Marion Goldmann
Kühlakkus oder Handwärmer kennt jeder. Sie funktionieren mit einem physikalischen Trick: Das Speichermedium ist in der Lage, beim Wechsel des Aggregatzustandes Wärme aufzunehmen, diese zu speichern und in umgekehrter Richtung wieder abzugeben. Als Speichermedium – auch Phase Change Materials (PCM) genannt – werden Salze oder organische Verbindungen verwendet. Technisch genutzt werden sie schon seit Langem in unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft. Um PCMs aber in Baustoffen einzusetzen, ist ein Speichermaterial notwendig, dessen Schmelzpunkt nahe der Raumtemperatur liegt. Paraffinwachse besitzen diese Eigenschaft. Lange Zeit bestand das Problem darin, ein geeignetes Verfahren zu finden, um das schmelzende Wachs sicher und kostenverträglich in den Baustoff einzubetten.
Acrylglaskapseln
Forscher vom Fraunhoferinstitut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg haben gemeinsam mit den Kollegen von der BASF eine praktikable Lösung gefunden: die Mikroverkapselung. Marco Schmidt vom Unternehmensbereich Acrylics & Dispersions Polymere bei der BASF: „Die Verkapselung gab es bereits seit den frühen 50er-Jahren.
Bezogen auf die Anwendung von Latentwärmespeichern in Baustoffen musste allerdings eine neue Polymerhülle entwickelt werden, die die spezifischen Ansprüche an Stabilität und Dichtigkeit erfüllt.“ Die Kapseln sollten nicht platzen und als Bestandteil eines Baustoffs kein Formaldehyd enthalten, wie das bei den älteren Technologien noch der Fall war. Als geeignetes Kapselmaterial hat sich Acrylglas erwiesen, das selbst Bohrer und Sägen widersteht. Unternehmensangaben zufolge ist BASF derzeit weltweit der einzige Hersteller, der die Technologie formaldehydfreier Mikrokapseln großtechnisch beherrscht und marktreif anbietet. Dadurch nimmt Deutschland bei den Baustoffen eine Spitzenposition ein.
Erste Anwendungen in Form eines Maschinengipsputzes kamen bereits 2004 auf den Markt. Eine Gipsbauplatte, Kühldecken und Kühlsegel sowie ein Porenbetonstein folgten. Je nach Baustoff ist dabei ein Anteil von zehn bis 30 Prozent des latenten Speichermaterials möglich. Aufgrund der Partikelgröße von wenigen Mikrometern lässt sich Micronal PCM – so der Markenname der Kapseln – entweder als Dispersion oder Pulver gut in Putz und Platten einarbeiten. Als Speichermedium werden hochreine Paraffinwachse verwendet.
Im simulierten Dauertest haben die Wachse 10 000 Phasenwechsel ohne Verlust der Wirkungsweise problemlos überstanden. Das entspricht einer Lebensdauer von etwa 30 Jahren.
Baustoffe mit Latentwärmespeichern erhöhen die thermische Masse des Gebäudes bei geringem Platz- und Gewichtsbedarf. Prädestiniert also für den Einsatz in modernen Leichtbauten aus Stahl und Glas. Ebenso wie für Massivbauten, deren Betondecken wegen abgehängter Unterdecken oder gedämmter Fußbodensysteme kühltechnisch nicht aktiviert werden können.
Ein Beispiel zeigt, welche Speicherkapazitäten erreichbar sind. Würden sieben Tonnen Latentwärmespeicher in 200 Tonnen Baustoffen verarbeitet, ließe sich bei einem Einfamilienhaus die thermische Masse nahezu verdoppeln. Besonders Fertighäuser bieten sich hier an.
Lösung für Bestandsbauten
Ein weiteres Feld eröffnet die Sanierung von Gebäuden. Peter Schossig von Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE: „Bei Bestandsbauten kann das wegen der beengten Platzverhältnisse unter Umständen sogar der einzige bautechnische Weg sein, um die thermische Masse nachträglich zu erhöhen.“
Auch für die mit aufwendiger Klimatechnik ausgestatteten 70er-Jahre-Bauten könne das eine sinnvolle Lösung sein. Allgemein ergeben sich Kosteneinsparungen durch den insgesamt geringeren Kühlbedarf bei der Klimatisierung sowie durch die reduzierten Folgekosten.
Klimaanlagen können je nach gebäudetechnischem Konzept ganz vermieden oder zumindest mit kleiner Spitzenlast ausgelegt werden.Die Regulierung des Raumklimas läuft bei Temperaturen von 23 und 26 Grad ein; dann beginnen die Paraffine zu schmelzen. Der Raumluft wird dabei so lange Wärme entzogen, bis der Speicher voll ist.
Fallen die Temperaturen, erstarren die Wachse und geben die Wärme wieder ab. Dieses Wechselspiel ist zu akzeptieren und man muss begreifen, dass passive Kühlsysteme nicht einfach ein- und ausgeschaltet werden können. Integrale Klimakonzepte spielen bei derart ausgestatteten Gebäuden deshalb eine unerlässliche Rolle.
Man kann auch eine Überlastung der Speicherkraft während einer langen Hitzeperiode oder an besonders heißen Tagen nicht vollkommen ausschließen. Die „Ausfalltage“ lassen sich aber im Vorfeld mithilfe eines Simulationsprogramms recht präzise abschätzen. Volker Weiß vom Büro Stahl + Weiß geht noch einen Schritt weiter: „Die Ergebnisse der Gebäudesimulation stimmen mit den Werten aus der Praxis fast eins zu eins überein.“
Das wurde auch im Nachgang bei dem bereits 2003 fertiggestellten Neubau des badischen Energieversorgungsunternehmens Badenova in Offenburg festgestellt. Hier hatten die Freiburger Fachplaner vorab theoretisch ermittelt, dass die Raumtemperaturen nur an 22 Tagen im Jahr den zulässigen Bereich verlassen würden. Für ein passives Konzept, das keine Zusatzenergie für die Kühlung benötigt, ein akzeptables Ergebnis. „Solche passiven Konzepte gehen aber nur dann auf, wenn der Sonnenschutz planerisch berücksichtigt wird und in der Praxis funktioniert“, mahnt Weiß. Der Badenova-Bau war das erste kommerzielle Gebäude, in dem der Maschinengipsputz verwendet wurde. Weitere Referenzobjekte, bei denen andere PCM-Produkte zum Einsatz kamen, befinden sich in München, Ludwigshafen oder Berlin und sind ein Beweis dafür, dass Latentwärmespeicher eine Zukunft haben.