Jörg. M. Proksch
Für Max Müller (Name geändert) stand fest: Das war ein Schnäppchen. Mehrere Monate hatte der Architekt mit dem Kollegen Schmidt gute Gespräche geführt. Schmidt, 65 Jahre alt und gut situiert, betrieb ein Architekturbüro mit fünf Mitarbeitern in einer norddeutschen Kleinstadt. Er wollte sein Büro in gute Hände geben und hatte schon länger nach einem geeigneten Nachfolger gesucht.
Nun war alles geklärt, der Kaufpreis war vereinbart, die Verträge waren schon vor einigen Wochen unterzeichnet worden. Mit der Übernahme des Architekturbüros Schmidt wollte Müller seine Geschäftsaktivitäten um ein völlig neues, attraktives Segment erweitern: das Bauen für betuchte Privatpersonen. Hier hatte sich Schmidt in den letzten 30 Jahren betätigt und viele interessante Projekte bearbeitet. Müller hatte einen hohen Kaufpreis akzeptiert, da Schmidt versichert hatte, er würde durch sein hervorragendes Kontaktnetz dafür sorgen, dass das Büro mindestens die nächsten drei Jahre ausgelastet sei, ja eher noch Mitarbeiter einstellen müsse. Mehrere Großprojekte stünden an. Das klang richtig gut, hatte Schmidt in den vielen Gesprächen doch einen sehr seriösen Eindruck gemacht.
Ein Jahr später kämpfte Architekt Müller ums Überleben. Seine beiden Büros liefen schlecht. Kein einziges der avisierten Projekte war in konkreter Reichweite, Schmidt als Akquisiteur war ein Totalausfall. Golfen und Hochseeangeln stellte er in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Investoren seien scheu, aber genau da zu finden, wo er sich bewege. Es dauere eben ein wenig länger, auf mehrere Millionen Honorar könne man doch wohl etwas warten, war die Standardantwort auf die Frage nach greifbaren Ergebnissen und seinen hohen Spesenrechnungen.
Müller hatte genug davon und zog mit seinen Beratern eine ernüchternde Bilanz. Zu blauäugig hatte er dem eloquenten Schmidt vertraut und darauf verzichtet, dessen Hintergrund genauer zu beleuchten. Er hatte sich weder Verträge noch eine nachvollziehbare Herleitung des Unternehmenswertes vorlegen lassen.
Viele Kontaktpersonen von Schmidt kannte er bis heute nicht persönlich. Nun half nur noch die Flucht nach vorn. Er setzte Schmidt vor die Tür und nahm selbst Kontakt zu den avisierten Bauherren auf. Bald offenbarte sich das ganze Ausmaß eines regelrechten Vabanquespiels. Schmidt war hoch verschuldet und hatte den Verkauf seines Architekturbüros als Befreiungsaktion geplant, um der drohenden Insolvenz zu entgehen. Kaum einer der möglichen Bauherren kannte Schmidt näher. Müller musste hohe Kredite aufnehmen, um die Zukunft des eigenen Büros zu sichern.
Glücklicherweise konnte er mit viel persönlichem Einsatz sein Büro retten. Dennoch ließ es sich nicht vermeiden, dass mehrere Arbeitsplätze verloren gingen. Die Fehlinvestition wird das Büro noch viele Jahre finanziell belasten.
Chance mit überschaubarem Risiko
Die beschriebene Situation ist leider kein Einzelfall. Trotzdem kann die Übernahme eines Architekturbüros eine attraktive Chance für die berufliche Weiterentwicklung sein (siehe Seite 41). Sowohl für Existenzgründer als auch für etablierte Unternehmen ist die Übernahme eines eingeführten Büros ein überschaubares Risiko, wenn einige wesentliche Aspekte berücksichtigt werden.
Eigene Ziele setzen
Die Übernahme eines Unternehmens stellt in der Regel komplexe Anforderungen an den Käufer, und Risiken müssen eingegangen werden. Die notwendigen Entscheidungen lassen sich erheblich leichter treffen, wenn erkennbar ist, wie mit der Übernahme des Unternehmens die eigenen Ziele verfolgt werden können. Ein Existenzgründer als Übernehmer wird wahrscheinlich andere Ziele verfolgen als ein etabliertes Unternehmen, das ein Architekturbüro aus strategischen Gründen erwerben möchte. Unternehmerische Ziele sollten beide definieren.
Den Markt analysieren
Für Architekturbüros existiert ebenso ein Markt wie für Waren oder Dienstleistungen. Das Marktgeschehen erinnert dabei an einen lokalen Wochenmarkt, auf dem ein begrenztes Angebot auf wenige potenzielle Käufer trifft.
Das geeignete Architekturbüro zu finden, bleibt daher oft dem Zufall überlassen. Man hört von Kollegen, die in Ruhestand gehen wollen, oder der eigene Chef bietet die Nachfolge an. Manch ein Interessent antwortet auf Chiffreverkaufsannoncen im Architektenblatt oder erkundigt sich bei seiner Kammer nach Angeboten. Das alles kann funktionieren, aber oft nur mit erheblichem Aufwand an Geld und Zeit. Letztendlich muss jedes Mal eine längere Verhandlungsphase einplant werden, an deren Ende die Entscheidung für ein Ja oder Nein steht. Alternativangebote sind meist nicht vorhanden. Das Projekt Unternehmenskauf wird so in vielen Fällen zum Dauerthema ohne greifbares Ergebnis.
