswirt. Beide haben schon mehr als 3 000 Architektur- und Ingenieurbüros beraten. Zur Analyse hat Werner Preißing eine eigene Bildsprache entwickelt, die er „Visual Thinking“ nennt – er versucht, in leicht verständlichen Skizzen die Faktoren aufzuzeigen, die die Arbeit und das Umfeld eines Büros bestimmen. Bei Weinreich waren das die kirchliche Biografie des Architekten, die Marktstellung des Büros, bisherige Auftraggeber und erfolgreich sanierte Gottes- und Pfarrhäuser. Aber es gab auch Schattenseiten: fehlende Nachkalkulation, ungeklärte Zeitbudgets von Mitarbeitern und Chef sowie schlechtes Eigenmarketing. Aus Stärken und Schwächen entwickelten Preißing und Weinreich das neue Unternehmenskonzept, an dem sich das gesamte Büro ausrichtet: Zuerst wurde ein Zeit- und Kostencontrolling installiert, danach die Mitarbeiter geschult und Kontakte zu Diözesen, zum Landesdenkmalamt und zu Restauratoren aktiviert.
Nicht heute Heim und morgen Halle
Die Stuttgarter Architekten Sonja Neugebauer und Robert Rösch legten dagegen schon beim Start im Jahr 1990 den Schwerpunkt auf Industrie- und Verwaltungsbauten. „Wir lernten, die hohen Anforderungen der Wirtschaft wie kurze Bauzeiten und scharf kalkulierte Budgets zu erfüllen“, erzählt Neugebauer. Ausflüge in andere Sparten, etwa Schulbauten, brachten zwar auch Erfolg, standen aber nicht im Fokus. Stattdessen plant, baut und modernisiert Neugebauer + Rösch seit über 18 Jahren Firmengebäude im ganzen Land von der Maschinenfabrik über das Bankhaus bis zum Bürotrakt von Porsche.
Besonders markant sind der Erweiterungsbau für den Maschinenbauer Emag in Salach bei Göppingen und der 40000-Quadratmeter-Komplex für den Zahnradbauer Getrag in Untergruppenbach bei Heilbronn. Vor zwölf Jahren stiegen die beiden auch in das zukunftsträchtige Segment Revitalisierung ein, indem sie das Relikt der Sparkasse Riedlingen aus den 1960er-Jahren mit einer neuen Holz- und Metallfassade besser ins historische Stadtbild integrierten.
Der Berater Werner Preißing empfiehlt derart stringente Wege: „Heute ein Wohnhaus und morgen eine Industriehalle, das geht nicht.“ Denn ohne ein scharfes Profil wisse kein Kunde, wofür ein Architekturbüro stehe. Hinzu komme, dass Finanzplanungen und Rentabilitätsberechnungen oft fehlten. „Viele Büros bedenken nicht, dass sie mit einer Wettbewerbsteilnahme bis zu 30 000 Euro verschenken“, meint Preißing. Und trotzdem schuften sie wochenlang und ganze Nächte. Immer schwingt die Hoffnung mit, zu gewinnen und quasi über Nacht zum Stararchitekten aufzusteigen. Einige Spötter erinnert das allerdings an Castingshows.
Sich ein neues Marktsegment zu erschließen, war auch die Intention von Joseph Pape. Der Architekt aus Herford hat vor vier Jahren ein bestehendes, zwölf Mitarbeiter großes Büro übernommen und den Fokus verschoben. Sein Vorgänger baute hauptsächlich Möbelhäuser und Molkereianlagen, wodurch das Büro mit dem Thema Logistik Erfahrung hatte. Dieses Potenzial beschloss Pape zu nutzen, zumal Logistikhallen selbst in der Wirtschaftskrise nach 2000 stark gefragt waren. Mit Zielstrebigkeit und Kompetenznachweisen gewann Pape als ersten Bauherrn den Textildiscounter Kik.
Für ihn baute er 2005 im westfälischen Bönen ein 15 000 Quadratmeter großes Distributionszentrum, das täglich von rund 1 000 Lkws angefahren wird. „Mit dieser Referenz waren wir auf einmal gefragt“, sagt der 43-jährige Pape. Mittlerweile erwirtschaftet das Büro mehr als ein Drittel des Umsatzes im Logistiksektor. Acht Objekte wurden in den vergangenen vier Jahren entworfen und gebaut, darunter Umschlaghallen für die Milchwerke Thüringen in Erfurt und für die Schokoladen- und Pralinenfabrik Weinrich in Herford. Und bei Kik hat er gerade den dritten Bauabschnitt realisiert.
Nicht zuletzt als Qualitätsreferenz für Bauherren ließ Pape sein Büro nach ISO zertifizieren. Um das neue Marktfeld besser bestellen zu können, baute Pape den Internetauftritt aus. „Keiner hat geglaubt, dass wir je einen Auftrag über unsere Website bekommen“, erinnert sich Pape. Doch als Bonita, ebenfalls ein großes Textilhaus, einen Logistiker für einen 40 000 Quadratmeter großen Umschlagplatz suchte, fand man www.pape-architekten.de per Google.
Michael Sudahl ist freier Wirtschaftsjournalist in Stuttgart.