Dr. Matthias Hardinghaus
CABE ist Englands Instanz für Baukultur. Der englische Minister für Kultur, Medien und Sport hat sie 1999 als private Gesellschaft ins Leben gerufen. Durch ein Parlamentsgesetz wurde sie 2005 in eine öffentliche Körperschaft (statutory body) umgewandelt. Ihr vollständiger Name lautet: CABE Commission for Architecture and the Built Environment.
„We want to inject architecture into the bloodstream of the nation.“ So und nicht weniger bescheiden formulierte es ihr Gründungsvorsitzender Stuart Lipton im Vorwort des ersten Geschäftsberichtes. CABE widmet sich der Gestaltung von Städten, ihren öffentlichen Räumen, der Architektur und dem urbanen Grünraum. Vor allem sieht sie sich in einem nationalen Bildungsauftrag und will die hohe Bedeutung einer qualitätvollen Gestaltung der gebauten Umwelt in das Bewusstsein der Bürger rufen. Sie versteht sich als Berater von Regierungen und Entscheidungsträgern auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene. Kulturhoheit der Länder und Planungshoheit der Kommunen sind in England keine Kategorien politischen Handelns. Für CABE ergibt sich hieraus einerseits ein großes Handlungsfeld andererseits ist sie deshalb ganz besonders auf eher informelle regionale und lokale Partnerschaften angewiesen.
Seit dem „Planning and Compulsory Purchase Act 2004“ stellen Regionalversammlungen Pläne für ihre Gebiete auf. Diese wiederum müssen von Städten und Gemeinden in ihrer kommunalen Planung berücksichtigt werden. Ebenfalls sind seit 2004 Städte und Gemeinden (boroughs, districts) in ihren planerischen und stadtgestalterischen Kompetenzen wesentlich gestärkt worden. Mehr Eigenverantwortung bedeutet oft auch mehr Arbeit. Und hier scheinen viele Stadtverwaltungen (local authorities) zurzeit an ihre Grenzen zu stoßen.
Hatte das klassische englische Stadtplanungsamt bis 2004 eher kontrollierende und rein verwaltende Aufgaben, sind ihm nun strategische und gestalterische Kompetenzen verliehen worden. Wenn es bei gerichtlichen Streitfragen jedoch hart auf hart kommt, steht – nach alter englischer Tradition – am Ende der Entscheidungskette ohnehin nach wie vor ein nationaler Akteur, der zuständige Minister (secretary of state). Die Autonomie der Städte hat in England nur eine vergleichsweise begrenzte Tradition.
CABE ist Teil
einer größeren politischen Agenda, die systemstabilisierend vor allem auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum abzielt. Damit ist auch eine Grenze von CABE markiert. Die Kommission ist kaum an einer reflektiven Debatte über die sozialen Ambitionen von Architektur und Städtebau interessiert, die über das politische Saisongeschäft hinausgeht (zum Beispiel affordable housing). So sind ihre Programme und Förderrichtlinien an weitere politische Ziele und Programme gekoppelt; natürlich vor allem in den Bereichen, bei denen bauliche Gestaltung eine besondere Rolle spielt: beim Bau neuer Schulen, Krankenhäuser und öffentlicher Gebäude, bei Projekten der Stadtentwicklung, bei der Behebung des chronischen Wohnraummangels im Süden Englands, bei der Verbesserung und Pflege des öffentlichen Raumes, bei Parks und Grünanlagen. Sogar den London Olympics 2012 hat sich CABE verschrieben.
CABE ist keinem Ministerium zugeordnet und damit ein „executive non-departmental public body“ und wird überwiegend von der Regierung finanziert. Bereits im ersten vollen Geschäftsjahr 2000/2001 lag das Budget bei umgerechnet etwa 2,2 Millionen Euro. 2006/2007 konnte CABE auf ein Budget von rund 17 Millionen Euro zurückgreifen und beschäftigte etwa 100 Vollzeitmitarbeiter. Fachlich steht CABE unter der Regie von 16 Kommissionsmitgliedern. Wissenschaftler, Architekten, Bauingenieure, Stadt- und Immobilienentwickler sowie Stadt- und Umweltplaner werden für vier Jahre durch den Kulturminister bestellt und dürfen höchstens acht Jahre im Amt bleiben. Sieben Direktoren (executive management) unterstützen die Kommissionsmitglieder. Ihre Bezeichnungen verraten bereits etwas über die Operationalisierung der Vision in konkrete Programmatik und Aktivität: Director of Enabling, Director of Knowledge and Skills, Director of Architecture and Design Review, Director of Campaigns and Education.
