Dr. Jürgen Tietz
Hätten sich hinter dieser Fassade bereits seit Generationen Dramen und Liebesgeschichten, man würde sich nicht wundern. So prägnant präsentiert sich „Haus Nürnberg“, das nun das „Ellington Hotel“ in der Nürnberger Straße nahe dem Kurfürstendamm beherbergt: Wie die Kotflügel eines frühen Bugatti schwingen die eleganten Erker mit ihren abgerundeten Ecken in die Straße hinein. Das ist beste Großstadtarchitektur, wie sie Ende der 1920er-Jahre sonst nur das Shell-Haus von Emil Fahrenkamp in Berlin zeigte oder die Bauten von Erich Mendelsohn. Doch statt Drama und Gefühl gab es in dem 1928/30 von Rudolf Bielenberg und Josef Moser errichteten „Haus Nürnberg“ jahrzehntelang nur Verwaltung und Finanzen. Daran erinnert heute noch die nunmehr zum Weinkeller mutierte Tresoranlage im Untergeschoss. Immerhin, ein bisschen weite Welt atmete das Haus Nürnberg auch
früher schon. Zunächst mit dem rückwärtigen Saalanbau des mondänen Femina-Palastes, dessen gläsernes Dach sich auffahren ließ, und viel später, seliges Westberlin, mit der Szenedisco „Dschungel“. Und dann gab es da noch ein Zwischenkapitel, als hier nach 1945 einer der ersten Jazzclubs im Nachkriegsberlin aufmachte. Damals hat auch der legendäre Duke Ellington in der Nürnberger Straße gespielt, dessen Name nun für das Haus herhalten muss, das zuvor lange Jahre leer stand.
Die Farbe Weiß
Ein Hotel ist die ideale Nutzung für den lang gestreckten Baukörper mit seiner dynamisch strukturierten Natursteinfassade samt eingelegten Ziegelbändern. Gleichwohl barg das Haus für die Architekten Johannes Reuter und Wencke Katharina Schoger gleich mehrere Herausforderungen. Allerdings nicht an der Fassade, die die Architekten reinigen ließen und deren alte Kastenfenster einen neuen Anstrich nach Befund erhielten. Doch der Umbau zum Hotel der Kategorie „Drei-Sterne-Plus“ mit insgesamt 285 Zimmern ging mit einem eher überschaubaren Budget und dennoch mit deutlichen Anforderungen der Denkmalpflege einher.
So galt es, nicht nur die Fassade, sondern auch die innere Struktur des Hauses zu erhalten. Das war bei den beiden wundervollen Foyerräumen im Erdgeschoss keine Schwierigkeit, werten die messingverkleideten Fenster- und Türrahmen oder die wundervollen großformatigen grün-weißen Fliesen aus den 20er-Jahren doch den Bau auf und verleihen dem Hotel ebenso wie das großzügige Haupttreppenhaus den nobilitierenden Duft der Patina. Ein diffiziles Unterfangen war es dagegen, in den einstigen Büroräumen mit ihren gerade einmal 16 bis 20 Quadratmetern Doppelzimmer samt Bad unterzubringen. Reuter und Schoger versagten es sich bei ihrem Ausbau, mit historisierenden Attitüden von Jazz bis Art Deco zu spielen, sondern setzten stattdessen bei der Ausstattung der Zimmer konsequent auf klare Formen und die Farbe Weiß.
Einzig eine Vertäfelung aus Eiche, die jeweils die Betten hinterfängt, setzt sich von diesem Farbschema ab und verleiht den Zimmern damit zugleich eine warme, wohnliche Note. Ansonsten entwickelten die Architekten eine offene Badzone, die fließend in den eigentlichen Wohn- und Schlafbereich übergeht. Und auch die Duschen mit ihren hellen Mosaikfliesen passen sich in das farblich lichte Gesamtbild ein. Manche Möbel müssen dafür allerdings gleich mehrere Funktionen erfüllen – als Kofferablage und Waschtisch.
