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Zurück Landschaft und Laienwünsche

„Ein wenig Unterhaltung“

Die Nutzer von Freiräumen wollen es nicht ästhetisch anspruchsvoll und innovativ haben, sondern einfach nur nett. Und ihr Wunsch sollte gelten, meint Wulf Tessin, der in Hannover am Institut für Freiraumentwicklung lehrt

22.04.201010 Min. Kommentar schreiben
Populär: Landschaftsarchitektonisch wenig signifikant, dafür bei Parknutzern beliebt sind Ereignisse wie die Kirschblüte im niedersächsischen Schlosspark Bückeburg.

Interview: Roland Stimpel

Sie sind in Parks, Landschaftsräume und auf Plätze gegangen und haben die Leute gefragt, wie es ihnen dort gefällt. Hat das Erkenntniswert?

Ich denke, nach mehr als zehn Jahren Forschung in verschiedenen Projekten hat es ihn. Da ergibt sich ein recht deutliches Bild davon, was die Leute wollen, welche Kriterien und welche Prioritäten sie bei der Beurteilung von Freiflächen haben.

Lassen sich Familien, Alte und Jugendliche auf einen Nenner bringen, grillende Türken und bürgerliche Flaneure?

Sie alle wollen unterschiedliche Dinge, aber es gibt einen gemeinsamen Nenner: Alle suchen einen möglichst angenehmen Aufenthalt. Sie wollen sich ein bisschen erholen, wollen zur Ruhe kommen, ohne sich zu langweilen. Sie suchen nach entspanntem Wohlbehagen. Das ist ein altes Phänomen: Von „wohlfeilem Vergnügen“ sprachen Landschaftsarchitekten im 19. Jahrhundert.

Prof. Dr. Wulf Tessin lehrt Planungsbezogene Soziologie am Institut für Freiraumentwicklung der Universität Hannover.

Und keiner sucht das Abenteuer oder den Pfad der ­Erkenntnis?

Die große Mehrzahl sucht in ihrem alltäglichen Freizeit- und Freiraumverhalten einen angenehmen Aufenthalt. Oft leben sie in der Nähe, viele suchen die jeweilige Grünanlage häufig und gewohnheitsmäßig auf. Sie wünschen sich Eingängiges, nichts Außergewöhnliches.

Aber nicht alle.

Nein, es gibt auch eine Gruppe, die manchmal mit einer ­besichtigungsästhetischen, oft kulturtouristischen Haltung kommt. Sie sucht das außergewöhnlich Schöne, nicht das bloß Angenehme. Solche Besucher kommen oft von weit her. Man trifft sie vor allem in historischen, aufwendig gestalteten Anlagen, typisch sind Schlossparks. Aber selbst hier sind oft nur 20 bis 30 Prozent der Besucher dezidiert gartenkünstlerisch interessiert, der Rest erfreut sich allein an der Schönheit der Anlage. Auch hier dominiert bei fast allen der Wunsch, in erster Linie einen schönen Tag oder Nachmittag zu verbringen.

Und wer geht in junge Parks mit zeitgenössischen ­Gestaltungsambitionen?

Solche Parks und Plätze werden durchaus aufgesucht, aber meist gerade nicht wegen dieser ambitioniert modernen Gestaltung, sondern wegen irgendwelcher anderen angenehmen Eigenschaften: eines netten Cafés, einer schönen Lage am Fluss oder Ähnlichem. Ihre ambitioniert moderne Gestaltung wird dann oft mehr in Kauf genommen nach dem Motto: zwar nicht ganz mein Geschmack, aber sonst ganz okay.

Gibt es den mehrschichtigen Park, der das Volk nicht provoziert, der aber Anspruchsvollere anregt?