Zusätzlich sind durch Berater- und Gutachtertätigkeit sowie als Repräsentanten in den Regionen noch weitere 250 Fachleute im direkten Auftrag von CABE unterwegs. CABE fördert ein nationales Architekturnetzwerk, das englandweit mittlerweile 19 Zentren aufweisen kann. In den Regionen werden über zusätzliche Regionalfonds und in Zusammenarbeit mit bereits bestehenden regionalen Entwicklungsagenturen sogenannte „Centres of Excellence in Urban Design“ entwickelt, um auf diese Weise beim „Capacity Building“ mitzuwirken und Stadtplanungsämter bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
In einem gewissen Sinne ist CABE ein riesiger nationaler Lenkungs- und Gestaltungsbeirat. Er differenziert sich lokal und baut Partnerschaften auf. Damit erinnert CABE ein wenig an die Konstruktion der Internationalen Bauausstellungen (IBA) auf Länderebene in der Bundesrepublik. Die IBAs waren und sind zwar nicht in jedem Fall mit zusätzlichen Fördermitteln ausgestattet, gleichwohl können sie als anerkannte Fachautorität Prioritäten setzen und letztlich als kommunalpolitisches Koordinierungsinstrument fungieren (zum Beispiel IBA Stadtumbau 2010 Sachsen-Anhalt).
Die übergeordnete Vision
liefert CABE drei Handlungsfelder: Die Öffentlichkeit soll generell sensibilisiert werden; Entscheidungsträger sollen beeinflusst und unterstützt und die gebaute Umwelt soll verbessert werden. CABE übernimmt bestimmte Beratungs- und Gutachtertätigkeiten, führt Forschung und Kampagnen durch und fördert den Nachwuchs individuell und allgemein durch besondere Bildungsmodelle. Ein wesentliches Herzstück ist die „Design Review“. Dabei handelt es sich um einen kostenfreien Service, bei dem 40 unabhängige Experten im Rahmen eines zentralen Gutachtergremiums (review panel) Entwürfe kommentieren. Die diskutierten Projekte sollen entweder von herausragender lokaler oder nationaler Bedeutung sein oder auf andere Weise wesentliche Qualitätsstandards setzen. Konkret kann es sich dabei zum Beispiel um öffentliche Gebäude wie Schulen oder Museen handeln oder um städtebauliche Rahmen- und Masterplanungen. Nach eigenen Angaben durchliefen seit Gründung mehr als 3 700 architektonische und städtebauliche Planungen verschiedene Gutachtergremien. Die Ergebnisse werden im Internet veröffentlicht.
Im Programm „Enabling“
suchen CABE-Entwurfsberater ihre Klienten dezentral auf. Zielgruppe sind Einrichtungen des öffentlichen Sektors, die neue Gebäude, Freiraumplanungen oder städtebauliche Rahmen- und Masterpläne beauftragen. Bis Anfang 2007 sind aus dem Enabling-Programm mehr als 3 000 Beratertage finanziert worden. Das Bildungsprogramm „Skills and Learning“ soll vor allem der Förderung junger Menschen dienen. In Kooperation mit externen Partnern erarbeitet CABE neue Lernansätze und Lernressourcen für Schulen. Architektonische Studienreisen werden ebenso gefördert wie die Informationsvermittlung über Berufe, die im Zusammenhang zur gebauten Umwelt stehen. Zum Zwecke der Nachwuchsförderung unterstützt CABE vielversprechende Studiengänge und Sommerschulen.
CABE beauftragt Forschung, die sich dem Wert guter Gestaltung widmet, und die, wie es weiter heißt, den Einfluss von „Design“ auf Gebäude- und Raumnutzer thematisiert. Zu denselben Themen werden Kampagnen veranstaltet und Forschungsergebnisse verbreitet. Die Kommission hat allein im Jahr 2006 über 30 Imagebroschüren und Gestaltungshandbücher veröffentlicht. Sie ist Herausgeberin von Newslettern und Zeitschriften und stellt Fallbeispiele auf ihrer Internetseite vor. Die vielen bunten Bilder in den Info- und Imagebroschüren stimmen ein wenig misstrauisch, und die sozialen Potenziale des Bauens und der Stadt werden verdächtig oberflächlich behandelt. Doch CABE hat es geschafft, das Thema Architektur und Städtebau positiv zu besetzen und englandweit ganz oben auf die Tagesordnung zu bringen. CABE moderiert die englische Diskussion und genießt in Sachen Baugestaltung sehr weitgehende Fachautorität. Gemessen an den planungskulturellen Möglichkeiten und dem architekturpolitischen Auftrag arbeitet CABE erfolgreich.
Die Bundesstiftung Baukultur
hätte es schwer, wollte sie zu einer derartigen Instanz werden. Dies liegt unter anderem daran, dass sie bei ihren potenziellen Vorhaben auf wesentlich autonomere Akteure träfe, regional und lokal. Hier sind die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten klarer geregelt. Sowohl auf Länder- als auch auf kommunaler Ebene gilt es, politische und kulturelle Errungenschaften zu bewahren und zu entwickeln. So kann man den deutschen Akteuren den gemeinsamen Willen zur Partnerschaft wünschen, der in England aus Sicht der Zentralregierung einfacher herbeizuführen ist. Aus den vermeintlichen Schwierigkeiten könnte dann eine eigentümliche Gestaltungskraft mitteleuropäischer Baukultur herausgearbeitet werden, die etwa positive IBA-Erfahrungen weiterentwickelt und einen föderalen „Trialog Baukultur“ ermöglicht, der über reine Design- und Marketing-Bedürfnisse hinausginge.
Dr.-Ing. Matthias Hardinghaus ist Dozent an der Anglia Ruskin University Cambridge-Chelmsford.