Von Claus Leggewie
Vor einem Jahr kam das „Klima-Manifest für eine zukunftsfähige Architektur und Ingenieurbaukunst“ heraus. Seither häufen sich Tagungen und Workshops zum Thema Stadt im Klimawandel. Das war überfällig und ist hocherfreulich. Zu Recht gelten diese Berufsgruppen als unentbehrlich auf dem Weg in eine klimaverträglichere und nachhaltige Weltgesellschaft: Für das Heizen und Kühlen unserer Behausungen verwenden wir ein Drittel des globalen Energieverbrauchs, ein weiteres Drittel für Berufs- und Erholungsverkehr und den Rest für industrielle und agrarische Produktion und damit verbundene Dienstleistungen, die ganz überwiegend in urbanen Agglomerationen erbracht und konsumiert werden.
Das Klima-Manifest, über dessen Umsetzung regelmäßig öffentlich berichtet werden soll, darf hier als eine der umfassendsten Selbstverpflichtungen gewürdigt werden, die eine Berufsgruppe diesbezüglich vorgenommen und politischen Entscheidungsträgern angetragen hat. Architekten und Bauingenieure haben sich erinnert, dass sie nicht nur einzelne Bauwerke entwerfen, sondern dass jedes Wohnhaus, jedes Bürogebäude, jede Fabrikhalle gerade in seiner energetischen Ausstattung darüber entscheidet, wie viel Treibhausgase emittiert werden; dass auch ihre Lage entscheidend dafür ist, wie mobil Menschen und Güter sein müssen oder dies vermieden werden kann; dass Bauschutt rund zwei Drittel aller Abfälle ausmacht – und so weiter.
Wenn also ein großer Teil des Klimaproblems durch Architektur und Städtebau verursacht wird, wird ein guter Teil auf diesem Feld zu lösen sein. Dem Paradigmenwechsel sind in vielen Ländern praktische Verbesserungen gefolgt, bei Belichtung und Verschattung, Kühlung, Beheizung und Dämmung, bei Baumaterialien, Raumaufteilung und vielem mehr. Nachhaltigkeit fließt in die Aus- und Fortbildung ein; Stararchitekten werden Rollenmodelle grünen Bauens in aller Welt. Gesetze und Zertifizierungen tun ein Übriges, um energieeffiziente und klimafreundliche Architektur aus der Ökonische herauszuholen und sie bald zum Mainstream werden zu lassen.
Wofür Architekten nichts können, ist, dass seit einem Jahr zu wenig geschehen ist: Der Weltklimagipfel in Kopenhagen hat das Zwei-gradziel nur proklamiert, es aber nicht auf den Weg gebracht. Weltweit mobilisieren Leugner des Klimawandels gegen die unbestreitbare Evidenz der Klimaforschung. Wofür Architekten sehr wohl etwas können, ist, wenn Manifeste und Aufbrüche zu kurz springen. Architektur hängt am „Einzelnen und seinem Eigenheim“ (Pierre Bourdieu), an der individuellen Bauherrenperspektive, die das isolierte Objekt betrachtet, nicht den urbanen Prozess. Erst ganze Stadtquartiere und Metropolen wie das Ruhrgebiet oder der Großraum London machen den Unterschied. Das soll niemanden hindern anzufangen, aber Klimahelden müssen zu Energiegenossen werden, die eine bornierte Eigenheimperspektive von Beginn infrage stellen.
Prof. Dr. Claus Leggewie ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Leiter des Projekts KlimaKultur.
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