Das wird ja immer mal wieder versucht. Ein Beispiel ist ­beispielsweise der Berliner Invalidenpark zwischen dem Bau- und dem Wirtschaftsministerium. Vorn ist er aufgeräumt, symmetrisch gestaltet und von der Skulptur einer Mauer dominiert, die schräg aus einem Wasserbecken auftaucht. Hinten ist er landschaftlicher bepflanzt und eher konventionell gestaltet. Aber hier zeigt sich bei Beobachtungen und in Umfragen, dass die meisten Leute den coolen vorderen Teil nicht so toll finden, anders als die Fachleute. Wenn überhaupt, hält man sich dort nur relativ kurz auf – etwa um auf einen Bus zu warten. Generell gilt: Je länger man sich in einem Freiraum aufhalten will, umso wichtiger ist, dass er als angenehm empfunden wird.

Experten und Laien wollen ganz Unterschiedliches?

So scharf sehe ich die Trennung nicht. Es ist alles eine Frage der sozusagen angenehmen Dosierung, des richtigen Maßes. Innovative Landschaftsarchitekten neigen manchmal gern zu radikalen Lösungen. Wenn das jeweilige Gestaltungsprinzip sozusagen übertrieben wird, findet das wenig Akzeptanz in der Bevölkerung. Das galt für die beiden letzten Gestaltungsrichtungen in der Landschaftsarchitektur – erst sollte es so naturnah wie möglich sein, dann so naturfern wie möglich. Ein Ort gefällt dagegen dann, wenn er gerade das situationsspezifisch richtige Maß an Anregung bietet: Weder zu wenig, dann ist er langweilig, noch zu viel, dann ist er stressig und ungemütlich. Das hat der Psychologe Daniel Berlyne schon vor vielen Jahrzehnten herausgefunden.

Wie kommt es zu solchen modischen Übertreibungen?

Da bilden sich Geschmackskartelle, die dann für zehn oder fünfzehn Jahre dominieren. Ihn ihnen geht es um Profilierung, um Abgrenzung, um das Schaffen von Neuem als Selbstzweck. Die herrschende Mode ist allgemein akzeptiert, für die Macher verständlicherweise langweilig geworden: immer das Gleiche! Wie kann man sich da noch unterscheiden und Kreativität zeigen? Also muss was Neues her, gerne auch ganz was Anderes, am einfachsten: das Gegenteil der gerade herrschenden Mode, die aber der Bevölkerung leider meist noch gefällt. Also muss es ihr plausibel gemacht werden. Das Motto „Öfter mal was Neues“ reicht meist nicht, also behauptet man zum Beispiel, die zuletzt herrschende Mode sei nicht mehr zeitgemäß, passe nicht zur Globalisierung, nicht zur ökologischen Krise oder zum Dekonstruktivismus.

Aber geht es nicht wirklich auch um den Ausdruck von Zeitströmungen und Befindlichkeiten?

Mir scheint in Architektur und Landschaftsarchitektur der angebliche Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen oder philosophischen Strömungen oft reichlich konstruiert. Zum Beispiel die Behauptung, minimalistische Gestaltung unter dem Motto „Reduce to the max“ schaffe eine nötige Gegenwelt zum verwirrenden Alltag, sie beruhige und ermögliche Besuchern die Konzentration auf sich selbst. Das erleben die Leute ja durchaus bereits in konventionellen Landschaftsparks, die nicht zuletzt deshalb auch nach wie vor so beliebt sind.

Muss man vor dem Wunsch nach dem Vertrauten, Anspruchslosen so sehr kapitulieren?

Das ist ja ein klassischer Vorwurf: Es gehe nur um ästhetische Kompromisse auf sozusagen niedrigstem Niveau, fast wie beim Privatfernsehen. Und das sei kulturell doch allzu anspruchslos. Aber die Leute schätzen ja durchaus gartenkünstlerische Höchstleistungen, allerdings nicht die von heute, sondern die von vor 50 oder 200 Jahren, also von vorgestern. Aber würden Sie einem Bildungsbürger auch vorwerfen, dass er Bach oder Beethoven einem Strawinsky oder Stockhausen vorzieht? Ist etwas schlechter Geschmack, weil es nicht mehr zeitgemäß ist? Und was ist überhaupt zeitgemäß? Derrida oder Walt Disney? Wäre nicht im Zeitalter von Demokratie und Popkultur in Architektur und Landschaftsarchitektur die Ausrichtung am populären Geschmack eigentlich viel zeitgemäßer als die bisweilen doch etwas elitäre, im Grunde doch längst überholte bürgerlich-idealistische Ästhetik des Teils der Disziplin, der sich selbst als künstlerisch-innovativ versteht?