Abgesehen davon möchte nicht jeder Kaufwillige seine Ambitionen im Markt streuen. Das ist gerade bei strategischen Unternehmenskäufen eine elementare Forderung. Diese Besonderheiten gilt es zu berücksichtigen, wenn der Käufer die Marktmechanismen für sich nutzen will. Eine zielorientierte Aktivstrategie führt erfahrungsgemäß zu besseren Ergebnissen, beispielsweise können eigene Annoncen geschaltet werden. Die Kombination von professioneller Objektsuche und Gewährleistung absoluter Anonymität (für Käufer und Verkäufer) fördert oft Chancen zutage, die auf dem „normalen“ Markt nie in Erscheinung treten.
Der „Nasen“-Faktor
Gerade bei der Übernahme von Architekturbüros spielt das „sich-riechen-Können“ eine erhebliche Rolle. Es bildet die Grundlage für ein gegenseitiges Grundvertrauen. Und es steht bei den meisten Übergabeprozessen eine mehr oder weniger lange Phase an, in der der alte und der neue Inhaber gut zusammenarbeiten müssen. Ein frühzeitiges „Beschnuppern“ hilft bei der Entscheidung, ob überhaupt konkrete Verhandlungen geführt werden sollen. Wenn der „Nasen“-Faktor gegen null tendiert, macht ein weiteres Engagement meist keinen Sinn. Im Gegenteil kann hohe Sympathie dazu beitragen, scheinbar unüberbrückbare inhaltliche Positionen bei Verkaufsverhandlungen zu verrücken.
Kaufpreis und Modellbildung
Die Ermittlung eines angemessenen Kaufpreises ist eine schwierige Aufgabe. Der Verkäufer wird in den meisten Fällen einen guten Preis erzielen wollen. Prinzipiell muss der Käufer die Herleitung von Preisforderungen nachvollziehen können. Problematisch sind deshalb Kaufpreisvorstellungen, die auf Wertermittlungsverfahren basieren, die brachenübergreifend verwendet werden oder mit Multiplikationsfaktoren arbeiten. Steuerberater verwenden oft das Ertragswertverfahren, manchmal auch das DCF-Verfahren (Discounted-Cash-Flow) – beide betrachten ein Architekturbüro nicht differenziert genug, da sie sich im Wesentlichen an den Ergebnissen der Vergangenheit orientieren.
Ein Architekturbüro, das meist stark inhabergeprägt ist, muss jedoch vor allem im Hinblick auf seine Zukunftsfähigkeit beleuchtet werden. Eine spezielle Wertermittlung für Architekturbüros berücksichtigt alle charakteristischen Aspekte.
Der Kaufpreis ist für den Käufer nur eine Größe der Finanzperspektive. Frühzeitig sollte mithilfe eines geeigneten betriebswirtschaftlichen Modells die Übernahme mit allen Parametern abgebildet werden. Steuerliche Aspekte spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Ziele bei der Übernahme oder spezifische Vereinbarungen mit dem Übergeber. Mit diesem Modell können zum Beispiel Szenarien erstellt und Grundlagen für die Verhandlungsstrategie ermittelt werden.
Due Diligence
Die „gebotene Sorgfalt“ ist ein Begriff, den meist nur professionelle Unternehmenskäufer kennen. Gemeint ist damit die umfassende Untersuchung des Kaufobjekts. Geklärt werden dabei die rechtliche, steuerliche und finanzielle Situation, Fragen zum Markt und zur Strategie, zum Know-how und zur Mitarbeiterstruktur. Eine systematische Stärken-Schwächen-Analyse und die Identifikation von Risiken und Chancen sind Bestandteile der Untersuchungen. Verborgene Probleme eines Unternehmens lassen sich so leichter ans Tageslicht bringen.
Alle genannten Bereiche werden anhand definierter Kriterien beleuchtet und bewertet. Erst nach diesem wichtigen Arbeitsschritt kann ein Kaufpreisangebot ausgearbeitet werden. Für den Übernehmer eines Architekturbüros entsteht ein Aufwand von mehreren Tagen bis Wochen, je nach Größe des Kaufobjekts. Grundsätzlich empfiehlt sich eine Untersuchung im Team. Fachleute aus den Bereichen Recht/ Steuern/Unternehmensberatung können das fachspezifische Know-how des Käufers sinnvoll ergänzen.
Bürowerte
Die Wertermittlung von Architekturbüros unterliegt eigenen Bedingungen. Zunächst ist zu klären, ob es sich um ein Unternehmen oder ein „Büro“ handelt. In Letzterem stehen künstlerische oder fachliche Aspekte stark im Vordergrund. Ein Unternehmen lässt sich mit branchenspezifischen Bewertungsmethoden bewerten. Der Wert eines „Büros“ ist nur durch eine individuelle Wertung einzuschätzen. Bei einem Unternehmen kann eine ausgewogene Aussage zum Unternehmenswert getroffen werden.
Wertbestimmende Faktoren sind zum Beispiel die Gewinne, die Qualität der Organisation und der Prozesse, die Ausstattung, die Qualifikation der Mitarbeiter, Marktpräsenz und Positionierung, spezifisches Know-how, die Auftragssituation und das Netzwerk des Inhabers. Eine fundierte Wertermittlung ist eine gute Basis für die Kaufpreisfindung, der ermittelte Wert ist jedoch nicht zwangsläufig mit dem Kaufpreis gleichzusetzen. Hier sind sowohl Abweichungen nach unten als auch nach oben möglich. Angebot und Nachfrage spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Jörg M. Proksch ist Berater, Coach und Architekt in Reutlingen.