Florian Heilmeyer
Im Berliner Bezirk Neukölln liegt an der Werbellinstraße das etwa fünf Hektar große Areal, auf dem seit 1872 die Kindl-Brauerei ihr Bier braute. Nach dem Aufkauf durch die konkurrierende Schultheiß-Brauerei wurde das Gelände schrittweise stillgelegt und die Produktion in die großen Industriebrauereien am Rand Berlins verlegt. In Neukölln war zuletzt nur noch das große Sudhaus in Betrieb. Das 1926 von Hans Claus und Richard Schepke entworfene Gebäude genießt den Schutz eines Baudenkmals. Sein schlanker Turm aus rötlichen Backsteinen überragt das Gelände und bildet dessen Identifikationsmerkmal.
Das Areal wurde von der Dr. Henke & Schorr Grundstücksgesellschaft gekauft, die zunächst von einem geplanten „Internationalen Kultur- und Shopping-Angebot“ sprach, wobei ein Mehr an Fläche stets für den Handel vorgesehen war. Über ein Varieté-Theater, ein Art-Hotel und einen internationalen „Künstlerbasar“ wurde nachgedacht, von einem „Event-Center“ und einem Migrationsmuseum war zwischenzeitlich die Rede. Im Sudhaus hätte eine „Erlebnis-Brauerei“ einziehen sollen. Von diesen handelsergänzenden Angeboten erhoffte man sich eine bessere Anbindung an die stark von Migranten geprägte Umgebung:
Etwa 35 Prozent der Bewohner im Rollbergviertel sind nicht deutscher Herkunft, das Viertel gehört zu den ärmsten Berlins. Das Bezirksamt aber sah in einem solchen Shopping-Center eine erhebliche Konkurrenz zu den Läden der nahen Karl-Marx-Straße. Weiterer Konkurrenzdruck auf das dort ohnehin schon von Billig- und Trödelläden geprägte Angebot hätte den Leerstand in der Karl-Marx-Straße mit Sicherheit erhöht.
Gemeinsam mit dem Investor entwickelten die Vertreter des Bezirks also lieber die Grundlagen für einen städtebaulichen Ideenwettbewerb, das Bezirksamt leitete dazu ein Bebauungsplanverfahren ein. Die gemeinsame Zielvorstellung lautete nun eine „über die Bezirksgrenzen hinaus strahlende Entwicklung des Standortes“, die „benachbarte Einrichtungen ergänzt und das Angebot insgesamt qualifiziert“.
In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren wurden fünf Stadtplanungsbüros ausgewählt, die in ihren Teams sowohl einen Wirtschaftsexperten als auch einen Trend- und Zukunftsforscher vorweisen mussten. So sollte eine Konzeption entworfen werden, die sofortige Investitionen und spätere Nachjustierungen eines längeren Entwicklungsprozesses integriert. Sowohl was den Erhalt des Gebäudebestands anging als auch bei der Wahl der Nutzungsmischung blieb den Teilnehmern weitgehend freie Hand. Wünschenswert sei, so formuliert es die Ausschreibung, eine Öffnung des bislang weitgehend ummauerten Areals und eine Vernetzung mit seiner Umgebung durch neue, kreative Nutzung.
Der zweite Platz
ging an das Berliner Büro TOPOS, das durch einen weitgehenden Erhalt der Altbausubstanz dem Areal eine selbstbewusste Identität verleihen wollte. Durch gezieltes Freiräumen des Geländes wäre eine Folge von drei unterschiedlichen öffentlichen Plätzen entstanden, die das Kindl-Areal zum Stadtraum geöffnet hätten. Der Turm des Sudhauses hätte als Wahrzeichen in den Sichtachsen gestanden, gekrönt von einem neuen, verglasten Aufsatz, der als „Sky Bar“ nachts ein leuchtendes Aushängeschild für das Gelände gewesen wäre. Die Ideen in Bezug auf die künftige Nutzung waren, wie bei den Drittplatzierten übrigens auch, weitgehend Kopien der Investorenwünsche: Gastronomie, Handelsflächen, Dienstleistungen, Kultur und Bildung waren keine signalgebenden Neuerungen.
Die erstplatzierten Lübecker Architekten
und Stadtplaner petersen pörksen partner (ppp) planen hingegen eine starke Wohnnutzung als Gegengewicht zum Einzelhandel. Dazu Künstlerateliers, Platz für Baugemeinschaften – und dann präsentierten sie auch gleich einen Nutzer für einen Teil der Flächen: eine internationale Universität, die noch nicht genannt werden will, aber großes Interesse an dem Standort geäußert haben soll.
Dem konnten und wollten sich Eigentümer und Bezirk nicht verwehren, ist dies doch eine kommende Nutzung, von der man sich eine gewisse Strahlkraft über die Bezirksgrenzen hinweg erhoffen darf. Dies ist wohl der ausschlaggebende Grund im Wettbewerb gewesen, allerdings keineswegs der einzige. Der Entwurf ist auch städtebaulich klug und konsequent gegliedert und gestaltet: Freistellung des Sudhauses, weitgehende Erhaltung des Bestandes. Die drei Stadtplätze („Campus“, „Plaza“, „Isargarten“) sind bei ppp in Form von U-förmig umbauten Höfen etwas introvertierter gedacht als bei anderen Entwürfen.
„Das Ziel ist“, so formulieren petersen pörksen partner in ihren Erläuterungen, „dass hochwertige Nutzungen das Niveau und Image des Stadtteils Neukölln heben sollen.“ Die Jury schreibt in ihrer Beurteilung bereits vom „Leuchtturmprojekt Campus“. Es bleibt zu wünschen, dass die Universität bald beim Namen genannt wird und nicht am Ende doch der Handel die leeren Flächen besetzt. Der In-vestor hat eine Realisierung des ersten Preisträgers beschlossen und möchte bereits Anfang 2008 mit der Umsetzung beginnen.
Dipl.-Ing. Florian Heilmeyer ist Autor und Journalist in Berlin.
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