Roland Stimpel
Neulich waren wir mal wieder im „Exodus“, unserem ägyptisch-israelischen Lieblingsimbiss. Ich hatte den großen Wachtel-Manna-Teller mit Milch und Honig. Der Kanaan-Wein löste unsere Zungen, wir lösten Grundprobleme der Architektur. In der Nacht kam mir der Traum, der kommen musste: Mit einem Haufen Kollegen irrte ich durch die Wüste Sinai, unterwegs ins Gelobte Land des Bauens. In einem Oasencenter sanken wir ermattet auf den Boden des Food Courts. Unser Prophet Modes aber stieg auf den Berg und kam zurück mit zwei steinernen USB-Sticks, in die zehn Gebote eingeritzt waren. Er beamte sie an die Felswand des Centers:
1. Du sollst fürs Volk bauen und keine Götter haben neben ihm.
2. Du sollst die Laien verachten. Denn DU hast zwölf Semester
Geschmack studiert.
3. Du sollst nicht bloß ein Bild gestalten. Das Innere zählt, die
Fassade ergibt sich.
4. Du sollst die Fassade ehren. Das Innere sieht ja fast keiner.
5. Du sollst funktional sein.
6. Du sollst täglich im Buche Oswald Mathias lesen: „Das Geistige in der Architektur nimmt auf praktische Fragen keine Rücksicht.“
7. Du sollst den Lauf der Baugeschichte respektieren, jedenfalls bis heute: Rekonstruiere nichts, was weg ist.
8. Du sollst den Lauf der Baugeschichte bremsen, und zwar ab heute: Verhindere per Denkmalschutz, dass was wegkommt.
9. Du sollst nicht traditionell bauen. Unterwirf dich da bloß keinem Zeitgeist.
10. Du sollst die Tradition der Moderne heiligen. Dein Entwurf sei immer zeitgenössisch.
Als der Beamer erloschen war, fassten wir uns an den Händen und tanzten Ringelreihen um die USB-Sticks. Mutig hüpften wir über die Gräben der Widersprüche, die sich im Boden des Wüstencenters aufgetan hatten. Aber irgendwann fiel ich hinein, wachte auf und wusste: Der wahre Alb beginnt erst jetzt. Die Gebote hatten einander neutralisiert und sich verflüchtigt. Es war nichts mehr da, was ich einfach nur zu befolgen brauchte, ohne selbst zu denken.
Unsere Welt muss wieder simpler werden! Nächstes Mal gehen wir zum Nordkoreaner.