Und aus der Minibar wurde wegen des hellen Teppichbodens der Rotwein verbannt. Ein vertretbarer Verlust, gewinnen die kleinen Räume doch durch die hellen Einbauten an Struktur und entgehen zugleich der Gefahr, vollgestopft zu wirken. Allein mit den abgerundeten Kanten der Möbel nehmen sich die Architekten die Freiheit, von ferne an die dynamisch abgerundete Formensprache der Fassade zu erinnern.
Bestand als Ausgangspunkt
Doch nicht nur in den 185 Standardzimmern, auch in den Zimmern mit gehobenerer Ausstattung haben die Architekten ihr Konzept konsequent durchgehalten. In den großzügigeren Räumen der einstigen Vorstandsbüros haben Reuter und Schoger die alte Holzvertäfelung aufarbeiten lassen und nur ein Bett in den Raum gestellt – natürlich in Weiß. Aus den zuvor ungenutzten beiden Turmzimmern gewinnen die Gäste vor dem Einschlafen einen wunderbaren – voll verglasten – Blick über die City-West.
Und weil der Baukörper des Ellington ein schmaler langer Riegel ist und auch der Etat für den Umbau schmal war, haben sie die Länge des endlos wirkenden Flurs gar nicht erst durch Einbauten zu übertünchen versucht, sondern lieber gleich zum Thema gemacht: Ein roter Läufer zieht sich quer durch den ganzen Riegel, von dem seitlich die Zimmer abgehen. Sollte einer der Hotelgäste anstelle des neu eingebauten Lifts, der den alten Paternoster ersetzt, einmal eines der originalen Nebentreppenhäuser benutzen, dann wird er mit der sympathisch respektvollen Haltung der Architekten gegenüber dem Bestand des Baus konfrontiert.
Dort nämlich haben sie die alten Steinstufen lediglich vom Farbüberzug befreit und vor allem die Reste der traumhaften, originalen Fensterverglasung erhalten, so wie sie war, einschließlich kleinerer Beschädigungen. Dieser Respekt vor dem Bestand kennzeichnet auch den Umgang mit dem ehemaligen Raum des Femina-Palastes aus, der mit seinen 630 Quadratmetern heute als Veranstaltungsort zu den besonderen Vorteilen beim Marketing des Hotels zählt. Hier haben sich die Architekten dafür entschieden, den von drei Seiten natürlich belichteten Raum mit seiner technischen Nachkriegs-Deckenkonstruktion aus Stahl zu belassen, ergänzt um notwendige Lüftung und technische Ausstattung.
Der markanteste Eingriff in den Bau zeigt sich im Erdgeschoss. Da sich dort die Ladengeschäfte zur Nürnberger Straße befinden, war eine neue Querverbindung zwischen dem Haupteingang und der einstigen Kantine notwendig, die heute als Frühstückssaal dient. Es ist ein unaufgeregter Bauteil, der sich an die rückwärtige Fassade anfügt und zugleich für die Gäste als Hotelhalle diente. Wie der Frühstückssaal zeichnet sie sich vom Boden bis zur Wand ebenfalls durch die Farbe Weiß aus - bis hin zu den schlanken Pendelleuchten über den Tischen. Einzig beim Empfangstresen haben sich Reuter und Schoger dem swingenden Klang der Fassade hingegeben: Es ist ein mit Messing überzogenes Holzmöbel, dessen organisch geschwungene Form die Wirkung des Raums bestimmt.
Mit ihm korrespondieren die nierenförmigen Öffnungen für die indirekte Beleuchtung in der Decke, mit denen der sehr niedrige Raum optisch etwas Höhe gewinnen soll. Das alles fügt sich zu einem sympathischen Zusammenklang, nicht aufdringlich overstyled, sondern angenehm angemessen, sodass sich neue Nutzung und altes Haus auf Augenhöhe begegnen. So ist 80 Jahre nach dem Bau von Haus Nürnberg endlich die Bühne bereitet, damit sich hinter den Fassaden des Ellington nun jene Dramen und Liebesgeschichten ereignen können, die die Menschen im Hotel von jeher bewegen.
Dr. Jürgen Tietz ist Kunsthistoriker und Journalist in Berlin.