Wer mit anspruchsvoller zeitgenössischer Planung Normalmenschen erreichen will, braucht 50 oder 200 Jahre Geduld?

Es gibt ja Landschaftsarchitekten, die so argumentieren, die sagen: Wartet nur, die übernächste Generation wird meinen Entwurf schätzen. Mir wären aber 50 Jahre der Nichtschätzung zu lange – ein halbes Jahrhundert, in dem Nutzer mit einem Park nicht sonderlich glücklich sind! Deshalb plädiere ich zwar für Innovationen, aber in Maßen. Die Leute können am einen oder anderen Punkt auch einmal gefordert oder gar überfordert werden, aber das sollte nicht das generelle Gestaltungsprinzip sein. Neue Perspektiven werden durchaus akzeptiert, wenn sie noch in einem vertrauten Kontext stehen. Ich bin daher für inkrementalistische, also behutsame und allmähliche Innovationen statt für den spektakulären Schock, auch wenn man mit einer solchen Halbherzigkeit in der Fachwelt natürlich kein Aufsehen erregen wird.

Elitär: In der Fachwelt anerkannt, doch bei Besuchern nur mäßig beliebt sind reduziertskulpturale Parkschöpfungen wie das Wasserbecken mit „Versunkener Mauer“ von Christophe Girot im Berliner Invalidenpark.

Ist das nicht zaghaft und mutlos? Gehört nicht auch zu den Aufgaben des Berufsstands, neue ästhetische Ansprüche zu wecken und Leute so zu führen, dass sie Ambitioniertes sehen und es schätzen lernen?

Architektur hat meines Erachtens keinen gesellschaftlichen Geschmacksbildungsauftrag; sie ist vielmehr aus ureigenstem Interesse an Gestaltung interessiert. Aber natürlich wirkt sie geschmacksbildend, ob sie es will oder nicht. Aber das braucht bekanntlich seine Zeit, denn das Neue muss sich ja gegenüber dem riesigen Bestand an Altem durchsetzen. Das ist in der Gebäudearchitektur ein Stück weit gelungen, weil sich hier aufgrund von Kriegszerstörungen und umfänglichen Neubaumaßnahmen das Verhältnis von Neuem und Altem fast umgedreht hat und so das ornamentlose Neue inzwischen fast zum Standard geworden ist. In der Landschaftsarchitektur bleiben die neuen Moden dagegen eher Randerscheinung, weil ja die alten Parks und Plätze in aller Regel nicht im neuen Stil überplant werden. Viele Kollegen meinten schon zu mir: Das, was du kritisierst, ist doch gesellschaftlich eher irrelevant. Das spielt in der Fachwelt, an den Ausbildungsstätten vielleicht eine dominante Rolle, aber nicht im wirklichen Leben. Die neuen Moden oder Pilot­projekte sind wichtig für die Geschmacks- und Stilentwicklung in der ­eigenen Disziplin, die dann in der Breite allerdings die Aufgabe hat, sie unters Volk zu bringen – in sozusagen abgespeckter, gesellschaftlich akzeptabler und eingängiger Form. Und so läuft es denn ja auch.

Also nix mit Provokation, Ärger, Verstörung und Beunruhigung für das einfache Volk?

In der Kunst gilt das selbstverständlich. Aber ich sehe Freiräume in erster Linie als Orte der Entspannung, der geistigen Entlastung, nicht der geistigen Anstrengung. Das schließt geistige Anregung nicht aus – vor allem dann nicht, wenn sie im Rahmen des Angenehmen verbleibt.

Also einlullen?

Einlullen klingt abwertend, aber ich fände es gar nicht schlecht, wenn sich die Leute in einem Park vor Wohlbehagen einlullen lassen würden und sich dabei wunderbar entspannen. Es geht schlicht ums Wohlfühlen.

Wohlfühlarchitektur, Wohlfühlkulissen – solche Begriffe werden in der Fachdiskussion eher abwertend gebraucht.

Ist es nicht das Höchste, was ein Landschaftsarchitekt erreichen kann: eine Umgebung zu schaffen, in der die Menschen dann tun können, was sie gern möchten, in der sie sich emotional und ästhetisch wohlfühlen? Dazu wollen sie ein Kontrastprogramm zu den Hässlichkeiten und Widrigkeiten der Welt, wollen ein wenig Unterhaltung und Ablenkung. Was aber diese Widrigkeit wieder in den Freiraum einführt, ist für sie von Übel. Das gilt für Verunstaltung und Vandalismus, aber es gilt auch für ästhetische Provokation.

Sie setzen Laienästhetik über die Ästhetik von Gebildeten. Schätzen Sie denn professionelle Kompetenz, Fantasie und Innovation gar nicht?

Ich persönlich schon. Aber ich sage mir, dieser Park oder jener Platz ist nicht zu meinem Delektieren da, sondern er ist für eine breite ­Konsumentenschicht. Auf keinen Fall darf sich auf deren Kosten der Wunsch nach anspruchsvoller Ästhetik verselbstständigen. Also mehr Dienstleistung denn Selbstverwirklichung: Setzt euch mit dem Laiengeschmack auseinander, knüpft an ihm an und entwickelt ihn kreativ fort.

Ist das nicht berufsständisch fragwürdig? Ein bisschen nett machen kann es doch jeder erfahrene Gartenbaubetrieb.

Das kann er vermutlich – freilich im bisher üblichen Rahmen. Die Aufgabe des Landschaftsarchitekten besteht in der besonderen Herausforderung, das Angenehme in immer neuen Formen zu suchen und zu finden und das auf dem höchstmöglichen fachlichen Niveau, auch dem Geschmacksniveau.

Wie plant man das Angenehme? Soll man mit seinem Entwurf und ein paar Renderings in den nächsten Park gehen und die Leute fragen?

Das brächte gar nichts, da bin ich geradezu bürgerbeteiligungsfeindlich. Nein, es kommt mehr auf die eigene Haltung an, darauf, die eigenen Innovationen sozusagen unter das Dach des Angenehmen zu stellen – was übrigens der weit überwiegende Teil der Landschaftsarchitekten ja auch durchaus erfolgreich tut. Aber ein gewisser, sehr kleiner, wenn auch reputierlicher Teil lehnt es geradezu ab, angenehme Orte schaffen zu wollen – frei nach dem Diktum Adornos: Kunst, die gefällt, ist keine!

Kann man studieren und lernen, was voraussichtlich als angenehm empfunden wird?

Das braucht man kaum. Landschaftsarchitekten halten sich ja auch gern in Freiräumen auf, die in der konventionellen Ästhetik als sehr angenehm gelten. Das ist genau wie bei Hochbauarchitekten, die ja nicht nur im Klischee gern in Gründerzeitwohnungen leben. Das heißt, dass man bei hoher Professionalität und Geschmacksdifferenzierung das Gespür dafür behalten sollte, was Laien und einem selbst angenehm ist. Man muss nur sein eigenes, nun ja, Spießertum kennen und akzeptieren, sozusagen den Normalbürger in sich selbst, der auch mal abhängen möchte in netter, freundlicher, angenehmer Atmosphäre.

Zum Thema des Interviews hat Prof. Dr. Wulf Tessin das Buch „Ästhetik des Angenehmen“ veröffentlicht (VS Verlag für Sozialwissenschaften, 174 Seiten, 24,90 €).

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